Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Einbehaltung eines Teiles der gewährten Leistungen
zur Darlehenstilgung; Gewährung einer Mietkaution als Darlehen
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Einbehaltung eines Teiles der ihr gewährten Leistungen zur Darlehenstilgung.
Die 1952 geborene Klägerin beantragte im März 2012 im Anschluss an eine im Vormonat erfolgte Trennung von ihrem Ehemann die
Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diese wurden ihr in der Folgezeit für die Zeit ab dem 01. März 2012 bis fortlaufend bewilligt. Mit Bescheid vom 12. Juni
2012 sicherte der Beklagte die Übernahme der Aufwendungen für die von der Klägerin ausgewählte Wohnung hinsichtlich der Kosten
für Unterkunft und Heizung zu, später gewährte er auch einen Zuschuss für die Erstausstattung der Wohnung.
Auf einen "Antrag auf darlehensweise Übernahme der Mietkaution" bewilligte der Beklagte der Klägerin die Übernahme der Kosten
für die ausweislich des Mietvertrages zu leistende Kaution in Höhe von 710 Euro mit "Bescheid vom 09. August 2012" zugegangen
am 07. Dezember 2012, und teilte zugleich mit, dass das Darlehen ab 01. Januar 2013 durch monatliche Aufrechnung in Höhe von
10 Prozent des maßgeblichen Regelbedarfes zu tilgen sei. Begleitend wurde ein Darlehensvertrag geschlossen. Hiergegen erhob
die Klägerin Widerspruch, mit dem sie sich gegen die Aufrechnung mit der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zur
Darlehenstilgung wandte. Sie verfüge weder über ein Zusatzeinkommen noch über zukunftsnahe Erwerbschancen. Der Beklagte wies
den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03. Januar 2013 unter Verweis auf § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II zurück. Mit Bescheid vom 25. Januar 2013 bewilligte er der Klägerin sodann für Februar 2013, mit Bescheid vom 21. Januar
2013 für die Zeit vom 01. März bis 31. August 2013 und mit Bescheid vom 09. August 2013 für die Zeit vom 01. September 2013
bis 28. Februar 2014 Leistungen nach dem SGB II, jeweils abzüglich eines Zahlbetrages für Aufrechnung/Tilgung in Höhe von 37,40 bzw. 38, 20 Euro.
Die gegen den Widerspruchsbescheid vom 03. Januar 2013 erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom
20. März 2013 abgewiesen. Die Entscheidung des Beklagten, im vorliegenden Fall nicht vom gesetzlichen Regelfall im Hinblick
auf die Darlehensgewährung (Regelfall: Darlehen mit Aufrechnungsbestimmung) abzuweichen, sei nicht zu beanstanden. Allein
die Vermögenslosigkeit der Klägerin begründe keinen Anspruch, von einer Darlehensgewährung mit Aufrechnung abzusehen. Denn
die Vermögenslosigkeit sei nach § 42 a Abs. 1 SGB II bereits Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung eines Darlehens. Eine besondere Notlage der Klägerin sei nicht zu erkennen.
Die Klägerin sei trotz ihres Alters dem Grunde nach erwerbsfähig und könne nach Beendigung der derzeitigen Arbeitsunfähigkeit
möglicherweise wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die potentiell ausreichende Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit rechtfertige
es, das Mietkautionsdarlehen mit dem Regelbedarf aufzurechnen. Nach einer rechtmäßigen Entscheidung über die Gewährung eines
Darlehens sei die Aufrechnung nach § 42 a Abs. 2 SGB II die vom Gesetzgeber angeordnete Folge. Dem Beklagten habe bei der Ausgestaltung des Darlehens kein weiterer Ermessensspielraum
zugestanden. Das Gericht sei auch nicht ansatzweise davon überzeugt, dass die Bestimmung des § 42 a Abs. 2 SGB II verfassungswidrig sei.
Gegen diesen ihr am 26. März 2013 zugegangenen Gerichtsbescheid richtet sich die am 24. April 2013 eingegangene Berufung der
Klägerin. Die Klägerin trägt vor, dass § 42 a Abs. 2 SGB II verfassungsrechtlichen Bedenken unterliege. Das Bundessozialgericht habe sich in seiner Entscheidung vom 22. März 2012 (Aktenzeichen
B 4 AS 26/10 R) skeptisch auch gegenüber der neuen Gesetzeslage geäußert.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2013 aufzuheben und den auf den "09. August 2012" datierten Bescheid
des Beklagten über die darlehensweise Bewilligung einer Mietkaution nach dem SGB II in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Januar 2013 und die Bescheide vom 21. und 25. Januar 2013 und 09. August 2013
insoweit aufzuheben, als diese anordneten, dass Teile des ihr gewährten Arbeitslosengeldes II zur Darlehenstilgung einbehalten
und durch Aufrechnung mit der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes getilgt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Dem steht insbesondere nicht die Darlehenshöhe von 710 Euro entgegen, da im Bewilligungsbescheid
bereits eine Aufrechnung in Höhe von 10% des monatlichen Regelbedarfs angeordnet ist, so dass letztlich um laufende Leistungen
für mehr als ein Jahr gestritten wird (§
144 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Berufung ist aber nicht begründet. Das erstinstanzliche Urteil und der Bescheid des Beklagten vom 09. August 2012 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03. Januar 2013 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Statthafte Klageart war die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 42 a Rdnr. 46 m.w.N.). Nicht Gegenstand des Verfahrens waren allerdings die in der Folgezeit ergangenen Bewilligungsbescheide
des Beklagten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, da diese den Bescheid vom 09. August 2012 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 03. Januar 2013 im Sinne der §§
86,
96 Abs.
1 SGG weder abgeändert noch ersetzt haben (anders bei am selben Tag ergangenen Bescheiden wohl BSG, Urteil vom 22. März 2012, Aktenzeichen B 4 AS 26/10 R, zitiert nach juris) und da sie weiterhin im Hinblick auf die in diesen Bescheiden enthaltene Minderung des Auszahlungsbetrages
wegen der Tilgungsbeträge lediglich ausführenden Charakter haben und insoweit also ohnehin nicht zulässig angreifbar wären.
Rechtsgrundlage für die darlehensweise Gewährung des Betrages für die Mietkaution waren § 22 Abs. 6 Satz 1 und 3 SGB II, wonach eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung als Bedarf anerkannt werden kann, wobei die Mietkaution als Darlehen
erbracht werden soll. Gemäß § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe
von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfes getilgt. Der Beklagte hat der Klägerin im vorliegenden Fall zu Recht den Mietkautionsbetrag
im Darlehenswege zur Verfügung gestellt und weiterhin zu Recht auf der Grundlage des § 42 a Abs. 2 Satz 1 Rückzahlungsansprüche
in Höhe von 10 Prozent des Regelbedarfes durch Verwaltungsakt festgesetzt. Zur Begründung wird gemäß §
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen, denen sich das Gericht anschließt und
auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Für die Gewährung einer von vorneherein rückzahlungsfreien Darlehensleistung
fehlt es im SGB II an einer Rechtsgrundlage (LSG; Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. April 2013, Az. L 19 AS 561-13 NZB, zitiert nach juris).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Regelung des § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II bestehen zur Überzeugung des Gerichts nicht. Auch diesbezüglich wird zunächst auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid
Bezug genommen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits die grundsätzliche Möglichkeit, 10 Prozent von der Regelleistung
zur Deckung von Darlehen einzubehalten, in Zusammenhang mit der Ansparkonzeption des Gesetzgebers als für verfassungsrechtlich
grundsätzlich nicht zu beanstanden beurteilt (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 09. Februar 2010, Aktenzeichen 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09, Rdnr. 150, zitiert nach juris). Soweit in diesem Zusammenhang argumentiert wird, dass hier nur eine vorübergehende monatliche
Kürzung als verfassungsgemäß erachtet worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass auch im vorliegenden Fall nicht eine dauerhafte,
sondern eine vorübergehende Kürzung streitig ist und dass es bei derartigen Aufrechnungen angesichts der absolut gesehen geringen
Aufrechnungsbeträge einerseits und der typischerweise hohen Darlehensbeträge andererseits regelmäßig nicht lediglich um Aufrechnungen
für wenige Monate geht. Eine Einschränkung der Aussage auf wenige Ausnahmefälle eines nur sehr vorübergehenden Bedarfs ist
dem genannten Urteil nicht zu entnehmen und auch nicht geboten. Unter Berücksichtigung des infolge dieses Urteils geschaffenen
§ 21 Abs. 6 SGB II (unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Mehrbedarf) und der ab 01. Januar 2011 zu gewährenden Regelleistung
begegnet diese Aufrechnungsmöglichkeit daher keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (ebenso Greiser, in Eicher,
SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar, 3. Auflage, 2013, Rdnr. 14 m.w.N., im Ergebnis ebenso LSG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 15. März 2013, Az. L 2 AS 1829/12 B).
Das Gericht schließt sich insbesondere auch nicht der Einschätzung des Sozialgerichts Berlin (u. a. Beschluss vom 30. September
2011, Aktenzeichen S 37 AS 24431/11 ER, zitiert nach juris) zur Verfassungswidrigkeit an, wo ausgeführt ist, dass die Kürzung des Regelbedarfs um 10 Prozent
über einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum hinweg den Empfänger eines Kautionsdarlehens, der weder über Zusatzeinkommen
noch über "zukunftsnahe Erwerbschancen" verfüge, einer verfassungswidrigen Situation aussetze. Auch die Klägerin des vorliegenden
Verfahrens hat mit dem Fehlen derartiger zukunftsnaher Erwerbschancen argumentiert. Abgesehen davon, dass die in Rede stehenden
Kürzungen sehr wohl vorübergehender und nicht dauerhafter Natur sind und weiter abgesehen davon, dass vorliegend in diesem
Zusammenhang auch nicht ansatzweise eine einzelfallbezogene Begründung gegeben wurde und auch sonst aus den Akten nicht ersichtlich
ist, weshalb der 61jährigen Klägerin Erwerbschancen nicht offenstehen sollten - die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit steht
dem jedenfalls nicht entgegen - ist darauf hinzuweisen, dass mit "zukunftsnahen Erwerbschancen" jedenfalls nicht eine zukunftsnahe
Aussicht auf eine gut dotierte Ganztagsstellung gemeint sein kann. Der von der Regelleistung aufgrund der Darlehenstilgung
einzubehaltende Betrag in Höhe von 10 Prozent der Regelleistung, also von etwa 38 Euro monatlich, ist mit einer Tätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von 2 Stunden wöchentlich selbst im Niedriglohnsektor zu erwirtschaften. Derartige
Erwerbschancen bestehen regelmäßig, solange nicht im Ausnahmefall etwas anderes dargelegt ist. Dies ergibt sich als allgemein
bekannte Tatsache aus einer Vielzahl von Stellenanzeigen für Tätigkeiten geringen Umfangs im Dienstleistungssektor (Reinigungskraft
in privaten Haushalten, Aushilfstätigkeiten im Verkauf, Ferienbetreuung von Haustieren etc.).
Letztlich ist anzumerken, dass ALG-II-Empfänger nach dem Grundgedanken des Forderns und Förderns nicht wegen des ALG-II-Bezugs besser gestellt werden sollen als am Arbeitsmarkt integrierte Personen, die sich selbst auf dem Wohnungsmarkt versorgen
müssen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Kaution im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter zur Sicherung
der Ansprüche des Vermieters dient und den Mieter in wohl verstandenem Eigeninteresse zur Einhaltung der vertraglichen Pflichten
veranlasst, da dieser im Regelfall die Rückzahlung der sichernden Kaution anstreben wird. Würde die Kaution nicht als Darlehen,
sondern als "Zuschuss" gewährt, würde die Sicherungsfunktion entfallen; das Risiko der Rückzahlung der Kaution vom Vermieter
an den Beklagten hätte allein dieser und damit die Allgemeinheit zutragen, ohne dass Einwirkungsmöglichkeiten des Beklagten
auf den Hilfebedürftigen zur Einhaltung mietvertraglicher Pflichten bestünden. Auch vor diesem Hintergrund besteht weder verfassungsrechtlich
noch einfachgesetzlich Anlass, dass der Beklagte im Rahmen der auf Darlehensgewährung gerichteten Soll-Vorschrift "Zuschüsse"
gewährt.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG lagen nicht vor.