Private Pflegeversicherung
Sozialrechtsweg und Mahnverfahren
Tatbestand:
Im Streit ist die Pflicht des Beklagten zur Zahlung von Pflegeversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 2011 bis 2014 in
Höhe von insgesamt 1.131,72 EUR, nebst Zinsen, Mahnkosten und Rechtsanwaltskosten laut Mahnbescheid insgesamt 1.484,97 EUR.
Der 1969 geborene Beklagte ist seit 2008 bei der Klägerin, einem privaten Versicherungsunternehmen, kranken- und pflegeversichert.
In dem Antragsformular bestätigte der Kläger mit seiner Unterschrift unter dem Datum "17.06.08" den Erhalt der Verbraucherinformation
"04/2008 Startfit" mit den Allgemeinen Versicherungsbedingungen. In dieser Verbraucherinformation ist auf der Seite 7 unter
"Widerrufsbelehrung" der Hinweis enthalten, dass die Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in
Textform widerrufen werden kann. Außerdem erhielt der Beklagte am selben Tag (17. Juni 2008) eine E-Mail von seinem Versicherungsmakler
mit einer Kopie des Antrages und der o.g. Verbraucherinformationen "04/2008 Startfit" als PDF- Anlage. Schon zum damaligen
Zeitpunkt war der Beklagte als Gastronom selbstständig tätig und der Gesamtmonatsbeitrag für die Pflegeversicherung lag seinerzeit
ab dem 1. Juli 2008 bei 25,26 EUR. Gemäß § 8 Abs. 1 S. 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung
der Klägerin ist der Beitrag ein Monatsbeitrag und am Ersten eines jeden Monats fällig.
Seit Januar 2011 zahlte der Beklagte Pflegeversicherungsbeiträge nicht mehr. Auch die Krankenversicherungsbeiträge zahlte
er nicht mehr. Die Klägerin mahnte daraufhin insbesondere mit mehreren Schreiben ab dem 7. März 2012 fruchtlos eine Beitragszahlung
für die Versicherungsbeiträge an.
Die rückständigen Krankenversicherungsbeiträge hat die Klägerin vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel gegen den Beklagten
eingeklagt, diese Klage wurde dort unter dem Aktenzeichen 34 C 46/15 registriert.
Wegen der Beitragsrückstände in der Pflegeversicherung hat die Klägerin schließlich gegen den Beklagten bei dem Amtsgericht
Hamburg einen Mahnbescheid vom 25. November 2014 über eine Hauptforderung von 1.131,72 EUR zuzüglich eines geltend gemachten
Verzugsschadens erwirkt, der dem Beklagten am 18. Dezember 2014 zugestellt worden ist. Hiergegen hat der Beklagte am 5. Januar
2015 Widerspruch eingelegt.
Am 21. Mai 2015 hat das Amtsgericht Hamburg den Rechtsstreit zur Durchführung des streitigen Verfahrens von Amts wegen an
das Sozialgericht Potsdam abgegeben.
Das Sozialgericht Potsdam hat dem Klagevortrag den sinngemäßen Antrag entnommen,
die beklagte Partei zu verurteilen, an die Klägerin 1.131,72 EUR nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz auf 103,76 EUR seit dem 8. April 2011, auf 155,64 EUR seit dem 31. Juli 2011 sowie auf 872,32 EUR
seit dem 2. August 2014 sowie Mahnkosten in Höhe von 12,50 EUR und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 155,30 EUR zu zahlen,
Der Beklagte hat trotz Aufforderung keinen Antrag gestellt und zu dem Anspruch auch nicht Stellung genommen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Potsdam den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 2015 antragsgemäß
verurteilt. Die Klage sei begründet. Der Beklagte habe sich trotz mehrfacher Aufforderung in der Sache nicht geäußert und
keine Einwände gegen den Vortrag der Klägerin vorgebracht.
Gegen diesen dem Beklagten am 6. November 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 11. November 2015 anwaltlich
vertreten Berufung eingelegt. Der Anspruch bestehe nicht, weil der Widerruf des Vertrages erfolgt sei. Aufgrund eines Beratungsgespräches
sei am 17. Juni 2008 ein Versicherungsantrag erfolgt. Damals seien ihm (dem Beklagten) die Versicherungsbedingungen nicht
übermittelt worden. Entsprechend habe die Widerrufsfrist nach § 8 Abs. 1 VVG nicht zu laufen begonnen. Ein Zugang dieser Versicherungsbedingungen sei bis zum 13. November 2015 nicht erfolgt. Im Parallelverfahren
vor dem Amtsgericht Brandenburg (Az. 34 C 46/15) sei deshalb mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2015 der Widerruf der einheitlichen Vertragserklärung ausgesprochen worden.
Erst im Anschluss daran seien mit Schriftsatz vom 13. November 2015 Vertragsbedingungen verspätet übersandt worden. Der Widerruf
führe zum Wegfall der Vertragserklärung damit zum Wegfall des Anspruchs auf Beitragszahlung.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich wörtlich,
1. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 4. November 2015 zum Aktenzeichen
S 11 P 45/15 aufgehoben. 2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat mit Urteil vom 12. August 2016 (Az. 34 C 46/15) den Beklagten insbesondere zur Zahlung der dort streitbefangenen Beiträge zur Krankenversicherung verurteilt. Zwar stünde
dem Versicherungsnehmer gemäß § 8 VVG ein Widerrufsrecht von 14 Tagen noch bis zu dem Zeitpunkt zu, zu dem er den Versicherungsschein und die Vertragsbestimmungen
einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 VVG und eine deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs erhalten habe. Vorliegend
habe jedoch die Klägerin den Nachweis führen können, dass der Versicherungsschein und die oben genannten Unterlagen dem Kläger
schon damals zugegangen seien. Der Beklagte habe mit seiner Unterschrift unter dem schriftlichen Antrag vom 17. Juni 2018
selbst erklärt, die Verbraucherinformation erhalten zu haben. Hierdurch habe er bereits den Zugang dieser Unterlagen bestätigt.
Außerdem seien ihm diese Unterlagen unstreitig auch per E-Mail vom 17. Juni 2006 um 11:25 Uhr zugegangen. Das bloße Bestreiten
eines solchen Zuganges sei nicht ausreichend, den geltend gemachten Anspruch zu erschüttern. Der unstreitige Zugang des Versicherungsscheins
vom 18. Juni 2008 begründe nach der Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs im Übrigen auch die tatsächliche Vermutung
für den Zugang entsprechender Information samt Belehrung zum Widerrufsrecht. Zudem habe der Beklagte sich widersprüchlich
verhalten. Zunächst habe er überhaupt eine bestehende Krankenversicherung bestritten, um sie schließlich mit Schreiben vom
19. Oktober 2015 zu widerrufen. Nach alldem könne der nunmehrige Vortrag des Beklagten nur als reine Schutzbehauptung gewertet
werden. Im Übrigen wäre die Frist von 14 Tagen bei einem Widerruf mit Schreiben vom 19. Oktober 2015 auch dann abgelaufen,
wenn dem Beklagten die Widerrufsbelehrung erstmals mit Schriftsatz der Klägerin vom 15. September 2015, laut Empfangsbekenntnis
am 21. September 2015 zugegangen, bekannt gegeben worden wäre. Denn das Schreiben vom 19. Oktober 2015 mit dem Widerruf ist
der Klägerin erst am 30. Oktober 2015 und damit 49 Tage nach Zugang der Versicherungsunterlagen zugegangen. Dieses Urteil
ist nach Mitteilung des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 7. Oktober 2016 rechtskräftig.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung des Berufungsverfahrens ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die Gegenstand
der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß §
124 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt haben.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist ohne Zulassung nach §
144 Abs.1 S. 2
SGG statthaft, weil mehr als 750 Euro im Streit sind (§
144 Abs.
1 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Potsdam hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 2015 zu
Recht stattgegeben.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Sozialrechtsweg auch für die hier im Streit befindlichen Beitragsrückstände aus
einer privaten Pflegeversicherung gegeben.
Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten insbesondere in Angelegenheiten
der privaten Pflegeversicherung (§
51 Abs.
1 Nr.
2 SGG). Bei Beitragsansprüche von Unternehmen der privaten Pflegeversicherung nach dem
Elften Buch Sozialgesetzbuch können nach den Vorschriften der
Zivilprozessordnung Mahnverfahren vor dem Amtsgericht eingeleitet werden (§
182a Absatz
1 S. 1
SGG). In dem Mahnantrag ist das Gericht zu bezeichnen, das für ein streitiges Verfahren zuständig ist (§
690 Abs.
1 Nr.
5 der
Zivilprozessordnung -
ZPO). Gegen den geltend gemachten Anspruch kann der Antragsgegner Widerspruch erheben, solange der Vollstreckungsbescheid nicht
verfügt ist (§
694 Abs.
1 ZPO). Wird rechtzeitig Widerspruch erhoben und beantragt eine Partei die Durchführung des streitigen Verfahrens, so gibt das
Gericht, das den Mahnbescheid erlassen hat, den Rechtsstreit von Amts wegen an das Gericht ab, das in dem Mahnbescheid gemäß
§
692 Abs.
1 Nr.
1 bezeichnet worden ist (§
696 Abs.
1 Satz 1
ZPO). Mit Eingang der Akten bei dem Gericht, an das er abgegeben wird, gilt der Rechtsstreit dort als anhängig (§
696 Abs.
1 S. 4
ZPO). Bei Abgabe der Akten an ein Sozialgericht ist mit Eingang der Akten beim Sozialgericht nach den Vorschriften des
Sozialgerichtsgesetzes zu verfahren (§
182 a Abs.
2 S. 1
SGG).
Nach diesen Regelungen ist zutreffend nach dem fristgemäßen Einspruch des Beklagten gegen den Mahnbescheid vom 25. November
2014 der Rechtsstreit an das Sozialgericht Potsdam abgegeben und ein Klageverfahren durchgeführt worden.
Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung der rückständigen Pflegeversicherungsbeiträge
sowie der weiteren Kosten.
Das Sozialgericht Potsdam hat in seiner angegriffenen Entscheidung bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der Mahnbescheid
des Amtsgerichts Hamburg nicht zu beanstanden ist und der Beklagte verpflichtet ist, die ausstehenden Beiträge an die Klägerin
zu entrichten. Deren Beitragsforderung ist begründet, nachdem der Beklagte unstrittig die vertraglich geschuldeten Pflegeversicherungsbeiträge
im geltend gemachten Umfang von damals 1131,72 EUR nicht beglichen hatte und auch keine vorherige Beendigung des Mitgliedschaftsverhältnisses
erfolgt war. Insoweit verweist der Senat gemäß §
153 Abs.
2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Soweit der Beklagte erstmalig im Berufungsverfahren behauptet, über sein Widerrufsrecht nicht zeitnah unterrichtet worden
zu sein und daher noch zur Ausübung mit der Folge des Nichtentstehens der Ansprüche berechtigt zu sein, verweist der Senat
auf die umfassenden Ausführungen des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel in seinem Urteil vom 12. August 2016 im Parallelverfahren
zu den Krankenversicherungsbeiträgen (34 C 46/15). Das Amtsgericht hat in diesem Urteil bereits umfangreich und zur Überzeugung des Senats zutreffend dargelegt, dass der
Beklagte am 17. Juni 2008 gleich mehrfach die Verbraucherinformation "04/2008 Startfit" mit der darin enthaltenen Widerrufsbelehrung
erhalten hat und dies auch durch seine eigenhändige Unterschrift unter dem Antrag bestätigt hat; die Behauptung des Beklagten
zu der Widerrufsbelehrung ist mithin nicht zutreffend.
Soweit der Beklagte nunmehr der Ansicht ist, dieses Urteil des Amtsgerichts sei nicht bindend und unzureichend; es sei insbesondere
fraglich, ob die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß gewesen sei, führt dies nicht zu einer anderen Einschätzung. Denn der Beklagte
hat dieses Urteil rechtskräftig werden lassen, so dass die Beitragspflicht zur Krankenversicherung für die Versicherungsparteien
verbindlich festgestellt worden. Wegen der Einheitlichkeit des Versicherungsvertrages wirkt sich dies auch auf die hier im
Streit befindlichen Pflegeversicherungsbeiträge aus. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
4 SGG Verbindung mit §
184 Absatz
1, §
183 SGG.
Danach sind die Aufwendungen der Klägerin grundsätzlich nicht erstattungsfähig, weil sie zu den Gebührenpflichtigen im Sinne
von §
184 Abs.
1 SGG gehört. Von der fehlenden Erstattungsfähigkeit sind nach der heute geltenden Fassung des §
193 Abs.
4 SGG (zur früheren Rechtslage vergleiche Bundessozialgericht, Urteil vom 11. April 2002, B 3 P 10/01 R, zitiert nach juris) grundsätzlich auch die Anwaltskosten das Gerichtsverfahren erfasst (vergleiche Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, 2014, §
193 Rn. 3b, mit weiteren Nachweisen). Dass §
193 Abs.
4 SGG Abs.
3 in der geltenden Fassung die Erstattung von Aufwendungen durch den Prozessgegner auch im Fall des Obsiegens ausschließt,
ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 31. Januar 2008,1 BvR 1806/02, Rn. 54 ff., mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris).
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht vorliegen.