Erstattung von Maßnahmen der Intensivierten Rehabilitationsnachsorge in der gesetzlichen Krankenversicherung
Tatbestand:
Im Streit ist die Erstattung von Reha-Leistungen, welche das Z im Auftrag der Klägerin für die bei der Beklagten krankenversicherte
P K (Versicherte) erbracht hat. Auf die Rechnung vom 30. August 2005 wird verwiesen (VV Klägerin Blatt 59).
Die Versicherte stellte, nachdem sie sich am 20. Mai 2005 einer Gonarthrose-OP am Knie unterzogen hatte, bei der Beklagten
einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Form einer Anschlussheilbehandlung (AHB). Die Beklagte hielt
sich für unzuständig und gab den Antrag am 2. Juni 2005 an die Klägerin ab. Diese bewilligte als zweitangegangener Leistungsträger
sowohl die AHB als auch als Maßnahmen der Intensivierten Reha-Nachsorge (IRENA), die hier streitgegenständlich sind.
Die Versicherte hielt sich zunächst zur AHB drei Wochen im Reha-Klinikum H B auf, anschließend fand die ambulante Reha-Therapie
durch das Z statt. Im ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik sind die Diagnosen sonstige primäre Gonarthrose, Varizen der
unteren Extremitäten ohne Ulceration oder Entzündung, Arthrose, Hypothyreose und Glaukom aufgeführt. Vorgeschlagen wird "HYP,
IRENA-Einleitung, Nutzung 2 UA-Gest. 12 W. p.o. im Freien, Tragen der K-Strümpfe bis 8 W. p. o., Becken- und Rö-Kontrolle
12. W. p. o, Laborkontrolle.
Die Ärztin des Z Dr. K stellte im Abschlussbericht (Reha-Nachsorge-Dokumentation ebenfalls die Diagnose eines arthromuskulären
Defizits bei Zustand Knie-TEP links (zementiert) wegen Gonarthrose-OP. Ausweislich des Berichtes der Zustand nach Durchführung
der Maßnahmen etwas besser.
Mit Schreiben vom 19. September 2005 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen im Einzelnen spezifizierten Erstattungsanspruch
geltend. Diese lehnte die Erstattung der 493,- Euro IRENA-Kosten ab. In der Folgezeit holte sie eine Stellungnahme des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) ein. Für diesen teilte Dr. med. B unter dem 20. Dezember 2005
mit, dass vor Antritt der AHB hier nicht absehbar gewesen sei, dass die Erwerbsfähigkeit der Versicherten erheblich gefährdet
oder gemindert gewesen sei.
Mit der am 14. Juli 2006 vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Erstattungsbegehren weiterverfolgt, beschränkt auf die Aufwendung für die IRENA-Leistungen.
Maßgeblich für den Umfang des Erstattungsanspruches nach §
14 Abs.
4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) seien die für den zweitangegangenen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Die Klägerin habe die Nachsorgeleistungen
im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nach §
15 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) erbracht. Die Beklagte hat vorgebracht, ein Erstattungsanspruch für IRENA-Leistungen bestehe nicht, da solche im Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung nicht enthalten seien.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 30. Juli 2008 stattgegeben. Es hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Der Klägerin als zweitangegangenem Träger stünde - entgegen der
Auffassung des SG - ein Erstattungsanspruch nur zu, wenn die Versicherte selbst dies von ihrer Krankenkasse hätte beanspruchen können. Ein
solcher Anspruch aus §§
27 und
40 Sozialgesetzbuch 5. Buch (
SGB V) bestehe jedoch nicht, weil es sich bei der IRENA-Behandlung ausschließlich um ein Modellprojekt der Klägerin handele. Nach
§
40 Abs.
2 SGB V seien von der Krankenversicherung zu erbringende Reha-Leistungen nur solche unter ständiger ärztlicher Verantwortung. Dass
die IRENA-Behandlung unter den Leistungskatalog der Vorschriften des
SGB IX falle, sei für die gesetzliche Krankenversicherung unmaßgeblich. Medizinische Rehabilitation nach Maßgabe des
SGB V diene der möglichst weitgehenden Wiederherstellung der Gesundheit einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um
ein selbständiges Leben führen und den Anforderungen des Alltages meistern zu können. Eine darüber hinaus gehende Rehabilitation
bleibe Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 36/06 R). Es müsse um mehr gehen als die Ziele der "Rahmenkonzeption intensivierte Rehabilitations-Nachsorge" vom 17. Oktober 2006
vorgäben. Insbesondere sei auf den Punkt 2.1 (indikationsübergreifende patientenbezogene Kriterien) dieser Konzeption hinzuweisen,
wonach in der IRENA-Nachsorge unter anderem "Lebensstiländerungen stabilisiert" werden sollten bzw. ein "längerfristiger Bedarf
an strukturierter Unterstützung bei arbeitsbezogenen Problemen" geleistet werden solle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juli 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
IRENA-Leistungen seien sehr wohl Leistungen, welche zum Katalog der GKV-Leistungen der Klägerin gehörten, soweit es darum
gehe, den Reha-Erfolg zu sichern oder bereits erreichte Rehabilitationsergebnisse zu festigen.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen. Die Verwaltungsvorgänge der Klägerin
und der Beklagten lagen vor.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Beschlusswege nach §
153 Abs.
4 SGG entscheiden. Die Beteiligten sind auf diese Vorgehensweise und deren Voraussetzungen im Erörterungstermin vom 20. Dezember
2010 hingewiesen worden.
Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der streitgegenständlichen 493,- Euro gegen die
Beklagte aus §
14 Abs.
4 Satz 1
SGB IX i.V.m. §
40 Abs.
1 SGB V.
Der Beklagte ist zwar zuzustimmen, dass sie der Klägerin nur zur Erstattung verpflichtet ist, wenn die Versicherte ihr gegenüber
selbst einen Anspruch auf die ambulanten Rehabilitationsleistungen als Sachleistungen gehabt hätte. Diese Voraussetzung ist
jedoch erfüllt:
Reicht bei Versicherten ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um die in §
11 Abs.
2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen (Abwendung, Beseitigung, Minderung, Ausgleich, Verhinderung einer Verschlimmerung oder Beseitigung
der Folgen einer Behinderung oder Pflegebedürftigkeit), kann der Träger der GKV aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante
Reha-Leistungen in wohnortnahen Einrichtungen erbringen, §
40 Abs.
1 SGB V (BSG, U. v. 14.02.2010 - B 1 KR 23/09 R - juris, Rdnr. 23). Allerdings werden Reha-Leistungen durch die Krankenkasse nach §
40 Abs.
1 und
2 SGB V nur erbracht, wenn nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften mit Ausnahme des §
31 SGB VI solche Leistungen nicht erbracht werden können (§
40 Abs.
4 SGB V).
§
40 Abs.
4 SGB V hat hier einem Anspruch der Versicherten gegen die Krankenkasse nicht entgegengestanden.
Vorliegend musste die Klägerin nicht selbst Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach §
15 SGB VI erbringen. Dies hätte vorausgesetzt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§
11 SGB VI) erfüllt gewesen wären. Die Versicherte hätte in den letzten 2 Jahren vor der Antragstellung 6 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen
für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben müssen (§
11 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 SGB VI) oder vermindert erwerbsfähig sein müssen oder dies in absehbarer Zeit erwartbar sein müssen sowie die allgemeine Wartezeit
(60 Kalendermonate Versicherungszeiten) erfüllt haben müssen. Die Versicherte hat weder die Wartezeit von 60 Kalendermonaten
(15 Jahre), noch die weiteren Voraussetzungen erfüllt.
Nach §
40 Abs.
1 SGB V dürfen Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen nur geleistet werden, wenn durch die normale ambulante Krankenbehandlung
die Ziele des §
11 Abs.
2 SGB V nicht erreicht werden können. Auch nach Inkrafttreten des
SGB IX besteht die Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung allein in der medizinischen Rehabilitation nach Maßgabe des
SGB V, also der möglichst weitgehenden Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung des
Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber
hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation bleibt Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (BSG, U. v. 26.06.2007 -B 1 KR 36/06 R, Rdnr. 17).
Auch dieses Erfordernis ist hier erfüllt. Die Behandlung durch das Z diente nicht der beruflichen Wiedereingliederung oder
der sozialen Integration der Versicherten.
Die Reha-Maßnahmen waren hier erforderlich, um die noch bestehende Behinderung zu beseitigen bzw. jedenfalls zu mindern, indem
die Kniefunktion bzw. allgemein die Beweglichkeit gefördert werden sollte. Die Notwendigkeit der Reha-Maßnahmen ergibt sich
aus den ärztlichen Stellungnahmen, welche auch die fachkundige Beklagte trotz Hinweis des Senats nicht angegriffen hat und
an deren Richtigkeit deshalb zu zweifeln kein Anlass besteht.
Aus dem Ärztlichen Entlassungsbericht des R vom 14. Juli 2005 ergibt sich, das sich die deutliche Bewegungseinschränkung im
linken Kniegelenk zwar während der AHB etwas vermindert und sich das Gehen an Unterarmstützen und die Fähigkeit zum Treppensteigen
während der AHB verbessert hätten. Allerdings war die Fortführung der Reha-Maßnahmen zur Verbesserung der Kniebeweglichkeit,
der Fähigkeit zum Treppensteigen und zur "Entwöhnung" der Verwendung von Unterarmstützen geboten. Auch nach Abschluss der
orthopädischen IRENA hatte sich der Zustand nach den ärztlichen Feststellungen der Dr. K im Abschlussbericht nur etwas verbessert.
Die hier durchgeführten Maßnahmen der ambulanten Rehabilitation (Krankengymnastik, Sequenztraining) sind vom Leistungsumfang
der GKV umfasst (anders als die erweiterte ambulanten Physiotherapie EAP, vgl. BSG, U. v. 17.02.2010- B 1 KR 23/09 R).
Sowohl die allgemeine Krankengymnastik als auch die gerätegestützte Krankengymnastik mit Sequenztrainingsgeräten sind gebräuchliche
Heilmittel des Heilmittelkataloges (vgl. 17.A 2.3 Heilmittel-Richtlinien sowie 17.A mit dem Unterpunkt 17.A.2.4 Gerätegestützte
Krankengymnastik KG-Gerät, speziell u. a. mit Sequenztrainingsgeräten für die unteren Extremitäten).
Im Vordergrund der Maßnahme haben also gerade keine Ziele gestanden, welche der beruflichen oder sozialen Integration der
Versicherten dienten. Dass zur IRENA auch solche gehören können -vgl. die vom Beklagten zitierte Nr. 2.1-, ändert den Charakter
der hier angewendeten orthopädischen Maßnahmen als Reha-Maßnahmen nach §
40 SGB V nicht.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.
Der Beschluss über den Streitwert - der unanfechtbar ist - folgt aus §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.