Befugnis zur Abänderung von Eilentscheidungen im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
Die unter Beachtung der §§
172,
173 des Sozialgerichtsgesetzes -
SGG - (in der hier noch anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des
SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 [BGBl. I S. 444]) eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig
und im Umfang des Beschlussausspruchs auch begründet.
Mit dem Sozialgericht Konstanz (SG) geht auch der Senat davon aus, dass der Antragsteller mit seinen zum Hauptsacheverfahren S 3 SO 73/10 sowie zum Verfahren
S 3 SO 31/10 ER gelangten Schriftsätzen vom 9. und 15. April 2010 eine Abänderung des unangefochten gebliebenen und damit
rechtskräftig gewordenen Beschlusses vom 27. Januar 2010 (S 3 SO 31/10 ER) erreichen möchte. Mit diesem Beschluss hatte das
SG dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit stattgegeben, als der Antragssteller verpflichtet wurde, dem
Antragsgegner ab 7. Januar 2010 "vorläufig darlehensweise Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
ohne Berücksichtigung des PKW Volvo V40 als Vermögen zu gewähren".
Eine derartige Abänderungsmöglichkeit von Eilentscheidungen ist im
SGG ausdrücklich allerdings nur in §
86b Abs.
1 Satz 4
SGG für Anfechtungssachen vorgesehen; in §
86b Abs.
2 SGG, der den einstweiligen Rechtsschutz in Vornahmesachen regelt und insoweit §
123 Abs.
1, Abs.
2 Satz 1, Abs.
3 und
5 der
Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO] nachgebildet ist (vgl. auch BT-Drucks. 14/5943 S. 25 [zu Nr. 34, § 86b]), fehlt dagegen eine entsprechende Bestimmung.
Dennoch besteht in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehend Einigkeit darüber, dass auch bei einstweiligen Anordnungen, die
der formellen und materiellen Rechtskraft fähig sind (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 8. September 2010 - L 7 SO 3038/10 ER-B
-[m.w.N.]), dem im Einzelfall bestehenden Bedürfnis nach Aufhebung oder Abänderung aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes
(Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) Rechnung zu tragen ist (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] BVerfGE 92, 245, 260; Landessozialgericht [LSG] Berlin, Beschlüsse vom 10. Juli 2002 - L 15 B 39/02 KR ER - NZS 202, 670 und vom 26. Oktober 2004 - L 15 B 88/04 KR ER -; Bay. LSG, Beschluss vom 16. Juli 2009 - L 8 SO 85/09 B ER - [beide juris]; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren,
2. Auflage, Rdnr. 335; Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 9. Auflage, §86b Rdnr. 45; Binder in Hk-
SGG, 3. Auflage, §
86b Rdnr. 53; Hommel in Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, §
86b SGG Rdnr. 106; zu §
123 VwGO vgl. nur Verwaltungsgerichtshof [VGH] Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Dezember 2001 - 13 S 1824/01 - NVwZ-RR 2002, 908; Niedersächs. Oberverwaltungsgericht [OVG], Beschluss vom 18. Mai 2010 - 8 ME 111/10 - DVBl. 2010, 926; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage, Rdnr. 486; Puttler in
Sodan/Ziekow,
VwGO, 2. Auflage, §
123 Rdnr. 128). Dies ist jedenfalls für zusprechende einstweilige Anordnungen (vgl. hierzu etwa Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
aaO., Rdnr. 45; Binder in Hk-
SGG, aaO., Rdnr. 5; ferner BVerfGE 92, 245, 260; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Dezember 2001 aaO.; Funke-Kaiser in Bader u.a.,
VwGO, 4. Auflage, §
123 Rdnrn. 64, 67) - wie hier - nicht umstritten, fraglich vielmehr nur, wie diese vom Gesetzgeber ersichtlich übersehene Gesetzeslücke
zu schließen ist. Für den einstweiligen Rechtsschutz in Zivilsachen ist eine Abänderung der Eilentscheidung in §
927 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) ausdrücklich vorgesehen. Diese Verfahrensregelung kann jedoch nach Auffassung des Senats entgegen einer verbreiteten Meinung
(vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., aaO.; zu §
123 VwGO Hamb. OVG, Beschluss vom 20. Juni 1994 - Bs IV 122/94 - FEVS 45, 189; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Mai 1995 - 1 S 1310/95 - DVBl. 1995, 929) für einstweilige Anordnungen schon deswegen nicht herangezogen werden, weil die Bestimmung des §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG, die die entsprechende Anwendung von Vorschriften der
ZPO über den Arrest und die einstweilige Verfügung anordnet (vgl. auch BT-Drucks. 14/5943 aaO.), §
927 ZPO ausdrücklich aus der Verweisungskette ausnimmt (so auch Krodel, aaO.; zu §
123 Abs.
3 VwGO ferner VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Dezember 2001 aaO.; Niedersächs. OVG, Beschluss vom 18. Mai 2010 aaO.; Finkelnburg/Dombert/Külpmann,
aaO., Rdnr. 491; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
VwGO, §
123 Rdnr. 176; Kopp/Schenke,
VwGO, 16. Auflage, §
123 Rdnr. 35; Funke-Kaiser in Bader u.a., aaO., Rdnr. 64). Hinzu kommt, dass die Abänderung einer Eilentscheidung nach der Vorschrift
des §
927 ZPO nur unter einschränkenden Voraussetzungen möglich ist, während Beschlüsse in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach
§
86b Abs.
1 SGG in Satz 4 aaO. "jederzeit", d.h. ohne Bindung an Fristen und ohne dass eine Änderung der Sach- und Rechtslage vorausgesetzt
wird (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2009 - L 7 SO 5021/09 ER - [m.w.N.]; BT-Drucks. 14/5943 aaO.; Keller in Meyer-Ladewig
u.a., aaO., Rdnr. 20; Binder in Hk-
SGG, aaO., Rdnr. 29; Hommel in Peters/Sautter/Wolff, aaO., Rdnr. 46), abgeändert werden können.
Aus den oben genannten Gründen hält der Senat - gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung unterschiedlicher Rechtsschutzstandards
in Anfechtungssachen einerseits und Vornahmesachen andererseits (so zu §
123 VwGO auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Dezember 2001 aaO.; Niedersächs. OVG, Beschluss vom 18. Mai 2010 aaO.; Verwaltungsgericht
[VG] Sigmaringen, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 4 K 259/02 - [juris]; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, aaO., Rdnr. 491; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, aaO., Rdnr. 177; Puttler
in Sodan/Ziekow, aaO., §
123 Rdnrn. 128 f.) - eine analoge Anwendung des §
86b Abs.
1 Satz 4
SGG in Anordnungsverfahren nach §
86b Abs.
2 SGG für geboten (im Ergebnis ebenso Bay. LSG, Beschluss vom 16. Juli 2009 aaO.; Krodel, aaO.; Adolf in Hennig,
SGG, §
86b Rdnr. 101; wohl auch LSG Berlin, Beschlüsse vom 10. Juli 2002 und 26. Oktober 2004 aaO.; vgl. ferner BVerfGE 92, 245, 260). Mit der vom Senat bejahten entsprechenden Anwendung des §
86b Abs.
1 Satz 4
SGG auf Vornahmesachen ist zugleich auch geklärt, dass zuständig für die Abänderung einer einstweiligen Anordnung, die anders
als §
80 Abs.
7 Satz 1
VwGO und § 69 Abs. 6 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung eines Antrags bedarf (vgl. LSG Berlin, Beschlüsse vom 10. Juli 2002 und 26. Oktober 2004 aaO.; Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
aaO., Rdnr. 20a; Binder in Hk-
SGG, aaO., Rdnr. 29), in jedem Fall - im Gegensatz zur Regelung in §
927 Abs.
2 2. Halbs.
ZPO - das Gericht der Hauptsache ist (vgl. §
86 Abs.
1 Satz 4
SGG); dies war hier das SG.
Die Voraussetzungen für die Abänderung des Beschlusses des SG vom 27. Januar 2010 (S 3 SO 31/10 ER) unter analoger Heranziehung des §
86 Abs.
1 Satz 4
SGG sind jedoch nur zum Teil erfüllt. Zu beachten ist, dass der Antrag nach §
86b Abs.
1 Satz 4
SGG kein zusätzliches Rechtsmittel darstellt; das Verfahren dient - im Gegensatz zur Beschwerde - nicht der Überprüfung, ob die
vorangegangene Eilentscheidung (hier der vorbezeichnete Beschluss des SG) formell und materiell rechtmäßig ist (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2009 aaO.; Bundesverwaltungsgericht [BVerwG]
BVerwGE 80, 16, 17; BVerwG, Beschluss vom 25. August 2008 - 2 VR 1/08 - [juris]; ferner Krodel, aaO., Rdnr. 185). Zu prüfen ist im Abänderungsverfahren, das ein selbständiges Verfahren darstellt,
vielmehr allein, ob die Ausgangsentscheidung - gemessen am Maßstab des §
86b Abs.
1 Satz 4
SGG - auch in Zukunft fortbestehen kann oder aber abzuändern ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 6. Dezember 2001
aaO. und vom 6. Mai 2002 - 11 S 616/02 - NVwZ-RR 2002, 911; Niedersächs. OVG, Beschluss vom 18. Mai 2010 aaO.; VG Sigmaringen, Beschluss vom 28. Mai 2002 aaO.; Puttler in Sodan/Ziekow,
aaO., Rdnr. 183). Im Rahmen des Abänderungsverfahrens kann indessen die Rechtskraft der zuvor ergangenen Entscheidung nach
Auffassung des Senats nicht völlig außer Acht gelassen werden. Eine Abänderung nach §
86b Abs.
1 Satz 4
SGG ist deshalb, obgleich sie jederzeit (vgl. nochmals Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2009 aaO.) möglich ist, nicht völlig
in das Belieben des Gerichts gestellt (so auch Hommel in Peters/Sautter/Wolff, aaO., Rdnr. 46; zu §
80 Abs.
7 Satz 1
VwGO Hess. VGH, Beschluss vom 12. Juni 1996 - 10 Q 1293/95 - NVwZ-RR 1997, 446; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Februar 1999 - 11 B 74/99 - NVwZ 1999, 894; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. November 2004 - 1 M 287/04 - NVwZ-RR 2006, 365; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, aaO., Rdnr. 1179; Kopp/Schenke, aaO., § 80 Rdnr. 192).
Eine Abänderungsbefugnis entsprechend §
86b Abs.
1 Satz 4
SGG ist sonach zu bejahen, wenn nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Gegebenheiten den Fall in tatsächlicher Hinsicht
in einem neuen Licht erscheinen lassen oder eine Gesetzesänderung oder eine zwischenzeitlich ergangene höchstrichterliche
Entscheidung zu einer veränderten Beurteilung der Rechtlage führt (vgl. Bundesfinanzhof [BFH], Beschlüsse vom 26. September
2008 - VIII B 37/08 - und vom 28. November 2008 - VIII S 27/07 (PKH) - [beide juris]; ferner Krodel, aaO., Rdnr. 185). Darüber hinaus kann die Korrektur einer Eilentscheidung entsprechend
§
86b Abs.
1 Satz 4
SGG aber auch schon dann erfolgen, wenn auf der Grundlage besserer Rechtserkenntnis und der darauf folgenden neuen Prozesslage
für die Anpassung an die Entwicklung in der Hauptsache ein Bedürfnis besteht (vgl. BVerwG Buchholz 310 §
80 VwGO Nr. 45; BVerwGE 80, 16, 18; ferner BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. April 1994 - 1 BvR 87/94 - [juris]; BFH, Beschluss vom 15. September 2010 - I B 27/10 - [juris]). Ein bloßer Wandel in der Meinungsbildung - etwa infolge eines Wechsels in der Besetzung des Spruchkörpers oder
in der Zuständigkeit des Gerichts - rechtfertigt für sich allein jedoch noch nicht eine Änderung der bisher getroffenen Entscheidung
(vgl. BVerwG Buchholz 310 §
80 VwGO Nr. 45; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Februar 1999 aaO.; ferner Adolf in Hennig, aaO., Rdnr. 58; Finkelnburg/Dombert/Külpmann,
aaO., Rdnr. 1179); dem stünden schon die mit der Rechtskraft einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz verbundenen
Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens sowie der Grundsatz der Selbstbindung des Gerichts (§
202 SGG i.V.m. §
318 ZPO) entgegen. Die Voraussetzungen für die Abänderung einer einstweiligen Anordnung sind deshalb nur bei ihrer Korrekturbedürftigkeit
entsprechend den oben genannten Maßstäben gegeben; zu denken ist etwa an schwere Tatsachen- und Rechtsirrtümer des Gerichts
oder ihm unterlaufene schwere Verfahrensfehler (vgl. auch Finkelnburg/Dombert/Külpmann, aaO.). Erschöpft sich ein Abänderungsantrag
dagegen im Wesentlichen in der Wiederholung früheren Vorbringens, so steht einem derartigen Antrag regelmäßig die Rechtskraft
der früheren Entscheidung entgegen (BVerwG Buchholz aaO.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze kann dem Abänderungsantrag des Antragstellers nur teilweise stattgegeben werden. Der Beschluss
vom 27. Januar 2010 (S 3 SO 31/10 ER) ist zwar korrekturbedürftig geworden, nachdem der Antragsgegner, der ausweislich der
Feststellungen des Rentenversicherungsträgers (Mitteilung vom 23. Januar 2004) dauerhaft voll erwerbsgemindert ist, mit seiner
Frau und Tochter, die beide im Regelungszeitraum im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) standen,
in der Folgezeit zum 1. April 2010 von B.-Ludwigshafen nach E. umgezogen ist; dieser Umstand wirkte sich allerdings nur insoweit
aus, als die - vom Antragsgegner auf der Grundlage des den vorbezeichneten Beschluss ausführenden Bescheids vom 16. Februar
2010 bewilligten - Grundsicherungsleistungen (ab Februar 2010 monatlich 570,50 Euro) wegen der nunmehr geänderten Aufwendungen
für Unterkunft und Heizung (§ 42 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 29 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch [SGB XII]) der Höhe nach anzupassen
waren; dem hat der Senat im Beschlussausspruch unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses vom 10. Juni 2010 sowie des
Beschlusses vom 27. Januar 2010 - ausgehend von den aus den Verwaltungsakten ersichtlichen, unter dem 18. Juni 2010 vorgenommenen
Berechnungen des Antragsstellers über einen nunmehr denkbaren monatlichen Bedarf des Antragstellers von 565,41 Euro sowie
unter Berücksichtigung der für die Monate April und Mai 2010 noch erbrachten Zahlungen in Höhe von jeweils 570,50 Euro - unter
Beachtung der im Beschluss des SG vom 27. Januar 2010 (S 3 SO 31/10 ER) auf die Zeit bis 31. Juli 2010 begrenzten Verpflichtung des Antragstellers Rechnung
getragen.
Eine weitere Korrektur dieses Beschlusses hält der Senat allerdings nicht für angezeigt. Zweifel an der Hilfebedürftigkeit
des Antragsgegners (§ 19 Abs. 2 SGB XII) hat der Antragsteller - soweit ersichtlich - zuletzt nur noch insoweit geäußert,
als er von der Pflicht zur Verwertung des seit 13. August 2007 auf jenen zugelassenen Personenkraftwagens der Marke Volvo
"V40" (Erstzulassung 9. Februar 2004; amtl. Kennzeichen KN-JK 314) ausgegangen ist. Demgegenüber hat er auf eine Verwertbarkeit
des offenkundig von der Ehefrau des Antragsgegners genutzten Fahrzeugs der Marke Volkswagen "Polo" (Erstzulassung 6. Mai 1988,
amtl. Kennzeichen KN-.....), das ausweislich der vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen bereits am 19. April 2010 amtlich
abgemeldet und schließlich am 6. August 2010 zur Verschrottung an einen Demontagebetrieb gegeben worden ist, zu Recht nicht
mehr abgestellt (vgl. im Übrigen zur Anwendbarkeit der Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII bei einem angemessenen
Kraftfahrzeug im Rahmen einer gemischten Bedarfsgemeinschaft aus Beziehern von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII
BSGE 100, 139 = SozR 4-3500 § 82 Nr. 4 [jeweils Rdnr. 16]). Auch hinsichtlich des seit 6. März 2009 auf den Antragsgegner zugelassenen
Kraftfahrzeugs der Marke Opel "Corsa" (Erstzulassung 16. Juli 1998, amtl. Kennzeichen KN-.....) geht der Senat nach der im
vorliegenden Verfahren gebotenen, jedoch ausreichenden summarischen Prüfung aufgrund der bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz
vom 19. Mai 2010 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Enkels des Antragsgegners Ma. Be. (geb. ... 1991) sowie des
mit Schriftsatz vom 31. Mai 2010 eingereichten Kaufvertrags vom 5. März 2009 davon aus, dass das Fahrzeug von Anfang an im
Eigentum des Enkels stand, von diesem ausschließlich genutzt und unterhalten wird, nunmehr auf ihn umgemeldet worden ist und
im ersten Jahr auf den Antragsgegner als Halter lediglich deswegen zugelassen worden war, um bei Ausnutzung von dessen günstiger
Schadensfreiheitsklasse (nach seinen Angaben im Schreiben vom 13. August 2010 nach einem Prozentsatz von 30) die für einen
Fahranfänger hohen Versicherungsprämien zu vermeiden. Ferner vermag der Senat im vorliegenden summarischen Verfahren einen
Verstoß gegen die dem Antragsgegner gemäß §§
60,
62 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB I) obliegenden Mitwirkungspflichten nicht zu erkennen. Seinen zum 1. April 2010 bevorstehenden Umzug in die J.straße in E.
hatte dieser dem Antragssteller bereits in seiner E-Mail vom 10. März 2010 sowie seinem Schreiben vom selben Tage (eingegangen
beim Antragsteller am 12. März 2010) angezeigt. Dennoch hatte der Antragssteller im Gutachtensauftrag an das Gesundheitsamt
vom 10. März 2010 die alte Anschrift des Antragsgegners in B.-Ludwigshafen angegeben und diese zunächst auch nicht korrigiert,
vielmehr das Aufforderungsschreiben vom 8. April 2010 ebenfalls an die alte Adresse gerichtet. Viel spricht dafür, dass der
Antragsgegner, der seinen Angaben zufolge lediglich bei der Deutschen Post AG einen Nachsendeantrag gestellt hatte, dieses
Schreiben, das vom Antragsteller mittels des privaten Briefzustellers arriva GmbH versandt worden ist, nicht oder zumindest
nicht rechtzeitig erhalten hat. Der Aufforderung zur Untersuchung auf dem Gesundheitsamt ist der Antragsgegner jedenfalls
spätestens Anfang Mai 2010 nachgekommen; dass die Untersuchung erst im Juni 2010 stattfinden konnte, beruhte allein darauf,
dass ein früherer Termin wegen der Auslastung der ärztlichen Untersuchungsstelle vorher nicht möglich war (vgl. E-Mail des
Gesundheitsamts an den Antragsteller vom 6. Mai 2010). Demgemäß ist der für die Leistungsgewährung seinerzeit zuständige Sachbearbeiter
auch zur Auffassung gelangt, dass die Leistungseinstellung zum 1. Juni 2010 nunmehr aufgehoben werden könne; er sah sich allerdings
hieran aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen Beschlusses des SG vom 10. Juni 2010 gehindert (vgl. Aktenvermerk vom 18. Juni 2010). Nach allem bedarf es hier keiner weiteren Erörterungen
dazu, ob die Hinweise auf §
66 SGB I im vorbezeichneten Schreiben vom 8. April 2010 den an eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung (§
66 Abs.
3 SGB I) zu stellenden Anforderungen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 8. April 2010 - L 7 AS 304/10 ER-B [juris; m.w.N.]; ferner Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 53/08 R - [juris]) genügten, sowie des Weiteren, ob der Antragsteller in dem im Klageverfahren S 3 SO 1680/10 fristgerecht angefochtenen
Versagungsbescheid vom 5. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Juni 2010 der nach der Sanktionsnorm des
§
66 Abs.
1 SGB I geforderten Ermessensausübung (vgl. hierzu BSGE 76, 16, 25 = SozR 3-1200 Nr. 3; BSG SozR 4-1200 § 66 Nr. 1; BVerwGE 71, 8, 12) hinreichend nachgekommen ist. Diese vorgenannten Bescheide vermögen im Übrigen für sich allein schon deswegen eine Abänderung
der früheren Eilentscheidung nicht zu begründen, weil sie aufgrund der Anfechtung im vorgenannten Klageverfahren nicht bestandskräftig
(§
77 SGG) geworden sind; deshalb kann offenbleiben, ob die Bescheide, die im Widerspruch zu der dem Antragsteller aus der einstweiligen
Anordnung vom 27. Januar 2010 auferlegten Verpflichtung stehen, überhaupt geeignet gewesen wären, die Rechtswirkungen dieser
rechtskräftig gewordenen Entscheidung des SG zu beseitigen (vgl. hierzu auch Hamb. OVG, Beschluss vom 20. Juni 1994 aaO.; VG Sigmaringen, Beschluss vom 28. Mai 2002 aaO.).
Somit verbleibt lediglich der vom Antragsteller vorgebrachte Abänderungsgrund einer Verwertung des dem Antragsgegner gehörenden
Volvo "V40" (Erstzulassung Februar 2004), eines Kraftfahrzeugs der unteren Mittelklasse. Die Voraussetzungen für eine weitere
als die im Beschlusstenor ausgesprochene Korrektur des Beschlusses des SG vom 27. Januar 2010 sind nach den oben aufgezeigten Maßstäben indessen nicht gegeben.
Freilich kennt das SGB XII im Gegensatz zu § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II eine gegenstandsbezogene Privilegierung von Kraftfahrzeugen
nicht. Diese gehören weder zum Schonvermögen im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII noch sind sie über § 90 Abs. 2 Nr. 7 SGB
XII geschützt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1991 - 5 B 57/91 - [juris]; BVerwGE 106, 105, 113); sie können jedoch mittelbar über die Barbetragsregelung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII geschont sein (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 13. April 2010 - L 7 SO 588/10 ER-B - und vom 23. September 2010 - L 7 SO 2985/10 ER-B -; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember
1997 - 5 C 6/97 - DÖV 1998, 689; BVerwGE 106, 105 112 ff.). Allerdings hatte das Fahrzeug des Antragsgegners nach den von den Beteiligten nicht angegriffenen Erhebungen des
SG mittels Internet-Recherche im Portal "www.dat.de/fzgwerte" noch einen Zeitwert von über 4.800 Euro, was immer noch weit über
dem vom Antragssteller gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a, Nrn. 2 und 3 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs.
2 Nr. 9 des SGB XII (DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) vom 11. Februar 1988 (BGBl. I S. 150), zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022), zugestandenen Schonbetrag von 3.470,00 Euro liegt. Das rechtfertigt eine Abänderung des Beschlusses vom 27. Januar 2010
indessen nicht. Dabei kann dahinstehen, ob das Fahrzeug, das für einen SGB II-Leistungsberechtigten bei dem vorgenannten Wert
privilegiert wäre (vgl. zum angemessenen Kraftfahrzeug nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II BSGE 99, 77 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 5 [7.500,00 Euro]), nicht bereits über die Härteregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII (vgl. hierzu nochmals
BSGE 100, 139 = SozR 4-3500 § 82 Nr. 4) geschützt wäre oder ob eine Härte deswegen zu verneinen wäre, weil der in der gemischten Bedarfsgemeinschaft
weiter vorhandene Volkswagen "Polo" erst außerhalb des Regelungszeitraums der einstweiligen Anordnung am 6. August 2010 zur
Verschrottung abgegeben worden ist. Allein das dem Antragsgegner bei einem Grad der Behinderung von 60 gemäß § 69 Abs. 4 i.V.m.
§ 145 Abs. 1 Satz 1, § 146 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch zuerkannte Merkzeichen "G" (vgl. Bescheid vom
3. September 2008) vermag per se jedenfalls weder eine Erhöhung des Barbetrags nach § 2 der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII
noch einen Härtefall im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zu begründen, weil dieses Merkzeichen von der Unfähigkeit zur
Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel gerade nicht ausgeht und sich damit von dem die Notwendigkeit zur Benutzung des eigenen
Kraftfahrzeugs bei schwerst eingeschränkter Fortbewegungsfähigkeit voraussetzenden Nachteilsausgleich "aG" (vgl. hierzu §
6 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes) wesentlich unterscheidet (vgl. nochmals Senatsbeschluss vom 23. September 2010 aaO.).
Eine Härte liegt nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII indessen vor, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles, wie z.B.
der Art, Schwere und Dauer der Hilfe, dem Alter, dem Familienstand oder den sonstigen Belastungen des Vermögensinhabers und
seiner Angehörigen, eine typische Vermögenslage deshalb zu einer besonderen Situation wird, weil die soziale Stellung des
Hilfesuchenden insbesondere wegen einer Behinderung, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nachhaltig beeinträchtigt ist (vgl.
BSG SozR 4-3500 § 90 Nr. 1 [Rdnr. 17]). Von der Härtefallregelung werden mithin nur atypische Fälle erfasst, bei denen aufgrund
besonderer Umstände des Einzelfalls der Vermögenseinsatz die Betroffenen ganz oder teilweise unbillig belasten und den im
Gesetz zum Ausdruck gekommenen Leitvorstellungen des Gesetzgebers nicht gerecht würde (vgl. BSG SozR 4-5910 § 88 Nr. 3 [Rdnr.
22]).
Einen derartigen Härtefall hatte das SG im rechtskräftig gewordenen Beschluss vom 27. Januar 2010 angenommen, weil der Antragsgegner zur Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln
zu der ihn aktenkundig behandelnden Hausärztin Dr. P. von B.-Ludwigshafen nach R.-M. jeweils zwei Umsteigevorgänge mit Fußmärschen
zwischen 100 und 700 m zu bewältigen habe; hieraus folge zumindest für die summarische Prüfung im Eilverfahren mit hinreichender
Sicherheit, dass der Verzicht auf ein Kraftfahrzeug für den Antragsteller einen erheblichen Nachteil im Sinne einer Härte
bedeute. Von dieser Auffassung, die das SG allein auf die vorbezeichneten Umstände gestützt hat und die vom Antragsteller im Übrigen nicht im Instanzenzug mittels der
Beschwerde angegriffen worden sind, ist bei der vorliegenden Prüfung, ob im Rahmen der hier entsprechend anzuwendenden Vorschrift
des §
86b Abs.
1 Satz 4
SGG ein Bedürfnis nach Korrektur der Ausgangsentscheidung besteht, auszugehen.
Die Voraussetzungen für eine Reaktion des Gerichts entsprechend §
86b Abs.
1 Satz 4
SGG liegen entgegen der Auffassung des SG und des Antragstellers indessen hier nur eingeschränkt, nämlich insoweit vor, als es die Höhe der Grundsicherungsleistungen
betrifft; dies wurde bereits oben dargestellt. Das SG hat im angefochtenen Beschluss vom 10. Juni 2010, freilich ohne das seinerzeit noch nicht vorliegende Gutachten des Gesundheitsamts
vom 21. Juni 2010 zur Hand zu haben, allein darauf abgestellt, dass der Antragsgegner nach seinem Umzug nach E. zu Arztbesuchen
beispielsweise in M. bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr mehrfach umsteigen müsse, sondern diese nunmehr
mit der Bahn ohne Umsteigen durchführen könne, wobei auf dieser Strecke niederflurige Fahrzeuge moderner Bauart eingesetzt
würden. Dies reicht für eine Abänderung des unanfechtbar gewordenen Beschlusses vom 27. Januar 2010 unter den gegebenen Umständen
jedoch nicht aus. Denn der Antragsgegner hat unter Vorlage eines Routenplaners geltend gemacht, dass er von seiner Wohnung
in E. bis zum dortigen Bahnhof bereits 700 m benötige sowie vom Bahnhof in der Unterdorfstraße in M. bis zu der in der O.straße
ansässigen Hausärztin weitere 350 m. Legt man wiederum die Ausführungen der Gesundheitsamtsärztin Dr. E. im Gutachten vom
21. Juni 2010 zugrunde, so hat diese in Anbetracht der erhobenen Befunde eine Wegstrecke von 100 bis 700 m nur teilweise,
je nach Tagesform, für möglich gehalten; sie hat des Weiteren ausgeführt, dass dem Antragsgegner am Tag der Untersuchung eine
weitere als die angegebene Wegstrecke kaum möglich gewesen sei und er auf dem Weg nach draußen bereits nach etwa 100 m eine
kurze Ruhepause habe einlegen müssen.
In Anbetracht all dieser Umstände ist eine vollständige Aufhebung des Beschlusses vom 27. Januar 2010 bei der hier gebotenen
und ausreichenden summarischen Prüfung nicht angezeigt; beim derzeitigen Erkenntnisstand ist - abgesehen von der durch den
Umzug des Antragsgegners erforderlich gewordenen Korrektur des Leistungsbetrags der Grundsicherung - eine neue Prozesslage
im eingangs dargestellten Sinne nicht eingetreten. Ob der Antragsgegner aufgrund der vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen
öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr zumutbar benutzen kann (vgl. hierzu Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 90 Rdnr. 72;
W. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Auflage, § 90 Rdnr. 7; Dau jurisPR-SozR 7/2009 Anm. 5), bedarf vielmehr
weiterer Aufklärung, die vorliegend nicht zu leisten, sondern dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten ist.
Nach allem war der Beschluss des SG vom 27. Januar 2010 für die Zeit ab 12. April bis 31. Juli 2010 nur insoweit abzuändern, als es die Verpflichtung des Antragstellers
zur darlehensweisen Gewährung der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nur noch in Höhe von 565,41
Euro (für den Monat April 2010 bei 19 Tagen anteilig 358,15 Euro) betrifft, wobei der Antragsteller dem Antragsgegner die
für die Monate April und Mai 2010 bereits geleisteten Zahlungen in Höhe von 1.141,00 Euro entgegenhalten darf.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 §
193 Nr. 6); dabei hat der Senat im Hinblick auf das überwiegende Obsiegen des Antragsgegners von einer Kostenteilung abgesehen.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).