Erstattungsanspruch einer Krankenkasse gegen einen Apotheker
Grundsatzrüge
Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage
Bezeichnung einer abstrakten und aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über einen Erstattungsanspruch
der klagenden Krankenkasse gegen die beklagte Apothekerin. Die Klägerin zahlte Vergütungen in Höhe von 25 879,81 Euro für
Arzneimittel an die Beklagte, die diese in der Zeit vom 13.9.2009 bis 14.11.2009 für eine Apotheke abrechnete, für die in
dieser Zeit keine Betriebserlaubnis bestand. Das SG hat die Beklagte zur Erstattung des Vergütungsbetrages verurteilt; die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (zuletzt
Urteil des LSG vom 2.5.2017).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil.
II
Die Beschwerde der Beklagten ist in entsprechender Anwendung von §
169 S 2 und 3
SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG). Die Beklagte hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG einen Zulassungsgrund nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (allg
Meinung, vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Soweit die Beklagte daher vorträgt, das LSG habe eine grundlegende Fehlentscheidung getroffen, deren Behauptungen
nicht nachvollziehbar seien, und es habe viele rechtliche Aspekte nicht gesehen, nach denen ein Erstattungsanspruch der Klägerin
nicht in Betracht komme, ist der Beschwerde von vornherein Erfolg versagt.
Ausdrücklich beruft sich die Beklagte in der Beschwerdebegründung allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung
der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Hierzu muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden
Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit)
und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem
Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht
zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).
Die Beschwerde der Beklagten richtet sich an diesen Voraussetzungen nicht aus. Sie enthält im vorstehend dargestellten Sinne
bereits keine ausdrücklich formulierte "Rechtsfrage" und genügt auch im Übrigen nicht den Anforderungen an die Darlegung der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß §
160a Abs
2 S 3
SGG.
2. Die Beklagte macht geltend, ihr habe es an einem "Unrechtsbewusstsein" gefehlt und es habe auch kein "subjektiv vorwerfbares
Fehlverhalten" vorgelegen. Demgegenüber sei dem Urteil des LSG zu entnehmen, die Beklagte habe bessere Kenntnis als der zuständige
Pharmazierat und als zuständige Sachbearbeiter bei der Stadt W. haben müssen. Daher müsse grundsätzlich geklärt werden, ob
eine solche Kenntnis bei einer frisch approbierten Apothekerin erwartet werden müsse. Denn darin liege eine grundlegende Fehlentscheidung,
die nicht nachvollziehbar sei und den Rechtsstaatsgrundsatz ad absurdum führe.
Eine über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende abstrakt-generelle Rechtsfrage, dh eine solche zur Auslegung, zum Anwendungsbereich
oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl §
162 SGG) mit höherrangigem Recht (vgl dazu allgemein zB BSG Beschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - Juris = BeckRS 2010, 68786, RdNr 10; BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - Juris = BeckRS 2010, 72088, RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - Juris = BeckRS 2009, 50073, RdNr 7), wird daraus nicht ersichtlich. Die Bezeichnung einer solchen aus sich heraus verständlichen
Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen
kann (P. Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 181).
Entgegen den genannten Vorgaben fehlen auch hinreichende Darlegungen zur Klärungsfähigkeit der dargestellten Gesichtspunkte.
Es wird nicht erkennbar, aus welchen rechtlichen Gründen diese Aspekte für eine Entscheidung in der Sache überhaupt erheblich
sein könnten. Die Beklagte schildert in erster Linie die Sachverhaltskonstellation des Einzelfalls und folgert daraus, es
fehle an einem ihr subjektiv vorwerfbaren Fehlverhalten. Sie benennt aber weder eine revisible Norm des Bundesrechts, die
dadurch verletzt sein könnte, noch überhaupt einen rechtlichen Anknüpfungspunkt für das ggf fehlende subjektiv vorwerfbare
Fehlverhalten. Es mangelt insoweit an Rechtsausführungen zum anwendbaren Recht und der dazu bereits ergangenen Rechtsprechung,
aus denen hervorgeht, aus welchen rechtlichen Gründen der der Klägerin zugesprochene Erstattungsanspruch entfallen sollte,
wenn die Beklagte tatsächlich ohne Unrechtsbewusstsein und ohne subjektiv vorwerfbares Fehlverhalten gehandelt hätte. Die
Beklagte weist selbst darauf hin, dass es nach der Rechtsauffassung des LSG auf alle diese persönlichen Umstände nicht ankomme,
da nach der Ordnungssystematik des Gesetzes die von der Krankenkasse gezahlte Vergütung für Arzneimittel von dem Apotheker
auch dann zu erstatten sei, wenn sich die beteiligten Personen, die verordnenden Ärzte und die ausgebenden Apotheker ordnungsgemäß
verhalten hätten. Die Beklagte hätte sich deshalb mit dieser Rechtsauffassung und der dazu bereits ergangenen höchstrichterlichen
Rechtsprechung auseinandersetzen und darlegen müssen, dass hierzu weiterer oder erneuter Klärungsbedarf bestehen und dass
ein Revisionsverfahren in der vorliegenden Sache eine solche Klärung auch herbeiführen würde. Denn eine Rechtsfrage ist nicht
(mehr) klärungsbedürftig, wenn schon eine oder mehrere richterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte
zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage ergeben (stRspr, vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick darauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert
vorgetragen werden, dass das BSG zu diesen Fragen noch keine Entscheidung gefällt hat oder durch die vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher
Bedeutung noch nicht beantwortet ist (vgl Krasney/Udsching, aaO, Kap IX, RdNr 183 mwN). Daran fehlt es.
3. Auch soweit die Beklagte ausführt, sie habe sich auf einen Vertrauenstatbestand verlassen und sich darauf auch verlassen
dürfen, genügt sie den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß §
160a Abs
2 S 3
SGG nicht. Auch in diesem Zusammenhang formuliert sie keine klar erkennbare, über ihren Einzelfall hinausgehende abstrakt-generelle
Rechtsfrage. Zwar zitiert sie hierzu aus verschiedenen Urteilen des BSG; sie folgert daraus aber lediglich, dass diese jeweils vorliegend nicht anwendbar seien.
Eine grundsätzliche Bedeutung wird daraus nicht erkennbar. Vielmehr fehlt es auch diesbezüglich an der hinreichenden Darlegung
einer Entscheidungserheblichkeit, denn es wird schon nicht deutlich, was daraus für ihren Fall abzuleiten sein könnte. Sollte
sie damit eine unzutreffende Subsumtion unter die in diesen Entscheidungen anerkannten Grundsätze rügen wollen, muss nochmals
darauf hingewiesen werden, dass allein eine unzutreffende Subsumtion nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung führen kann.
Mit dem Vortrag wird auch eine Divergenz nicht hinreichend aufgezeigt. Denn auch im Hinblick auf eine Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG wird die Zulassung der Revision nicht allein durch die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall begründet, sondern erst
bei einer Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen. Deshalb muss das LSG den vom BSG aufgestellten Kriterien widersprochen und andere rechtliche Maßstäbe entwickelt haben, damit eine Abweichung iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG vorliegen kann (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 10 RdNr 4; BSG SozR 1500 § 160a Nr 67 S 89 ff; BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 S 22). Dazu enthält die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch keine Darlegungen.
4. Schließlich kann der Beschwerdebegründung eine grundsätzliche Bedeutung auch nicht aus den Ausführungen in Bezug auf die
Anwendung von §
818 Abs
3 BGB entnommen werden. Insoweit fehlt es ebenfalls an hinreichend substantiierten Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit unter
Auswertung der Rechtsprechung zu dem Problemkreis.
In diesem Zusammenhang führt die Beklagte zwar das Urteil des BSG vom 17.3.2005 (B 3 KR 2/05 R - BSGE 94, 213 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1) an. Sie legt aber nicht dar, weshalb dieser gefestigten Rechtsprechung grundsätzliche Bedenken oder
Einwände entgegenstehen könnten. Sie legt auch nicht dar, welche offene Rechtsfrage sich angesichts dieser Entscheidung noch
stellen könnte. Soweit sie ausführt, nach einer Entscheidung des BSG vom 4.3.2004 (B 3 KR 4/03 R - BSGE 92, 223 = SozR 4-2500 § 39 Nr 1) könne ein Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift, die nicht der Sicherstellung der Qualität der Leistungserbringung
diene, dem Vergütungsanspruch eines Leistungserbringers nicht entgegenstehen und genau dies sei vorliegend der Fall, wird
damit allenfalls dargelegt, dass die Beklagte die Subsumtion des LSG für falsch hält. Dh, die Darlegungen betreffen lediglich
eine im Ergebnis möglicherweise falsche Einzelfallentscheidung. Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache wird damit nicht aufgezeigt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 52 Abs 1 und 3 S 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG.