Gewährung einer immunonkologischen Therapie
Nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmethode
Ausschöpfung verfügbarer Standardtherapien
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung einer
immunonkologischen Therapie.
Die Antragstellerin erkrankte im Jahr 2013 an einem Zervixkarzinom Stadium III. Die Behandlung erfolgte durch eine radikale
Hysterektomie am 04. Juli 2013 sowie eine kombinierten Strahlen- und Chemotherapie im Zeitraum vom 20. August bis 01. Oktober
2013. Im Juni 2021 wurden bei der Antragstellerin Metastasen in Lunge, Zwerchfell und Leber diagnostiziert. Im Ergebnis einer
multidisziplinären gynäkologisch-onkologischen Fallkonferenz vom 20. Juli 2021 wurde der Antragstellerin durch das D.-Klinikum
N-Stadt die Behandlung mittels einer palliativen Chemotherapie mit Cisplatin/Paclitaxel/Avastin empfohlen.
Die Antragsgegnerin wandte sich wegen einer Behandlungsalternative an das Immun-Onkologische Zentrum Köln (IOZK). Dieses schlug
der Antragstellerin nach Durchführung einer onkologischen Funktionsdiagnostik unter dem 16. August 2021 zwei verschiedene
Therapieoptionen vor.
Die erste Option beinhaltete die bereits vom D.-Klinikum empfohlene Chemotherapie ergänzt durch die Behandlung mit PD-1-Check-Point-Inhibitor-Antikörpern
(Handelsname: Keytruda / Wirkstoff: Pembrolizumab; streitgegenständlich im Parallelverfahren L 6 KR 2/22 B ER) sowie eine immunmodulierende Therapie, bestehend aus einer onkolytischen Virotherapie (Newcastle Disease Virus) und
Hyperthermie.
Als zweite Option wurde der Antragstellerin anstelle der Chemotherapie eine spezifische Antitumorvakzination mittels dendritischer
Zellen, wiederum ergänzt durch eine onkolytische Virotherapie und Hyperthermie, angeboten. Der Therapieblock solle zweimal
im Abstand von 4 Wochen durchgeführt werden, danach eine Verlaufsdiagnostik mit Überprüfung der Immunantwort erfolgen. Diese
Option könne auch vor einer Chemotherapie oder Immuntherapie mit Keytruda zur Anwendung kommen.
Die Antragstellerin entschied sich für die zweite Therapievariante (sowie zusätzlich zur Therapie mit Keytruda /Pembrolizumab)
und beantragte bei der Antragsgegnerin am 23. Juli 2021 die Übernahme der Kosten für eine „Immuntherapie“ ohne nähere Angaben
zu deren Inhalt. Anders als die leitliniengerechte palliative Chemotherapie biete ihr dieser Therapieansatz eine Chance auf
Gesundung und ein lebenswertes Leben.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Beschluss vom 06. August 2021 mit der Begründung ab, dass es sich um eine neue Behandlungsmethode
handele, zu der noch kein Anerkennungsverfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss beantragt worden sei. Die Kostenübernahme
sei daher nur unter besonderen Voraussetzungen möglich, welche hier nicht erfüllt seien.
Die Antragstellerin erhob am 16. August 2021 Widerspruch und legte in der Folge ein Gutachten des Herrn Dr. Sp. (IOZK) vom
06. September 2021 vor. Hierin wurde die Auffassung vertreten, dass die Immuntherapie bei der Antragstellerin indiziert sei,
da es unter konventioneller Chemotherapie zu einem Progress der Erkrankung gekommen sei und die Antragstellerin sich in einer
palliativen Therapiesituation befinde. Die zu erwartende positive Wirkung der Therapie stehe in einem günstigen Verhältnis
zum Behandlungsrisiko, da die Therapieverfahren nahezu frei von Nebenwirkungen seien. Ziel der Immuntherapie sei die Induktion
einer spezifischen zytotoxischen T-Zell-Antwort gegen die Tumorzellen. Spezifische immunologische Therapieverfahren hätten
anders als eine klassische Chemo- oder Radiotherapie eine hohe Spezifität und keine relevante Toxizität. Diese böten daher
die Möglichkeit, ohne ernsthafte Nebenwirkungen einen länger andauernden Therapieerfolg zu erzielen bei Erhalt oder gar Verbesserung
der Lebensqualität. Immuntherapeutische Ansätze könnten auch gegen Tumorstammzellen wirksam sein, so dass sie potentiell einen
kurativen Ansatz darstellten.
Weiter wurde die Wirkweise der einzelnen Therapieverfahren erläutert und zu diesen im Einzelnen folgende Aussagen getroffen:
Die Vakzination mit dendritischen Zellen beruhe auf deren Konditionierung mit verschiedenen autologen Tumorantigenen im Labor
und nachfolgender Verabreichung, um durch die Antigenpräsentation eine spezifische Immunreaktion gegen antigentragende Krebszellen
auszulösen. Die Behandlung könne auch gegen Krebsstammzellen wirksam sein, was für verschiedene Krebsarten nachgewiesen worden
sei. Unter dieser Therapie seien sogar in palliativen Situationen noch Komplettremissionen beschrieben worden. Das Verfahren
sei Gegenstand intensiver Forschung. Es seien annähernd 300 klinische Studien zur Anwendung in der Tumortherapie initiiert
worden und jährlich erschienen mehr als 4000 Arbeiten zu dem Thema. Im Jahr 2017 habe die indische Regulierungsbehörde CDSCO
einen autologen DC-Impfstoff für die Behandlung von 4 Krebsindikationen (Prostatakrebs, Eierstockkrebs, kolorektales Karzinom,
nichtkleinzelliges Lungenkarzinom) zugelassen. In einer retrospektiven Studie sei ein signifikanter Überlebensvorteil der
geimpften Patienten gegenüber einer Kontrollgruppe nachgewiesen worden.
Die onkolytische Virotherapie könne sowohl Tumorzellen direkt schädigen als auch das Immunsystem stimulieren. Die Möglichkeit
einer Wirkung gegen Krebsstammzellen sei für verschiedene Krebsarten nachgewiesen. Sie könne Resistenzen gegen Chemotherapeutika
sowie PD-1-Immunotherapie durchbrechen und empfehle sich daher insbesondere für Kombinationstherapien. Das hier verwendete
Newcastle Disease Virus (NDV) infiziere selektiv Tumorzellen.
Auch die modulierte Elektrohyperthermie bewirke eine Immunstimulation. Die Reaktionen des Tumorgewebes und des Immunsystems
auf thermische Reize und elektrische Felder seien Gegenstand der Forschung. Inzwischen gebe es eine randomisierte Phase-III-Studie,
in der bei einem adjuvanten Einsatz der regionalen Hyperthemie gegenüber einer alleinigen Chemotherapie längere Überlebenszeiten
nachgewiesen worden seien.
Konkret in Bezug auf das bei der Antragstellerin vorliegende Zervixkarzinom finden sich weiter folgende Ausführungen: Die
Anwendung von DC-Vakzinen beim Zervixkarzinom sei Gegenstand wissenschaftlichen Forschung. Aktuell seien vier klinische Studien
zum Thema gelistet. Rezente Übersichtsarbeiten legten nahe, dass die Impfung mit dendritischen Zellen einen Überlebensvorteil
bieten könne, auch in einem adjuvanten Setting. Nachdem Hinweise auf eine antitumorale Wirksamkeit im Tierversuch gefunden
worden seien, hätten frühe klinische Studien die Durchführbarkeit und Sicherheit einer Impfung beim Zervixkarzinom belegt.
Eine andere klinische Studie bei rezidivierten oder metastasierten therapierefraktären Zervixkarzinomen belege die erfolgreiche
Induktion einer systemischen zellulären Immunantwort ohne relevante Toxizität (wenn auch ohne relevante klinische Antwort).
Menshenina et al. hätten eine gute Verträglichkeit, vorteilhafte Modulation des Immunstatus und eine klinische Antwort durch
eine adjuvante CD-Vakzination nachweisen können. NDV zeige in vitro und im Tiermodell eine gute Tumor-lysierende Wirkung beim
Zervixkarzinom.
Die Antragsgegnerin holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes Mecklenburg-Vorpommern (MD) vom 03. November 2021
ein, in welcher die Sachverständige Dr. St. die Auffassung vertrat, dass die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nicht
erfüllt seien. Die Immuntherapie sei in der Anlage II der Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen
Versorgung aufgeführt und dürfe daher grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht werden. Eine Kostenübernahme
sei daher nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen von §
2 Abs.
1a SGB V möglich. Diese lägen hier insoweit nicht vor, als eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode
zur Verfügung stehe (Cisplatin/Paclitaxel und Bevacizumab bzw. Cisplatin/Topotecan und Bevacizumab). Medizinische Kontraindikationen
gegen diese Kombinationstherapien seien nicht ersichtlich.
Am 06. Dezember 20221 beantragte die Antragstellerin beim D. den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Sie leide an einer
nach den Maßstäben der vertragsärztlichen Versorgung nur noch palliativ behandelbaren Krebserkrankung. Nach Ausschöpfung sämtlicher
Standardmethoden begehre sie von der Antragsgegnerin die Versorgung mit einer außervertraglichen Immuntherapie, bei welcher
es sich um die letzte (realistische) Möglichkeit zur Stabilisierung ihres Krankheitsgeschehens handele. Dieser individuelle
Heilversuch – für den bereits diverse Behandlungserfolge in Gestalt eines signifikant verlängerten Gesamtüberlebens publiziert
worden seien – solle die vertraglichen Behandlungsmethoden nicht ersetzen, sondern die parallel stattfindende Erhaltungstherapie
in ihrer Wirkung verstärken.
Die Antragstellerin zitiert im Weiteren aus verschiedenen Studien, um einen positiven Einfluss der vorliegend kombinierten
Therapien auf die Verlängerung des progressionsfreien Überlebens und der gesamten Überlebenszeit darzustellen. Auch bei der
Antragstellerin habe die Behandlung einen erfreulichen Therapieerfolg gehabt. Sie habe ihre Schmerzmittel zwischenzeitlich
fast vollständig absetzen können. Der durch die Lungenmetastasen hervorgerufene Husten sei nahezu verschwunden. Die Antragstellerin
sei körperlich mittlerweile wieder völlig belastbar, könne insbesondere problemlos ihren Alltag bewältigen und erwäge eine
Reintegration in das Erwerbsleben.
Die Frage nach dem Bestehen vertragsärztlicher Behandlungsalternativen könne nicht losgelöst von der Bedrohlichkeit der Erkrankung
und dem (kurativen oder palliativen) Ansatz der vertragsärztlichen Therapieoptionen beurteilt werden. Es sei grundrechtswidrig,
den Versicherten in einer Palliativsituation auf eine „nur“ lindernde Therapie zu verweisen, sofern die außervertragliche
Methode eine nicht ganz entfernt liegende Heilungsaussicht biete. Die Antragstellerin befinde sich in einer Palliativsituation,
in welcher bei Anwendung leitliniengerechter Verfahren bei der Gewissheit schwerer und teilweise dauerhafter Nebenwirkungen
eine Wahrscheinlichkeit von 20 % bestehe, dass diese keinerlei klinisch relevanten Effekt hervorrufe. In einer Gesamtschau
komme der weiteren systemischen palliativen Therapie ebenfalls lediglich experimenteller Charakter zu. Dies gelte umso mehr,
als der Einsatz einer systemischen Therapie den bisherigen – klinisch relevanten – Heilerfolg der zwischenzeitlichen Immuntherapie
gefährde. Die Zerstörung der mühsam aufgebauten Immunkompetenz durch Abtötung der entsprechenden Immunzellen, welche bei systemischer
Chemotherapie zu erwarten sei, stehe in keinem Verhältnis. Demgegenüber biete die begehrte immunonkologische Therapie eine
vergleichsweise hohe Erfolgswahrscheinlichkeit, die sich bereits im Einzelfall durch einen stabilisierten Allgemeinzustand
gezeigt habe. In dieser Situation könne die Antragstellerin nicht mehr auf die systemische Palliativ-Therapie verwiesen werden,
da eindeutig ein hierüber hinausgehender Therapieeffekt in Aussicht stehe.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr vorläufig ab sofort, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache,
die immunonkologische Therapie nach dem Behandlungsplan des IOZK vom 16. August 2021, Anlage ASt 01, zur Therapie der bei
ihr diagnostizierten Krebserkrankung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen bzw. sie von den hierdurch entstehenden Kosten
freizustellen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass ein Anordnungsgrund im Hinblick auf die finanzielle Möglichkeit der Selbstbeschaffung
der Therapie nicht hinreichend dargelegt sei. Darüber hinaus habe die Antragstellerin auch einen Anspruch auf die beantragte
Leistung nicht plausibel darlegen können. Es könne keine Rede davon sein, dass „es unter der laufenden Chemotherapie zu einem
Krankheitsprogress gekommen sei“. Vielmehr habe eine konventionelle Behandlung des 2021 entdeckten Rezidivs mit Chemotherapie
gar nicht stattgefunden. Des Weiteren habe das IOZK selbst auch die Chemotherapie in Kombination mit einer Virotherapie als
erste Therapieoption vorgeschlagen, sodass die beanspruchte außervertragliche Immuntherapie nicht „nach Ausschöpfung sämtlicher
Standardmethoden“ begehrt werde. Darüber hinaus fehle es an einem Nachweis, dass die Immuntherapie auf einem nach medizinischen
Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruhe, der die prognostizierte Wirkweise auf das angestrebte Behandlungsziel erklären
könne und sie somit zumindest wahrscheinlich mache. Sämtliche vorgelegten Studien beträfen nicht die bei der Antragstellerin
vorliegende Krebsart. Selbst bei den anderen Tumorarten werde die Wirksamkeit der Virotherapie bei ausgedehnten Erkrankungen
mit hoher Tumorlast als begrenzt bewertet. Im Übrigen sei der geltend gemachte Anspruch auf Finanzierung einer Immuntherapie
zu unbestimmt. Es liege kein konkreter Behandlungsplan mit Aufstellung von Anzahl und Umfang/Inhalt vor. Auch die Kosten der
Behandlung seien nicht benannt. Gegenstand des Antrages könne nur die geplante Behandlung gemäß dem ersten Behandlungsschema
sein – weder bereits durchgeführte noch über den ersten Behandlungsplan hinausgehende weitere Immunbehandlungen.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 20. Dezember 2021 abgelehnt. Die
Kammer gehe davon aus, dass die Entscheidung in der Hauptsache als offen anzusehen sei. Im Rahmen der hiernach vorzunehmenden
Folgenabwägung überwögen die Interessen der Antragsgegnerin.
Der von der Antragstellerin geltend gemachte Anordnungsanspruch richte sich nach §
2 Abs.
1a SGB V. Danach könnten zwar Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest
wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
nicht zur Verfügung steht, auch eine vom Qualitätsgebot (§
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V) abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand spreche eine hohe Wahrscheinlichkeit
dafür, dass die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt seien, weil nach der vorliegenden vorgerichtlichen gutachterlichen
Stellungnahme des MD vom 03. November 2021 zur Behandlung der bei der Antragstellerin vorliegenden metastasierten Tumorerkrankung
mit der zugelassenen Chemotherapie in Form der Gabe von Cisplatin/Paclitaxel und Bevacizumab bzw. Paclitaxel/Topotecan und
Bevacizumab eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlung zur Verfügung stehe und keine
Kontraindikationen gegen die genannten Kombinationstherapien ersichtlich seien.
Um mit der gebotenen Sicherheit über den Antrag der Antragstellerin zu entscheiden, bedürfte es jedoch nach Auffassung der
Kammer einer weiteren Beweisaufnahme, um die Ziele bzw. Wirksamkeit der Standardtherapie gegenüber der von der Antragstellerin
beanspruchten ausschließlichen Immuntherapie zu ermitteln bzw. gegeneinander abzuwägen, sodass über den Eilantrag allein auf
Grund einer Folgenabwägung mit dem oben genannten Ergebnis zu entscheiden gewesen sei. Dabei habe sich die Kammer davon leiten
lassen, dass die beanspruchte immunonkologische Therapie nach dem Behandlungsplan vom 16. August 2021 vor Eingang des vorliegenden
Eilverfahrens längst begonnen habe, von der Antragstellerin bereits weit überwiegend bezahlt worden sei und es der Antragstellerin
unter Verweis auf den zu diesem Zweck vom Arbeitgeber eingeräumten Kredit und der von ihr im Rahmen der eidesstattlichen Versicherung
dargelegten Vermögenssituation zumutbar erscheine, den noch offenen Restbetrag von 3.715,00 EUR zu begleichen. Dabei habe
die Kammer berücksichtigt, dass die Kosten der Immuntherapie auf der Grundlage des von der Antragstellerin ausdrücklich genannten
Behandlungsplans vom 16. August 2021 nach der Selbstauskunft der Antragstellerin 58.715,00 betragen, sodass unter Berücksichtigung
des durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Darlehens von 55.000,00 EUR tatsächlich nur eine Unterdeckungslücke von
3.715 EUR bestehe, die durch die Antragstellerin unter Verwertung ihres (verbliebenen) Vermögens offenkundig gedeckt werden
könne. Dies gelte auch dann, wenn man zugunsten der Antragstellerin davon ausgehe, dass die Deckungslücke unter Berücksichtigung
der Angabe, dass sie die Kosten der Immuntherapie bislang in Höhe von 46.452,74 EUR beglichen habe, tatsächlich 12.263,26
EUR betrage, weil die Antragstellerin nach eigenen Angaben über Aktiva in Form eines Depots von 23.380,74 EUR und eines Festgeldkontos
von 12.500,00 EUR verfüge. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, dass die Kammer die Auffassung der Antragsgegnerin teile,
dass der Begründetheit des vorliegenden Eilrechtsschutzantrags auch die Unbestimmtheit des genannten Behandlungsplans entgegenstehen
könnte.
Die Antragstellerin hat gegen den am 20. Dezember 2021 zugestellten Beschluss am 11. Januar 2022 Beschwerde eingelegt. Sie
wiederholt ihre Ausführungen, dass ausgehend von einer Einzelfallbetrachtung in der konkreten Krankheitssituation keine vertragsärztliche
Therapie mit Erfolgsaussicht mehr bestehe. Es sei auch bereits dargelegt worden, dass die palliative systemische Chemotherapie
inkompatibel zur kurativen immunonkologischen Therapie sei. Die Antragstellerin befinde sich gemessen am Maßstab der vertragsärztlichen
Versorgung in einer alternativlosen Situation.
Es bestehe auch ein Anordnungsgrund, da die Behandlung noch nicht abgeschlossen sei, sondern alle 4 bis 5 Wochen ein weiterer
Therapiezyklus durchzuführen sei, für welchen Kosten in Höhe von jeweils ca. 10.800 EUR anfielen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Stralsund vom 20. Dezember 2021 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Antragstellerin
vorläufig ab sofort, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache, die immunonkologische Therapie nach dem Behandlungsplan
des IOZK vom 16. August 2021, Anlage ASt 01, zur Therapie der bei ihr diagnostizierten Krebserkrankung als Sachleistung zur
Verfügung zu stellen bzw. sie von den hierdurch entstehenden Kosten freizustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss unter Bezugnahme auf dessen Gründe und führt unter Wiederholung des bisherigen
Vorbringens ergänzend Folgendes aus: Es bleibe unklar, ob die Weiterführung der Immuntherapie bereits erfolgt und dafür eine
entsprechende Rechnung gestellt worden sei. Streitgegenstand könne unabhängig hiervon aber allenfalls noch die letzte Rechnung
für die Behandlung nach dem ersten Behandlungsschema vom 16. August 2021 sein. Eine Fortsetzung der Therapie sei in dem maßgeblichen
Behandlungsplan nie vorgesehen gewesen. Einen neuen Antrag habe die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin nie gestellt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis
zu Recht abgelehnt, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Gemäß §
86b Abs.
2 S. 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn der Antragsteller
sowohl das Bestehen eines Anspruches auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruches) als auch einer Eilbedürftigkeit für
eine vorläufige Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft machen kann (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §§
920 Abs.
2,
294 Abs.
1 ZPO). Dabei sind an die Glaubhaftmachung des Anspruches umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer die durch den Zeitablauf
bis zu einer endgültigen Entscheidung drohende Rechtsverletzung wiegt und umgekehrt.
Es kann dahinstehen, ob angesichts des wenig konkreten Vorbringens der Antragstellerin zur aktuellen Behandlungssituation
und den insoweit abgeschlossenen Behandlungsverträgen bei immer noch vorhandenem Vermögen überhaupt eine Eilbedürftigkeit
für eine vorläufige Regelung besteht, denn jedenfalls ist das Bestehen eines Anspruches auf die begehrte Leistung nicht feststellbar,
auch wenn man vor dem Hintergrund des bedrohten Lebens der Antragstellerin einen großzügigen Maßstab anlegt. Wie das Sozialgericht
bereits zutreffend ausgeführt hat, kommt als Anspruchsgrundlage allein §
2 Abs.
1a SGB V in Betracht. Hierfür müssten folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- es besteht eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung
- eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung steht nicht zur Verfügung
- es besteht die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
durch die begehrte Behandlung
Zwar leidet die Antragstellerin unzweifelhaft an einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung, allerdings steht für diese
eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung. Es ist schlicht unzutreffend,
wenn die Antragstellerin vorträgt, dass sämtliche Standardmethoden ausgeschöpft worden seien. Das Rezidiv ist weder unter
einer systemischen Chemotherapie aufgetreten, noch hat die Antragstellerin nach Auftreten des Rezidivs eine solche durchgeführt.
Dass eine systemische Chemotherapie zur Verfügung steht und Erfolg versprechend ist, ergibt sich übereinstimmend aus dem Gutachten
des MD vom 03. November 2021, dem Bericht des D.-Klinikums vom 20. Juli 2021 sowie auch aus dem Therapieplan des IOZK vom
16. August 2021, in welchem als erste Option eine solche Chemotherapie (ergänzt durch weitere Behandlungsansätze) angeboten
wurde. An der Verfügbarkeit und Indikation dieser Therapie ändert auch die Tatsache nichts, dass die Antragstellerin nunmehr
bereits eine Immuntherapie absolviert und hierdurch nach ihren Ausführungen einen Behandlungserfolg erzielt hat. Auch die
behauptete Gefährdung dieses Erfolges durch eine nachfolgende systemische Chemotherapie vermag der Senat nicht nachzuvollziehen,
da in dem Bericht des IOZK vom 16. August 2021 (S. 10 oben) ausdrücklich ausgeführt wurde, dass die Immuntherapie (2. Option)
auch vor Beginn einer Chemotherapie zur Anwendung kommen kann.
Auch der Umstand, dass es sich bei der Chemotherapie nicht um eine kurative, sondern nur um eine palliative Therapie handelt,
ändert grundsätzlich nichts daran, dass zunächst die dem medizinischen Standard entsprechenden Therapien auszuschöpfen sind.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn die alternative Therapie ausdrücklich einen weitergehenden, kurativen Erfolg verspricht.
Letzteres hat die Antragstellerin mit der Beschwerde zwar behauptet, allerdings gibt es für eine kurative Wirkung der Immuntherapie
weder Belege noch tragfähige Indizien. Selbst in dem von der Antragstellerin vorgelegten Gutachten des IOZK, das fälschlich
davon ausgeht, dass es „unter der laufenden Chemotherapie zu einem Krankheitsprogress gekommen“ sei, wird lediglich ausgeführt,
dass die Immuntherapie aufgrund ihrer Wirkweise auch gegen Krebsstammzellen wirken könne und daher potentiell einen kurativen Ansatz darstelle. Für Fälle einer fortgeschrittenen, rezidivierten Erkrankung, wie sie bei der Klägerin vorliegt,
geht auch diese Gutachten lediglich davon aus, dass es Hinweise auf eine signifikante Wirkverstärkung einer adjuvanten (unterstützenden)
Immuntherapie gebe, was auf einer Erhöhung der Sensitivität der Tumorzellen gegen Chemotherapie- und Radiotherapie zurückgeführt
werde, womit ebenfalls nur ein palliativer Ansatz verfolgt wird.
Indizien für eine tatsächliche kurative Wirkung ergeben sich hingegen auch nach dem im Gutachten des IOZK dargestellten Erkenntnisstand
für fortgeschrittene Erkrankungsfälle nicht. Sämtliche dargestellten Studienergebnisse, die für eine Wirksamkeit der kombinierten
Therapien sprechen, beziehen sich auf eine Verlängerung der Überlebenszeit und sind damit palliativer Natur. Hinzu kommt,
dass Gegenstand der Studien, in denen über positive Wirkung berichtet wurde, überwiegend Kombinationstherapien mit einer klassischen
Chemotherapie waren. Für die von der Antragstellerin erstrebte singuläre Anwendung alternativer Therapien haben die Studienergebnisse
daher keine Aussagekraft. Dies gilt erst Recht, wenn man berücksichtigt, dass sich fast alle diese Studien auf andere Krebsarten
bezogen haben. Die konkret in Bezug auf ein (metastasiertes) Zervixkarzinom dargestellten Ergebnisse sind selbst im Hinblick
auf eine palliative Wirkung nur wenig Erfolg versprechend. So konnte zwar in einer Studie die Induktion einer systemischen
zellulären Immunantwort nachgewiesen werden, allerding ohne relevante klinische Antwort. Die weitere erwähnte Studie, in der
eine klinische Antwort nachgewiesen worden sei, bezog sich auf eine adjuvante Anwendung der Therapie, also zusätzlich zu einer
Chemotherapie. Selbst wenn man aufgrund der Datenlage von der nicht ganz fernliegenden Möglichkeit der positiven Beeinflussung
des Krankheitsverlaufes durch die streitigen Therapien ausgeht, gilt dies jedenfalls nicht für einen kurativen Erfolg. Auch
soweit die Antragstellerin in der Antragsschrift positive Studienergebnisse zitiert, beziehen sich diese ausschließlich auf
palliative, nicht aber auf kurative Erfolge.
An diesem Ergebnis ändert letztlich auch der Umstand nichts, dass in dem Gutachten des IOZK ausgeführt wird, dass unter DC-Therapie
sogar in palliativen Situationen noch Komplettremissionen beschrieben worden seien. Denn zum einen bleibt das Gutachten insoweit
eine Quellenangabe schuldig, zum anderen fehlen Angaben zur statistischen Relevanz der Ergebnisse oder sonstige Ausführungen,
die einen konkreten Zusammenhang zwischen der Therapie und der Remission herstellen. Auch ganz ohne Behandlung kommt es in
seltenen Fällen zu Spontanremissionen von Krebserkrankungen bei infauster Prognose, so dass allein aus der Tatsache einer
solchen Remission unter der Therapie nicht auf deren Ursächlichkeit geschlossen werden kann.
Der von der Antragstellerin geschilderte individuelle Therapieerfolg ist für die prognostisch vorzunehmende Bewertung der
Erfolgsaussichten einer Therapie grundsätzlich ohne Belang, weshalb der Senat von einer Überprüfung der mit der Beschwerdeschrift
gemachten Angaben sowie der Aufklärung der im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Situation absehen konnte. Letztlich
ergäben sich aber auch bei Einbeziehung der von der Antragstellerin berichteten Verbesserung ihrer Beschwerden angesichts
der Studienlage lediglich Indizien für eine palliative, aber nicht für eine kurative Wirkung. Zwar ist es für den Senat durchaus
nachvollziehbar, dass sich die Antragstellerin in einer palliativen Situation für dasjenige Therapieangebot entscheidet, welches
die deutlich geringeren Nebenwirkungen hat. Allerdings begründen die mit einer Chemotherapie regelmäßig verbundenen Nebenwirkungen
keine notstandsähnliche Situation, welche der Antragstellerin einen Anspruch auf die Wahl einer anderen palliativen Therapie
mit nicht hinreichend belegter Wirksamkeit verschaffen würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.