Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer für eine Beschäftigung vom 01.04.2008
bis 31.08.2008.
Die 1954 geborene Klägerin arbeitete bis 28.02.2007 34 Stunden pro Woche als Fleischerverkäuferin und bezog anschließend Krankengeld.
Im Antrag auf Arbeitslosengeld (Alg) bestätigte die Klägerin am 16.01.2008, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von
dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Die Beklagte bewilligte ab 07.01.2008 Alg für 360 Tage, wobei ein pauschaliertes
Nettoentgelt iHv 37,59 EUR täglich zugrunde gelegt wurde.
Für die Zeit vom 01.04.2008 bis 31.08.2008 nahm die Klägerin eine Beschäftigung als Verkäuferin/Kassiererin bei der Firma
R. auf. Als regelmäßige Arbeitszeit waren dabei 22 Stunden pro Woche und ein Monatsgehalt iHv 1.188,07 EUR brutto vereinbart.
Den fernmündlich gestellten Antrag der Klägerin vom 10.04.2008 auf Gewährung von Leistungen der Entgeltsicherung für ältere
Arbeitnehmer im Hinblick auf die zum 01.04.2008 aufgenommene Beschäftigung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.06.2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2008 ab, da die Differenz zwischen dem pauschalierten Nettoentgelt, nach
dem das Alg bemessen sei, und dem niedrigeren pauschalierten Nettoentgelt der neuen Beschäftigung weniger als 50 EUR monatlich
betrage. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Arbeitszeiten sei deren Verhältnis auf die Höhe der Leistungen anzuwenden,
weshalb sich aus der neuen Beschäftigung ein höheres tägliches Entgelt ergebe.
Dagegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Die Berechnungsmethode der Beklagten sei falsch. Die Kürzung des zugrunde zu legenden Nettoentgelts vor der Arbeitslosigkeit
im Hinblick auf das Verhältnis der vorherigen regelmäßigen Wochenarbeitszeit zur neuen wöchentlichen Regelarbeitszeit sei
nicht vorzunehmen. Andernfalls könne eine Entgeltsicherung auch bei größten Unterschieden im Monatsverdienst nicht beansprucht
werden, wenn der Stundenlohn der neuen Beschäftigung nicht deutlich niedriger sei als vor der Arbeitslosigkeit.
Mit Urteil vom 01.07.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. In Bezug auf ihre Arbeitszeit habe die Klägerin keine geringere Entlohnung erzielt, sondern im Hinblick
auf die frühere Beschäftigung sogar ein höheres Arbeitsentgelt erhalten. Die Gewährung von Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer
im Falle einer relativen Einkommenssteigerung würde den Gesetzeszweck in sein Gegenteil verkehren.
Zur Begründung der vom Bayerischen Landessozialgericht zugelassenen Berufung hat die Klägerin vorgetragen, es sei nicht Sinn
und Zweck der Regelung, dass derjenige keinen Anspruch auf die Entgeltsicherung habe, der der Gemeinschaft der Versicherten
nicht zur Last fallen wolle und eine Beschäftigung mit geringerem Monatslohn infolge einer Reduzierung der Stundenzahl aufnehme.
Die Klägerin beantragt:
1. Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 01.07.2009 und der Bescheid der Beklagten vom 10.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 05.08.2008 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, über den Antrag der Klägerin vom 10.04.2008 auf Gewährung von Entgeltsicherung für ältere
Arbeitnehmer gemäß § 421j
SGB III unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erlassen und entsprechend Entgeltsicherung an die
Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat erklärt, das Merkblatt 1 für Arbeitslose im Januar 2008 habe noch keinen Hinweis auf die Entgeltsicherung für ältere
Arbeitnehmer enthalten, weshalb der Zeitpunkt der Antragstellung durch die Klägerin so nicht zu beanstanden sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung Einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-) und begründet. Das Urteil des SG ist aufzuheben. Der Bescheid vom 10.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2008 ist rechtswidrig und verletzt
die Klägerin in ihren Rechten; die Beklagte ist zur Neuverbescheidung des Antrages der Klägerin vom 10.04.2008 verurteilen
(§
131 Abs
3 SGG).
Streitgegenstand ist vorliegend die Gewährung von Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer für die von der
Klägerin im Zeitraum vom 01.04.2008 bis 31.08.2008 ausgeübte Tätigkeit. Da die Antragsfrist des §
324 Abs
1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) bei Antragstellung am 10.04.2008 bereits abgelaufen ist, kommt aber im Hinblick auf die im Ermessen der Beklagten stehende
Zulassung des Antrags zur Vermeidung unbilliger Härten (§
324 Abs
1 Satz 2
SGB III) nur eine Bescheidungsklage in Betracht, die so auch von der Klägerin zulässigerweise erhoben worden ist.
Die Ablehnung der beantragten Leistungen konnte die Beklagte nicht darauf stützen, dass kein Anspruch in der Sache gegeben
sei. Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch auf die geltend gemachten Leistungen der Entgeltsicherung für ältere
Arbeitnehmer für den streitgegenständlichen Zeitraum.
Nach § 421j Abs 1 Satz 1
SGB III idF des Beschäftigungschancenverbesserungsgesetzes vom 19.04.2007 (BGBl I 538) haben Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr
vollendet haben und ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beenden oder vermeiden,
Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung, wenn sie einen Anspruch auf Alg von mindestens 120 Tagen haben oder geltend
machen könnten, ein Arbeitsentgelt beanspruchen können, das den tariflichen oder, wenn eine tarifliche Bindung der Vertragsparteien
nicht besteht, den ortsüblichen Bedingungen entspricht und eine monatliche Nettoentgeltdifferenz von mindestens 50 EUR besteht.
Die Klägerin hatte im Zeitpunkt der Aufnahme ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Firma R. am 01.04.2008 das
54. Lebensjahr vollendet und noch einen Anspruch auf Alg von mehr als 120 Tagen. Das Bruttogehalt von 1.188,07 EUR bei einer
Wochenarbeitszeit von 22 Stunden entspricht dem Tariflohn bzw den ortsüblichen Bedingungen. Dies hat der Arbeitgeber in der
Entgeltbescheinigung auch bestätigt.
Die Differenz zwischen dem monatlichen pauschalierten Nettoentgelt der früheren Tätigkeit im Verhältnis zur neuen Tätigkeit
betrug auch mehr als 50 EUR (vgl. zur Erhebung der Nettoentgeltdifferenz vom Leistungsausschluss zur Anspruchsvoraussetzung:
Becker in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu,
SGB III, 4. Aufl, § 421j Rn 25). Beim pauschalierten Nettoentgelt handelt es sich dabei um das Leistungsentgelt (vgl. §
129 HS 2
SGB III). Leistungsentgelt ist das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt (§
133 Abs
1 Satz 1
SGB III).
Aus der Arbeitsbescheinigung für die bis 28.02.2007 von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit ergibt sich ein Bemessungsentgelt
(§
131 Abs
1 Satz 1) im Bemessungszeitraum (§
130 SGB III) von 54,87 EUR täglich. Unter Berücksichtigung der in §
133 Abs
1 Satz 2
SGB III idF des Viertes Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19.11.2004 (BGBl I S. 2902) aufgezählten Abzüge von
- Nr 1: 21% Sozialversicherungspauschale iHv 11,52 EUR
- Nr 2: Lohnsteuer bei Lohnsteuerklasse I 2008 iHv 5,46 EUR
- Nr 3: Solidaritätszuschlag iHv 0,30 EUR
folgt daraus ein pauschaliertes Nettoentgelt iHv 37,59 EUR täglich, mithin 1.127,70 EUR monatlich.
Für die zum 01.04.2008 aufgenommene Tätigkeit ergibt sich ein tägliches Bruttoarbeitsentgelt von 39,60 EUR (1.188,07 EUR/30
Tage). Nach den Abzügen gemäß §
133 Abs
1 Satz 2
SGB III von
- Nr 1: 21% Sozialversicherungspauschale iHv 8,32 EUR
- Nr 2: Lohnsteuer bei Lohnsteuerklasse I 2008 iHv 1,55 EUR
- Nr 3: Solidaritätszuschlag iHv 0,00 EUR
ergibt sich ein pauschaliertes Nettoentgelt von 29,73 EUR täglich, mithin 891,90 EUR monatlich.
Die monatliche Nettoentgeltdifferenz beträgt damit 235,80 EUR (1.127,70 EUR - 891,90 EUR).
Eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Wochenarbeitszeiten bezüglich der beiden Beschäftigungen konnte nicht - wie von
der Beklagten vorgenommen - im Rahmen der Ermittlung der Nettoentgeltdifferenz erfolgen. Hierfür fehlt es an einer Grundlage.
Eine Heranziehung der Regelung des § 421j Abs 4
SGB III ist nicht möglich. Danach ist das Verhältnis der Abweichung der regelmäßig vereinbarten Arbeitszeit der Beschäftigung während
des Bezugs der Leistungen der Entgeltsicherung zur regelmäßig vereinbarten Arbeitszeit der Beschäftigung vor Eintritt der
Arbeitslosigkeit auf die Höhe der Leistungen anzuwenden. Diese Korrektur bezieht sich aber alleine auf die "Höhe der Leistungen".
Sie wird folglich schon dem Wortlaut nach erst im Anschluss an die Berechnung der Nettoentgeltdifferenz durchgeführt und nicht
schon bei deren Ermittlung (vgl dazu auch das Berechnungsbeispiel bei Becker in: Eicher/Schlegel,
SGB III, Stand 08/2007, § 421j Rn 68). Auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs 15/25 S 35) spricht insofern von einer Kürzung der Entgeltsicherungsleistungen,
was ebenfalls zunächst einmal deren Ermittlung anhand der Nettoentgeltdifferenz voraussetzt. Dem steht der Gesetzeszweck nicht
entgegen. Entgeltsicherungsleistungen sollen insbesondere gewährt werden, um die Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmern
abzubauen und die Erwerbsbeteiligung der älteren Arbeitnehmer zu erhöhen; es sollen Anreize zur Arbeitsaufnahme geschaffen
werden und dabei ein Ausgleich der häufig damit verbundenen finanziellen Einbußen erfolgen (BT-Drs 15/25 S 34). Insofern greift
- wie der vorliegende Fall zeigt - der Anreiz auch bei Aufnahme einer neuen Tätigkeit mit einer geringeren Stundenzahl im
Vergleich zur früheren Beschäftigung. Dies lässt sich mit der grundsätzlichen gesetzgeberischen Erwägung des Abbaus von Arbeitslosigkeit
bei älteren Arbeitnehmern in Einklang bringen. Im Hinblick auf das auch vom Gesetzgeber erkannte Problem des Einflusses der
jeweiligen Arbeitszeiten auf die Nettoentgeltdifferenz (BT-Drs 15/25 S 35) hat sich dieser dazu entschieden, dies mit einer
entsprechenden Kürzung der Leistungen nach § 421j Abs 4
SGB III (früher Abs 3) zu berücksichtigen. Dies sollte aber nicht zum Leistungsausschluss führen. Auch die Gesetzessystematik spricht
hierfür. Die Berechnung der Nettoentgeltdifferenz wird in § 421j Abs 1 Satz 2
SGB III geregelt. Abs 2 regelt die Anspruchsdauer und Abs 3 den Umfang und die Leistungshöhe, die sich an einem Prozentsatz der nach
Abs 1 Satz 2 ermittelten Nettoentgeltdifferenz orientiert. Konsequenterweise kürzt Abs 4 alleine die bereits zuvor ermittelte
Anspruchshöhe. Eine Heranziehung bei der Berechnung der Nettoentgeltdifferenz ist damit nicht möglich. Wäre anderes gewollt,
so wäre die entsprechende Regelung direkt in Anschluss an Abs 1 Satz 2 aufzunehmen gewesen.
Schließlich kann bei der Ermittlung des pauschalierten Nettoentgelts der früheren Tätigkeit auch nicht §
131 Abs
5 Satz 1
SGB III hinsichtlich des zugrunde zu legenden Bemessungsentgelts entsprechend herangezogen werden. Danach ist für den Fall, dass
der Arbeitslose nicht mehr bereit oder in der Lage ist, die im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche entfallende
Zahl von Arbeitsstunden zu leisten, das Bemessungsentgelt für die Zeit der Einschränkung entsprechend dem Verhältnis der Zahl
der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden, die der Arbeitslose künftig leisten will oder kann, zu der
Zahl der durchschnittlich auf die Woche entfallenden Arbeitsstunden im Bemessungszeitraum zu vermindern. Im vorliegenden Fall
ist weder eine zeitliche Leistungseinschränkung noch der fehlende Wille der Klägerin erkennbar, nicht mehr die ursprüngliche
regelmäßige wöchentliche Stundenzahl zu arbeiten. Im Übrigen würde die Anwendung des §
131 Abs
5 Satz 1
SGB III zu einer doppelten Berücksichtigung der verringerten Arbeitszeit führen.
Ein Fall iSv § 421j Abs 5
SGB III, bei dem ein Ausschluss der Entgeltsicherung erfolgt, liegt nicht vor.
Für die Zeit vom 01.04.2008 bis 31.08.2008 ergibt sich damit aus § 421j Abs 3 Satz 2
SGB III eine Leistungshöhe von 50% der monatlichen Nettoentgeltdifferenz, mithin 117,90 EUR (50% von 235,80 EUR). Diese ist nach
§ 421j Abs 4 Satz 1
SGB III im Hinblick auf die geringere Arbeitszeit der neuen Beschäftigung im Verhältnis zu Arbeitszeit der alten Beschäftigung zu
kürzen. Die Leistungshöhe beträgt danach 76,29 EUR monatlich (117,90 EUR x 22 Stunden/34 Stunden). Hinzu kommt der zusätzliche
Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung (§ 421j Abs 3 Satz 1 und 3
SGB III).
Eine Verurteilung zur Leistungsgewährung scheitert vorliegend jedoch an §
324 Abs
1 Satz 1
SGB III, wonach Leistungen der Arbeitsförderung nur erbracht werden, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses
beantragt worden sind. Bei den Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer handelt es sich um Leistungen der aktiven
Arbeitsförderung, die nach §
323 Abs
1 Satz 1
SGB III nur auf Antrag erbracht werden (BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 7a AL 22/06 R - Rn 12 - juris = BSGE 98, 108 mwN). Leistungsbegründendes Ereignis war vorliegend die am 01.04.2008 erfolgte Arbeitsaufnahme der Klägerin bei der Firma
R ... Der Antrag auf Entgeltsicherungsleistungen wurde von ihr aber erst am 10.04.2008 bei der Beklagten gestellt. Formerfordernisse
für die Antragstellung waren nicht zu erfüllen, so dass ein fernmündlich gestellter Antrag genügt.
Gemäß §
324 Abs
1 Satz 2
SGB III kann die Beklagte eine verspätete Antragstellung zur Vermeidung unbilliger Härten zulassen. Diese Regelung verdrängt dabei
die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch und räumt
der Beklagten einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensspielraum ein (BSG aaO. Rn 13 und 15; Stratmann in:
Niesel/Brand,
SGB III, 5. Aufl, §
324 Rn 9 und 11). Eine unbillige Härte könnte darin liegen, dass das der Klägerin im Januar 2008 ausgehändigte Merkblatt 1 für
Arbeitslose (Stand Januar 2007) - wie es auch die Beklagte bestätigt hat - noch keinen Hinweis auf die Leistungen der Entgeltsicherung
für ältere Arbeitnehmer enthalten hat. Ein entsprechender Hinweis wurde erst in das Merkblatt 1 für Arbeitslose mit Stand
März 2008, Seite 68, aufgenommen, wo auch ausgeführt wird, dass der Antrag auf Leistungen der Entgeltsicherung grundsätzlich
vor Aufnahme der neuen Beschäftigung zu stellen ist. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakte wurde die Klägerin auch sonst nicht
über die Möglichkeit dieser Leistungen und eines vorherigen Antragserfordernisses informiert, obwohl sie bereits bei der Beantragung
von Alg das 50. Lebensjahr vollendet hatte. Eine umfassendere Beratungspflicht (hier nach §
30 Satz 1 Nr 5
SGB III) besteht zunächst regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Versicherten. Ausnahmsweise besteht
auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine
naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt
wäre (BSG aaO. mit Verweis auf seine ständige Rechtsprechung). Ein Sozialrechtsverhältnis entsteht bereits durch die Arbeitslosmeldung
bzw die Antragstellung bei der Beklagten, aus dem sich die Pflicht zur "Spontanberatung" ergibt (BSG aaO. Rn 18 mwN). Mithin
hätte möglicherweise die Verpflichtung der Beklagten bestanden, die Klägerin bei ihrer Arbeitslosmeldung am 07.01.2008 oder
bei der Annahme ihres Antrages auf Alg am 30.01.2008 bereits im Hinblick auf eine mögliche Arbeitsaufnahme auf die Leistungen
der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer hinzuweisen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil im damaligen Merkblatt 1 für
Arbeitslose keine entsprechenden Hinweise enthalten waren. Auch wenn das Förderinstrument bereits seit 01.01.2003 in Kraft
getreten war, könnte sich im Hinblick auf die konkrete Situation der Klägerin eine entsprechende Hinweispflicht ergeben haben.
Zwar begründet die bloße Unkenntnis einer neuen Förderleistung noch keine unbillige Härte (Stratmann aaO. Rn 10), jedoch wird
der Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen bei einer konkreten Kontaktaufnahme mit dem Leistungsträger durch die
Beratungs- und Hinweispflicht nach den §§
14,
15 SGB I bzw ggf. gemäß §
30 SGB III überlagert (BSG aaO. Rn 22).
Eine unbillige Härte liegt insofern vor. Eine Ermessensreduzierung auf Null vermag der Senat jedoch nicht zu erkennen. Insofern
ist zwar einerseits die Beratungsverpflichtung der Beklagten zu berücksichtigen, andererseits jedoch auch der Umstand, dass
offensichtlich eine konkrete Beschäftigungsaufnahme und die konkreten Bedingungen vor Arbeitsaufnahme durch die Klägerin noch
nicht mitgeteilt worden sind, sondern erstmals bei ihrem Anruf am 10.04.2008. Die Beklagte hat unter Berücksichtigung aller
genannten Aspekte ihr Ermessen bei einer Neuverbescheidung auszuüben.
Somit war das Urteil des SG vom 01.07.2009 und der Bescheid der Beklagten vom 10.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2008 aufzuheben
und die Beklagte nach §
131 Abs
3 SGG zu verurteilen, erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag der Klägerin vom 10.04.2008 zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Im Hinblick auf die in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang ungeklärte Frage, ob unterschiedliche Arbeitszeiten bereits
bei Ermittlung der Nettoentgeltdifferenz zu berücksichtigen ist, war die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen
(§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).