Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorläufig die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Antragsteller ist kolumbianischer Staatsangehöriger. Er reiste gemeinsam mit seinem spanischen Ehemann J E B T (B.T.)
im Mai 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Eine Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU) wurde ihm am 14.05.2013 für 5 Jahre erteilt. Erstmals zeigte B.T. dem Antragsgegner am 13.01.2014 seine Arbeitsunfähigkeit
an. In den folgenden Monaten legte er ebenfalls entsprechende Bescheinigungen seines behandelnden Arztes vor. Auch im Dezember
2014 konnte B.T. Meldetermine des Antragsgegners aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen. Der behandelnde Internist
Dr. B bescheinigte ihm am 08.12.2014 "bis auf weiteres" eine Wegeunfähigkeit, die der Internist Dr. W auch für die Monate
Mai bis Juli 2015 bestätigte. Nachweise über eine (ab Einreise oder später erfolgte) Arbeitsuche von B.T. liegen nicht vor.
Der Antragsgegner bewilligte der Bedarfsgemeinschaft antragsgemäß durchgehend Leistungen vom 01.07.2013 bis zum 30.06.2015,
zuletzt in Höhe von 1.060,00 EUR monatlich. Den Fortzahlungsantrag vom 19.05.2015 lehnte er mit (mit dem Widerspruch angefochtenem)
Bescheid vom 18.06.2015 ab, weil der Antragsteller gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Sein Ehemann sei zwar EU-Bürger, sei aber bislang keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen.
Auf den vom Antragsteller am 23.06.2015 beim Sozialgericht Mainz (SG) gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das SG durch Beschluss vom 02.09.2015 den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von
545,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum 30.11.2015 zu gewähren. Der Antragsteller habe sowohl einen Anordnungsanspruch
als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er sei insbesondere nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 3 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Zudem sei er aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht nach Nr. 2 dieser Vorschrift ausgeschlossen. Es sei
möglich, dass er bereits tatbestandlich nicht unter diese Ausschlussregelung falle. Vieles spreche dafür, dass das Aufenthaltsrecht
des Ehemannes nach § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU in Folge des über sechs Monate dauernden Aufenthalts und nicht erbrachter Nachweise über eine Erfolg versprechende Arbeitsuche
weggefallen sein könnte, der Ehemann und der Antragsteller also nur noch über ein formelles Aufenthaltsrecht aus der Freizügigkeitsvermutung
verfügen würden. Dies würde bedeuten, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nach dem insoweit klaren Wortlaut der Regelung nicht zum Zug käme und dem Antragsteller ein Anspruch auf Arbeitslosengeld
II zustünde. Der gegenteiligen Auffassung (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 - L 1 AS 2338715 ER-B), wonach
der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch bei ausländischen Staatsangehörigen und ihren Familienangehörigen greife, die über kein (materielles) Aufenthaltsrecht
verfügten, könne im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut, der die äußersten Grenzen funktionell vertretbarer und
verfassungsrechtlich zulässiger Sinnvarianten abstecke, nicht gefolgt werden.
Selbst wenn der Ehemann des Antragsteller weiterhin über ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU verfügen sollte, so dass der Antragsteller unter § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II fallen würde, dürfte diese Ausschlussregelung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zur Anwendung kommen. Nach Auffassung
der Kammer sei sie verfassungswidrig und wäre im Rahmen des Hauptsacheverfahrens gemäß Art.
100 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorzulegen. Der Ausschlusstatbestand verstoße gegen das Grundrecht
auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG, wie es vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 09.02.2010 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - konstituiert worden sei. Die Unverfügbarkeit dieses Grundrechts resultiere aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung
der Menschenwürde nach Art.
1 Abs.
1 GG. Dass das BVerfG die Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" hervorgehoben habe, bringe lediglich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber
hinsichtlich Art und Höhe der Existenzsichernden Leistungen einen Gestaltungsspielraum habe, bedeute aber keine Einschränkungsbefugnis.
Die Gewährung Existenzsichernder Leistungen dürfe daher nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen
des Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden. Ohne anderweitige Kompensationsmöglichkeit schließe der vollständige Ausschluss
auf Leistungen nach dem SGB II eine Sicherung des Existenzminimums bereits dem Grunde nach aus.
Hiergegen haben der Antragsteller am 17.09.2015 und der Antragsgegner am 25.09.2015 Beschwerde eingelegt.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen in Höhe von 1.065, 00 EUR monatlich
zuzüglich Zinsen, denn der Antrag betreffe nicht nur ihn, sondern auch seinen Ehemann. Der Anspruch ergebe sich aus seinem
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art
20 Abs.
1 GG.
Der Antragsgegner verweist auf die Entscheidung des EuGH vom 15.09.2015 - C-67/14 und beruft sich auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Zur Ergänzung des Sach und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte des
Antraggegners. Er ist Gegenstand der Beratung und der Entscheidung gewesen.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Zu Unrecht hat das SG den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von 545,00 EUR monatlich für den
Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum 30.11.2015 zu gewähren. Der Antragsteller hat bereits einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft
gemacht, so dass seine Beschwerde zurückzuweisen ist.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Für den Erlass einer solchen Regelungsanordnung bedarf es eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds, also eines
materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Leistungen, zu denen der Antragsgegner einstweilen verpflichtet werden soll, sowie
eines die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründenden Anordnungsgrundes. Die Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes
sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO). An die Glaubhaftmachung sind umso niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit einer Versagung des einstweiligen
Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, wobei grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung
einzustellen sind, insbesondere wenn es wie hier um Leistungen geht, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens
dienen (Beschluss des Senats vom 21.08.2012 L 3 AS 250/12 B ER mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Kammerbeschluss vom 12.05.2005 1 BvR 569/05). Ist allerdings ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in
Betracht. Nur wenn im einstweiligen Anordnungsverfahren die Sach und Rechtslage nicht abschließend geklärt werden, ist aufgrund
einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, wobei den grundrechtlichen Belangen besondere Bedeutung zukommt.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Antragsgegner nicht verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
1. Für den Antragsteller, der sein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU aus dem Aufenthaltsrecht seines Ehemannes ableitet, ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Er ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sich sowohl sein als auch das Aufenthaltsrecht seines Ehemannes allein aus dem Zweck der Arbeitsuche
ergibt.
a. Der Leistungsausschluss gilt auch für den Fall, dass das Aufenthaltsrecht seines Ehemannes nach § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU in Folge des über sechs Monate dauernden Aufenthalts und nicht erbrachter Nachweise über eine Erfolg versprechende Arbeitsuche
weggefallen ist, sich beide also bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU über das Nichtbestehen eines Freizügigkeitsrechts noch in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten dürften und sie erst nach
einer entsprechenden Feststellung der Ausländerbehörde (§ 7 Abs.1 Satz 1 FreizügG/EU) ausreisepflichtig wären.
b. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB II schließt nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut ( ... ausgeschlossen sind ...) einen an sich unter den Voraussetzungen des
Abs. 1 bestehenden Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den dort genannten Personenkreis aus, so dass der ausdrücklich genannte und vom Leistungsausschluss betroffene Personenkreis
nicht zu den nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gehört. Der Leistungsausschluss betrifft nach Nr. 2 der Vorschrift Ausländerinnen und
Ausländer, wenn sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, also keine sonstigen Gründe nach §
2 Abs. 2 FreizügG/EU für die Unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung gegeben sind. Der Zweck der Arbeitsuche gewährt EU-Bürgern und ihren
Familienangehörigen (vgl. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU) nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a FreizügG/EU zwar ein Recht auf Einreise und Aufenthalt (Aufenthaltsrecht), verschafft ihnen aber keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II. Dies, obwohl diese Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU für bis zu sechs Monate unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können,
dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.
Entfällt nun der ein Aufenthaltsrecht begründende und schon zum Leistungsausschluss führende Zweck der Arbeitsuche, führt
dies nicht zu einem Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die Vorschrift, die bei einem sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebenden Aufenthaltsrecht insoweit zu Lasten der
EU-Bürger und ihrer Familienangehörigen eingeführt worden ist, würde bei einer anderen Lesart sinnwidrig ins Gegenteil verdreht
werden: EU-Bürger (und deren Familienangehörigen), die über ein "materielles" Aufenthaltsrecht aus dem Zweck der Arbeitsuche
und damit über einen legitimen Grund für die unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland
verfügen, würden gegenüber denjenigen benachteiligt, die nicht (mehr) über einen solchen materiellen Status verfügen, also
ein "weniger" hätten. Der Gesetzgeber unterscheidet daher (konsequenterweise) nicht zwischen den Ausländerinnen und Ausländern,
die zunächst ein entsprechendes "materielles" Aufenthaltsrecht hatten und solchen, die sich lediglich (ohne entsprechendes
aus § 2 Abs. 2 FreizügG/EU resultierendes Aufenthaltsrecht) in der Bundesrepublik noch aufhalten dürfen, weil die Ausländerbehörde das Nichtbestehen
eines Freizügigkeitsrechts (noch) nicht nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU festgestellt hat. Der Leistungsausschluss betrifft auch (und erst Recht) diejenigen Ausländerinnen und Ausländer, bei denen
ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche nicht bestanden hat oder fortgefallen ist und kein anderes materielles Aufenthaltsrecht
feststellbar ist.
Ob man während dieser Zeitspanne - also vom Wegfall des Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU bis zur Feststellung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU - überhaupt von einem "formellen" Aufenthaltsrecht (im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU) dieses Personenkreises sprechen kann, ist im Hinblick auf den Wortlaut dieser Vorschrift fraglich. § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU setzt voraus, dass die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 entfallen sind oder nicht vorliegen, damit der Verlust dieses Rechts festgestellt werden kann und die Ausreisepflicht
nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU besteht. Liegen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1, 2 FreizügG/EU nicht (mehr) vor, kann es auch kein "formelles" Aufenthaltsrecht (nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU) geben. Dies kann im Ergebnis aber dahinstehen, denn bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde halten sich diese Personen
rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf. Das "Aufhaltendürfen" ist ebenso Ausfluss der Regeln des Binnenmarktes für
Unionsbürger wie das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche; es beruht gerade auf der Privilegierung durch die Freizügigkeitsvermutung.
Nur diese Lesart der Vorschrift wird im Übrigen auch Sinn und Zweck der Regelung gerecht, eine "Einwanderung in die Sozialsysteme"
(so zutreffend LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 - L 2 AS 14/15 B ER, vgl auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 - L 1 AS 2338/15 ER-B) unter Ausnutzung der Möglichkeiten, die die Freizügigkeit für EU-Ausländer innerhalb des EU-Binnenmarktes bietet, zu
verhindern. Aus dem Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks 16/688) wird deutlich, dass mit der Einführung
des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eine Regelung getroffen wurde für alle Ausländerinnen und Ausländer, die von ihrem Recht nach der Unionsbürgerschaft Gebrauch
machen, nach Deutschland einzureisen, ohne einen anderen anerkannten Aufenthaltsgrund nach dem FreizügG/EU zu haben, als die Arbeitsuche. In Ziffer B der Einleitung in der Gesetzesbegründung heißt es "Ausschluss von Leistungen für
EU-Bürger und ihre Familienangehörigen, die zuvor nicht in Deutschland gearbeitet haben, sondern zur Arbeitsuche nach Deutschland
einreisen". Dies bedeutet, dass es ohne Belang ist, ob sich die Betroffenen auf ein materielles Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche
oder aber nur auf ein "Aufhaltendürfen" berufen können. Andernfalls würde dies dazu führen, dass Ausländerinnen und Ausländer,
die nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügen bzw. möglicherweise von Anfang an ein entsprechendes Recht
nicht hatten, bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU und einer sich erst danach ergebenden Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU entgegen der klaren Intention des Gesetzgebers, nämlich keine Einwanderung in die Sozialsysteme zu ermöglichen, Anspruch
auf Leistungen nach dem SGB II hätten.
c. Die gegenteilige Auffassung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.06.2015 - L 19 AS 717/15 B ER und 17.08.2015 - L 19 AS 1265/15 B ER, L 19 AS 1266/15 B; LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 - L 6 AS 62/15 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2015 - L 31 AS 1258/ 1, in dem ausgeführt ist: "Wer nur zum Sozialleistungsmissbrauch
eingereist ist, ist nach keiner Regelung des SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen, da § 7 Abs. a Satz 2 Nr. 2 SGB II nur tatsächlich Arbeitsuchende betrifft.") ist aus den oben genannten Gründen weder mit dem Wortlaut und dem eindeutigen
Regelungsgehalt der Vorschrift noch mit ihrem Sinn und Zweck vereinbar. Auch der Einwand (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015
a.a.O., [...], Rn. 52) bezüglich der Besserstellung von Personen, die trotz vollziehbarer Ausreisepflicht leistungsberechtigt
nach dem
AsylbLG seien, überzeugt nicht. Für die unterschiedliche Behandlung der beiden Personengruppen ist ein hinreichender Differenzierungsgrund
gegeben (vgl. LSG, Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 - L 1 AS 2338/15, [...] Rz. 34). Bei den Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) handelt es sich um ein eigenes, spezielles Leistungssystem zur Sicherung des Lebensbedarfs, das primär an den ungesicherten
Aufenthaltsstatus anknüpft (vgl. Oppermann, jurisPK-SGB XII, §
1a AsylbLG Rz. 18). Es handelt sich bei den Leistungsberechtigten um Personen, die in der Regel - anders als EU-Ausländer - nicht ohne
weiteres in ihr Heimatland zurückkehren können. Diese Personen sind häufig aus ganz unterschiedlichen Gründen an der umgehenden
Ausreise gehindert und sind deshalb schutzbedürftiger als EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht, deren umgehender Rückkehr
in ihr Heimatland keinerlei Hindernisse entgegenstehen.
2. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt nicht gegen das Recht der Europäischen Union, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) mittlerweile mit Urteil vom
15.09.2015 (C-67/14) entschieden hat (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 31.03.2014 - L 3 AS 598/13 B ER, 04.11.2014 - L 3 AS 487/14 B ER, 12.03.2015 - L 3 AS 110/15 B ER und LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.10.2015 - L 6 AS 454/15 B ER, L 6 AS 455/15 B).
3. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nach Ansicht des Senats auch nicht verfassungswidrig. Er verstößt nicht gegen das Grundrecht des Antragstellers auf Gewährung
eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG.
a. Gemäß Art.
1 Abs.
1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Alle staatliche Gewalt muss sie achten und schützen; sie ist migrationspolitisch
nicht zu relativieren. Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht als Menschenrecht deutschen
und ausländischen Staatsbürgern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, grundsätzlich gleichermaßen zu (so
BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL10/10, 1 BvL 2/11).
Der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen
Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen
und politischen Leben unerlässlich sind. Der Umfang dieses Anspruchs hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das
für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen
und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot aus Art.
20 Abs.
1 GG hält den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen
Existenzminimums zu erfassen. Der Staat ist im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines
sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, die materiellen Voraussetzungen für Hilfebedürftige zur Verfügung zu
stellen (BVerfG, a.a.O., Rn. 63, [...]). Dies ist eine objektive Verpflichtung des Staates, die mit einem individuellen Leistungsanspruch,
der allerdings der Ausgestaltung durch ein Gesetz bedarf, korrespondiert.
Entgegen der Ansicht des SG gebietet indes das
Grundgesetz nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 BvR 2556/09, [...] Rz. 13). Vielmehr liegt es in der politischen Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers im Rahmen des ihm zustehenden
Gestaltungsspielraums zu bestimmen, welche Leistungen in welcher Höhe zur Existenzsicherung gewährt werden und die hierbei
erforderlichen Wertungen vorzunehmen. Der parlamentarischen Gesetzgeber hat den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge
zu konkretisieren. Ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibt grundsätzlich ihm überlassen.
Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung
des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung
der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG, Beschl. v. 9.2.2010 - 1/BvL 1/09 u.a., [...] Rz. 138).
b. In Ausübung seines Gestaltungsspielraums hat der parlamentarische Gesetzgeber - nach Auffassung des Senats ausreichende
- Regelungen bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung getroffen. Nach der Willensbildung des parlamentarischen
Gesetzgebers können solche heute nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch, dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch und dem
Asylbewerberleistungsgesetz beansprucht werden. Der gemeinsame verfassungsrechtliche Kern aller drei heutigen Existenzsicherungssysteme ist das Grundrecht
auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
1 GG (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 25.06.2015 - B 14 AS 17/14 R unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 -1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Die erfolgten Differenzierungen hinsichtlich der Leistungshöhe in Abhängigkeit von den Besonderheiten bestimmter Personengruppen
sind zulässig (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.7.2012, aaO, Rz. 73) und schließen die strukturelle Gleichwertigkeit der drei Leistungssysteme
nicht aus (vgl BSG, Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 66/08 R).
c. Unter Berücksichtigung der bestehenden Regelungen zur Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung ist das Grundrecht
des Antragstellers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht verletzt. Er kann darauf verwiesen werden,
Leistungen seines Heimatlandes zur Sicherung seines Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen oder von seinem Freizügigkeitsrecht
innerhalb des Hoheitsgebiets der EU Gebrauch zu machen. Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht
allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, hat der Gesetzgeber den Nachrang des Deutschen Sozialleistungssystems gegenüber
dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (so auch LSG Bayern, Beschluss vom 13.10.2015
- L 16 AS 612/15 ER und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 - L 1 AS 2338/15 ER-B). Auch der aus dem gesetzlichen Leistungsausschluss resultierende faktische Zwang ins Herkunftsland zurückkehren oder
in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu müssen, weil es ihm nicht möglich ist, seinen Lebensunterhalt in der Bundesrepublik
Deutschland sicherzustellen, stellt keine Verletzung seines Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
dar. Er ist vergleichbar mit der Situation von Auszubildenden und Studenten, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt
einsetzen müssen (so zu Recht und überzeugend LSG Bayern, a.a.O., unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des BVerfG zu denLeistungsausschlüsse
für Studenten und Auszubildende gemäß § 7 Abs. 5 SGB II vom 03.09.2014- 1 BvR 1768/11 und vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11).
d. Der dem
Grundgesetz verpflichtete Gesetzgeber hat auch keine aus Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art
20 Abs.
1 GG resultierende verfassungsrechtliche Pflicht über die bereits getroffenen Regelungen hinaus jedem Menschen, der sich - aus
welchen Gründen auch immer, also legal oder illegal - in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, voraussetzungslose Sozialleistungen
(vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 BvR 2556/09, [...] Rz. 13) zu gewähren und die drei heutigen Existenzsicherungssysteme, deren verfassungsrechtlicher Kern das Grundrecht
auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
1 GG ist, um eine weitere Regelung zu ergänzen (vgl. zur Handlungspflicht des Gesetzgebers BVerfG, Kammerbeschluss vom 26.10.1995
- 1 BvR 1348/95). Wie bereits ausgeführt, liegt es in der politischen Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers im Rahmen seiner insoweit
grundsätzlich freien Entscheidung zu bestimmen, welche Sozialleistungen in welcher Höhe gewährt werden und die hierbei erforderlichen
Wertungen vorzunehmen.
e. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des SG auch nicht aus den Grundsätzen, die der erste Senat in seiner Entscheidung vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11- für die nach dem
AsylbLG zu gewährenden Leistungen aufgestellt hat. Insbesondere ist hieraus nicht der Schluss zu ziehen, das BVerfG habe hier grundlegend
entschieden, dass jeder Mensch, der - aus welchen Gründen auch immer - in die Bundesrepublik Deutschland einreist und sich
hier aufhält, generell und voraussetzungslos über die bereits bestehenden Existenzsicherungssysteme Anspruch auf (dauerhafte)
staatliche Leistungen zur Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums unmittelbar aus der Verfassung hat. Abgesehen
davon, dass ausdrücklich nur über § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und §
3 Abs.
2 Satz 3 i.V.m. Abs.
1 Satz 4
AsylbLG sowie §
3 Abs.
2 Satz 2 Nr.
2 und Nr.
3 und §
3 Abs.
2 Satz 3 i.V.m. Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 des
AsylbLG (jeweils in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 2022) zu entscheiden war, ergibt sich insbesondere aus der Begründung, dass diese Erwägungen nicht allgemein in dem vom SG angenommenen Sinne zu verstehen sind, sondern mit Blick auf die konkrete Fragestellung, nämlich, ob die nach dem AsylblG
für diesen Personenkreis zu gewährenden Leistungen unter Berücksichtigung von Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art
20 Abs.
1 GG ausreichen, die entsprechenden Regeln also verfassungsgemäß sind (vgl. hierzu Ausführungen Rz. 68, 95).
4. Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde des Antragstellers, die sich gegen die Höhe der zugesprochenen Leistungen
richtet, unbegründet. Der Ehepartner des Antragstellers ist nicht Beteiligter des Verfahrens (vgl §
69 SGG). Der ehemalige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzweifelhaft
nur im Namen des Antragstellers gestellt. Nur der Antragsteller hat Beschwerde eingelegt. Sein Vorbringen, selbstverständlich
gehe es auch um die Ansprüche seines Ehepartners, ist rechtlich ohne Belang. Das SGB II kennt keinen Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft als solcher. Anspruchsinhaber sind jeweils alle einzelnen Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft, so dass das einzelne Mitglied schon deshalb nicht mit einer eigenen Klage oder einem Antrag die Ansprüche
aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verfolgen kann (grundlegend BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).