Beitragshöhe zur Kranken- sowie Pflegeversicherung
Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds
Verfassungskonformität der Mindestgrenzen
Tatbestand
Streitig ist die Beitragshöhe zur Kranken- sowie Pflegeversicherung. Der Kläger ist Steuerberater und führt die Wirtschaftsprüfer-/Steuerberater-Kanzlei
Dipl. V. A., Reg. Prüfer für Qualitätskontrolle in A-Stadt. Er war seit 01.05.2005 bei der IKK direkt freiwillig versichertes
Mitglied. Diese fusionierte am 01.09.2009 mit der Beklagten, seither ist der Kläger als Selbständiger freiwillig krankenversichert
bei der Beklagten sowie pflegeversichert bei der Beigeladenen. Eine vorangegangene Klage (vom 09.12.2005) zur Berechtigung
der gesetzlichen Krankenversicherung, im Falle der Verweigerung von Beitragsnachweisen nachträglich höhere Beiträge festzusetzen,
endete nach Hinweis des Vorsitzenden mit Rücknahme des Rechtsmittels in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 15.04.2008
(Az: L 5 KR 62/07; vgl. auch hierzu Beschluss Sozialgericht Nürnberg vom 19.07.2006 - S 7 KR 581/05 ER).
Der vorliegende Rechtsstreit geht zurück auf die bis 30.06.2009 vorgenommene Beitragseinstufung nach beitragspflichtigen Mindesteinnahmen
in Höhe von 1.260 EUR. Mit Schreiben vom 31.05.2009 teilte ihm die Beklagte das Ende der Beitragsermäßigung zum 30.06.2009
mit und übersandte einen Fragebogen zur Weitergewährung der Beitragsermäßigung. Am 26.06.2009 erhielt die Beklagte diesen
Fragebogen zurück, in welchem der Kläger angab, der letzte Steuerbescheid für das Jahr 2004 liege bereits vor, er werde den
neuen Steuerbescheid einreichen, sobald dieser vorliege. Zusätzlich gab der Kläger an, sein gesamtes Vermögen übersteige den
Freibetrag in Höhe von 10.080 EUR nicht. Keine Angaben machte er zu seinen monatlichen Einnahmen sowie zu den Vermögensverhältnissen
seiner als Arbeitnehmerin pflichtversicherten Ehefrau. Mit Bescheid vom 30.06.2009 setzte die Beklagte daraufhin die monatliche
Beitragshöhe auf 180,18 EUR zur Krankenversicherung sowie zur Pflegeversicherung auf 24,75 EUR, gesamt 204,75 EUR fest.
In der Folgezeit erinnerte die Beklagte mehrfach an die Vorlage der erbetenen Angaben, jedoch vergeblich. Auf Anforderung
eines aktuellen Steuerbescheids legte der Kläger eine Bestätigung des Finanzamtes B-Stadt vom 09.11.2005 vor, dass die Einkünfte
aus selbständiger Tätigkeit in 2004 voraussichtlich negativ seien und dass weitere positive Einkünfte nicht vorhanden seien.
Die Beklagte erwiderte dazu, das finanzamtliche Schreiben vom 09.11.2005 sei für die aktuelle Beitragsermittlung nicht aussagekräftig.
Die Beklagte forderte einen aktuellen Einkommensteuerbescheid an sowie eine Gehaltsbescheinigung der Ehefrau, weil andernfalls
die gewährte Beitragsermäßigung nicht möglich sei.
Mangels Vorlage der angeforderten Unterlagen und Erklärungen durch den Kläger setzte die Beklagte mit Bescheid vom 01.12.2009
die Beiträge des Klägers für die Zeit ab 01.07.2009 aus der Beitragsbemessungsgrenze fest auf 597,19 EUR (davon zur Krankenversicherung
525,53 EUR und zur Pflegeversicherung 71,66 EUR). Der Bescheid enthielt den Vorbehalt, dass bei Vorlage einer Kopie des letzten
Steuerbescheids bzw. eines aktuellen Nachweises des Finanzamtes der Kläger binnen eines Monats eine rückwirkende Korrektur
der Beitragshöhe geprüft werde. Bei späterem Eingang könne die Anpassung der Beitragshöhe nur für die Zukunft erfolgen. Mit
Bescheid vom 21.12.2009 setzte die Beklagte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.01.2010 nach der ab diesem
Datum gültigen Höchstgrenze auf gesamt 609,37 EUR fest.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, welchen die Beklagte mit abschlägigem Widerspruchsbescheid vom 20.07.2010 zurückwies.
Für hauptberuflich Selbständige - wie der Kläger - seien die Beiträge grundsätzlich aus der Beitragsbemessungsgrenze zu erheben.
Davon abweichend dürfe eine Beitragsbemessung nach dem tatsächlichen Einkommen nur beim Nachweis niedrigerer erfolgen. Daran
mangele es vorliegend.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben mit dem Antrag, weiterhin Beiträge nur aus der Mindestgrundlage
des 40. Teiles der monatlichen Bezugsgröße entrichten zu können. Mit Bescheid vom 15.04.2011 hat die Beklagte vor dem Hintergrund
eines Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesversicherungsamt die nachträgliche Beitragserhöhung zurückgenommen, also für die
Zeit bis zum 31.12.2009 dem klägerischen Begehren entsprochen. Eine Klagebegründungsschrift hat der Kläger nicht vorgelegt.
Mit Urteil vom 31.01.2012 hat das Sozialgericht A-Stadt die Klage für den noch strittigen Zeitraum ab 01.01.2010 abgewiesen.
Die Beitragsbemessung für freiwillig versicherte hauptberuflich Selbstständige nach den gesetzlichen Bestimmungen des
SGB V i.V.m. den Beitragsgrundsätzen Selbstzahler des Spitzenverband des Bundes der Krankenkassen müsse sicherstellen, dass die
gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds berücksichtigt wird. Daher gelte als beitragspflichtige Einnahmen
für den Kalendertag ein bestimmter Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze. Ausschließlich bei Nachweis niedrigerer
Einnahmen sei eine geringere Bemessung zulässig. Einen entsprechenden Nachweis habe der Kläger trotz mehrfacher Anforderung
aber nicht erbracht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dürfe eine Anpassung der Beitragshöhe an eine nachgewiesen
nach unten veränderte Einkommenssituation erst und nur zum Beginn des auf die Vorlage des letzten Einkommensteuerbescheids
folgenden Monats vorgenommen werden. Anders als bei versicherungspflichtigen Beschäftigten dürfe wegen der Besonderheiten
der Gewinnermittlung Selbstständiger deren Beitrag idR nur zeitversetzt einkommensgerecht festgelegt werden. Der steuerrechtlich
maßgebliche Gewinn stehe nämlich nicht vor Schluss des Kalenderjahres fest, mit dessen Ablauf auch die Einkommensteuer entstehe
(§
36 Abs.
1 EStG). Hinzuzurechnen sei der Zeitraum bis zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides bei der Krankenkasse. Erst mit diesem bestehe
eine verlässliche Grundlage für eine endgültige Beitragsfestsetzung. Der Betrag des Gewinns sei daher verlässlich nur dem
jeweils letzten Einkommenssteuerbescheid zu entnehmen. Auf die Entrichtung des so festgesetzten Beitrags müsse sich der Versicherte
einerseits einrichten sowie die Krankenkasse andererseits mit diesem Beitrag als Einnahme rechnen. Dem folgend sei eine Einkommensänderung
ist erst nachgewiesen und berücksichtigungsfähig, sobald sie mit einem neuen Einkommensteuerbescheids nachgewiesen sei und
feststehe. Eine anderslautende Rechtsprechung habe das Bundesozialgericht mit Urteil vom 02.09.2009 ausdrücklich aufgegeben.
Nicht einmal Vorauszahlungsbescheide iSd § 37 können im Beitragsrecht Berücksichtigung finden, weil sie beruhen auf Prognosen
der voraussichtlichen Einkommenssteuerschuld basierten. Das gelte umso mehr, soweit Vorauszahlungsbescheide die Anrechnung
von Steuerabzugsbeträgen) der letzten Veranlagung beinhalteten (§
36 Abs.
2 Nr.
2 EStG, §
37 Abs.
3 S. 2
EStG), weil diese beitragsrechtlich bereits Einfluss auf die Beitragsbemessung im Veranlagungszeitraum genommen hatten. In Fällen
fehlender Einnahmen oder negativer Einkünfte sei eine finanzamtliche Bescheinigung vorzulegen. In Anwendung dieser Rechtssätze-
so die Urteilsbegründung weiter - sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen, im Jahr 2009 für die Beitragsberechnung ab dem
Jahre 2010 die einzige vom Kläger beigebrachte Bestätigung aus dem Jahr 2005 für das Steuerjahr 2004 zu Grunde zu legen. Denn
daraus hätten sich keinerlei entscheidungssichere und -relevante Rückschlüsse auf die Einkommenssituation des Klägers ziehen
lassen. Die Beklagte sei daher zur strittigen Beitragsfestsetzung ab 01.01.2010 berechtigt gewesen.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt ohne diese zu begründen.
Nach Zustellung der Ladung zum Verhandlungstermin (gem. Postzustellungsurkunde am 01.06.2016) hat sich am 14.06.2016 die Prozessbevollmächtigte
des Klägers bestellt, Vertagung und PKH beantragt. Über das Vertagungsgesuch sowie über den PKH-Antrag hat der Senat vor der
mündlichen Verhandlung abschlägig entschieden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 31.01.2012 sowie den Bescheid vom 01.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 20.07.2010 aufzuheben und seine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auch ab 01.01.2010 aus dem 40. Teil der monatlichen
Bezugsgröße festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten der zwischen
den Beteiligten geführten Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg S 7 KR 351/10 ER, S 7 KR 580/05, S 7 KR 581/05 ER, S 7 KR 164/97 und S 7 KR 40/10 ER. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, (§§
143,
151 SGG), aber in der Sache nicht erfolgreich. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 01.12.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 20.07.2010 ist in Bezug auf den in der Berufung nur noch strittigen Zeitraum ab 01.01.2010 rechtmäßig
und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, §
54 Abs.
2 S. 1
SGG. Zu Recht hat die Beklagte die Betragshöhe mangels Nachweise nach der Regelbemessungsgrundlage für freiwillig versicherte
hauptberuflich Selbstständige - zu welchen der Kläger zählt - festgesetzt.
1. Die vorliegende Entscheidung kann trotz Nichterscheinens des Klägers und seines Bevollmächtigten im Verhandlungstermin
ergehen, weil die Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers, die
nicht zur Sachverhaltsaufklärung erfolgt war, durfte mit Beschluss vom 28.06.2016 aufgehoben werden. Dem Vertagungsantrag,
welcher mit Verhinderung der Prozessbevollmächtigten begründet wurde, war nicht zu entsprechen. Denn der Antrag wurde erst
14 Tage nach Ladungszustellung gestellt, der Bevollmächtigten war im Zeitpunkt ihrer Mandatsübernehme und Bestellung der Verhandlungstermin
bekannt. Eine Vertagung des entscheidungsreifen Berufungsverfahrens hätte den Rechtsstreit weiter verzögert.
2. Die Beitragsgrundlagen für die Versichertengruppe der freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen sind durch
§
240 SGB V geregelt, welcher wesentliche Vorgaben sowie Regel- und Mindestbemessungsgrundlagen festlegt sowie seit 1.1.2009 durch die
Beitragsgrundsätze des Spitzenverbandes der Krankenkassen. Die Regelungen sichern, dass die Beitragsbemessung sich an der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mitglieds und an der beitragsmäßigen Belastung der Versicherungs-Pflichtigen orientiert.
§
240 Abs.
4 S. 2-6
SGB V regelt die Beitragsbemessung für freiwillige hauptberuflich selbständig Erwerbstätige sind und klärt Zweifelsfragen bei der
Beitragsbemessung durch Festlegung sachgerechter Mindestbeiträge (vgl. BT-Drs. 12/3937 S 17). Die Mindestgrenzen sind verfassungsgemäß
(BSG vom 26.09.1996 - 12 RK 46/95, bestätigt durch BVerfG vom 22.05.2001 - 1 BvL 4/96).
Insoweit ist mit dem Sozialgericht festzustellen, dass die Beklagte - welche gem. §§
48 ff
SGB XI auch für die Beitragsfestsetzung für die Beigeladene zuständig ist - den Kläger mehrfach zur Vorlage aktueller Einkommensnachweise
aufgefordert hatte (u.a. Fragebogenübersendung 31.05.2009, Schreiben 15.10.2010 und Nachfrageschreiben 09.11.2010 sowie Mitteilungsschreiben
11.11.2009), dieser aber der Anforderung nicht nachgekommen ist und stattdessen nur Dokumente bezüglich des Jahres 2004 übersandt
hat. Mangels angeforderter und angemahnter Nachweise musste daher die Beklagte ab 01.01.2010 die Beitragshöhe nach dem 30.
Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze festsetzen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger auch in der Folgezeit trotz
eröffneter Nachreichungsfrist von einem Monat keine Nachweise vorgelegt hat. Diesen zutreffenden Feststellungen des Sozialgerichts,
welche der Kläger auch nicht angegriffen hat sowie den darauf beruhenden richtigen rechtlichen Ausführungen des angefochtenen
Urteils schließt sich der Senat an, nimmt darauf Bezug und weist die Berufung aus den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung
die Berufung zurück bei gleichzeitigem Absehen von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe, §
153 Abs.
2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht erkennbar, §
160 SGG.