Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, Berücksichtigung von Krankengeld als Einkommen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
für die Zeit ab dem 01.10.2008 sowie die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2008 bis 14.04.2009
streitig.
Die 1958 geborene Klägerin ist seit dem 15.06.1998 beim Städtischen Klinikum Karlsruhe versicherungspflichtig beschäftigt
mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 967,87 € bzw. einem Nettoarbeitsentgelt von 755,13 €. Mit dem Entgelt für den
Monat November 2008 erhielt sie eine Jahressonderzahlung i.H.v. 861,77 € brutto. Daneben bezog die Klägerin seit dem 01.01.2005
ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Sie hat für ihre Wohnung eine Warmmiete in Höhe von 304,00 € monatlich zu entrichten.
Mit Bescheid vom 25.06.2008 bewilligte ihr die Beklagte Leistungen nach dem SGB II für den Monat Juli 2008 in Höhe von 105,77
€ und für die Monate August bis November 2008 in Höhe von monatlich 107,77 €.
Nachdem die Klägerin eine Einkommensbescheinigung vorgelegt hatte, wonach sie ein monatliches Nettoarbeitsentgelt von 755,13
€ sowie Einmalzahlungen in den Monaten Juli und November 2008 erhalte, und nach Vorlage der Entgeltabrechnung für Juli 2008
hob die Beklagte mit Bescheid vom 19.08.2008 die Bewilligung für den Monat Juli 2008 auf und bewilligte ihr für die Zeit vom
01.08.2008 bis 30.11.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 114,94 €. Vom
Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von monatlich 634,97 € (Regelleistung 351,00 €, Kosten für Unterkunft und Heizung 283,97
€) setzte sie ein zu berücksichtigendes Einkommen von 520,03 € ab, das sie wie folgt berechnete:
Netto-Erwerbseinkommen monatlich
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781,86 €
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Freibetrag
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- 231,83 €
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zu berücksichtigendes Erwerbseinkommen
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550,03 €
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Einkommensbereinigung:
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- 30,00 €
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zu berücksichtigendes Gesamteinkommen
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520,03 €.
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Ab dem 05.07.2008 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 27.08.2008 teilte sie der Beklagten mit, sie werde am 28.08.2008
operiert und könne danach zunächst nur mit Krücken gehen. Beigefügt war ein Schreiben ihrer Krankenkasse, wonach sie ab dem
16.08.2008 für die Dauer ihrer Arbeitsunfähigkeit Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 21,87 € erhalte.
Mit Schreiben vom 27.08.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Leistungen würden weiterhin vorerst ohne Bescheid ausbezahlt.
Damit ein Bescheid erlassen werden könne, werde noch die Lohnabrechnung für August benötigt. Weiter wurde die Klägerin um
Mitteilung gebeten, sobald das Krankengeld ende.
Den am 27.10.2008 gestellten Antrag der Klägerin auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II, in welchem sie angab,
am 14.10.2008 Wohngeld beantragt zu haben, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.10.2008 ab mit der Begründung, die Klägerin
sei nicht mehr hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Ihrem Gesamtbedarf in Höhe von monatlich 634,97 € stehe ein zu berücksichtigendes
Gesamteinkommen von 654,07 € gegenüber.
Mit weiterem Bescheid vom 29.10.2008 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab 01.10.2008 gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ganz auf mit der Begründung, die Klägerin habe ab Oktober 2008 einen Anspruch auf Wohngeld. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen
sei sie nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II.
Den gegen beide Bescheide eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2008 zurück. Zur Begründung
führte sie aus, es sei eine wesentliche Änderung dadurch eingetreten, dass die Klägerin spätestens seit 01.10.2008 im laufenden
Bezug von Krankengeld stehe. Die Klägerin habe einen Gesamtbedarf von monatlich 634,97 € (Regelleistung 351,00 €, Kosten der
Unterkunft/Heizung ohne Energieaufwand für Warmwasser 283,97 €). Diesem Bedarf stehe als Einkommen gegenüber:
a) Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld (1/12 - anzurechnen gemäß § 2 Abs. 4 Alg II-V)
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56,61 €
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./. Freibeträge nach §§ 11, 30 SGB II inkl. Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 €
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56,61 €
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0,00 €
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b) Krankengeld
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656,10 €
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Gesamteinkommen
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656,10 €.
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Erwerbseinkünfte seien gegenüber Lohnersatzleistungen (wie etwa Krankengeld) privilegiert, so dass während des Bezuges von
Arbeitseinkommen ein ergänzender Leistungsanspruch nach dem SGB II bestehen könne, während nach Wegfall dieses Arbeitseinkommens
(und Bezug einer niedrigeren Lohnersatzleistung) ein ergänzender Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht mehr bestehe. Da
Bedürftigkeit nicht mehr vorliege, sei auch die Weitergewährung der Leistungen nach dem SGB II abzulehnen.
Gegen den am 19.11.2008 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 11.12.2008 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe
(SG) erhoben. Sie vertritt die Rechtsauffassung, der Freibetrag nach § 30 SGB II sei auch beim Bezug von Krankengeld abzuziehen. § 30 SGB II knüpfe zwar nach seinem Wortlaut beim Einkommen aus Erwerbstätigkeit
an, jedoch handle es sich beim Krankengeldbezug um eine Entgeltersatzleistung, die insoweit einer Erwerbstätigkeit gleichzustellen
sei. Sie stehe nämlich noch in einem Arbeitsverhältnis, auch sei beim Krankengeldbezug während eines versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses Lohnsteuer zu entrichten. Schließlich ergebe sich diese Rechtsfolge auch aus den Durchführungshinweisen
der Bundesagentur.
Nachdem die Klägerin bis zum 14.04.2009 Krankengeld bezogen hatte, haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor
dem SG am 21.10.2009 einen Teilvergleich dahingehend geschlossen, dass sie den Rechtsstreit betreffend den Bewilligungszeitraum
ab dem 15.04.2009 für erledigt erklärt haben und sich die Beklagte verpflichtet hat, nach Durchführung eines gesonderten Verwaltungsverfahrens
über einen Anspruch auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II ab dem 15.04.2009 zu entscheiden.
Mit Urteil gleichfalls vom 21.10.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe im Ergebnis zu Recht in den angefochtenen Bescheiden
davon abgesehen, auf das von der Klägerin im Zeitraum vom 01.10.2008 bis zum 14.04.2009 bezogene Krankengeld in Höhe von monatlich
brutto 752,70 € und netto 656,10 € Freibeträge gemäß § 11 Abs. 2 Sätze 2 und 3 und § 30 SGB II einkommensmindernd in Anrechnung
zu bringen. Diese Freibeträge seien lediglich von aufgrund einer Arbeitstätigkeit erzieltem Hinzuverdienst in Abzug zu bringen,
was einer Anwendung auf das von der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum bezogene Krankengeld entgegenstehe. Gemäß
S. 4 und 5 der Gesetzesbegründung des zum 01.10.2005 in Kraft getretenen Freibetragsneuregelungsgesetzes vom 14.08.2005 (BGBl.
I S. 2407) diene die Neuregelung der Schaffung stärkerer Anreize zur Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt durch deutlich verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten. Diese Anreizfunktion würde durch eine Anwendung der Freibetragsregelung
auch auf Entgeltersatzleistungen konterkariert. Unbeachtlich sei hierbei, ob während des Krankengeldbezuges das Arbeitsverhältnis
fortbestehe. Denn oftmals würden gerade bei längerdauerndem Krankengeldbezug Arbeitsverhältnisse nur noch rechtlich fortbestehen,
weil weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber ein Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten. Hinzu komme,
dass auch der Wortlaut des § 30 Satz 1 SGB II einer erweiternden Anwendung der Freibetragsregelungen entgegenstehe, denn auch
danach sei der Freibetrag lediglich von dem "monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit" abzusetzen. Schließlich sei auch
die Vorgängerregelung in § 76 Abs. 2a Nr. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) nicht auf Personen anwendbar gewesen, die Entgeltersatzleistungen bezogen hätten, da diese Leistungen nicht aus gegenwärtiger
entgeltlicher Verwertung der Arbeitskraft erzielt worden seien.
Gegen das am 04.11.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.12.2009 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Begriff des
Erwerbseinkommens im Sinne des § 30 SGB II sei weit auszulegen. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG,
Beschluss vom 22.04.2009 - 3 AZB 90/08 - in juris) sei der Erwerbstätigenfreibetrag nach §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
1b Zivilprozessordnung (
ZPO) bei Krankengeld, das anstelle von Arbeitsentgelt gezahlt und der Höhe nach als Anteil vom Arbeitsentgelt berechnet werde,
in Abzug zu bringen. Die Klägerin hat weiter eine Entgeltabrechung für November 2008 vorgelegt, wonach sie im November 2008
eine Jahressonderzahlung i.H.v. brutto 861,77 € bzw. netto 677,70 € erhalten hat.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Oktober 2009 sowie die Bescheide der Beklagten vom 29. Oktober 2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom
1. November 2008 bis 14. April 2009 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie trägt vor, das BSG habe bereits ausdrücklich entschieden, dass
die Verletztenrente Lohnersatzfunktion habe, und ausgeführt, vom vorhandenen Einkommen (Verletztenrente) sei lediglich die
30 €-Pauschale in Abzug zu bringen. Freibeträge nach §§ 11 Abs. 2 Satz 2, 30 SGB II seien nicht zuzuerkennen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge
ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. §
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach §
144 SGG liegen nicht vor. Bei Abzug von Freibeträgen nach §
11 Abs. 2 S. 2 und § 30 SGB II vom Krankengeld hätte die Klägerin im streitigen Zeitraum einen den Betrag von 750,- € übersteigenden
Anspruch auf Alg II.
Die Berufung ist jedoch nur insoweit begründet, als die Beklagte die Bewilligung von Alg II für den Monat Oktober 2008 zu
Unrecht aufgehoben hat (1.). Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet (2.).
1. Die Bewilligung von Alg II ab dem 01.10.2008 durfte nicht gem. § 48 SGB X wegen des Bezugs von Krankengeld aufgehoben werden. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Bewilligung von Krankengeld stellt zwar eine
wesentliche Änderung dar. Diese ist jedoch bereits am 16.08.2008 und damit vor Erlass des Bewilligungsbescheides am 19.08.2008
erfolgt. Der Bescheid war deshalb - wie unten ausgeführt wird - bereits von Anfang an rechtswidrig, so dass eine Rücknahme
wegen des Bezugs von Krankengeld nur nach § 45 SGB X hätte erfolgen dürfen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 45 SGB X für die Vergangenheit haben jedoch nicht vorgelegen, da sich die Klägerin auf Vertrauensschutz berufen kann, da sie weder
vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Hinsicht unvollständige Angaben gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) noch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder hätte kennen müssen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Denn die Klägerin musste nicht wissen, dass der Anspruch auf ergänzendes Alg II entfällt, wenn statt des Erwerbseinkommens
niedrigeres Krankengeld bezogen wird. Die Aufhebung ist damit erst für den auf das Datum des Aufhebungsbescheides folgenden
Monat November 2008 rechtmäßig erfolgt.
2. Die Aufhebung der Bewilligung für den Monat November 2008 und die Ablehnung der Leistungsbewilligung für die Zeit ab dem
01.12.2008 sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg II, da ihr anrechenbares Einkommen ihren Bedarf übersteigt.
Als Bedarf der Klägerin hat die Beklagte zutreffend den Betrag von 634,97 € (Regelleistung 351,00 €, Kosten der Unterkunft
283,97 €) zugrunde gelegt.
Die Beklagte hat weiter zutreffend das Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld der Klägerin gem. § 2 Abs. 4 Alg II-V auf das Jahr umgelegt
und zu 1/12 angerechnet. Dahingestellt bleiben kann, ob unter Einbeziehung der im November 2008 gewährten Jahressonderzahlung
nicht ein höherer monatlicher Betrag einzusetzen wäre. Denn nach Abzug der Freibeträge nach §§ 11 und 30 SGB II einschließlich
der Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V hat die Beklagte jedenfalls kein anrechenbares Einkommen aus Erwerbsarbeit
zugrunde gelegt.
Das Krankengeld ist in der tatsächlich geleisteten Höhe als anrechenbares Einkommen zu berücksichtigen. Es sind weder Freibeträge
nach § 11 SGB II noch nach § 30 SGB II abzusetzen.
Die Beklagte hat zutreffend den Nettozahlbetrag des Krankengeldes als Einkommen zugrunde gelegt. Es ist auch kein Pauschalbetrag
nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II und kein weiterer Freibetrag nach § 30 SGB II abzusetzen. Nach § 11 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB
II in der ab dem 01.10.2005 geltenden Fassung des Freibetragsneuregelungsgesetzes vom 14.08.2005 (BGBl. I S. 2407) ist bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind, an Stelle der Beträge nach Satz 1 Nr. 3 bis 5 ein Betrag
von insgesamt 100,00 € monatlich abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen mehr als 400 €, gilt Satz 2 nicht, wenn der
erwerbsfähige Hilfebedürftige nachweist, dass die Summe der Beträge nach Satz 1 Nr. 3 bis 5 den Betrag von 100 € übersteigt.
Nach § 30 SGB II in der Fassung des Freibetragsneuregelungsgesetzes ist bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbsfähig
sind, von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich
1. für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100 € übersteigt und nicht mehr als 800 € beträgt, auf 20 vom Hundert und
2. für den Teil des monatlichen Einkommens, das 800 € übersteigt und nicht mehr als 1200 € beträgt, auf 10 vom Hundert.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass diese Freibeträge lediglich von aufgrund einer Arbeitstätigkeit erzieltem Hinzuverdienst
in Abzug zu bringen sind und damit nicht von Einkommen in Form von Krankengeld.
Hierfür spricht zunächst die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/5446, S. 4). Danach soll die Neuregelung der Schaffung stärkerer
Anreize zur Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch deutlich verbesserte
Hinzuverdienstmöglichkeiten dienen. Privilegiert werden sollte danach lediglich Einkommen aus Erwerbstätigkeit, nicht jedoch
Erwerbsersatzeinkommen.
Weiter steht der Wortlaut des § 30 Satz 1 SGB II, wonach lediglich Einkommen aus "Erwerbstätigkeit" abzusetzen ist, einer
erweiternden Anwendung der Freibetragsregelung entgegen (ebenso Birk in LPK-SGB II, § 30 Rdnr. 5). Entgeltersatzleistungen
wie das Krankengeld beruhen dagegen nicht auf der gegenwärtigen entgeltlichen Verwertung der eigenen Arbeitskraft und stellen
deshalb kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit dar (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 30 Rn. 12).
Nicht zutreffend ist die vom SG Stade vertretene Auffassung, es sei danach zu differenzieren, ob die der Krankengeldzahlung
zugrunde liegende Arbeitsunfähigkeit während einer Zeit der Erwerbstätigkeit oder bei bestehender Arbeitslosigkeit eintrete
(SG Stade, Urteil vom 04.05.2010, S 17 AS 455/09, in juris). Denn zum einen steht dieser Differenzierung das vom SG in der angefochtenen Entscheidung angeführte Argument entgegen, in vielen Fällen bestehe gerade bei länger dauerndem Krankengeldbezug
das Arbeitsverhältnis nur noch rechtlich fort, weil weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber ein Interesse an der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses hätten, obwohl evident sei, dass eine Wiederaufnahme des Beschäftigungsverhältnisses aufgrund bestehender
gesundheitlicher Einschränkungen realistischerweise nicht mehr in Betracht komme. Eine Prüfung, ob die Erwerbstätigkeit durch
die Arbeitsunfähigkeit und den Krankengeldbezug lediglich unterbrochen oder dauerhaft beendet ist, lässt sich vielfach nicht
durchführen. Zum anderen spricht gerade die vom SG Stade herangezogene Rechtsprechung des BSG zum Insolvenzgeld (InsG) dafür,
dass eine tatsächliche Arbeitsausübung vorauszusetzen ist. Das BSG hat in der angeführten Entscheidung (BSG Urteil v. 13.05.2009
- B 4 AS 29/08 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 22) ausgeführt, das InsG trete in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht an die Stelle des Arbeitsentgeltanspruchs,
deshalb sei es auch hinsichtlich der Einkommensbereinigung wie dieser zu behandeln. Das BSG hat jedoch weiter ausgeführt,
das InsG umfasse alle Leistungen des Arbeitgebers, die eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers darstellten.
Der Schutz der InsG-Versicherung gewährleiste im Ergebnis, dass der Arbeitnehmer ungeachtet des Umstandes, dass der in Zahlungsschwierigkeiten
befindliche Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder nicht vollständig zahle, zunächst für die Dauer des InsG-Anspruches
weiterarbeiten könne. Damit knüpft das Insolvenzgeld gerade an die tatsächliche Arbeitsleistung bzw. den Arbeitsentgeltanspruch
an.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des BAG, denn diese bezieht
sich nicht auf die Leistungen nach dem SGB II, sondern auf die Prüfung der Bedürftigkeit im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass auch ein historisches Argument gegen eine extensive Auslegung der Freibetragsregelung spricht, da nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Vorgängerregelung in § 76 Abs. 2a Nr. 1 Bundessozialhilfegesetz nicht auf Entgeltersatzleistungen anzuwenden war (BVerwG, Urteil v. 21.07.1994, 5 C 32/91, BVerwGE 96, 246).
Schließlich hat das BSG im Urteil vom 16.12.2008 (Az.: B 4 AS 70/07 R - in juris Rn. 32) bei der Berücksichtigung von Krankengeld als Einkommen lediglich die Versicherungspauschale von 30 €
gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V sowie nachgewiesene anteilige Kosten für eine Kfz-Haftpflichtversicherung
nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Abzug gebracht, nicht jedoch die Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 2 und § 30 SGB II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.