Anspruch auf Gewaltopferentschädigung; Mitwirkungspflichten des Opfers
Tatbestand:
Die 1949 geborene Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (
OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
M. M., den die Klägerin im Rahmen einer stationären Behandlung kennengelernt hat und den sie im Anschluss an die Beendigung
seiner Entwöhnungsmaßnahme bei sich zeitweise aufgenommen hat, hat sie am 19.04.1997 während dieses Aufenthaltes in ihrer
Wohnung überfallen und beraubt. Er hat ihr von hinten eine Schlinge um den Hals gelegt und sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt.
Unter der Androhung sie umzubringen hat er sie anschließend gezwungen, ihm die Geheimnummer der Master-Card zu offenbaren.
Gleichzeitig hat er den Schmuck und das Bargeld der Klägerin an sich genommen. Schließlich hat er die Klägerin mit Klebeband
geknebelt und gefesselt und sie unter weiteren Todesdrohungen in der Wohnung zurückgelassen. Er ist von dem Landgericht W.
mit Urteil vom 29.08.1997 wegen schweren Raubs in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe
von acht Jahren verurteilt worden. Die Entscheidung ist im Berufungsverfahren dahingehend abgeändert worden, dass die gesamte
Strafe erst nach einer Maßregelungsunterbringung zu verbüßen sei.
Das Hessische Amt für Versorgung und Soziales W. hat mit Vorbehalts-Bescheid vom 14.04.1998, ersetzt durch Bescheid vom 29.03.2000
Leistungen nach dem
OEG dem Grunde nach bewilligt. Als Gesundheitsstörungen sind festgestellt worden:
1. Verlust des Zahnes 22, Schädigung der Zähne 13, 15, 25 und 26;
2. posttraumatische Belastungsreaktion.
Ab 01.04.1997 sind Leistungen nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. eingewiesen worden. Ob eine besondere
berufliche Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG vorliege, werde noch geprüft. Im Übrigen könnten die weitergehenden psychischen Störungen nicht anerkannt werden, weil diese
bereits vor dem schädigenden Ereignis am 19.04.1997 vorgelegen hätten.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 17.05.2000 ist mit Widerspruchsbescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales
W. vom 08.04.2003 zurückgewiesen worden. Im Rahmen der Begutachtung auf Grund des Antrages und auf Grund der umfassenden beigezogenen
medizinischen Unterlagen, insbesondere des Entlassungsberichtes des psychiatrischen Krankenhauses E. vom 07.04.1997 anlässlich
der dortigen Behandlung vom 24.03. bis 04.04.1997 (also nur wenige Tage vor der Tat), sei festgestellt worden, dass bei der
Klägerin als schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen ein manifestiertes und langjähriges Alkohol- und Tranquilizerabhängigkeitssyndrom
bestanden habe. Von dieser Symptomatik seien die Folgen der posttraumatischen Belastungsreaktion infolge des tätlichen Angriffes
gut abgrenzbar. Unter Berücksichtigung dieses Sachverhaltes sei das posttraumatische Belastungssyndrom in dem angefochtenen
Bescheid vom 29.03.2000 mit einer MdE von 30 v.H. im Sinne einer Verschlimmerung in zutreffender Höhe festgesetzt worden.
Der Verlust von einem Zahn und die Schädigung von weiteren vier Zähnen wirke sich nicht auf die Höhe der MdE aus. Ebenso sei
alleine die durch den tätlichen Angriff hervorgerufene Gesundheitsstörung nicht ursächlich für die Aufgabe der beruflichen
Tätigkeit als Flugbegleiterin.
Zur Begründung der Klage wurde hervorgehoben, dass die MdE (nunmehr: GdS) gemäß § 30 Abs.1 BVG höher zu bewerten sei. Die Klägerin leide an Flashbacks, Albträumen, Panikattacken, Angstzuständen, Schlafstörungen und Atemnot.
Des Weiteren liege eine besondere berufliche Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs.2 BVG vor.1998 habe die Klägerin ihren Beruf als Stewardess wieder aufgenommen, sei aber ebenfalls schädigungsbedingt nach wenigen
Flügen krankgeschrieben und schließlich 1999 von der L. für fluguntauglich erklärt worden. Die Oberarmfraktur vom 10.05.2002
sei als mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen, da die zum Sturz führenden Schwindelerscheinungen ebenfalls ursächlich auf
die Gewalttat vom 19.04.1997 zurückzuführen seien.
Das Sozialgericht W. hat die Klage mit Beschluss vom 04.11.2003 an das Sozialgericht München verwiesen. Dieses hat die umfassenden
OEG-Akten des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales sowie die Schwerbehinderten-Akten beigezogen. Nach Eingang weiterer
ärztlicher Unterlagen (vor allem vom Krankenhaus M., Klinikum R., Medizinisch-psychosomatische Klinik R. und Dipl.-Psych.
K. J.) wurde Dr. P. zur ärztlichen Sachverständigen bestellt. Diese ist mit nervenärztlichem Gutachten vom 10.03.2005 zu dem
Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin im Wesentlichen als Folge des Überfalles vom 19.04.1997 eine posttraumatische Belastungsstörung
bestehe, die aus psychiatrischer Sicht mit einem GdS von 30 angemessen bewertet sei. Die psychische Gesamtbeeinträchtigung
der Klägerin liege glaubhaft erheblich höher, sei wesentlich jedoch auf schädigungsfremde Faktoren zurückzuführen. Letzteres
gelte auch für die Betroffenheit in dem Beruf als Stewardess.
Der nach §
109 SGG benannte und beauftragte Sachverständige Prof. Dr. F. ist mit Gutachten vom 23.06.2006 hiervon abweichend zu dem Ergebnis
gekommen, dass der schädigungsbedingte Gesamt-GdS in Berücksichtigung einer depressiven Begleiterkrankung (zwei Suizidversuche)
50 betrage. Der ständige Publikumsverkehr als Stewardess habe eine Dauerbelastung bzw. eine besondere berufliche Betroffenheit
im Sinne von § 30 Abs.2 BVG zur Folge gehabt.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 19.12.2006 den Vorsitzenden der 30. Kammer des Sozialgerichts
München wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Befangenheitsgesuch ist mit Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 26.02.2007 zurückgewiesen worden.
Im Folgenden hat das Sozialgericht München die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16.04.2007 abgewiesen. Entsprechend den sorgfältigen
Ermittlungen des Beklagten und den gutachterlichen Ausführungen von Dr. P. mit neurologisch-psychiatrischem Gutachten vom
10.03.2005 betrage der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) 30 und nicht 50 wie von Prof. Dr. F. angenommen. Die Klägerin sei
durch Trennungs- und Verlusterlebnisse vorbelastet gewesen (Tod des Vaters und Tod des ersten Ehemannes). Zur Bewältigung
ihrer zweifellos hohen beruflichen Anforderungen habe sie Alkohol und Beruhigungsmittel benötigt, die ihr auch beim Tod von
Vater und Mann geholfen hätten. Die Beziehung zur "dominanten" Schwester sei zumindest nicht altersgerecht gewesen. Unmittelbar
auslösend für den freiwilligen Eintritt in die Psychiatrische Klinik E. in E. (Rheinhöhe) sei ein Autounfall am 05.03.1997
gewesen, bei dem die Klägerin alkoholisiert war und die Polizei ihr den Führerschein abgenommen hat. Die letzte medizinische
Befundaufnahme vor der Tat sei der Entlassungsbericht dieser Klinik vom 07.04.1997 gewesen. Dem behandelnden Arzt sei u.a.
mitgeteilt worden: "Frau A. kam zur Entgiftung von Alkohol und Tranquilizern in unsere stationäre Behandlung. Die Angaben
bezüglich Menge und Dauer des Konsums waren stark schwankend. Beruhigungsmittel nehme sie seit mehr als 20 Jahren, früher
Valium, zuletzt Lexotanil. Bezüglich ihrer Suchterkrankung war Frau A. völlig krankheits- und behandlungsuneinsichtig, neigte
in erheblichem Maße zum Bagatellisieren. Weiterhin deutlich wurde eine ausgeprägte familiäre Konfliktsituation, in der die
Patientin stark verclincht erscheine mit Mutter und Schwester." - Eine besondere berufliche Betroffenheit als (ehemalige)
Stewardess im Sinne von § 30 Abs.2 BVG liege nicht vor. Denn die Klägerin habe schon während ihrer Zeit als Stewardess gelegentlich Alkohol, regelmäßig Beruhigungsmittel
und Schlaftabletten zu sich genommen. Eine Abhängigkeit sei schon vor der Gewalttat vom 19.04.1997 festgestellt worden. Das
bescheinigte Asthmaleiden könne nicht ursächlich auf die Gewalttat zurückgeführt werden. Gleiches gelte für die Schwindelerscheinungen,
die ursächlich für den Sturz mit Folge einer Oberarmfraktur vom 10.05.2002 gewesen seien.
Zur Begründung der Berufung vom 14.06.2007 hob der Bevollmächtigte der Klägerin hervor, die Todesängste der Klägerin seien
vorliegend für die Schädigungsfolgen entscheidend. Im Übrigen sei der wissenschaftlich begründeten Auffassung von Prof. Dr.
F. zu folgen. Neben der posttraumatischen Belastungsstörung mit einem Einzel-GdS von 40 bestehe eine depressive Begleiterkrankung,
die gesondert mit einem Einzel-GdS von 20 zu bewerten sei. Insgesamt ergebe sich ein schädigungsbedingter GdS von 50. Weiterhin
sei das Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit zu Unrecht abgelehnt worden. Die Klägerin habe ihren Beruf als
Flugbegleiterin 1973 bei der Deutschen L. erlernt und ausgeübt. Wenn sie ab dem 01.09.1999 für fluguntauglich erklärt worden
sei, resultiere dies im Wesentlichen aus der Gewalttat vom 19.04.1997. Denn nach weiteren Krankschreibungen habe die Klägerin
erst am 13.04.1998 ihre Berufstätigkeit wieder probeweise aufnehmen können. Sie sei jedoch den beruflichen Belastungen nicht
mehr gewachsen gewesen. Bereits im Herbst 1998 sei sie weiterhin arbeitsunfähig krankgeschrieben und vorübergehend als fluguntauglich
beurteilt worden. Außerdem sei die Oberarmfraktur vom 10.05.2002 ausschließlich (oder jedenfalls überwiegend) auf die Schädigungsfolgen
und die dadurch bedingte Unsicherheit der Klägerin zurückzuführen.
Der Senat zog die umfassenden Unterlagen des Beklagten bei. Aus den ebenfalls beigezogenen Schwerbehindertenakten des Freistaates
Bayern ergab sich, dass sich die Klägerin auch 2007 in Spanien aufhielt und dort postalisch nicht erreichbar war. Es wurde
mit Nachricht vom 16.10.2007 um Zustimmung zu einem Ruhen des Verfahrens ersucht, bis die Klägerin für eine anzuberaumende
gerichtsärztliche Begutachtung wieder zur Verfügung stehe. Sollte ein Ruhen des Verfahrens nicht gewünscht werden, müsste
ein Aktenlagegutachten angeordnet werden.
Nachdem die Klägerin (kurzfristig) Wohnsitz in F. in Österreich genommen hatte, bestellte der Senat Dr. C. gemäß §
106 Abs.3 Nr.5
SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Dieser bemühte sich vergeblich, mit der Klägerin Kontakt aufzunehmen. Dementsprechend forderte
der Senat mit Nachricht vom 30.10.2008 die mittlerweile wieder in Spanien wohnhafte Klägerin auf, sich mit Dr. C. zur Vereinbarung
eines Untersuchungstermins bis spätestens 15.12.2008 in Verbindung zu setzen. Andernfalls würde Dr. C. das Sachverständigengutachten
nach Aktenlage fertigen müssen.
Im Folgenden erstellte Dr. C. das nervenärztlich-sozialmedizinische Gutachten vom 29.12.2008 nach Aktenlage. Die posttraumatische
Belastungsstörung sei mit einem GdS von 30 insgesamt ab dem 19.04.1997 zutreffend berücksichtigt. Die weiteren zweifellos
bestehenden seelischen Störungen, Alkohol- und Tranquilizerabhängigkeit, Reaktion auf Tod des ersten Ehemannes usw., seien
schädigungsunabhängig und bei der Feststellung des GdS nicht zu berücksichtigen. Für die Anerkennung einer Oberarmfraktur
am 10.05.2002 als mittelbare Schädigungsfolge ergebe sich keine Begründung.
In Berücksichtigung des Auslandswohnsitzes der Klägerin in Österreich bzw. nunmehr wieder in Spanien gab der Senat dem Bevollmächtigten
der Klägerin mit Schreiben vom 07.01.2009 Gelegenheit zur Stellungnahme bis 13.03.2009. Dieser äußerte sich hierzu nicht mehr.
Der telefonische Hinweis des Versorgungsamtes W. vom 11.05.2009 auf einen "Erhöhungsantrag" ließ sich nicht verifizieren.
In der mündlichen Verhandlung vom 22.10.2009 stellt der Bevollmächtigte der Klägerin den Antrag,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16.04.2007 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 29.03.2000 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2003 abzuändern und für die Folgen der Gewalttat bei der Klägerin Versorgungsleistungen
nach einem GdS von mindestens 60 gemäß § 30 Abs.1 und 2 BVG zu gewähren.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird gemäß §
202 SGG i.V.m. §
540 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) auf die Unterlagen des Beklagten und des Freistaats Bayern sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§
143 ff., 151
SGG statthaft und zulässig. Sie erweist sich jedoch als unbegründet. Die Klägerin hat keinen weitergehenden Anspruch auf Leistungen
nach dem
OEG als die bereits bewilligten.
Die Klägerin ist am 19.04.1997 Opfer eines schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung durch den vielfach
vorbestraften drogenabhängigen M. M. geworden und hat deswegen Anspruch auf Leistungen gemäß §
1 Abs.1
OEG in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Die hieraus resultierende posttraumatische Belastungsstörung ist entsprechend Rz.26.3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996 ff." als "stärker behindernde
Störung" mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 zutreffend bewertet (§ 30 Abs.1 BVG). Gleiches gilt in Hinblick auf die mit Wirkung zum 01.01.2009 in Kraft getretenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze"
(Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung) Teil B 3.7.
Der Senat folgt dabei den gerichtlichen Sachverständigen Dr. C. und Dr. P ... Dr. C. hat mit nervenärztlich-sozialmedizinischem
Gutachten vom 29.12.2008 nach Aktenlage schlüssig und überzeugend ausgeführt, warum dem erstinstanzlichen Votum von Dr. P.
im nervenärztlichen Gutachten, erstellt nach eingehender ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 13.03.2005 zu folgen ist
und nicht dem Gutachten Prof. Dr. F. vom 23.06.2006. Der Senat geht gestützt auf die Gutachten der Dr. P. und des Dr. C. davon
aus, dass bei der Klägerin bereits vor der Tat am 19.04.1997 nervenärztliche Erkrankungen bestanden haben, die von den Schädigungsfolgen
abzugrenzen sind.
Denn bereits unmittelbar vor der Gewalttat vom 19.04.1997 hat das Krankenhaus E. im Bericht vom 07.04.1997 vermerkt, dass
Frau A. zur Entgiftung von Alkohol und Tranquilizern behandelt wurde. Die Angaben bezüglich Menge und Dauer des Konsums waren
stark schwankend. Beruhigungsmittel nehme sie seit mehr als 20 Jahren, früher Valium, zuletzt Lexotanil, zusätzlich habe sie
Alkohol konsumiert. Anamnestisch ist bereits ein Asthma bronchiale erhoben worden. Bezüglich der Suchterkrankung ist die Klägerin
als völlig krankheits- und behandlungsuneinsichtig beschrieben worden. Weiterhin wurde die ausgeprägte familiäre Konfliktsituation
beschrieben mit starker Bindung an Mutter und Schwester, deren psychotherapeutische Aufarbeitung im Rahmen einer ambulanten
Einzelpsychotherapie angestrebt werden sollte. Aus dem genannten Reha-Entlassungsbe-richt ergibt sich auch, dass die Klägerin
1975 ihren ersten Ehemann geheiratet hat, der im Alter von 46 Jahren 1983 an Morbus Hodgkin verstorben ist. Die Diagnose wurde
kurz nach der Hochzeit gestellt, sodass das Paar auch keine Kinder bekam, woran die Klägerin unverändert stark leidet. Zeitnah
mit dem Ableben ihres ersten Ehemannes ist bei der Klägerin ein starkes Asthmaleiden aufgetreten, sodass sie damals (1983)
stationär behandelt werden musste. Im Rahmen eines sich anschließenden zweijährigen Aufenthaltes in Thailand hat sich die
Klägerin stabilisieren können.
Am 19.04.1997 hat die Klägerin den hier entschädigungspflichtigen Raubüberfall als weiteren einschneidenden Schicksalsschlag
hinnehmen müssen. Es ist zu einem ersten Aufenthalt in der Klinik R. gekommen. Dennoch hat die Klägerin im Juli 1998 einen
Jugendfreund geheiratet und ist im November 1998 mit ihm nach Spanien gezogen. Im Jahr 2002 erfolgte aus beruflichen Gründen
seitens des zweiten Ehemannes der Rückzug nach Deutschland. Auf Grund einer Verschlimmerung der Gesamtsymptomatik der Klägerin
ist es zu einer Trennung der Ehepartner gekommen; 2004 erfolgte indes langsam eine erneute Annäherung der Partner.
Dies alles berücksichtigend hat Dr. C. mit Gutachten vom 29.12.2008 weiterhin schlüssig und überzeugend darauf hingewiesen,
dass nicht die Gesamtheit der bestehenden seelischen Veränderungen dem schädigenden Ereignis vom 19.04.1997 angelastet werden
kann. Vor allem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik E. 1997 wegen Alkohol-
und Tranquilizer-Abhängigkeit erfolgte und die Klägerin dort als völlig krankheits- und behandlungsuneinsichtig entlassen
worden ist. Überblickt man die Gesamtheit der ärztlichen Befundberichte in der umfangreichen Akte, so kann zwar am Vorliegen
einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht gezweifelt werden, andererseits lagen aber schon zum Zeitpunkt des Überfalles
relevante seelische Störungen vor, die einer stationären psychiatrischen Behandlung bedurften. Es besteht daher für den erkennenden
Senat in Übereinstimmung mit Dr. P. und Dr. C. kein Zweifel daran, dass nicht die Gesamtheit der jetzt bestehenden seelischen
Störung auf die posttraumatische Belastungssituation zurückzuführen ist, sondern nur ein abgrenzbarer Anteil nach §
1 Abs.
1 OEG entschädigungspflichtig ist.
In Anwendund des Bewertungsrahmens, den die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit" bzw. nunmehr die "Versorgungsmedizinischen
Grundsätze" vorgeben, ist nach Aktenlage ein GdS von 30 zutreffend und angemessen. Die schweren psychischen Störungen, wie
sie Prof. Dr. F. mit Gutachten vom 23.06.2006 beschrieben hat, können nicht im Wesentlichen der Gewalttat vom 19.04.1997 angelastet
werden. Insoweit hat Prof. Dr. F. nicht nur die Abhängigkeit von Alkohol und Tranquilizern, sondern auch die vor und nach
der Gewalttat erlittenen und damit nicht im Zusammenhang stehenden Schicksalsschläge der Klägerin nicht ausreichend bewertet,
sondern unzutreffend den Raubüberfall vom 19.04.1997 in den Vordergrund gestellt. Denn zum einen hat das Psychiatrische Krankenhaus
E. mit Entlassungsbericht vom 07.04.1997 wie bereits erwähnt darauf hingewiesen, dass sich die Klägerin bezüglich ihrer Suchterkrankung
völlig krankheits- und behandlungsuneinsichtig gezeigt hat. Weiterhin ist eine ausgeprägte familiäre Konfliktsituation mit
der Mutter und der Schwester deutlich geworden. Die von Dr. B. befürwortete weitere stationäre Behandlung bzw. die von der
Klägerin erwogene ambulante Einzeltherapie ist jedoch nicht durchgeführt worden. Zum anderen haben sich Dr. P. mit Gutachten
vom 10.03.2005 und Dr. C. mit Gutachten vom 29.12.2008 auch mit den weiteren ärztlichen Unterlagen (z.B. Bericht der Klinik
R. vom 28.04.2004) auseinandergesetzt und für den erkennenden Senat schlüssig und überzeugend ausgeführt, dass keinesfalls
die Gesamtheit der bestehenden Schädigung auf die Gewalttat vom 19.04.1997 zurückzuführen ist, sondern nur ein schädigungsbedingter
Anteil mit einem GdS von 30. Dies haben auch Dr. T. mit nervenärztlicher Stellungnahme vom 09.02.2000 und Dr. D. mit versorgungsärztlicher
Stellungnahme vom 23.03.2000 wesentlich zeitnäher als die gerichtlich bestellte Sachverständigen Dr. P. und Dr. C. bestätigt.
In der Zusammenschau und Würdigung der vorstehenden ärztlichen Voten ist daher auch der Senat zu dem Ergebnis gekommen, dass
dem weitergehenden Gutachten des Prof. Dr. F. vom 23.06.2006 nicht zu folgen ist.
Der Senat verkennt nicht, dass nach Rz. 26.3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit" bzw. Teil B 3.7 der
"Versorgungsmedizinischen Grundsätze" hier ein Bewertungsrahmen mit einem GdS von 30 bis 40 vorgesehen ist. Dies hat der Bevollmächtigte
der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22.10.2009 auch zum Ausdruck gebracht, wenn er vergleichsweise einen GdS von
40 nach § 30 Abs. 1 BVG bzw. einen GdS von 50 unter Einbeziehung einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs. 2 BVG vorgeschlagen hat. Restzweifel an der zutreffenden Bewertung des schädigungsbedingten Anteils der Gesundheitsstörungen ließen
sich jedoch nicht ausräumen, da die Klägerin sich einer Untersuchung durch Dr. C. entzogen hat. Es ist kein ausreichender
Grund erkennbar, weshalb die Klägerin der Vorladung nicht gefolgt ist und ihr Fernbleiben wurde auch nicht entschuldigt. Sie
trägt aufgrund der auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden objektiven Beweislast (Meyer-Ladewig, 9. Auflage, Rdz.6
zu §
118 SGG) die Folgen ihrer fehlenden Mitwirkung. Genügen Beteiligte wie hier die Klägerin nicht ihrer Mitwirkungspflicht, geht es
zu ihren Lasten, wenn das Gericht trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung den Sachverhalt nicht weiter aufklären kann.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. C. den vorgesehenen Bewertungsrahmen
mit einem GdS von 40 gemäß § 30 Abs. 1 BVG ausgeschöpft hätte, hätte er das Gutachten nach persönlicher Untersuchung der Klägerin fertigen können. Auf die sachdienlich
erscheinende Begutachtung nach persönlicher Untersuchung ist die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter wiederholt aufmerksam
gemacht worden.
Die Oberarmfraktur vom 10.05.2002 kann zweifelsfrei nicht als mittelbare Schädigungsfolge anerkannt werden. Denn zeitnah vor
dem Sturz hat sich Dr. F. über einen Hausbesuch am 21.03.2002 wie folgt geäußert: "Beim Eintreffen fand ich eine stark hypnotisierte
Patientin, die kaum aus eigener Kraft aufstehen kann. Eine Einweisung zur stationären Behandlung wegen des Verdachts auf Tablettenintoxikation
wurde abgelehnt". Dementsprechend erachtet Dr. C. als wahrscheinlichste Ursache für die aktenkundigen Schwindelerscheinungen
und den Treppensturz vom 10.05.2002 eine weiterhin bestehende Alkohol- und vor allem Medikamentenabhängigkeit. Im Übrigen
führt eine posttraumatische Belastungsstörung nicht zu Schwindelsensationen, sondern zu Angst- und vergleichbaren psychischen
Störungen (Dr. C., Begutachtung somatoformer und funktioneller Störungen, Verlag Urban und F., Rz. 13.3.2 sowie Dr. C. mit
Gutachten vom 29.12.2008, Seite 21).
Die anerkannten zahnärztlichen Schädigungsfolgen sind unstreitig und bedingen keine Erhöhung des GdS von 30 gemäß § 30 Abs. 1 BVG.
Der Verlust des Arbeitsplatzes bei der L. kann nach Aktenlage dem Raubüberfall vom 19.04.1997 nicht als wesentliche Ursache
angelastet werden (§ 30 Abs.2 BVG). Das schädigende Ereignis hat nur zu einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit geführt. Auch hier gilt, wie Dr. P. im Gutachten
vom 10.03.2005 ebenfalls schlüssig und überzeugend dargestellt hat, dass die Benzodiazepin-Abhängigkeit und der schädliche
Gebrauch von Alkohol sowie die entsprechenden Folgen überfallunabhängig sind. Weiter ist die schädigungsunabhängig bestehende
neurotische Vorstruktur und ein großer Teil der Angstsymptomatik zu berücksichtigen. Denn diese hat sich bereits auf Grund
der Trennungs- und Verlusterlebnisse (Tod des Vaters und des ersten Ehemannes) entwickelt. Ausweislich des Gutachtens von
Dr. P. hat sich insoweit auf Grund der Benzodiazepin-Einnahme ein "Teufelskreis" entwickelt. Weiterhin darf nicht übersehen
werden, dass die Klägerin bereits im Juli 1998 wieder geheiratet hat. Dies stellt ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass es
ihr bereits zu diesem Zeitpunkt gelungen ist, trotz des Raubüberfalles vom 19.04.1997 wieder geordnete soziale Beziehungen
aufzubauen. Dies korrespondiert mit dem Reha-Entlassungsbericht der Klinik R. vom 28.04.2004, wenn dort beschrieben ist: Nachdem
sie von dort noch als arbeitsunfähig für ihren Beruf als Flugbegleiterin entlassen wurde, gelang es ihr bis März 1998 sich
soweit zu stabilisieren, dass sie ihren Beruf zunächst wieder ausüben konnte. Im Juli 1998 erfolgte die Hochzeit mit einem
langjährigen Freund; im November 1998 zog die Klägerin bis 2002 nach Spanien, um dort die Sprache zu erlernen, sich zu erholen
und nur noch bestimmte Fluglinien zu begleiten. 1999 wurde sie jedoch auf Grund vorhandener Restsymptome erneut für fluguntauglich
erklärt. Aus beruflichen Gründen seitens des Ehemannes erfolgte 2002 dann der Rückzug nach Deutschland. Die bei der Klägerin
bestehende posttraumatische Belastungsstörung ist somit auch zur Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit den gutachterlichen
Ausführungen der Dr. P. vom 10.03.2005 und des Dr. C. vom 29.12.2008 von untergeordneter Bedeutung für das Ausscheiden bei
der L. gewesen.
Auch insoweit sieht der erkennende Senat die Problematik, dass eine persönliche Untersuchung der Klägerin bei Dr. C. möglicherweise
ein anderes Bild ergeben hätte. Denn es fällt auf, dass die Klägerin ihrem belastenden Beruf als Stewardess über Jahre hinweg
bei gleichzeitigem Alkohol- und vor allem Tranquilizer-Konsum nachgekommen ist. Nach der Gewalttat vom 19.04.1997 hat sie
lediglich einige Versuche unternommen, wieder als Flugbegleiterin tätig zu werden. Dies stellt zumindest einen vagen Hinweis
dafür dar, dass sie möglicherweise mitbedingt durch die Schädigungsfolgen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Die diesbezüglichen
Zweifel hätten wahrscheinlich im Rahmen einer persönlichen Begutachtung ausgeräumt werden können. Jedoch ist aus den bereits
genannten Gründen Dr. C. gezwungen gewesen, sein in sich schlüssiges Gutachten vom 29.12.2008 nach Aktenlage zu fertigen.
In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die Klägerin ihrer Mitwirkungslast ohne ausreichende Entschuldigung
nicht nachgekommen ist (Meyer-Ladewig, Rz.6 zu §
118 SGG - siehe oben).
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16.04.2007 zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§
183,
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG).