Übernahme ungedeckter Heimkosten für verstorbene Antragstellerin
Einstweiliger Rechtsschutz
Höchstpersönlicher Charakter des Anspruchs auf Sozialhilfeleistungen nach SGB XII
Übergang des Anspruchs auf Sozialhilfeleistungen auf einen Dritten (hier auf den Ehemann der Verstorbenen)
Weiterverfolgung des Anspruchs auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld durch den Ehemann der verstorbenen Antragstellerin
Gründe
I.
Streitig ist im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme von Kosten, die durch die Unterbringung der vormaligen
Antragstellerin in einem Pflegeheim entstanden sind.
Die am 00.00.1936 geborene und am 00.10.2015 verstorbene vormalige Antragstellerin N U befand sich seit dem 24.06.2014 in
vollstationärer Pflege in dem von der Beigeladenen betriebenen Pflegeheim "K-haus" in H. Sie bezog eine Altersrente i.H.v.
ca. 800 EUR (seit Oktober 2014: 875 EUR); seit Juli 2014 erhielt sie außerdem Leistungen der Pflegestufe III aus der Gesetzlichen
Pflegeversicherung. Der Ehemann der vormaligen Antragstellerin - der Beschwerdeführer - bezieht Pensionsbezüge i.H.v. ca.
2.240 EUR sowie eine Altersrente i.H.v. ca. 280 EUR.
Am 24.06.2014 beantragte die Beigeladene für die vormalige Antragstellerin beim Antragsgegner die Übernahme ungedeckter Heimkosten.
Über diesen Antrag wurde bisher nicht entschieden; insoweit ist inzwischen ein Klageverfahren wegen Untätigkeit beim Sozialgericht
Duisburg anhängig (S 48 SO 346/15).
Am 13.07.2015 hat die vormalige Antragstellerin um Eilrechtsschutz vor dem Sozialgericht Duisburg nachgesucht.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, weder sie noch ihr Ehemann verfügten über ausreichendes Einkommen zur Deckung der Kosten
der Heimunterbringung. Nach einer Aufstellung der Beigeladenen vom 11.06.2015 erreichten die rückständigen Beträge inzwischen
einen Betrag von 31.333,41 EUR; es drohe die Kündigung des Heimvertrages. Ferner liefen stetig zu hohe, nicht voll gedeckte
Versicherungsbeiträge zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung an. Der Antragsgegner habe bisher keine Entscheidung
über den Antrag getroffen, obwohl sie sämtlichen Mitwirkungsaufforderungen nachgekommen sei.
Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sei nicht erkennbar. Drohende unzumutbare
Nachteile seien nicht ersichtlich, denn der Heimvertrag sei bisher nicht gekündigt worden. Mit Bescheid vom 23.07.2015 hat
der Antragsgegner der vormaligen Antragstellerin Pflegewohngeld i.H.v. monatlich 767,19 EUR für den Zeitraum ab Juni 2014
gewährt.
Die mit Beschluss vom 28.07.2015 beigeladene Heimträgerin hat mitgeteilt, der Heimvertrag sei bisher nicht gekündigt worden;
eine Kündigung sei derzeit auch nicht beabsichtigt. Sie erwarte allerdings jedenfalls die Zahlung der Eigenanteile; eine Kündigung
behalte sie sich vor (Schriftsatz vom 29.07.2015).
Das Sozialgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 31.08.2015 abgelehnt. Die Antragstellerin habe einen drohenden Verlust
des Heimplatzes nicht glaubhaft gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses
Bezug genommen.
Hiergegen hat die vormalige Antragstellerin am 21.09.2015 Beschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe für die Durchführung
des Beschwerdeverfahrens unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten beantragt. Es bestehe dringende Eilbedürftigkeit, denn die
Beigeladene habe zwischenzeitlich begonnen, die rückständige Hauptforderung zu titulieren; insoweit sei vom Amtsgericht I
ein Mahnbescheid über einen Betrag von 28.778,47 EUR erlassen worden. Sie werde hierdurch in die Insolvenz getrieben. Eine
Weiterleitung der Rente direkt an die Beigeladene sei ihrem Ehemann mangels von der Bank akzeptierter Vollmacht bisher nicht
gelungen. Außerdem seien diverse näher bezeichnete Abzüge vom Einkommen beider Eheleute vorzunehmen.
Die Antragsgegnerin hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend und verweist auf ihren bisherigen Vortrag. Der Heimvertrag
sei nach wie vor nicht gekündigt worden. Zudem fehlten weiterhin Nachweise, die für die Entscheidung über den Antrag erforderlich
seien.
Am 00.10.2015 ist die vormalige Antragstellerin verstorben. Am 12.10.2015 ist der mit mit Schreiben des Gerichts vom 02.10.2015
angeforderte PKH-Vordruck bei Gericht eingegangen. Der Ehemann der vormaligen Antragstellerin hat mit Schreiben vom 20.10.2015
mitteilen lassen, er führe das Verfahren als Sonderrechtsnachfolger im materiellen Rechtssinne des §
56 Abs.
1 Nr.
1 und Abs.
4 SGB I - nicht als gesetzlicher Erbe nach dem
BGB - zunächst fort. Eine Entscheidung über den Verzicht auf die Sonderrechtsnachfolge behalte er sich vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
A. Die statthafte und auch im Übrigen gem. §§
172,
173 SGG zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Das Eilverfahren wurde durch den Tod der vormaligen Antragstellerin nicht unterbrochen. Zwar tritt mit dem Tod eines Beteiligten
nach §
202 S. 1
SGG i.V.m. §
239 ZPO grundsätzlich eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein. Dies gilt jedoch nach
§
202 S. 1
SGG i.V.m. §
246 Abs.
1 ZPO nicht, wenn - wie hier - eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfand.
2. Der Ehemann der vormaligen Antragstellerin ist als Beschwerdeführer prozessführungsbefugt, da er sich des im Eilverfahren
verfolgten Anspruchs als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau berühmt. Das Rubrum ist entsprechend geändert
worden.
3. Der Beschwerdeführer dringt jedoch mit dem Begehren, den Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem
SGB XII zu verpflichten, nicht durch.
Gemäß §
86b Abs.
2 S. 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).
Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen eines materiell-rechtlichen
Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund)
glaubhaft (i.S.v. überwiegend wahrscheinlich; vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03) macht (§
86b Abs.
2 S. 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund allerdings nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr zwischen
beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw.
Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt.
Darüber hinaus können sich aus Art.
19 Abs.
4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht
mehr zu beseitigen wären. Die Gerichte müssen in solchen Fällen bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache,
also dem Bestehen eines Anordnungsanspruchs, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Das
gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt
und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Ist dem Gericht eine vollständige
Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch
in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. zu alledem
BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).
a. Ausgehend von diesen Kriterien mag offen bleiben, ob die verstorbene vormalige Antragstellerin zu Lebzeiten einen Anspruch
auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII hatte (es spricht allerdings alles dafür, dass auch nach dem Einsatz des zu berücksichtigenden Einkommens beider Eheleute
ungedeckte Heimkosten verblieben sind; der Antragsgegner hat offensichtlich bisher nur deswegen nicht entschieden, weil aus
seiner Sicht die endgültige Höhe des Anspruchs noch nicht errechnet werden konnte).
Denn ein ggf. bestehender Anspruch der verstorbenen Antragstellerin auf Übernahme ungedeckter Heimkosten aus § 61 SGB XII ist nicht auf den Beschwerdeführer in gesetzlicher Sonderrechtsnachfolge (§
56 Abs.
1 SGB I) übergegangen. Er ist daher auch nicht Inhaber dieses nunmehr im eigenen Namen geltend gemachten Anspruchs und somit nicht
aktivlegitimiert.
aa. Ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen kann wegen seines höchstpersönlichen Charakters grundsätzlich nicht im Wege der
Sonderrechtsnachfolge (§
56 SGB I) - und auch nicht im Wege der Vererbung (§
58 SGB I, §§
1922 ff.
BGB) - auf einen Dritten übergehen, wenn nach dem Tode des Hilfesuchenden die Leistung nicht mehr der Erfüllung des mit ihr verfolgten
Zwecks dienen würde; denn eine (etwa vorhanden gewesene) Notlage in der Person des Hilfebedürftigen lässt sich nach dessen
Tod nicht mehr beheben. Der Anspruch geht deshalb mit dem Tod unter, und zwar unabhängig von einer etwaigen Rechtshängigkeit
(vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2014 - B 8 SO 14/13 R; Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 17 SGB XII, Rn. 28).
Die hiervon als Ausnahme anerkannte Fallgestaltung, dass der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im
Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht
rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat (vgl. dazu Coseriu, a.a.O., § 17 SGB XII, Rn. 28), ist im vorliegenden Fall von vornherein nicht einschlägig. Denn bei der vormaligen Antragstellerin ist kein Dritter
anstelle des Sozialhilfeträgers eingetreten.
bb. Ein Anspruch auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld - wie er hier vom Beschwerdeführer weiter verfolgt wird
- steht nach der Sonderregelung des § 19 Abs. 6 SGB XII, soweit die Leistung dem Berechtigten erbracht worden wäre, nach dessen Tode vielmehr allein demjenigen zu, der die Leistung
erbracht oder die Pflege geleistet hat. Damit ist ein besonderer Fall der Sonderrechtsnachfolge im Sinne einer cessio legis
geregelt (BSG, Urteil vom 13.07. 2010 - B 8 SO 13/09 R). Ein ggf. bestehender materiell-rechtlicher Leistungsanspruch der vormaligen Antragstellerin
ist nach Maßgabe dieser Vorschrift also mit ihrem Tod auf den Heimträger (Beigeladene) übergegangen, nicht aber auf den/die
Rechtsnachfolger (vgl. Grube in ders./Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 19 Rn. 24).
cc. Ist der Beschwerdeführer aber in Bezug auf den begehrten Anspruch bereits nicht aktivlegitimiert, kann er auch nicht die
vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners verlangen, ihm Leistungen nach dem SGB XII zu zahlen.
b. Ob zu Lebzeiten der vormaligen Antragstellerin ein Eilbedürfnis (= Anordnungsgrund) vorgelegen hat, mag hiernach offen
bleiben. Das Sozialgericht hat jedoch zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats verwiesen, wonach
ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist, solange der mit der Pflegeeinrichtung geschlossene Heimvertrag nicht gekündigt
ist (vgl. Senat, Beschluss vom 04.06.2012 - L 20 SO 131/12 B ER; Beschluss vom 23.08.2012 - L 20 SO 312/12 B ER). Dies war
hier ungeachtet der betriebenen Titulierung von Zahlungsrückständen nicht der Fall.
B. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren (§
73a SGG i.V.m. §§
114 ff.
ZPO) bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
Denn grundsätzlich kommt nach dem Tod des Antragstellers keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe mehr in Betracht (vgl. Leitherer
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
73a Rn. 11a m.w.N.). Dabei kann der Senat die umstrittene Frage, ob Prozesskostenhilfe wegen ihres höchstpersönlichen Charakters
nach dem Tode des Antragstellers generell nicht mehr geltend gemacht werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 02.12.1987 - 1 RA 25/87 Rn. 4), oder ob hiervon eine Ausnahme zu machen ist, wenn der Prozesskostenhilfe-Antrag bereits vor dem Tode des Antragstellers
entscheidungsreif gewesen ist (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 15.04.2014 - L 8 SO 1450/12 B Rn. 8), offen lassen. Denn
der Zeitpunkt der Entscheidungsreife tritt regelmäßig dann ein, wenn der Antrag entsprechend den Vorgaben in §
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
117 ZPO, insbesondere unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der erforderlichen
Belege, gestellt ist und die übrigen Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt haben. Nach dieser Maßgabe war der Prozesskostenhilfe-Antrag
der vormaligen Antragstellerin am 12.10.2015 mit dem Eingang des ausgefüllten und unterschriebenen Vordrucks entscheidungsreif.
Zu diesem Zeitpunkt war die vormalige Antragstellerin jedoch bereits verstorben.
Nur der Vollständigkeit halber stellt der Senat klar, dass dem Beschwerdeführer - der bisher keinen Prozesskostenhilfe-Antrag
gestellt hat - mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Eilantrags ebenfalls keine Prozesskostenhilfe zustünde.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
D. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).