Gegenvorstellung gegen die Zurückweisung der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH)
Überprüfung des Ablaufs eines PKH-Bewilligungsverfahrens in der ersten Instanz
Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Falle der Ablehnung von PKH erst nach mündlicher Verhandlung und Klageabweisung
Analoge Anwendung des Anspruchs auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Erwägungen im Hinblick auf die Geltendmachung eines evtl. Schadensersatzanspruchs im Wege der Amtshaftung für eine fehlerhafte
Entscheidung in einem Prozesskostenhilfeverfahren
Gründe
I. Die Gegenvorstellung des Klägers richtet sich gegen die Zurückweisung der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe
(PKH) für das Klageverfahren durch das Sozialgericht Duisburg (SG).
Für seine am 28.02.2013 erhobene Klage hatte der Kläger am 18.03.2013 die Bewilligung von PKH beantragt. Unter dem 07.05.2013
hat das SG mitgeteilt, die Klage biete keine Aussicht auf Erfolg. Der Kläger hat am 29.05.2013 um Entscheidung über seinen PKH-Antrag
gebeten. Diese Bitte hat er am 17.06.2013 und am 29.07.2013 wiederholt. Das SG hat die Klage mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung am 10.09.2013 abgewiesen. Zu diesem Termin war der Bevollmächtigte
des Klägers erschienen. Mit Beschluss vom 30.09.2013 hat das SG - nach erneuter Erinnerung durch den Kläger am 26.09.2013 - die beantragte PKH versagt, da die Klage von Anfang an ohne Aussicht
auf Erfolg gewesen sei. Zur Begründung hat es auf das Urteil vom 10.09.2013 verwiesen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Kläger u.a. damit begründet, dass es als rechtsmissbräuchlich erscheine, über
die PKH erst nach mehr als sechs Monaten zu entscheiden und sogar zuerst den Rechtsstreit zu terminieren und zu entscheiden.
Hinreichende Erfolgsaussicht habe bestanden, da sich das SG zu weiterer Sachaufklärung habe gedrängt fühlen müssen.
Der Senat hat die Beschwerde zurückgewiesen, weil die Klage keine Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Auf die Gründe des Beschlusses
vom 27.12.2013 - L 17 U 594/13 B - wird Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Gegenvorstellung vom 04.06.2014. Sie bezweckt - so der Kläger in der Antragsbegründung vom 24.07.2014
- "eine Überprüfung der bisherigen ablehnenden PKH-Entscheidungen" (zur Gegenvorstellung des Klägers gegen die PKH-Ablehnung
für das Berufungsverfahren vgl. den heutigen Senatsbeschluss L 17 SF 600/14 G) "im Hinblick auf die Erörterung mit dem Kläger im Termin am 30.04.2014". Dort habe der Vorsitzende des Senats große Bedenken
hinsichtlich des Ablaufs des PKH-Bewilligungsverfahrens in der ersten Instanz geäußert und dem Kläger eine Dienstaufsichtsbeschwerde
nahegelegt. Im Termin vor dem SG habe der Vorsitzende die Bewilligung von PKH für den Fall der Klagerücknahme in Aussicht gestellt.
II. Die Gegenvorstellung ist unzulässig. Sie ist zwar - auch nach der Einführung der Anhörungsrüge durch §
178a des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) - grundsätzlich weiter statthaft (Fichte, in: Breitkreuz/Fichte, Komm. zum
SGG, 2. Aufl., Rn. 9 zu § 178a). Sie ist aber nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer schlüssig geltend macht, ihm sei grobes
prozessuales Unrecht zugefügt worden, das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden müsse (BSG, Beschluss vom 25.02.2010, B 11 AL 22/09; Fichte, aaO.; Darstellung der Rechtsprechung ohne eigene Stellungnahme ausführlich
bei Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., Rn. 12 zu § 178a).
1. Dies ist hier nicht der Fall, da kein grobes prozessuales Unrecht darin liegt, dass der Senat mangels Erfolgsaussicht der
Klage die Versagung der PKH durch das SG im Ergebnis gebilligt hat. Nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Satz 1 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) ist die Bewilligung der PKH an eine hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung gebunden. Diese bestand
nicht. Auf die Gründe des Senatsbeschlusses vom 27.12.2013 - L 17 U 594/13 B - wird insoweit verwiesen.
2. Der Kläger greift den Beschluss vom 27.12.2013 auch nicht mehr inhaltlich an, sondern hält dessen Überprüfung im Wege der
Gegenvorstellung für geboten, weil das Verfahren vor dem SG fehlerhaft gewesen und ihm hierdurch ein Schaden entstanden sei. Mangels rechtzeitiger Entscheidung über das PKH-Gesuch habe
mit dem Klägerbevollmächtigten das weitere Vorgehen, insbesondere die Gebührenfrage, nicht erörtert werden können. Anders
als im Berufungsverfahren, in dem PKH vor Durchführung der mündlichen Verhandlung versagt worden sei, habe der Klägerbevollmächtigte
den Termin vor dem SG letztlich wahrgenommen. Hierdurch seien dem Kläger zusätzliche Kosten entstanden. Bei einer rechtzeitigen negativen Entscheidung
über die PKH wäre - so der Bevollmächtigte des Klägers - das Mandat sofort niedergelegt und der Termin nicht wahrgenommen
worden.
Die vorgebrachten Argumente machen deutlich, dass es dem Kläger um Ersatz des finanziellen Schadens geht, den er durch die
seiner Ansicht nach pflichtwidrige Sachbehandlung durch das SG erlitten hat. Seinen Sachvortrag als gegeben unterstellt, hat der Kläger dann aber keinen Anspruch auf PKH (dazu nachstehend
a), sondern allenfalls auf Schadenersatz aus Amtshaftung (dazu nachstehend b). Dieser Anspruch ist nicht im PKH-Bewilligungsverfahren
vor den Sozialgerichten, sondern, ggfs. nach erfolgloser Durchführung des Verwaltungsverfahrens, vor den ordentlichen Gerichten
geltend zu machen (dazu c).
a) Eine amtspflichtwidrige Verfahrensführung liegt in erster Instanz tatsächlich vor, sie führt aber nicht zur Bewilligung
von PKH. Für Hauptsacheverfahren ist anerkannt, dass über einen Antrag auf Bewilligung von PKH vor einer Entscheidung in der
Hauptsache, insbesondere vor einer anberaumten mündlichen Verhandlung, zu entscheiden ist. Über einen spruchreifen Bewilligungsantrag
darf nicht erst zusammen mit der Hauptsache entschieden werden (BVerfG, Beschluss vom 26.06.2003, 1 BvR 1152/02, [...] Rn. 11; BSG, Beschluss vom 04.12.2007, B 2 U 165/06 B, SozR 4-1500 § 62 Nr. 9, [...] Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.07.1998, 16 WF 44/98; Beschluss vom 14.05.1991, 16 WF 65/91; Beschluss vom 31.08.1989, 16 WF 142/89, alle [...]; LSG NRW, Beschluss vom 06.04.2011, L 12 AS 74/11 B ER, L 12 AS 75/11 B ER, [...]; Straßfeld in Jansen,
SGG, 4. Aufl., §
73a Rn. 39 m.w.N.; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
73a Rn. 11 m.w.N.). Wenn das Gericht trotz seines Hinweises vom 07.05.2013 eine mündliche Verhandlung anberaumte ohne zuvor über
die PKH zu entscheiden, durfte der Kläger angesichts seiner dreimaligen Bitte um Entscheidung über die PKH darauf vertrauen,
dass diese nicht mangels Erfolgsaussicht versagt werde (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.07.1998, aaO.; zustimmend LSG
NRW, aaO., Rn. 7).
Allerdings stimmt der Senat dem OLG Karlsruhe (aaO.) nicht in dessen Ansicht zu, dass - wenn PKH erst nach mündlicher Verhandlung
und Klageabweisung abgelehnt wird, weil die Klage von Anfang an ohne Erfolgsaussicht gewesen sei - der durch diese Art der
Verfahrensgestaltung geschaffene Vertrauenstatbestand verbiete, nachträglich nach Erlass des klageabweisenden Urteils Prozesskostenhilfe
zu verweigern. Die amtspflichtwidrige Inanspruchnahme von Vertrauen berechtigt das Gericht nicht dazu, dem Kläger anstelle
von Schadenersatz einen Anspruch zuzubilligen, dessen gesetzliche Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
b) Mangels Rechtsschutzlücke kommt auch eine analoge Anwendung des Anspruchs auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Satz 1 der
ZPO nicht in Betracht, denn einen evtl. Schadenersatzanspruch - der an andere rechtliche Voraussetzungen geknüpft ist als die
Bewilligung von PKH - kann der Kläger im Wege der Amtshaftung (§
839 Abs.
1 BGB) geltend machen.
Soweit nach §
839 Abs.
2 Satz 1
BGB ein Richter, der bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflichten verletzt, für den daraus entstehenden Schaden nur
dann verantwortlich ist, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht, gilt diese Privilegierung nach §
839 Abs.
2 Satz 2
BGB nicht im Falle der hier in Betracht kommenden pflichtwidrigen Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts. Satz 2
spricht hierbei nur die Selbstverständlichkeit aus, dass pflichtwidrige Untätigkeit des Richters keine fehlerhafte Tätigkeit
bei einem Urteil ist (BGH, Urteil vom 04.11.2010, III ZR 32/10, BGHZ 187, 286). Sollte sich der vom Kläger behauptete und von seinem Bevollmächtigten bestätigte Vortrag erweisen lassen, dass dem Kläger
PKH (nur) für den Fall der Klagerücknahme angeboten (und demnach inzident mit deren Versagung gedroht wurde, um den Kläger
zur Klagerücknahme zu bewegen), käme es aber auf diese Abgrenzung auch gar nicht an (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/Eser,
StGB, §
240 Rn. 38 zu Abs.
4 Nr.
3).
Ohnehin ergibt sich aber der Maßstab für eine etwaige Amtshaftung für eine fehlerhafte Entscheidung in einem Prozesskostenhilfeverfahren
nicht aus §
839 Abs.
2 BGB, denn Entscheidungen im Prozesskostenhilfeverfahren unterliegen nicht dem sog. Richterspruchprivileg aus §
839 Abs.
2 BGB (BGH, 06.10.1983, III ZR 61/82, LM Nr.
16 zu §
839 (G)
BGB; OLG Frankfurt, 28.01.2011, 1 W 37/10, NVwZ-RR 2011, 668; OLG München, 25.11.2011, 1 W 2105/11, [...]; OLG Frankfurt, 20.03.2013, 1 W 42/12, [...]; zweifelnd LSG Brandenburg, 25.04.2002, 4 U 56/12, [...]). Auch bei richterlichen Amtspflichtverletzungen außerhalb des Anwendungsbereichs des §
839 Abs.
2 Satz 1
BGB ist allerdings der Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu beachten (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2013,
1 W 42/12, [...]). Soweit in solchen Fällen im Amtshaftungsprozess darüber zu befinden ist, ob ein Richter bei der Rechtsanwendung
und Gesetzesauslegung schuldhaft amtspflichtwidrig gehandelt hat, kann dem Richter in diesem Bereich ein Schuldvorwurf nur
bei besonders groben Verstößen gemacht werden; inhaltlich läuft das auf eine Haftung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit
hinaus (BGH, Urteil vom 03.07.2003, III ZR 326/02, BGHZ 155, 306). Das richterliche Verhalten bei der Prozessführung ist im Amtshaftungsprozess nur auf seine Vertretbarkeit hin zu überprüfen
(BGH, Urteil vom 04.11.2010, III ZR 32/10, BGHZ 187, 286). Der Sachverhalt mit immerhin drei reaktionslos verlaufenen Erinnerungen legt allerdings nahe, dass hier die gebotene Amtshandlung
vorsätzlich unterlassen wurde.
c) Eine abschließende Prüfung ist dem Senat verwehrt, da er im PKH-Verfahren nicht über andere Ansprüche und angesichts der
Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Amtshaftungsansprüche (Art.
34 Satz 3 des
Grundgesetzes, §
17 Abs. 2 Satz 2 des
Gerichtsverfassungsgesetzes) insbesondere auch über diese nicht entscheiden kann.