Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, Berücksichtigung einer Lebensversicherung als Vermögen bei der Befreiung von
der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, Begriff des angemessenen Umfangs
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites
Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 2007.
Der 1959 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Architektur und als solcher seit Januar 1999 Mitglied im Versorgungswerk
der Architektenkammer B.-W ... Er ist gemäß §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) von der Rentenversicherungspflicht mit Wirkung ab 1. September 1999 befreit (Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte vom 3. Februar 2000). Der Kläger bezog bis Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe und ab 1. Januar 2005 bis 30. November
2006 - abgesehen von dem Bezug von Übergangsgeld in Zeit vom 10. März bis 19. Mai 2005 - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II. Vom 1. Dezember 2006 bis 31. Mai 2007 sowie vom 1. Oktober 2007 bis 31. Oktober 2008 war der Kläger als Bauleiter
versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1. November 2008 bezieht er Arbeitslosengeld.
Am 1. Juni 2007 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Hierbei gab
er als Vermögen an Bargeld in Höhe von ungefähr 400,- EUR, Guthaben auf einem Girokonto in Höhe von 390,83 EUR, ein Sparbuch
bei der Postbank mit einem Guthaben von 2.196,68 EUR, eine Lebensversicherung bei der H.-C. Lebensversicherung AG (Versicherungssumme
55.296,- DM / 28.2272,40 EUR) mit einem Rückkaufswert zum 1. September 2006 von 11.430,- EUR und eine weitere Lebensversicherung
bei der H.-G. Lebensversicherung AG (Versicherungssumme 12.613,- EUR) mit einem Rückkaufswert zum 30. November 2006 von 9.247,20
EUR. Beide Versicherungen dienten seiner Alterssicherung. Über Einkommen verfüge er - abgesehen von den Zinsen für das Sparbuch
(im Jahr 2006 10,93 EUR) - nicht.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Das zu berücksichtigende Vermögen von insgesamt
23.664,71 EUR übersteige die Grundfreibeträge von 7.950,- EUR. Da die Verfügbarkeit des Altersvorsorgevermögens bereits jetzt
gegeben sei, zähle es nicht als Altersvorsorgevermögen, sondern als sonstiges Vermögen. Der Kläger sei daher nicht hilfebedürftig
und habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Mit seinem Widerspruch vom 5. Juli 2007 machte
der Kläger geltend, die Lebensversicherungen dienten seiner Altersvorsorge. Er sei von der Rentenversicherungspflicht befreit,
weswegen die Lebensversicherungen nicht berücksichtigt werden dürften.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus,
der Kläger verfüge über Vermögen von insgesamt 23.664,71 EUR. Nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 SGB II seien als Vermögen nicht zu berücksichtigen
vom Inhaber als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete Vermögensgegenstände in angemessenem Umfang, wenn der erwerbsfähige
Hilfebedürftige von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sei. Fraglich sei bereits, ob
in Anbetracht der dem Kläger bei seinem Versorgungswerk zustehenden rentenähnlichen Rentenanwartschaft überhaupt noch Raum
für eine zusätzliche Privilegierung gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 3 SGB II bestehe. Dies habe die Beklagte zugunsten des Klägers bejaht,
als angemessen könne jedoch Altersvorsorgevermögen höchstens bis zur Grenze des § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II anerkannt werden,
somit bis zur Höhe von 11.750,- EUR. Ziehe man diesen Betrag vom vorhandenen Vermögen ab, verbleibe ein zu berücksichtigendes
Vermögen in Höhe von 11.914,71 EUR. Ziehe man hiervon den Grundfreibetrag gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Höhe von 7.050,-
EUR (47 x 150) ab sowie den Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750,- EUR, übersteige das zu berücksichtigende
Vermögen die Freibeträge noch um über 4.000,- EUR, so dass ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II mangels Hilfebedürftigkeit
nicht gegeben sei.
Mit seiner am 4. Oktober 2007 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.
Mit Urteil vom 16. Juni 2008 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II ab Antragstellung zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Kläger sei hilfebedürftig, die beiden Lebensversicherungen seien nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II als Schonvermögen nicht zu berücksichtigen. Der Kläger sei nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit und habe bereits anlässlich eines 2004 gestellten
Antrags auf Leistungen nach dem SGB II und seitdem unverändert erklärt, seine beiden Lebensversicherungen dienten seiner Alterssicherung.
Darin sei eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Altersvorsorgebestimmung zu sehen. Beide Lebensversicherungen hielten
sich auch im vollen Umfang ihres Rückkaufswertes im Rahmen des Angemessenen. In Anlehnung an die Grundsätze, die vom Bundessozialgericht
(BSG) zum früheren Arbeitslosenhilferecht für die dort relevante Frage nach der Angemessenheit einer zusätzlichen Alterssicherung
entwickelt worden seien (unter Hinweis auf BSG SozR 3-4220 § 6 Nr. 6 = BSGE 83, 88), sei naheliegend, zur Bestimmung der Angemessenheit jedenfalls ein der Standardrente entsprechendes Vermögen anrechnungsfrei
zu belassen und dabei die durchschnittliche Lebenserwartung zugrunde zu legen, welche einen Zeitraum von knapp 17 Jahren nach
Vollendung des 65. Lebensjahres umfasse. Der Wert der Standardrente belaufe sich ab 1. Juli 2007 auf 1.182,15 EUR. Hochgerechnet
auf 17 Jahre ergebe sich daraus ein Kapitalbedarf bei Eintritt in den Ruhestand von 241.158,60 EUR. Da eine Altersvorsorge
während des Berufslebens in der Regel erst allmählich aufgebaut werde, sei ab Vollendung des 20. Lebensjahres für jedes weitere
Lebensjahr 1/45 dieser Summe als angemessenes Altersvorsorgevermögen unberücksichtigt zu lassen, für den bei Antragstellung
47jährigen Kläger somit eine Summe von 144.695,16 EUR. Da die Renten aus Anwartschaften im Versorgungswerk der Architektenkammer
und bei der Deutschen Rentenversicherung Bund - zusammen in Höhe von 590,53 EUR monatlich - in den pauschaliert betrachteten
17 Jahren ebenfalls zur Verfügung stünden, seien sie zu berücksichtigen. Hochgerechnet auf 17 Jahre ergebe sich hieraus ein
Betrag von 120.468,12 EUR. Werde dieser von dem oben ermittelten Ausgangsbetrag von 144.695,16 EUR in Abzug gebracht, verbleibe
ein Restbetrag von 24.227,04 EUR, der im Fall des Klägers als angemessenes Altersvorsorgevermögen anzusehen sei.
Der Auffassung der Beklagten, die sich aus § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II ergebende Begrenzung auch im Rahmen des Abs. 3 Satz 1
Nr. 3 heranzuziehen und das als angemessen anzusehende Vermögen auf 11.750,- EUR zu begrenzen, könne nicht gefolgt werden.
Dagegen sprächen Wortlaut, systematische Erwägungen und Sinn und Zweck. Das in § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II geregelte Vermögen
könne von Hilfebedürftigen abgesetzt werden, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert seien und geldwerte Ansprüche
neben und zusätzlich zu ihren Anwartschaften in diese Versicherung erworben hätten. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II privilegiere
dagegen Hilfebedürftige, die gerade nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert seien. Wenn und soweit Anwartschaften
in der gesetzlichen Rentenversicherung oder in berufsständischen Versorgungseinrichtungen bestünden, sei dem durch die Anrechnung
bei der Ermittlung des Kapitalbedarfs in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Da die übrigen Vermögensgegenstände den sich
aus § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ergebenden Grundfreibetrag von 7.050,- EUR nicht überschritten, liege insgesamt kein zu
berücksichtigendes Vermögen vor, der Kläger verfüge auch über kein Einkommen. Gegen das ihr am 23. Juni 2008 zugestellte Urteil
wendet sich die Beklagte mit ihrer am 23. Juli 2008 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung.
Es sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits Anwartschaften im Versorgungswerk der Architektenkammer und der Deutschen
Rentenversicherung Bund auf eine monatliche Rente in Höhe von insgesamt 590,53 EUR erworben habe. Zudem sei die Verwertung
der Lebensversicherungen vor Eintritt in das Rentenalter vertraglich nicht unwiderruflich ausgeschlossen. Gemäß § 165 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) dürfe der Wert der vom Ausschluss betroffenen Ansprüche die in § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II bestimmten Beträge nicht übersteigen. Vor diesem Hintergrund sei die Beklagte nach wie vor der Auffassung,
dass das als angemessen anzusehende Vermögen auf 11.750,- EUR zu begrenzen sei. Der Kläger sei mithin nicht hilfebedürftig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Juni 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, dass die Lebensversicherungen nicht als Vermögen zu berücksichtigen seien. Darüber hinaus
hat er im Hinblick auf seine berufliche Tätigkeit ab 1. Oktober 2007 klargestellt, dass es ihm allein noch um die Leistungsgewährung
für den Zeitraum 1. Juni bis 30. September 2007 geht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Klageakte des SG, die Senatsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Streitgegenstand ist allein der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom
1. Juni bis 30. September 2007. Der Kläger hat - nach Hinweis der Beklagten auf seine Berufstätigkeit ab 1. Oktober 2007 und
den Bezug von Arbeitslosengeld ab 1. November 2008 - seine Klage auf diesen Zeitraum beschränkt. Der Sache nach liegt darin
eine teilweise Klagerücknahme, wodurch das Urteil des SG für den Zeitraum ab 1. Oktober 2007 gegenstandslos geworden ist. Nicht streitig sind ferner Leistungen für Unterkunft und
Heizung, da hierfür allein der kommunale Träger zuständig ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II), dessen Bescheide nicht Gegenstand
dieses Verfahrens sind.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt (§
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) sowie statthaft (§
143 SGG), da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- EUR übersteigt (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG). Die Berufung ist indes nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zutreffend verurteilt, dem Kläger dem Grunde nach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im hier
noch streitigen Zeitraum zu gewähren.
Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach haben Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II Personen,
die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig
sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Der zu
Beginn des streitigen Zeitraums 47-jährige Kläger ist erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland. Er ist auch hilfebedürftig. Hilfebedürftig ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt,
seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder
nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allen nicht (1.) durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus
dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Über Einkommen (§ 11 SGB II) verfügt der Kläger im streitigen
Zeitraum nicht. Es liegt auch kein zu berücksichtigendes Vermögen vor.
Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Grundsätzlich sind alle
Vermögensgegenstände des Klägers verwertbar, insbesondere besteht auch kein vertraglicher Verwertungsausschluss für die Lebensversicherungen
für die Zeit vor Eintritt in den Ruhestand. Die Lebensversicherungen sind jedoch gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II nicht
als Vermögen zu berücksichtigen, d.h. sie sind als Schonvermögen bei der Ermittlung des Wertes des Vermögens nicht mit einzubeziehen.
Nach dieser Vorschrift sind als Vermögen nicht zu berücksichtigen vom Inhaber als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete
Vermögensgegenstände in angemessenem Umfang, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige oder sein Partner von der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Der Kläger ist seit September 1999 gemäß §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Er hat auch als Inhaber der Lebensversicherungen
diese als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnet. Erforderlich ist insoweit, dass die Vermögensgegenstände durch den Hilfebedürftigen
subjektiv zur Altersvorsorge bestimmt sind und auch die objektiven Begleitumstände mit dieser Zweckbestimmung in Einklang
stehen, die Zweckbestimmung daher glaubhaft ist (vgl. BSG SozR 3-4220 § 6 Nr. 6 = BSGE 83, 88, 91 zu § 6 Arbeitslosenhilfeverordnung 1974; BSG SozR 4-4300 § 193 Nr. 5; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 12 Rdnr.
183; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 12 Rdnr. 66). Der Kläger hat bereits bei seiner ersten Antragstellung
auf Leistungen nach dem SGB II im Oktober 2004 und seither durchgehend angegeben, die Lebensversicherungen dienten seiner
Alterssicherung. Diese subjektive Zweckbestimmung wird auch durch die objektiven Begleitumstände gestützt. Hierfür spricht
insbesondere die Wahl der Anlageform als Lebensversicherung (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 31. Januar 2003 - L 10 AL 102/01 - (juris)) und die langen Laufzeiten bis 1. September 2020 (H.-C.) bzw. 1. Dezember 2024 (H.-G.). Der Formulierung "vom Inhaber
als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete Vermögensgegenstände" ist zu entnehmen, dass gegenüber § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB
II eine spezielle Anlageform nicht vorgeschrieben ist (vgl. Hänlein in Gagel, SGB II, § 12 Rdnr. 46; Mecke in Eicher/Spellbrink,
aaO., Rdnr. 67). Insoweit führt der Hinweis der Beklagten auf eine fehlende vertragliche Vereinbarung, die eine Verwertung
der Anlage vor dem Eintritt in den Ruhestand ausschließt, nicht weiter. Denn das Gesetz verlangt dies in § 12 Abs. 3 Satz
1 Nr. 3 SGB II im Gegensatz zu § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II gerade nicht (a.A. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Januar 2008
- L 3 AS 88/06 - bezüglich der analogen Anwendung der Privilegierungsvorschrift des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 auf Personen, die als selbstständig
Erwerbstätige von vornherein nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegen - Revision
anhängig - B 14 AS 35/08 R -).
Entgegen der Auffassung der Beklagten halten sich die vorhandenen Lebensversicherungen auch noch in dem von § 12 Abs. 3 Satz
1 Nr. 3 SGB II geforderten angemessenen Umfang. Da der Wortlaut, wie das SG zutreffend festgestellt hat, keine Kriterien für die Bemessung der Angemessenheit hergibt, können unter Berücksichtigung
von Sinn und Zweck der Vorschrift die vom BSG entwickelten Grundsätze zur Frage der Angemessenheit einer zusätzlichen Alterssicherung
im Arbeitslosenhilferecht herangezogen werden. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II soll das zur Altersvorsorge aufgebaute Vermögen
derjenigen schützen, die im Grunde der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen, jedoch insbesondere
aus Gründen der anderweitigen Vorsorge für das Alter von der Versicherungspflicht befreit worden sind; insoweit handelt es
sich um eine Ergänzung zur Privilegierung der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge (vgl. BSG, Urteil vom 15. April
2008 - B 14/7b AS 68/06 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Im Urteil vom 22. Oktober 1998 (SozR 3-4220 § 6 Nr. 6 = BSGE 83, 88) hat das BSG als angemessene zusätzliche Alterssicherung typisierend einen Betrag angesehen, der 3/7 der Standardrente der
gesetzlichen Rentenversicherung entspricht. Es ist dabei davon ausgegangen, dass die Standardrente den Lebensstandard des
Versicherten zu etwa 70 v.H. sichere, so dass es angemessen sei, wenn ihm zusätzlich ein Betrag zur Alterssicherung zur Verfügung
stehe, der eine Lebensstandardsicherung bis zu 100 v.H. ermögliche.
Betreffend das SGB II soll sich die Angemessenheit nach der Vorstellung des Gesetzgebers jeweils nach der aktuellen Lebenssituation
des Bezuges einer staatlichen Fürsorgeleistung und nicht nach vorherigem Lebenszuschnitt richten (vgl. BT-Drucks. 15/1516
S. 53). Insoweit erscheint es gerechtfertigt, zur Bestimmung der Angemessenheit jedenfalls ein der Standardrente (Regelaltersrente
eines Durchschnittsverdieners) aus der gesetzlichen Alterssicherung entsprechendes Vermögen unter Zugrundelegung der durchschnittlichen
Lebenserwartung anrechnungsfrei zu belassen (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, aaO., § 12 Rdnr. 68; Hengelhaupt in Hauck/Noftz,
aaO., § 12 Rdnr. 192; Radüge in jurisPK SGB II, § 12 Rdnr. 102). Unter Rückgriff auf die Überlegungen des BSG im genannten
Urteil ist daher vom voraussichtlichen Bedarf im Alter auszugehen, wobei entsprechend der durchschnittlichen Lebenserwartung
von einem Zeitraum von knapp 17 Jahren nach Vollendung des 65. Lebensjahres ausgegangen werden kann, in dem der Lebensunterhalt
durch den Verbrauch des angesammelten Kapitals zu decken ist. Hinsichtlich der Höhe des monatlichen Kapitalverbrauchs kann
insoweit an den Wert der aktuellen Standardrente angeknüpft werden. Diese entspricht dem Wert der Rente eines Versicherten,
der über 45 Jahre Beiträge aufgrund eines Entgelts gezahlt hat, das dem des durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmers entspricht
(§
68 SGB VI). Die insoweit maßgeblichen 45 Entgeltpunkte (§
70 SGB VI) sind mit dem zum 1. Juli eines jeden Jahres zu aktualisierenden Rentenwert (§
69 SGB VI) zu multiplizieren.
Da der hier maßgebende Leistungszeitraum mit dem 1. Juni 2007 beginnt, ist noch der aktuelle Rentenwert 2006 zu berücksichtigen.
Dieser belief sich, da die Rentenanpassung zum 1. Juli 2006 ausgesetzt worden war (vgl. Gesetz über die Aussetzung der Anpassung
der Renten zum 1. Juli 2006) auf 26,13 EUR (West) entsprechend dem ab 1. Juli 2005 geltenden Betrag (§ 1 Abs. 1 Verordnung
zur Bestimmung der Rentenwerte in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Alterssicherung der Landwirte zum 1. Juli 2005).
Unter Berücksichtigung des maßgeblichen Rentenwerts von 26,13 EUR ergibt sich eine monatliche Standardrente von 1.175,85 EUR.
Hochgerechnet auf 17 Jahre ergibt sich hierauf ein Kapitalbedarf bei Eintritt in den Ruhestand von 239.873,40 EUR. Da eine
Altersvorsorge während des Berufslebens in der Regel erst allmählich aufgebaut wird, kann analog § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II
ab Vollendung des 20. Lebensjahres für jedes weitere Lebensjahr 1/45 dieser Summe als angemessenes Altersvorsorgevermögen
unberücksichtigt bleiben (so überzeugend Mecke in Eicher/Spellbrink, aaO. § 12 Rdnr. 68). Für den zu Beginn des streitigen
Zeitraums 47-jährigen Kläger ist somit eine Summe von 143.924,04 EUR (27: 45 x 239.873,40 EUR) als angemessenes Altersvorsorgevermögen
anzusehen.
Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die vorhandenen Anwartschaften bei der Deutschen Rentenversicherung Bund und dem Versorgungswerk der Architektenkammer
Baden-Württemberg im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit zu berücksichtigen sind. Nach den vom Kläger vor dem SG vorgelegten Unterlagen beträgt die Rentenanwartschaft im Versorgungswerk der Architektenkammer Baden-Württemberg 272,23 EUR
und bei der Deutschen Rentenversicherung Bund 318,30 EUR, insgesamt somit 590,53 EUR. Auch diese Renten stehen dem Kläger
in pauschaliert 17 Jahren zur Verfügung, so dass sie bei der Ermittlung des angemessenen Altersvorsorgevermögens zu berücksichtigen
sind (vgl. Brühl in LPK SGB II, aaO., § 12 Rdnr. 40; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, aaO., § 12 Rdnr. 192). Hochgerechnet auf
17 Jahre ergeben die Anwartschaften von 590,53 EUR einen Betrag von 120.468,12 EUR. Im Hinblick auf den ermittelten Gesamtbedarf
von 143.924,04 EUR verbleibt ein Restbedarf zur Alterssicherung von 23.455,92 EUR, welcher hier konkret als angemessenes Altersvorsorgevermögen
anzusehen ist. Diesen Wert erreichen die beiden Lebensversicherungen des Klägers nicht. Die Rückkaufswerte belaufen sich auf
11.430 EUR (Stand 1. September 2006) bzw. 9.247,20 EUR (Stand 30. November 2006), insgesamt somit 20.677,20 EUR. Diese Werte
erhöhen sich zum 1. September 2007 auf 12.371 EUR und zum 1. Dezember 2007 auf 9.529,86 EUR, insgesamt somit 21.900,86 EUR.
Die Lebensversicherungen sind daher insgesamt während des gesamten noch streitigen Zeitraums als angemessenes Altersvorsorgevermögen
geschützt und nicht zu berücksichtigen.
Soweit die Beklagte auch im Berufungsverfahren die Auffassung vertritt, das als angemessen anzusehende Vermögen sei unter
Anwendung der in § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II geltenden Grenzen auf 11.750,- EUR zu beschränken, kann dem nicht gefolgt werden.
In der bis 31. Dezember 2007 geltenden Fassung bestimmt § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, dass vom Vermögen abzusetzen sind geldwerte
Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, soweit der Inhaber sie vor dem Eintritt in den Ruhestand aufgrund einer vertraglichen
Vereinbarung nicht verwerten kann und der Wert der geldwerten Ansprüche 250,- EUR je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen und seines Partners, höchstens jedoch jeweils 16.250,- EUR nicht übersteigt. Sowohl Wortlaut als auch systematische
Erwägungen sprechen klar gegen eine Übertragung der in § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II geregelten Höchstgrenzen auf § 12 Abs. 3 Satz
1 Nr. 3 SGB II. Im Übrigen sprechen auch die Ausführungen des BSG zur Verfassungsmäßigkeit des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB
II im Hinblick auf die Privilegierung des für die Altersvorsorge bestimmten Vermögens eines von der Versicherungspflicht in
der gesetzlichen Rentenversicherung Befreiten gegenüber sonstigen Sicherungsformen von Personen, die niemals der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlagen (BSG, Urteil vom 15. April 2008, aaO.), dagegen, die Begrenzungen des §
12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II zu übertragen. Teilte das BSG die Auffassung der Beklagten, wären die in der genannten Entscheidung
getätigten Erwägungen zu einem möglichen Verstoß gegen Artikel
3 Abs.
1 Grundgesetz wegen der Privilegierung der von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht Befreiten in dieser Form nicht erforderlich
gewesen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, warum sich aus § 165 Abs. 3 VVG eine Anwendung der in § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II bestimmten Beträge auf § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II ergeben sollte. Auch aus der von der Beklagten wiederholt zitierten
Literatur ergibt sich dies nicht. Hänlein (in Gagel, aaO., § 12 Rdnr. 98) bezieht sich ausdrücklich auf die Berechnung der
Freibeträge nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II. In der dortigen Kommentierung zu § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II (aaO., Rdnr. 44-47)
findet sich kein Hinweis, welcher die Rechtsauffassung der Beklagten stützen könnte.
Von den verbleibenden Vermögensgegenständen des Klägers (Bargeld 400,- EUR, Girokonto-Guthaben 390,83 EUR, Sparbuch-Guthaben
2.196,68 EUR) ist schließlich noch der Grundfreibetrag gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Höhe von 150,- EUR je vollendeten
Lebensjahres des volljährigen Hilfebedürftigen, somit 7.050,- EUR abzusetzen. Da die vorhandenen Vermögenswerte unter diesem
Freibetrag liegen, ist insgesamt kein zu berücksichtigendes Vermögen vorhanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).