Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung als "Wie-Beschäftigter" bei der Nachbarschaftshilfe
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der tödliche Unfall des Ehemanns der Klägerin vom 19.07.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen
ist und dementsprechend Leistungen nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (
SGB VII) zu erbringen sind.
Der 1937 geborene Ehemann der Klägerin ist am 19.07.2005 bei Malerarbeiten tödlich verunglückt. Zu dem genannten Zeitpunkt
ist er zusammen mit seiner Gattin Eigentümer der Doppelhaushälfte P.-Straße 22 in A-Stadt gewesen (Familienwohnsitz). Im Sommer
2005 sind am Doppelhaus (P.-Straße 20/22) Dachsanierungsarbeiten durchgeführt worden. Das Haus ist mit einem Blitzgerüst eingerüstet
gewesen. Dieses ist laut den Feststellungen der Kriminalpolizei vom 12.09.2005 sowie den Feststellungen des Gewerbeaufsichtsamtes
vom 20.07.2005 nicht ausreichend mit einer Wandverankerung an der Fassade des Hauses befestigt gewesen.
Am Unfalltag hat der Kläger eine Holzstaffelei mit auf das Gerüst genommen und diese an die Nordseite der Fassade gelehnt
(P.-Straße 20, im Eigentum des Nachbarn J. S.). Durch die entstandene Hebelwirkung ist das Gerüst von der Fassade weggedrückt
worden und komplett umgestürzt. Hierbei hat der Ehegatte der Klägerin bei einer Sturzhöhe von etwa 4 bis 5 m tödliche Verletzungen
erlitten. Der Verstorbene ist an der Nordseite des Anwesens P.-Straße 20 aufgefunden worden. Nach der Zeugenvernehmung des
Dachdeckers B. S. durch die Kriminalinspektion A-Stadt sollte das Gerüst von der Südseite auf die Nordseite umgebaut werden.
Die Mitarbeiter der Firma haben nicht gewusst, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin das bereits halb auf der Nordseite
aufgebaute Gerüst benutzen wollte. Die Kriminalinspektion A-Stadt hat ermittelt (Einvernahme der Zeugin R. K.), dass der verstorbene
Ehegatte der Klägerin am 19.07.2005 gegen Mittag begonnen hat, die Nordseite des Giebels des Doppelhauses zu streichen.
Herr S. hat am 21.07.2005 gegenüber der Polizeiinspektion A-Stadt erklärt, der verunglückte Ehemann der Klägerin sei wohl
im März 2005 zu ihm gekommen und habe ihm ein Angebot einer Dachdeckerfirma vorgelegt. Er habe die gesamte Auftragsabwicklung
durchgeführt. Ihm (Herrn S.) sei egal gewesen, ob das Haus nun auch gestrichen werde oder nicht. Letztlich habe er sich wegen
der Malerarbeiten nicht mehr gemeldet. Er habe nicht gewusst, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin am Dienstag die Fassade
streiche. Er hätte ihn auch nicht für die Arbeit bezahlen müssen. Diese wäre im Rahmen der Nachbarschaftshilfe ausgeführt
worden.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 23.02.2006 ist die Anerkennung des Unfalles vom 19.07.2005 als Arbeitsunfall abgelehnt
worden, da der verstorbene Ehemann der Klägerin nicht wie ein Beschäftigter tätig geworden sei. Er habe auch eigene Interessen
verfolgt, da ihm daran gelegen sei, dass beide Häuser gleich aussehen sollten. Er habe diese Tätigkeit auch selbständig ausgeübt.
Es habe daher eine freundschaftliche Gefälligkeitsleistung vorgelegen.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben mit Widerspruch vom 23.03.2006 hervorgehoben, die Handlungsmotive seien unerheblich.
Entscheidend sei vielmehr die Handlungstendenz. Diese sei hier fremdbezogen, da die Tätigkeit nicht nur nützlich, sondern
auch werterhöhend für das Gebäude des J. S. gewesen sei. Die Tätigkeit habe auch dem wirklichen bzw. mutmaßlichen Willen des
Nachbarn entsprochen.
Der Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2006 zurückgewiesen. Erforderlich sei, dass der Handelnde
auch subjektiv ein Geschäft eines Anderen besorge, also fremdbezogen tätig sein wollte. Es sei dem verstorbenen Ehegatten
der Klägerin jedoch im Wesentlichen daran gelegen, dass beide Häuser gleich aussehen sollten. Im Übrigen habe eine unternehmerähnliche
Tätigkeit vorgelegen.
Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht München die Unfall-Akten der Beklagten beigezogen
und in der mündlichen Verhandlung vom 12.03.2010 sowohl den Nachbarn J. S. als auch den gemeinsamen Sohn der Klägerin und
ihres verstorbenen Ehegattens D. A. als Zeugen einvernommen.
Zusammenfassend hat der Zeuge J. S. ausgeführt, er habe gehofft, dass dieser nicht nur den Giebel auf der Nordseite, sondern
auch seine Garage und den Teil unterhalb der Balkone streichen werde. Sein Nachbar habe nicht so sehr wegen seines eigenen
Interesses an einem schönen Haus gehandelt, sondern er wollte ihm (Herrn S.) behilflich sein. Im Vorfeld sei zwar keine Kostenregelung
getroffen worden, er wollte sich aber die Kosten für die Farbe und auch die Arbeitsleistung auf keinen Fall schenken lassen.
Einige Jahre vor dem Unfall sei eine Wärmeisolierung und ein neuer Verputz an der Wand angebracht worden. Dieser sei noch
nicht gestrichen gewesen. - Der Sohn D. A. hat als Zeuge im Wesentlichen vorgetragen, zwischen seinem Vater und dem Nachbarn
J. S. habe ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis bestanden. Sie seien allerdings per Sie miteinander gewesen. Im Zeitpunkt
des Unfalles sei er bereits ausgezogen; es lebten nur noch seine zwischenzeitlich geschiedene Ehefrau mit den Kindern im Haus
des J. S.; er sei nur gelegentlich an Wochenenden im Haus gewesen. Sein Vater habe noch einen 400-Euro-Job in der Praxis von
Prof.Dr.M. gehabt, wo er immer wieder Malerarbeiten durchgeführt habe. Sonst sei sein Vater eigentlich nicht für Fremde mehr
tätig geworden. Im Wesentlichen habe sich die Tätigkeit seines Vaters auf sein eigenes Wohngebäude beschränkt.
Im Folgenden hat das Sozialgericht München mit Urteil vom 12.03.2010 für Recht erkannt: Der Bescheid vom 23.02.2006 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2006 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, gegenüber der Klägerin aus
Anlass des Todes ihres Ehemannes das Ereignis vom 19.07.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen
zu gewähren.
Zur Begründung hat das Sozialgericht München im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Gesamtbild der Tätigkeiten und unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalles sei der verstorbene Ehegatte der Klägerin wie ein Beschäftigter im Sinne des §
2 Abs.2
SGB VII tätig geworden. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Verstorbene hauptsächlich im Interesse des J. S. gehandelt.
So habe der Zeuge S. glaubwürdig ausgeführt, er habe gehofft, dass der Verstorbene nicht nur den Giebel auf der Nordseite,
sondern auch die Garage und den Teil unter den Balkonen streichen werde. Zwar sei die Initiative zur Dachsanierung vom Verstorbenen
ausgegangen. Jedoch musste die Fassade, nachdem sie einige Jahre zuvor wegen einer Wärmeschutzisolierung einen neuen Putz
erhalten hatte, auch zur Erhaltung des Putzes neu gestrichen werden. Entgegen den Ausführungen der Beklagten hätten die Malerarbeiten
daher keinesfalls im überwiegenden Interesse des verstorbenen Ehemanns der Klägerin gelegen. Der Zeuge S. habe auch glaubhaft
ausgesagt, dass der Verstorbene nicht so sehr wegen seines Eigeninteresses, dass das Haus schön sein sollte, gehandelt habe,
sondern weil er ihm behilflich sein wollte. Zwischen dem Verstorbenen und dem Zeugen S. habe zwar ein gutes nachbarschaftliches
Verhältnis bestanden, das jedoch nicht als enges Freundschaftliches Verhältnis gewertet werden könne (der Verstorbene und
der Zeuge S. seien trotz der langen Zeit des nachbarschaftlichen Zusammenlebens von 1969 bis 1993 immer noch per Sie gewesen.)
Ferner habe der Zeuge S. vom Sohn der Klägerin, dessen Frau und Kinder zuletzt im Haus des Zeugen S. wohnten, eine ortsübliche
Miete verlangt. Es habe daher bezüglich der Handlungstendenz des Verstorbenen keine Veranlassung gegeben, dem Zeugen S. gegenüber
eine rein freundschaftliche Gefälligkeitsleistung zu erbringen.
Auch wenn im Vorfeld keine Regelung über die Kostentragung erfolgt sei, sei der Zeuge S. davon ausgegangen, dass der Verstorbene
die Kosten für die Farbe verlangen würde und auch eine Bezahlung für die Arbeit angenommen hätte. So habe sich der Zeuge S.
die Arbeiten auch nicht schenken lassen wollen. Dies gelte um so mehr, als der Zeuge S. noch hoffte, dass der Verstorbene
auch weitere Malerarbeiten durchführen werde. Die Handlungstendenz des Verstorbenen sei somit auf die Erbringung einer fremdnützigen
arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit gerichtet gewesen. Wenn der Zeuge S. sich gegenüber der Polizeiinspektion A-Stadt insoweit
zurückhaltend geäußert habe, da er keinesfalls in ein mögliches Strafverfahren habe einbezogen werden wollen, habe er nach
entsprechenden Hinweisen des Sozialgerichts München erklärt, dass er über den Nordgiebel hinaus auch die Garage durch den
Verstorbenen habe streichen lassen wollen. Entgegen der Darstellung des Beklagten sei der Zeuge S. bei der Einholung von Angeboten
für die Dacheindeckung durchaus beteiligt gewesen, habe ein eigenes Interesse an den Sanierungsarbeiten gehabt und auch ein
eigenes Angebot unabhängig von dem Verstorbenen eingeholt. Darüber hinaus habe die Firma D. jedem der beiden Eigentümer ein
eigenes Angebot für die Dacharbeiten und eine getrennte Rechnung übersandt.
Weiterhin hat das Sozialgericht München dargelegt, dass es sich nicht um eine selbstverständliche Nachbarschaftshilfe gehandelt
habe. Dies ergebe sich bereits aus der Art der Tätigkeit und der damit verbundenen Gefahr. Auch bei lange bestehenden Nachbarschaftsverhältnissen
könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um einen geradezu selbstverständlichen, d.h. um einen unter Nachbarn typischen
und damit üblicherweise zu erwartenden Hilfsdienst gehandelt habe. Die Tätigkeit des Klägers sei auch objektiv arbeitnehmerähnlich
gewesen. Der Kläger sei insbesondere nicht unternehmerähnlich tätig geworden. Nach dem Gesamtbild der Tätigkeiten sei der
verstorbene Ehegatte der Klägerin "wie ein Beschäftigter" tätig geworden. Für eine unternehmerähnliche Tätigkeit spreche zwar,
dass der Verstorbene die Farbe selbst besorgt und vor der Durchführung der Arbeiten keine weitere Rücksprache bei dem Zeugen
S. habe nehmen müssen. Nach §
136 Abs.3 Nr.1
SGB VII sei Unternehmer derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereiche. Ein solches Unternehmen
im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung setze eine planmäßige, für eine gewisse Dauer bestimmte Vielzahl von Tätigkeiten
voraus, die auf ein einheitliches Ziel gerichtet seien und mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübt würden. Grundsätzlich
betätige sich daher nicht als Unternehmer, wer nicht regelmäßig und planmäßig Arbeiten für fremde Personen ausführe. Es bestünden
hier keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin entsprechende Arbeiten regelmäßig vorgenommen
habe. Dabei hat sich das Sozialgericht München vor allem auf die glaubwürdige Aussage des Zeugen D. A. gestützt. Danach habe
der Verstorbene lediglich einen 400-Euro-Job in der Praxis des Prof.Dr.M. gehabt. Er habe jedoch nicht regelmäßig für Dritte
Malerarbeiten durchgeführt. Auch ein unternehmerisches Risiko des Verstorbenen sei nicht erkennbar gewesen.
Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten vom 28.05.2010 ging am 01.06.2010 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG)
ein. Von Seiten des Senats wurden die Unfall-Akten der Beklagten und die erstinstanzlichen Streitakten beigezogen.
Der Beklagte hat mit Berufungsbegründung vom 22.12.2010 hervorgehoben, für die Abgrenzung zwischen einer Tätigkeit als arbeitnehmerähnlicher
Wie-Beschäftigter (§
2 Abs.2
SGB VII) und einer unternehmerähnlichen Tätigkeit sei von der Abgrenzung zwischen Beschäftigtem und Unternehmer auszugehen, wobei
jedoch gewisse Abstriche zu machen seien, weil nur eine arbeitnehmerähnliche Beschäftigung und eine unternehmerähnliche Tätigkeit
gegenüber zu stellen seien. Bei der arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit müssten nicht alle Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses
und bei einer unternehmerähnlichen Tätigkeit nicht alle Merkmale eines Unternehmers erfüllt sein. Entscheidend sei vielmehr,
ob nach dem Gesamtbild die Tätigkeit wie von einem Beschäftigten oder einem Unternehmer ausgeübt wurde. So brauche bei einer
Tätigkeit nach § 2 Abs.2 eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützten Unternehmen nicht vorliegen
und für ein Unternehmen sei kein Geschäftsbetrieb oder eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit erforderlich (BSG, Urteil vom
31.05.2005 - B 2 U 35/04 R). Hier habe der Verstorbene völlig eigenständig in Berücksichtigung seiner Fachkenntnisse als Maler die in Rede stehenden
Malerarbeiten geplant und auszuführen begonnen. Die Initiative sei von dem Verstorbenen auch hinsichtlich der Dacheindeckung
ausgegangen. Der Verstorbene sei im Hinblick auf den Erfolg (fachmännisches Anbringen des neuen Anstrichs) auch fremdnützig
im Rahmen eines Werkvertrags tätig geworden. Dies sei selbst bei Annahme einer fehlenden Regelmäßigkeit und Planmäßigkeit
nicht ausgeschlossen. Schließlich sei auch von der Erwartung einer (finanziellen) Gegenleistung auszugehen, da der Zeuge S.
ausgesagt habe, ich glaube, Herr A. hätte auch Geld von ihm genommen, weil es so viel Arbeit gewesen wäre.
Die Bevollmächtigten der Klägerin erwiderten mit Schriftsatz vom 11.03.2011, dass dies nicht den Tatsachen entspräche. Der
Zeuge J. S. habe ausgesagt, dass er sich mit dem verstorbenen Ehemann der Klägerin vorab über die Planung und Ausführung der
Malerarbeiten geeinigt habe. Der verstorbene Ehemann der Klägerin habe die in Rede stehenden Malerarbeiten somit nicht eigenständig
geplant und ausgeführt. Eine unternehmerische oder unternehmerähnliche Tätigkeit liege ebenfalls nicht vor; da der Verstorbene
in der Praxis von Prof.Dr.M. einen 400-Euro-Job gehabt habe, bei welchem er auch Malerarbeiten durchzuführen gehabt habe,
sprächen die vorhandenen Fachkenntnisse als Maler eher für eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Des Weiteren sei der Verstorbene
auch nicht aus Eigeninitiative heraus, sondern aufgrund einer einverständlichen Absprache zwischen dem Zeugen S. und dem Verstorbenen
tätig geworden. Entgegen den Ausführungen der Beklagten habe auch kein Werkvertrag vorgelegen. Dies würde bedeuten, dass der
Verstorbene eine Haftung für Schlechtarbeit gegenüber dem Zeugen S. übernommen hätte. Hierüber sei nicht einmal ansatzweise
gesprochen worden. Der Verstorbene habe daher keinen Erfolg geschuldet und auch keinerlei Unternehmerrisiko übernommen. Wenn
der Verstorbene in der Vergangenheit diverse kleine Reparaturarbeiten fachmännisch erbracht habe, bedinge dies keine planmäßige
oder regelmäßige Ausübung von Malerarbeiten.
In der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2011 stellt der Beklagte die Anträge aus dem Schriftsatz vom 22.12.2010:
Das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.03.2010 wird aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 23.02.2006 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 24.08.2006 wird abgewiesen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 07.02.2011: Es wird beantragt,
die Berufung des Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß §
202 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) in Verbindung mit §
540 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) sowie entsprechend §
136 Abs.2
SGG auf die beigezogenen Unterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§
143,
144 und
151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 12.03.2010 zutreffend den Bescheid vom 23.02.2006
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2006 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, gegenüber der Klägerin aus
Anlass des Todes ihres Ehemannes das Ereignis vom 19.07.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen
zu gewähren.
Die Klägerin hat erstinstanzlich den Antrag einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §
54 Abs.1 Satz 1, §
55 Abs.1 Nr.1
SGG gestellt. Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage erweist sich als zulässig. Begehrt ein Versicherter allein
die von dem Unfallversicherungsträger abgelehnte Feststellung des Vorliegens eines Versicherungsfalls, kann er durch die Verbindung
einer Anfechtungs- mit einer Feststellungsklage gegebenenfalls unmittelbar eine gerichtliche, von der Verwaltung nicht mehr
beeinflussbare Feststellung erlangen (BSG, ständige Rechtsprechung, zuletzt mit Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 14/10 R). Entsprechendes gilt für das Berufungsverfahren, auch wenn hier eine Berufung der Beklagten vorliegt. Die Verurteilung zur
Erbringung der gesetzlichen Leistungen als Floskel ist unschädlich.
Wenn das Sozialgericht München mit Urteil vom 12.03.2010 das Gesamtbild der Tätigkeiten und unter Berücksichtigung aller Umstände
des Einzelfalles dahingehend gewürdigt hat, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin wie ein Beschäftigter im Sinne des §
2 Abs.2
SGB VII tätig geworden ist, ist dies nicht zu beanstanden.
Vorliegend besteht ein Versicherungsschutz nach §
2 Abs.2 Satz 1
SGB VII als "Wie-Beschäftigter". Der Zweck der Vorschrift besteht darin, solche Personen unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung
zu stellen, die fremdnützig für ein anderes Unternehmen handeln, ohne dass eine Beschäftigung nach §
2 Abs.1 Satz 1
SGB VII vorliegt, da dann die Zurechnung des Haftungsrisikos zum nutznießenden Unternehmen (hier des Nachbarn J. S.) gerechtfertigt
ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 08.05.1980 - 8a RU 38/79). Entscheidend für das Vorliegen einer "Wie-Beschäftigung" ist nicht alleine die unmittelbar zum Unfall führende Verrichtung,
sondern das Gesamtbild des ausgeführten und beabsichtigten Vorhabens (Bundessozialgericht, Urteil vom 24.01.1991 - 2 RU 44/90).
Es handelt sich nicht um eine Billigkeitsvorschrift (Bieresborn in Juris Praxiskommentar -
SGB VII, Rz.254 zu §
2 SGB VII mit weiteren Nachweisen), sondern es müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die die Zurechnung des Haftungsrisikos zum
nutznießenden Unternehmen rechtfertigen. Es muss sich (1) um eine mehr oder weniger vorübergehende, ernsthafte, wesentlich
dem Unternehmen zu dienen bestimmende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert handeln; (2) diese muss dem wirklichen oder mutmaßlichen
Willen des Unternehmens entsprechen; (3) die Tätigkeit muss ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden können, die
in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen und unter solchen Umständen geleistet
werden, dass sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist; (4) die Tätigkeit darf nicht in anderer
Funktion verrichtet werden; (5) durch die Tätigkeit muss ein innerer Zusammenhang mit dem unterstützten Unternehmen hergestellt
werden (Bieresborn aaO. mit Hinweisen auf Bereiter-Hahn/Mehrtens,
SGB VII, §
2 Rdnr.34.4; Ricke in Kasseler Kommentar,
SGB VII, §
2 Rdnr.104).
Ad (1): Bei dem Streichen der Nordfassade des Anwesens P.-Straße 20 in A-Stadt hat es sich selbst dann um eine mehr oder weniger
vorübergehende, ernsthafte, wesentlich dem Nachbarn J. S. zu dienen bestimmte Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert gehandelt,
wenn dieser gehofft hat, dass auch noch die Garage und der Teil unter dem Balkon gestrichen worden wäre.
Ad (2): Aufgrund der von dem Zeugen J. S. bestätigten Vorabsprache haben die Malerarbeiten auch dem wirklichen Willen des
Zeugen J. S. entsprochen. Nachdem sich dieser hinsichtlich der auszuwählenden Farbe hierbei nicht näher geäußert hat, ist
davon auszugehen, dass die Auswahl der Farbe dem mutmaßlichen Willen des Zeugen J. S. entsprochen hat.
Ad (3): Der verstorbene Ehegatte der Klägerin hat als Maler die entsprechenden Fachkenntnisse gehabt. Wenn der Zeuge J. S.
in der mündlichen Verhandlung vom 12.03.2010 erklärt hat, er sei ein "Schreibtischtäter", folgt hieraus, dass er den Anstrich
seines Hauses professionell hätte durchführen lassen, wenn ihm der verstorbene Ehegatte der Klägerin nicht zur Seite gestanden
hätte. Entsprechende Fassadenarbeiten werden in der Praxis sowohl von selbständigen Malern als auch von angestellten Malergehilfen
oder gar Auszubildenden erbracht. Es ist daher ausreichend, dass hier die Tätigkeit des verstorbenen Ehemannes der Klägerin
ihrer Art nach von einer Person hätte verrichtet werden können, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis
steht. Weiterhin ist im Hinblick auf die glaubhaft versicherten Vorabsprachen davon auszugehen, dass der verstorbene Ehemann
der Klägerin trotz der aktenkundigen Eigeninitiative eher beschäftigungsähnlich und nicht unternehmerähnlich tätig geworden
ist.
Ad (4): Der verstorbene Ehemann der Klägerin hat die Tätigkeit auch nicht in anderer Funktion verrichtet. Der Zeuge D. A.
hat versichert, dass sich die Tätigkeit seines Vaters im Wesentlichen auf sein eigenes Wohngebäude beschränkt hat, auch wenn
sein Vater noch im Rahmen eines 400-Euro-Jobs in der Praxis von Prof.Dr.M. immer wieder auch Malerarbeiten durchzuführen hatte.
Ad (5): Der Senat geht davon aus, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin ein einheitliches Erscheinungsbild des Doppelhauses
P.-Straße 20/22 in A-Stadt hat herbeiführen wollen. Dieses Eigeninteresse schließt einen inneren Zusammenhang mit dem unterstützten
Unternehmen (= Doppelhaushälfte des J. S.) nicht aus. Denn einige Jahre vor dem Unfall ist eine Wärmeisolierung und ein neuer
Verputz an der Wand angebracht worden. Dieser ist noch nicht gestrichen gewesen. Der tödlich verunfallte Ehemann der Klägerin
hat somit eine Leistung erbringen wollen, die überwiegend dem Nachbarn J. S. zugute gekommen wäre.
Nach alledem ist die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.03.2010 zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§
183,
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG).