Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung; Grundsatz der objektiven Beweislast
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung des Unfalls vom 23.12.2003 als mittelbare Folge des versicherten Arbeitsunfalls
vom 16.06.2003 streitig.
Der 1959 geborene Kläger erlitt am 16.06.2003 einen Arbeitsunfall mit Bruch des 1. Halswirbelkörpers (HWK) und des 12. Brustwirbelkörpers
(BWK). Laut Bescheid der Beklagten vom 07.09.2006 sind als Unfallfolgen eine inkomplette Querschnittlähmung, eine Bewegungseinschränkung
im Bereich der Hals-, der unteren und der oberen Lendenwirbelsäule sowie Empfindungsstörungen unterhalb des Nabels beginnend
mit Ausfall des Spitz-Stumpf-Auslösungsvermögens an beiden Unterschenkeln und Füßen mit Minderung der Erwerbsfähigkeit um
100 v.H. anerkannt.
Der Kläger wurde vom 08.07.2003 bis 22.10.2003 stationär in der Fachklinik E-Stadt behandelt. Vom 23.10.2003 bis 24.12.2003
befand er sich dort in teilstationärer neurologischer Rehabilitationsbehandlung. Laut dortigem Abschlussbericht vom 08.01.2004
war der Kläger am 24.12.2003 im häuslichen Milieu gestürzt und hatte sich die Fraktur eines Oberschenkelknochens zugezogen.
Diese wurde im Krankenhaus D-Stadt operativ versorgt.
Vom 07.09.2004 bis 17.09.2004 wurde der Kläger im Bezirkskrankenhaus D-Stadt wegen eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma
und psychischen Verhaltensstörungen durch Alkohol behandelt.
Am 08.07.2005 berichtete Dr.M., Kreiskrankenhaus D-Stadt, über eine partielle Hüftkopfnekrose in Gefolge der Schenkelhalsfraktur
links. Daraufhin leitete die Beklagte Ermittlungen wegen des Unfalls vom Dezember 2003 ein. Der Kläger gab im Fragebogen vom
17.10.2005 an, er sei wie schon öfter nach seinem Unfall wegen seiner beidseitigen Parese an den Beinen auf den Boden gestürzt.
Das Kreiskrankenhaus D-Stadt teilte mit, der Kläger sei am 24.12.2003 um 0.20 Uhr vom Notarzt in die Notaufnahme eingeliefert
worden. Der Notarzt sei laut Protokoll am 23.12.2003 um 22.00 Uhr alarmiert worden. Als der Kläger um 0.20 Uhr eingetroffen
sei, sei er laut Befund des aufnehmenden Arztes deutlich alkoholisiert gewesen. Eine Blutalkoholuntersuchung sei nicht veranlasst
worden. Der Kläger und der einliefernde Notarzt hätten angegeben, dass der Kläger zu Hause von einem Stuhl gestürzt und dabei
auf die linke Hüfte geprallt sei. Das Heilverfahren sei im Jahr 2004 kassenärztlich geführt worden, erst im Jahre 2005 habe
der Kläger angegeben, dass es sich um einen versicherten Arbeitsunfall gehandelt habe.
Die Beklagte zog einen Fragebogen der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK) bei. In diesem hatte der Kläger am 13.01.2004
angegeben, er sei zu Hause gestolpert, da er sein Bein wegen seiner Behinderung nicht richtig bewegen konnte. Der Unfall habe
sich am 23.12.2003 um 19.00 Uhr ereignet. Mit Schreiben vom 21.03.2006 schilderte der Bevollmächtigte des Klägers den Unfallhergang.
Sein Mandant habe am 24.12.2003 mit Hilfe seiner Gehhilfen in den Keller gehen wollen. Auf der Kellertreppe sei er mit dem
linken Bein an dem rechten hängen geblieben. Deshalb habe er das Gleichgewicht verloren. Im Kellerflur sei ein Stuhl gestanden.
Der Kläger habe versucht, sich auf diesem abzustützen, um nicht auf den Boden zu fallen. Der Stuhl sei jedoch umgekippt, so
dass der Kläger hart auf den Boden aufschlug und dort liegen blieb. Er habe nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen können.
Ein Nachbar sei ihm zu Hilfe geeilt. Da der Kläger sehr aufgeregt war, habe ihm der Nachbar, der Zeuge F., Alkohol angeboten.
Der Alkoholgenuss habe erst nach dem Sturz stattgefunden. Der Sturz selbst sei nicht alkoholbedingt gewesen.
Der Zeuge war im Sommer 2005 verstorben. Deshalb wandte sich die Beklagte an die Ehefrau des Zeugen. Diese gab an, ihr Mann
habe ihr erzählt, dass der Kläger im Keller gestürzt sei und er ihm geholfen habe, aufzustehen. Als die Schmerzen beim Kläger
stärker wurden, habe ihr Mann die Ehefrau des Klägers hinzugezogen. Weitere Angaben könne sie nicht machen.
Die Beklagte zog das Notarztprotokoll vom 23.12.2003 bei. Der Kläger hatte angegeben, er sei vom Stuhl gestürzt. Er habe drei
Bier getrunken.
Mit Bescheid vom 07.09.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) von 100 v.H. ab 28.12.2005. Gleichzeitig wurde das Ereignis vom 23.12.2003 als mittelbare Folge des Unfalls vom 16.06.2003
abgelehnt.
Gegen den Bescheid vom 07.09.2006 legte der Kläger Widerspruch ein, soweit das Ereignis vom 23.12.2003 als mittelbare Folge
des Unfalls vom 16.06.2003 anzuerkennen sei. Der Kläger bestritt, bereits vor dem Unfall alkoholisiert gewesen zu sein. Der
Alkoholgenuss sei erst nach dem Sturz erfolgt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Augsburg (SG). Der Sturz vom 23.12.2003 sei als mittelbare Folge des Unfalls vom 16.06.2003 anzuerkennen, da er infolge seiner Paraplegie
der Beine gestürzt sei.
Das SG zog einen Befundbericht des Bezirkskrankenhauses D-Stadt über die Behandlung des Klägers wegen Alkoholmissbrauchs und depressiven
Syndroms bei, des Weiteren das Notarztprotokoll vom 23.12.2003 sowie die Patientendaten des aufnehmenden Krankenhauses D-Stadt.
Darin ist vermerkt, dass der Kläger in stark angetrunkenem Zustand auf die linke Hüfte gefallen sei. Er sei stark alkoholisiert
gewesen, weshalb ein Aufnahmegespräch nicht möglich gewesen sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2008 wurde der Kläger zum Unfallhergang befragt und die Ehefrau des Klägers, A., als
Zeugin vernommen. Diese gab an, der Kläger sei zwischen 17.00 Uhr und 18.00 Uhr in den Keller gegangen. Der Nachbar F. habe
gegen 22.00 Uhr geklingelt und ihr gesagt, dass ihr Mann vor ca. einer Stunde gestürzt sei, nicht mehr richtig aufstehen könne
und auch Schmerzen habe. Sie habe ihren Mann flach auf dem Boden liegend vorgefunden.
Mit Urteil vom 12.08.2008 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 07.09.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2007 insoweit auf, als das Ereignis
vom 23.12.2003 als mittelbare Folge des Unfalls vom 16.06.2003 anzuerkennen ist.
Zur Begründung führt das SG aus, als Sturzursachen kämen zum einen die fortbestehende Gang- und Standunsicherheit bei inkompletter Paraplegie der Beine
des Klägers in Betracht, zum anderen aber auch eine deutliche Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Sturzes. Auch bei einer etwaigen
Alkoholisierung des Klägers sei nicht von einem Sturzhergang auszugehen, der eine zumindest wesentliche Mitursache der Funktionsstörung
der Beine unwahrscheinlich machen würde.
Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Sturz auf der Kellertreppe nach Angaben
des Klägers um 20.00 Uhr erfolgt sei, während die Ehefrau des Klägers angegeben habe, dieser sei zwischen 17.00 Uhr und 18.00
Uhr in den Keller gegangen. Es bestehe deshalb eine Diskrepanz zwischen den Angaben des Klägers und seiner Ehefrau von mindestens
zwei Stunden. Die Ehefrau habe weiter ausgesagt, der Nachbar habe ihr mitgeteilt, Unfallzeit wäre ca. 21.00 Uhr gewesen. Wahrscheinlich
sei hingegen, dass der Kläger um ca. 17.00 Uhr bis 18.00 Uhr in den Keller gegangen sei, sich dort mit dem Nachbarn unterhalten
und Bier getrunken habe und dann vom Stuhl gefallen sei. Danach habe der Nachbar um 22.00 Uhr geklingelt.
Der Senat zog eine vom Kläger gezeichnete Skizze vom Unfallort bei. Im Erörterungstermin vom 04.12.2009 wurde die Zeugin F.
vernommen. Der Notarzt sowie der Rettungssanitäter wurden schriftlich gehört. Sie konnten sich an den Einsatz nicht erinnern.
In der mündlichen Verhandlung vom 10.03.2010 wurde die Zeugin A. nochmals vernommen und der Kläger angehört. Auf die Niederschriften
vom 04.12.2009 und 10.03.2010 wird gemäß §
136 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12.08.2008 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 07.09.2006 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2007 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet. Der Unfall des Klägers vom 23.12.2003
ist nicht mittelbare Folge des Unfalls vom 16.06.2003. Das Urteil des Sozialgerichts ist aufzuheben.
Der Senat geht von folgendem erwiesenen Sachverhalt aus: Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall am 16.06.2003 an der Wirbelsäule
verletzt. Er befand sich bis 23.12.2003 in Behandlung in der Fachklinik E-Stadt. Am 23.12.2003 wurde er am Nachmittag von
dort nach Hause gebracht. In den nachfolgenden Stunden ging der Kläger in den Keller.
Es konnte trotz nochmaliger Einvernahme der Ehefrau des Klägers bis zuletzt nicht geklärt werden, wann der Kläger in den Keller
ging. Nachdem die Zeugin in ihrer ersten Einvernahme von einem Zeitraum zwischen 17.00 und 18.00 Uhr ausging, konnte sie sich
bei ihrer Einvernahme am 10.03.2010 nicht mehr genau erinnern. Sie wusste nur, dass es bereits dunkel war. Fest steht weiter,
dass der Notarzt um 22.00 Uhr alarmiert wurde. Unklar blieb, wann sich der Unfall letztendlich in der Zeitspanne zwischen
18.00 und 22.00 Uhr ereignet hat.
Auch der Unfallhergang konnte nicht geklärt werden. Laut Notarztprotokoll gab der Kläger an, vom Stuhl gestürzt zu sein. Später
schilderte er einen anderen Unfallhergang, nämlich dass er bereits auf der letzten Stufe der Kellertreppe gestrauchelt sei
und vergeblich versucht habe, sich an einem im Kellerflur stehenden Bürostuhl festzuhalten. Keine der beiden Unfallmöglichkeiten
ließ sich durch die Zeugenaussagen beweisen. Der einzige Augenzeuge, nämlich der Nachbar F., der den Kläger gefunden hatte,
konnte nicht mehr vernommen werden, da er bereits im Jahre 2005 verstorben war.
Somit bleiben zwei Möglichkeiten, wie es zu dem Bruch des Oberschenkelhalsknochens kam. Für die Möglichkeit, dass sich der
Kläger die Verletzung beim Sturz von einem Stuhl zugezogen hat, spricht insbesondere, dass er dies gegenüber dem Notarzt so
angegeben hat. Des Weiteren spricht hierfür, dass der Kläger bei der Aufnahme im Kreiskrankenhaus D-Stadt in der Unfallnacht
deutlich alkoholisiert war. Auch die lange Zeitspanne zwischen dem Hinuntergehen des Klägers in den Keller und der Alarmierung
der Ehefrau durch den Nachbarn spricht gegen einen Unfall bereits beim Hinuntergehen. Danach wäre der Kläger ca. vier Stunden
mit seinem Nachbarn trotz der schweren Verletzung im Keller verblieben. Dies ist wenig glaubhaft, auch wenn man in Betracht
zieht, dass der Kläger wegen der beim ersten Unfall erlittenen inkompletten Querschnittslähmung die Schmerzen nicht so stark
empfunden haben könnte.
Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden,
so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten,
der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des Klägers (vgl.
BSGE 6, 70, 72).
Der Kläger konnte letztlich nicht beweisen, dass er aufgrund der Folgen des Unfalls vom 16.06.2003 auf der Kellertreppe gestürzt
ist. Hiergegen sprechen die Erstangaben gegenüber dem Notarzt sowie der Zeitraum von vier Stunden bis zur Alarmierung des
Notarztes, der nicht überzeugend erklärt werden konnte. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger mit dem Nachbarn im
Keller gesessen und Alkohol getrunken hat, nachdem er sich den Oberschenkelhals gebrochen hatte. Es ist auch nicht erklärbar,
warum er auf dem Boden liegend von seiner Ehefrau vorgefunden wurde. Dies spricht vielmehr dafür, dass der Kläger tatsächlich
vom Stuhl auf den Boden gefallen ist. Dieser Unfallhergang ist jedoch nicht versichert, weil sich hier ein rein privates Risiko
verwirklicht hat. Ob und in welcher Weise sich hierbei ein von den Unfallverletzungen ausgehendes Risiko verwirklicht haben
könnte, wurde weder vom Kläger behauptet noch sind konkrete Hinweise für einen solchen Ablauf ersichtlich.
Wann der Kläger Alkohol zu sich genommen hat, ist im Übrigen unerheblich. Das Fallen von einem Stuhl ist jedenfalls eine unversicherte
Tätigkeit.
Das Urteil des Sozialgericht Augsburg vom 12.08.2008 ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG liegen nicht vor.