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LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.10.2010 - 7 AS 4197/10
Anspruch auf Arbeitslosengeld II; verfassungskonforme Auslegung bei der Berechnung der Höhe des Zuschusses zum Versicherungsbeitrag zur privaten Krankenversicherung
Übernahme von Beiträgen zur privaten Krankenversicherung bei Bezieher von SGB II-Leistungen - Einstweiliger Rechtsschutz - Zugunstenverfahren Auch im Rahmen der begehrten Überprüfung bestandskräftiger Bescheide nach § 44 SGB X ist die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes möglich. Allerdings sind hierbei besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen, da es dem Antragsteller im Regelfall zuzumuten ist, die Entscheidung im Verwaltungs- und gegebenenfalls in einem anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten. Die wortgetreue Anwendung der über § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II anwendbaren Regelung des § 12 Abs. 1c Sätze 5 und 6 VAG führt zu einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten systemwidrigen Belastung des privat krankenversicherten Empfängers von SGB II-Leistungen, da er einen Teil seines Krankenversicherungsbeitrags selbst tragen müsste. Da ohne eine gesetzgeberische Regelung keine Rechtsgrundlage ersichtlich ist, aus der sich ein Anspruch auf Schließung der Deckungslücke ergeben könnte, ist angesichts gewichtiger verfassungsrechtlicher Bedenken die Deckungslücke in analoger Anwendung des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB II zu schließen. Danach besteht ein Anspruch auf vorläufige volle Übernahme der Beiträge zur privaten Krankenversicherung bis zur Hälfte des Basistarifes. Die auch bei Nichtzahlung von Versicherungsbeiträgen nach § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG gegebene Notversorgungspflicht gewährleistet keine ausreichende Gesundheitsversorgung, so dass aufgrund dieses gewichtigen Nachteils der Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu bejahen ist.
Angesichts gewichtiger verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die systemwidrige Belastung des privat krankenversicherten Empfängers von SGB II-Leistungen ist die Deckungslücke in analoger Anwendung des § 26 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SGB II zu schließen. Danach besteht ein Anspruch auf vorläufige volle Übernahme der Beiträge zur privaten Krankenversicherung bis zur Hälfte des Basistarifes. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Normenkette:
GG Art. 1 Abs. 1
,
GG Art. 20 Abs. 1
,
GG Art. 3 Abs. 1
,
SGB II § 26
,
SGB V § 5 Abs. 5a S. 1
,
SGB X § 44 Abs. 1
,
VAG § 12 Abs. 1c S. 5
,
VAG § 12 Abs. 1c S. 6
,
VVG (2008) § 193 Abs. 6 S. 5
Vorinstanzen: SG Karlsruhe 23.08.2010 S 5 AS 3398/10 ER
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. August 2010 (Versagung einstweiligen Rechtsschutzes) abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung zum einen Beitragsrückstände des Antragstellers in der privaten Krankenversicherung i.H.v. 811,13 € zu übernehmen, zum anderen dem Antragsteller zu seinen Beiträgen in der privaten Krankenversicherung einen weiteren Zuschuss für November 2010 i.H.v. 168,97 € zu gewähren.
Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller 9/10 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Entscheidungstext anzeigen: