Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Sanktionsbescheid des Beklagten wegen eines Meldeversäumnisses und begehrt die Auszahlung
der einbehaltenen Leistungen.
Die 1955 geborene erwerbsfähige und leistungsberechtigte Klägerin bezieht seit Juli 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.
Am 24. April 2012 teilte die Klägerin mit, dass sie die Pflege ihrer Mutter übernommen habe und seit März das Pflegegeld der
Pflegestufe I ihrer Mutter erhalten würde. Es liegt ein Schreiben der Pflegekasse vom 10. April 2012 vor, nach dem die Mutter
der Klägerin seit dem 28. März 2012 Leistungen der Pflegestufe I erhalte.
Mit Schreiben vom 17. April 2013 wurde die Klägerin von der für sie zuständigen Arbeitsvermittlerin in die Räumlichkeiten
des Beklagten zu einem Gespräch am 14. Mai 2013 eingeladen. Als Zweck des Gesprächs war die Besprechung der aktuellen beruflichen
Situation der Klägerin genannt. Die Klägerin erschien zu dem angegebenen Meldetermin nicht und meldete sich auch sonst nicht
bei dem Beklagten.
Es erfolgten weitere Einladungen zu Terminen am 28. Mai 2013, 20. Juni 2013, 9. Juli 2013 und 27. August 2013. Die Termine
verstrichen, ohne dass die Klägerin diese wahrnahm oder sich zu den Hinderungsgründen äußerte.
Der Beklagte erließ aufgrund der Meldeversäumnisse zunächst zwei Sanktionsbescheide (vom 21. Juni 2013 und 19. Juli 2013),
mit welchem er für die Dauer von jeweils drei Monaten eine Minderung des Leistungsanspruchs der Klägerin in Höhe von 10% feststellte.
Entsprechend wurden die Auszahlungen gekürzt. Gegen den Bescheid vom 21. Juni 2013 erhob die Klägerin Widerspruch. Sie habe
bereits mit Schreiben vom 22. April 2012 ihre persönliche Situation mitgeteilt, ohne dass der Beklagte hierzu Rückfragen gehabt
hätte. Der Widerspruch wurden zurückgewiesen und die hiergegen erhobenen Klage blieben ebenfalls erfolglos (zuletzt LSG Hamburg,
Beschluss v. 26.1.2016 - L 4 AS 99/15 NZB).
Mit Bescheid vom 17. Juli 2013 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den
Zeitraum vom 1. August 2013 bis 31. Januar 2014. Auf den Bescheid wird verwiesen.
Die Klägerin wurde sodann mit Schreiben vom 27. August 2013 aufgefordert, sich am 19. September 2013 um 12:00 Uhr in den Räumlichkeiten
der Arbeitsvermittlung einzufinden, um über die aktuelle berufliche Situation zu sprechen. Die Klägerin wurde zudem aufgefordert,
ihre Bewerbungsunterlagen mitzubringen. Das Schreiben enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung.
Weiter erließ der Beklagte am 16. September 2013 wegen des Meldeversäumnisses am 9. Juli 2013 sowie am 24. September 2013
wegen des Meldeversäumnisses am 27. August 2013, wie zuvor bzw. mit dem Einladungsschreiben zum Termin am 19. September 2013
angekündigt, jeweils einen Sanktionsbescheid mit einem Sanktionszeitraum vom 1. Oktober 2013 bis 31. Dezember 2013. Nachfolgende
Widerspruchs- und Klageverfahren bleiben erfolglos (zuletzt LSG Hamburg, Beschluss v. 26.1.2016 - L 4 AS 100/15 NZB und L 4 AS 101/15 NZB).
Da die Klägerin den Termin am 19. September 2013 nicht wahrnahm, lud der Beklagte sie mit Schreiben vom gleichen Tag zu einem
neuen Gesprächstermin am 22. Oktober 2013 ein, hörte sie zugleich zu einer beabsichtigten Minderung wegen ihres unentschuldigten
Fernbleibens an und erließ sodann am 24. Oktober 2013 einen Sanktionsbescheid, mit welchem er die Minderung des Auszahlungsanspruchs
der Klägerin für den Zeitraum vom 1. November 2013 bis 31. Januar 2014 in Höhe von monatlich 38,20 Euro feststellte. Die Leistungen
behielt der Beklagte ein. Die Klägerin erhob rechtzeitig Widerspruch.
Es folgten weitere Sanktionen wegen eines Meldeversäumnisses am 22. Oktober 2013 (Sanktionsbescheid vom 13. November 2013)
mit einer Minderung des Auszahlungsanspruchs der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Dezember 2013 bis 28. Februar 2014 und wegen
eines Meldeversäumnisses am 11. November 2013 (Sanktionsbescheid vom 3. Dezember 2013) mit einer weiteren Minderung des Auszahlungsanspruchs
für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 31. März 2014.
Am 23. November 2013 erließ der Beklagte vor dem Hintergrund der geänderten Regelsätze ab dem 1. Januar 2014 einen Änderungsbescheid
für den Monat Januar 2014, mit welchem er zudem die Absenkung des Auszahlungsanspruchs auf der Grundlage der Sanktionsbescheide
vom 24. Oktober 2013 und 13. November 2013 berücksichtigte. Den Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wies der Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 6. März 2014 zurück; das Klageverfahren blieb erfolglos (zuletzt LSG Hamburg, Beschluss v. 26.1.2016
- L 4 AS 103/15 NZB).
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2015 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Sanktionsbescheid vom
24. Oktober 2013 als unbegründet zurück. Im Widerspruchsbescheid verfügte der Beklagte zudem die entsprechende Aufhebung des
Bewilligungsbescheides vom 17. Juli 2013 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 23. November 2013.
Dagegen hat die Klägerin am 14. April 2015 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat die Klägerin aufgefordert, die Pflegesituation
der Mutter im Hinblick auf die Frage, ob ein wichtiger Grund für das Fernbleiben der Klägerin zu den Meldeterminen vorgelegen
habe, näher darzustellen. Eine Antwort hierauf ist ausgeblieben.
Mit Urteil vom 27. Juni 2016 hat das Sozialgericht den Sanktionsbescheid aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, der Klägerin
weitere 76,40 Euro für die Monate November und Dezember 2013 auszuzahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die isolierte
Anfechtungsklage gegen den Sanktionsbescheid sei zulässig, insbesondere weil der Beklagte ausschließlich über das Meldeversäumnis
und den Eintritt der Minderung entschieden habe und nicht zugleich oder in engem zeitlichen Zusammenhang damit auch über die
Änderung einer zuvor ergangenen Leistungsbewilligung - das sei erst mit Änderungsbescheid vom 23. November 2013 hinsichtlich
des Monats Januar 2014 erfolgt. Die Klage sei begründet, weil die materiellen Voraussetzungen für den Erlass des Bescheides
nach § 32 in Verbindung mit § 31a Abs. 3 und 31b SGB II nicht vorlägen. Es sei nämlich die Meldeaufforderung, die als Vorfrage für die Feststellung eines Meldeversäumnisses inzident
zu überprüfen sei, ermessensfehlerhaft ergangen. Denn der Beklagte habe nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage
des Falls zu berücksichtigen seien, in die Entscheidungsfindung einbezogen. Der Beklagte hätte vorliegend erläutern müssen,
weshalb er trotz der offenkundigen Erfolglosigkeit seiner Eingliederungsstrategie weiterhin wie bisher verfahre, damit sich
nicht der Eindruck aufdränge, er habe sich bei der Meldeaufforderung von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Dies gelte
umso mehr, als dem Beklagten bekannt gewesen sei, dass die Klägerin das nicht als Einkommen anzurechnende Pflegegeld der Mutter
erhalten und daher dauerhaft über eine zusätzliche Einnahmequelle verfügt habe. Dabei hätten Handlungsalternativen für den
Beklagten auf der Hand gelegen (Hausbesuch, Angebot auf Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung, höhere Einladungsdichte
bis zum Erreichen eines empfindlichen Sanktionsniveaus). Die Kammer folge nicht der Auffassung, dass erst dann weitere Ermessenserwägungen
in die Begründung der Meldeaufforderung einzustellen seien, wenn die "qualitative Schwelle" von mehr als 30%, bei der entsprechend
§ 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II ergänzende Sachleistungen zu erbringen seien, erreicht werde. Diese Hürde könne ohne weiteres umgangen werden durch die Lage
der Meldetermine und der Sanktionsbescheide. Gerade dies würde aber den Eindruck, dass der Beklagte sich von zweckwidrigen
Erwägungen leiten lasse, verschärfen und umso mehr eine Ermessenserwägung erforderlich machen, die in den Bescheid zwingend
einzustellen sei. Das Leistungsbegehren sei dagegen nur teilweise begründet. Der Sanktionsbescheid ändere nicht die zuerkannten
Leistungen für den jeweiligen Bewilligungsabschnitt ab. Vielmehr bedürfe es hierzu eines entsprechenden Umsetzungsaktes, also
einer förmlichen Aufhebung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Mangels einer solchen Verfügung stehe der Klägerin ein weiterer Auszahlungsanspruch für die Monate November und Dezember
2013 in Höhe von 38,20 Euro Höhe zu. Erst mit Änderungsbescheid vom 23. November 2013 sei die Minderung für den Monat Januar
2014 umgesetzt und der Leistungsanspruch verringert worden. Der Bescheid sei bestandskräftig. Der Beklagte werde den Bescheid
jedoch gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X insoweit abzuändern haben, da mit der Aufhebung des Sanktionsbescheides eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen zugunsten
der Klägerin eingetreten sei.
Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen. Der Beklagte hat am 2. August 2016 und die Klägerin hat am 4. August 2016 Berufung
gegen das am 11. Juli 2016 zugestellte Urteil eingelegt.
Der Beklagte macht geltend, dass erst ab einer Minderung um mehr als 30 % eine Überprüfung der Ermessensausübung veranlasst
sei. Der Beklagte stoße im Hinblick auf das beharrliche Verhalten der Klägerin an die Grenzen seiner Möglichkeiten.
Die Klägerin macht geltend, sie bleibe aus wichtigem, dem Beklagten bekanntem Grund den Meldeterminen fern. Sie erwähnt ferner
einen "unsachgemäßen" Entlassungsvorgang aus dem Jahr 1998 und ihr daraus gegenüber dem Beklagten zustehende Schadenersatzforderungen.
Die Klägerin beantragt nach Aktenlage,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Juni 2016 abzuändern und den Beklagten auch unter Abänderung des Bescheids vom
23. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2014 zu verpflichten, weitere 38,20 Euro für den Monat
Januar 2014 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Juni 2016 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Senat hat am 28. Juni 2018 über die Berufung mündlich verhandelt. Es wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte, die weiteren Berufungsakten der Klägerin sowie die Verwaltungsakten
des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Klägerin ordnungsgemäß
geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§
110 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes -
SGG).
II.
Den Streitgegenstand des Verfahrens bilden der Sanktionsbescheid vom 24. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 16. März 2015; zudem aber auch die in diesem Widerspruchsbescheid verfügte - vom Sozialgericht offenbar übersehene - entsprechende
Teilaufhebung der Leistungsbewilligung sowie die Umsetzung der Sanktion und Teilaufhebung für den Monat Januar 2014 durch
Änderungsbescheid vom 23. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2014. Sanktions- und Umsetzungsbescheide
bilden eine rechtliche Einheit im Sinne einer einheitlichen Regelung zur Höhe der SGB II-Leistungen in dem von der Absenkung betroffenen Zeitraum (vgl. BSG, Urt. v. 22.3.2010 - B 4 AS 68/09 R; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.7.2016 - L 25 AS 2819/15; Knickrehm/Hahn, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 31b Rn. 8; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 5/2016, § 31b Rn. 14).
Dem steht nicht entgegen, dass der Senat über den Bescheid vom 23. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
6. März 2014 bereits rechtskräftig entschieden hat (Beschluss v. 25.1.2016 - L 4 AS 103/15 NZB). Denn hier geht es um die Umsetzung der Sanktion vom 24. Oktober 2014 für den Monat Januar 2014, während im Verfahren
L 4 AS 103/15 NZB über die Umsetzung der Sanktionsbescheide vom 16. und 24. September 2013 entschieden wurde.
Da die Klägerin hinsichtlich ihrer Klagforderung vollständig obsiegt, ist nicht zu prüfen, ob ihr höhere Leistungen aus einem
anderen als dem hier streitigen Grund zustehen.
III.
Die Berufungen der Beteiligten sind aufgrund ihrer Zulassung durch das Sozialgericht statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben.
Die Berufung der Klägerin ist begründet, diejenige des Beklagten unbegründet. Die Klage ist nämlich vollständig begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und die Klägerin hat einen Anspruch auf Nachzahlung der Leistungsminderung.
Der Tenor war insgesamt neu zu formulieren, um den Streitgegenstand vollständig zu erfassen.
Zwar hat eine Anhörung der Klägerin stattgefunden und ist der Bescheid vom 24. Oktober 2013 formell nicht zu beanstanden.
Die materiell-rechtliche Beurteilung richtet sich nach § 32 SGB II sowie nach §§ 31a Abs. 3 und 31b SGB II, die nach § 32 Abs. 2 Satz 2 SGB II entsprechend gelten. Nach § 32 Abs. 1 SGB II ist zu prüfen, ob eine leistungsberechtigte Person eine Meldeaufforderung erhalten hat, ob ein zulässiger Meldezweck verfolgt
wurde (§ 59 SGB II, §
309 Abs.
2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB III), ob die Person eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung erhalten oder von den Rechtsfolgen Kenntnis hat und ob die Person
ohne wichtigen Grund der Meldeaufforderung schuldhaft nicht nachgekommen ist. Die Rechtmäßigkeit der Meldeaufforderung ist
als Vorfrage für die Feststellung eines Meldeversäumnisses inzident zu überprüfen, weil sich die Meldeaufforderung als solche
durch Zeitablauf erledigt hat (vgl. BSG, Urt. v. 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R). Nach diesen Maßstäben erweist sich der Sanktionsbescheid als rechtswidrig.
Die Klägerin ist eine leistungsberechtigte Person nach § 7 SGB II. Sie erhielt eine mit einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung versehene Meldeaufforderung vom 27. August 2013. Dieser
Meldeaufforderung kam sie auch ohne wichtigen Grund nicht nach; die angeführte Pflegesituation mit ihrer Mutter ist weder
im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren auch nur annähernd dargelegt oder gar nachgewiesen worden. Ob die
Klägerin daran Verschulden trägt, kann allerdings offen bleiben; die Meldeaufforderung hält der inzidenten Überprüfung nämlich
nicht stand.
Zwar verfolgte die Meldeaufforderung einen rechtmäßigen Zweck, nämlich ein Gespräch über die aktuelle berufliche Situation
der Klägerin (vgl. BSG, Urt. v. 29.4.2015, a.a.O.). Jedoch begegnet die Ermessensausübung hinsichtlich der Meldeaufforderung durchgreifenden Bedenken.
Das Bundessozialgericht (Urt. v. 29.4.2015, a.a.O.) hat in einem ebenfalls durch eine rasche Abfolge vielfacher Meldeaufforderungen
gekennzeichneten Fall ausgeführt:
"Die Abfolge von siebenmal derselben Meldeaufforderung mit denselben Zwecken in nahezu wöchentlichem Abstand an die Klägerin
verstößt jedoch gegen die vor einer Meldeaufforderung notwendige Ermessensausübung wegen einer Ermessensunterschreitung, weil
relevante Ermessensgesichtspunkte nicht berücksichtigt worden sind (...). Zumindest nach der dritten gleichlautenden Meldeaufforderung
mit dem Ergebnis der Nichtwahrnehmung des Termins hätte der Beklagte nicht in der bisherigen Weise fortfahren dürfen. Vielmehr
hätte er aufgrund der vom Gesetzgeber selbst im Rahmen des § 31a SGB II eingefügten Abstufungen zwischen den Rechtsfolgen eines Meldeversäumnisses mit einer Minderung um 10 vH und den Rechtsfolgen
bei einer Pflichtverletzung mit einer Minderung um 30 vH sowie der Erbringung ergänzender Sachleistungen bei einer Minderung
um mehr als 30 vH seine bisherige Ermessensausübung überprüfen müssen. Neben dieser vom Gesetzgeber vorgegebenen qualitativen
Schwelle hätte dabei insbesondere in die Erwägungen eingestellt und deutlich gemacht werden müssen, dass sich der Beklagte
trotz der festgestellten sieben gleichen Meldeaufforderungen mit denselben Zwecken innerhalb von acht Wochen nicht von sachfremden
Erwägungen hat leiten lassen.
Denn der Zweck der Meldeaufforderungen muss entsprechend dem Grundgedanken des "Förderns und Forderns" im SGB II und nach § 1 Abs. 2 SGB II sein, die arbeitsuchende, leistungsberechtigte Person bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen. Trotz der
Überschrift "Sanktionen" vor §§ 31 bis 32 SGB II ist es nicht Ziel der Meldeaufforderungen, durch eine hohe Anzahl von Meldeversäumnissen den Anspruch der Meldepflichtigen
auf Alg II zu mindern oder gar zu beseitigen. Denn es handelt sich nach dem Wortlaut und der Konzeption der §§ 31 bis 32 SGB II bei ihnen nicht um Strafvorschriften, nach denen aufgrund eines bestimmten schuldhaften Verhaltens bestimmte Strafen "verhängt"
werden, sondern um die gesetzlichen Folgen von Obliegenheitsverletzungen, weil die Durchsetzung z.B. einer Meldeaufforderung
nicht mit Mitteln des Verwaltungszwangs vollstreckt werden darf.
Neben den in den Meldeaufforderungen genannten Zwecken "Ihr Bewerberangebot b.z.w. Ihre berufliche Situation" drängten sich
vor diesem Hintergrund angesichts des Verhaltens der Klägerin und insbesondere der Vorgeschichte mit den Zweifeln an ihrer
Erwerbsfähigkeit und den früheren Meldeversäumnissen als weitere Zwecke die Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren
und die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch auf (...). Der Beklagte hätte auch von weiteren
Meldeaufforderungen Abstand nehmen und die Klägerin zu einer ärztlichen oder psychologischen Untersuchung auffordern können
(vgl § 32 Abs 1 Satz 1 Alt 2 SGB II).
In Ermangelung von dahingehenden Ausführungen in den Meldeaufforderungen ist von einer Ermessensunterschreitung des Beklagten
auszugehen. Das LSG hat keine Ermessenserwägung des Beklagten in den angeführten Bescheiden oder den zugrunde liegenden Meldeaufforderungen,
die der vorliegenden besonderen Situation Rechnung tragen, oder andere spezifische Gründe seitens des Beklagten festgestellt,
die für eine wörtliche Wiederholung der bisherigen Meldeaufforderungen und gegen eine Einbeziehung weiterer Gesichtspunkte
sprachen. Den festgestellten Tatsachen im Übrigen sind ebenfalls keine dahingehenden Ermessenerwägungen des Beklagten oder
andere Gründe zu entnehmen."
Diese Rechtsprechung, die breite Zustimmung gefunden hat (vgl. SächsLSG, Beschluss v. 22.12.2016 - L 7 AS 1149/16 B ER; LSG Berlin-Bbg., Urt. v. 28.7.2016 - L 25 AS 2819/15 WA, Valgolio, a.a.O., § 32 Rn. 18a; Berlit, in: LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 32 Rn. 13; Knickrehm/Hahn, a.a.O., § 32 Rn. 12), macht der erkennende Senat sich zu Eigen. Danach liegt hier ein Ermessensdefizit
vor. Der Meldeaufforderung zum 19. September 2013 waren bereits entsprechende Aufforderungen zu Terminen am 14. Mai 2013,
28. Mai 2013, 20. Juni 2013, 9. Juli 2013 und 27. August 2013 vorausgegangen, die die Klägerin jeweils versäumt hatte. Es
war nicht zu erwarten, dass die Klägerin nun der Meldeaufforderung folgen würde. In dieser Lage hätte der Beklagte die Erwägungen
deutlich machen müssen, die ihn zum Festhalten an dem eingeschlagenen Weg bewegten, oder andere und erfolgversprechendere
Wege der Eingliederung in Betracht ziehen müssen. Anders formuliert war "die Eingliederungsförderlichkeit der neuerlichen
Meldeaufforderung zu überprüfen, den Gründen für die Nichtbeachtung nachzugehen und dies bei der Ermessensbetätigung erkennbar
zu berücksichtigen" (so Berlit, a.a.O. Rn. 13). Dafür ist indes nichts erkennbar.
Der Senat folgt nicht der Auffassung des Beklagten, dass erst ab einer Leistungsminderung von mehr als 30 % weitere, spezifische
Ermessenserwägungen erforderlich würden. Dies ist bereits der angeführten Entscheidung des Bundessozialgerichts nicht zu entnehmen,
die lediglich mit dem abgestuften Konzept des Gesetzgebers argumentiert, ohne aber die Ermessensproblematik an eine Leistungsminderung
von mehr als 30 % zu binden. Vor allem aber steht die Entscheidung des Bundessozialgerichts nicht der Feststellung eines Ermessensdefizits
im Einzelfall - wie hier - entgegen.
Aus dem Vorstehenden folgt zugleich die Rechtswidrigkeit der Umsetzung der Leistungsminderung durch Teilaufhebung der Leistungsbewilligung
vom 17. Juli 2013 mittels Widerspruchsbescheides vom 16. März 2015 sowie mittels des Änderungsbescheides vom 23. November
2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2014.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die rasche Abfolge von Meldeaufforderungen und daraus bei
Versäumnissen hergeleitete Sanktionen sind in der Praxis des Beklagten häufig zu beobachten und die Rechtslage erscheint nicht
für alle Fallgestaltungen als bereits geklärt.