LSG Sachsen, Urteil vom 24.09.2019 - 9 KR 601/17
Anspruch auf Krankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung
Anforderungen an eine durchgehend attestierte Arbeitsunfähigkeit
Ausnahmefall einer unverzüglichen Geltendmachung seiner Rechte durch den Versicherten nach Kenntnisnahme der Fehlerhaftigkeit
einer AU-Bescheinigung
Die Feststellung und Meldung der Arbeitsunfähigkeit wird durch Umstände verhindert oder verzögert, die dem Verantwortungsbereich
der Krankenkasse und nicht dem des Versicherten zuzurechnen sind, wenn der Versicherte nach Erlangung der Kenntnis von der
Fehlerhaftigkeit einer AU-Bescheinigung seine Rechte bei der Krankenkasse innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V geltend gemacht hat, in dem er unverzüglich bei seiner behandelnden Ärztin vorsprach und die nachträglich (richtig) erstellte
AU-Bescheinigung zusammen mit einer AU-Folgebescheinigung noch am gleichen Tage einreichte.
Vorinstanzen: SG Leipzig 13.07.2017 S 8 KR 365/16
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Juli 2017 und der Bescheid vom
12. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Krankengeld
vom 20. April 2016 bis 11. Mai 2016 in Höhe von 42,90 EUR brutto und 37,75 EUR netto kalendertäglich zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Krankengeld (Krg) in Höhe von insgesamt 945,78 EUR (brutto) und 830,50 EUR (netto) für den Zeitraum
vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 (22 Tage).
Der 1963 geborene, als Instandhalter beschäftigte und bei der Beklagten versicherte Kläger erkrankte ab 15.01.2016 arbeitsunfähig
und bezog von der Beklagten ab 26.02.2016 Krg täglich in Höhe von 42,90 EUR brutto und 37,75 EUR netto. Bereits mit Schreiben
vom 29.02.2016 hat die Beklagte dem Kläger unter Beifügung eines Merkblattes unter anderem mitgeteilt, dass der Nachweis über
die Arbeitsunfähigkeit (AU) zur Vermeidung finanzieller Nachteile innerhalb von sieben Tagen bei ihr vorliegen müsse. Am 05.04.2016
attestierte die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. Y ... dem Kläger das Fortbestehen der
AU bis 19.04.2016 mit der Diagnose F45.0 (Somatisierungsstörung). Am 19.04.2016 stellte die Ärztin dem Kläger unter dem Datum
"05.04.2016" nochmals eine AU-Folgebescheinigung für die Zeit vom 05.04.2016 bis 19.04.2016 aus.
Am 12.05.2016 stellte Frau Dipl.-Med. Y ... zwei AU-Folgebescheinigungen aus: Eine unter dem Datum "19.04.2016" für die Zeit
vom 19.04.2016 bis 12.05.2016 und eine weitere vom 12.05.2016 bis 03.06.2016. Beide gingen der Beklagten am 12.05.2016 zu.
Mit Bescheid vom 12.05.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krg für die Zeit vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 ab, da der
Anspruch des Klägers in dieser Zeit ruhe. Die AU-Bescheinigung vom 19.04.2016 sei nicht innerhalb einer Woche, sondern erst
verspätet am 12.05.2016 bei ihr eingegangen; für eine rechtzeitige Meldung habe die Bescheinigung bis spätestens 27.04.2016
vorliegen müssen.
Dagegen legte der Kläger bei der Beklagten mit Schreiben vom 17.05.2016 Widerspruch ein. Sein Arbeitgeber habe ihn am 10.05.2016
telefonisch darauf aufmerksam gemacht, dass er unentschuldigt fehle und dies einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstelle.
Erst daraufhin habe er den Durchschlag seines Krankenscheines kontrolliert und festgestellt, dass der Meldezeitraum der gleiche
wie im vorherigen Krankenschein gewesen sei. Leider habe er es aufgrund seines Gesundheitszustandes versäumt, den Krankenschein
zu kontrollieren. Beigelegt hat der Kläger ein Schreiben von Frau Dipl.-Med. Y ... vom 20.05.2016. Der Kläger habe bei seiner
Vorstellung bei ihr am 05.04.2016 eine AU-Bescheinigung vom 05.04.2016 bis 19.04.2016 erhalten, die er fristgemäß bei der
Beklagten eingereicht habe. Bei seiner erneuten Vorstellung am 19.04.2016 sei versehentlich erneut die AU-Bescheinigung vom
05.04.2016 ausgedruckt worden, anstatt eine Folge-AU-Bescheinigung vom 19.04.2016 bis 12.05.2016. Dieser organisatorische
Fehler sei weder ihr noch dem Kläger noch der Beklagten aufgefallen. Als der Kläger am 12.05.2016 wieder bei ihr vorstellig
geworden sei, habe er nachträglich die AU-Bescheinigung vom 19.04.2016 bis 12.05.2016 erhalten, welche er folglich auch nur
verspätet habe einreichen können, sowie eine Folge-AU-Bescheinigung vom 12.05.2016 bis 03.06.2016.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Da sie erst am 12.05.2016 die
auf den 19.04.2016 datierte AU-Bescheinigung mit der weiteren Feststellung der AU über den 19.04.2016 hinaus erhalten habe,
sei die Meldefrist von einer Woche überschritten, weshalb der Krg-Anspruch in der Zeit vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 ruhe.
Die Meldung der AU sei Pflicht des Versicherten. Die Gefahr des Nichteinganges oder des nicht rechtzeitigen Einganges der
Meldung trage der Versicherte. Das habe zur Folge, dass die Ruhensvorschrift auch dann greife, wenn die rechtzeitig zur Post
gegebene Meldung dort verloren gehe und der Kläger unverzüglich nach Kenntnis von dem Verlust die AU-Meldung nachhole.
Dagegen hat der Kläger am 20.07.2016 Klage beim Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben. Er habe damals Antidepressiva eingenommen und sei psychisch nicht in der Lage gewesen, die AU-Bescheinigung zu
kontrollieren. Aber auch der Beklagten sei die Einreichung zweier identischer Krankenscheine nicht aufgefallen.
Mit Gerichtsbescheid vom 13.07.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Krg für die Zeit vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 gemäß § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ( SGB V), da der Anspruch nach Maßgabe des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruhe, solange die AU der Krankenkasse nicht innerhalb einer Woche nach Beginn der AU gemeldet werde. Da der Kläger die AU-Bescheinigung
vom 19.04.2016 erst am 12.05.2016, mithin nach Ablauf von mehr als einer Woche der Beklagten vorgelegt habe, ruhe der Anspruch
auf Krg. Denn bei der AU-Meldung handele es sich um eine Obliegenheit des Versicherten. Die Folgen einer unterbliebenen oder
nicht rechtzeitigen Meldung seien deshalb grundsätzlich von ihm zu tragen. Ein der Beklagten zuzurechnender Organisationsmangel
habe nicht vorgelegen. Vielmehr sei das ärztliche Versehen, die AU am 19.04.2016 für den ablaufenden Zeitraum 05.04. bis 19.04.2016
erneut bescheinigt zu haben, dem Kläger anzulasten. Ihm habe auffallen müssen, dass für den Folgezeitraum ab 20.04.2016 die
AU nicht ärztlich festgestellt worden sei. Wenn ihm krankheitsbedingt die Wahrung seiner eigenen Sorgfaltspflicht nicht möglich
gewesen sei, hätte er eine andere Person mit seiner Vertretung beauftragen müssen. Seine tatsächlich bestehende AU im streitgegenständlichen
Zeitraum sei jedenfalls nicht maßgeblich.
Gegen den am 19.07.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18.08.2017 beim SG Berufung eingelegt, die am 25.08.2017 beim Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingegangen ist. Er habe alles in seiner
Macht stehende getan, um die AU zeitgerecht ärztlich feststellen zu lassen und die AU-Bescheinigung zeitgerecht vorzulegen.
Die zeitgerechte Meldung der AU ab dem 19.04.2016 sei durch Umstände verhindert worden, die in den Verantwortungsbereich der
Beklagten fielen. Zum einen sei das Versehen der Ärztin, dem Kläger eine veraltete AU-Bescheinigung auszuhändigen, der Beklagten
zuzurechnen. Zum anderen habe der Kläger die AU-Bescheinigung dem Niederlassungsleiter der Beklagten, C ... persönlich übergeben,
da er ganz sicher habe gehen wollen, dass die AU-Bescheinigung auch rechtzeitig bei der Beklagten ankomme. Dieser habe die
Bescheinigung entgegen genommen und sie in die elektronische Verwaltungsakte eingescannt. Dabei habe es dem Mitarbeiter auffallen
müssen, dass es sich nicht um eine aktuelle AU-Bescheinigung handele. Die Beklagte habe ihre Fürsorge- und Beratungspflicht
verletzt und könne sich deshalb nicht auf die Ruhensregelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V berufen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 13.07.2017 und den Bescheid vom 12.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 13.07.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 in gesetzlicher Höhe
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids verwiesen und ergänzend ausgeführt, die Meldung der AU sei eine
Obliegenheit des Klägers. Daher müsse sich der Kläger von dem Inhalt seiner AU-Meldung überzeugen. Ihm habe die doppelte AU-Bescheinigung
auffallen müssen.
Auf Veranlassung des LSG hat die Beklagte die Computereinträge vom 07.04.2016 und 22.04.2016 vorgelegt. Danach hat der Kläger
die AU-Bescheinigung vom 05.04.2016 für die Zeit vom 05.04.2016 bis 19.04.2016 am 07.04.2016 dem Kundenberater X ... in der
Geschäftsstelle der Beklagten A ...-Mitte übergeben, der notiert hat: "FB bis 19.04.16 abgegeben". Am 22.04.2016 hat der Kläger
die zweite AU-Bescheinigung vom 05.04.2016 dem Kundenberater W ... ausgehändigt, der notiert hat: "AU festg.: 05.04.16 bis
19.04.16".
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 09.09.2019 und 12.09.2019 mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil
ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1,124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats und die
beigezogene Akte des SG sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung
waren.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt
haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie bedurfte nicht der Zulassung. Denn der Kläger beansprucht Krg-Leistungen in Höhe
von mehr als 750 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Dieser Beschwerdewert ist bei einem kalendertäglichen Krg in Höhe von 42,90 EUR brutto und 37,75 EUR netto für den streitbefangenen
Zeitraum vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 überschritten.
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Der ablehnende Bescheid vom 12.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.07.2016 ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1, 2 SGG). Dieser hat einen Krg-Anspruch für die Zeit vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 (22 Tage) in Höhe von insgesamt 945,78 EUR brutto
und 830,50 EUR netto, da er die Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 44, 46 Abs. 1 Nr. 2, Satz 2 SGB V vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 erfüllt, obwohl eine an sich bereits am 19.04.2016 erforderliche ärztliche AU-Feststellung
nicht erfolgt war. Denn es liegt hier ein nach der Rechtsprechung des BSG zu bejahender Ausnahmefall vor. Die Voraussetzungen für das Ruhen des Anspruchs sind nicht gegeben.
Rechtsgrundlage für den Krg-Anspruch ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der hier maßgeblichen ab 23.07.2015 gültigen Fassung). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit
sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung
(§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden. Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 entsteht der Krg-Anspruch von dem Tag der
ärztlichen Feststellung der AU an. Gemäß § 46 Satz 2 SGB V (in der seit dem 23.07.2015 gültigen Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der GKV [BGBl I 1211]) bleibt der
Anspruch auf Krg abweichend von dem hier nicht vorliegenden Fall der Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge-
oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, § 24, § 40 Abs. 2 und § 41 SGB V) jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere AU wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese
ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der AU erfolgt; Samstage gelten
insoweit nicht als Werktage. Die Feststellung der AU stellt eine echte Tatbestandsvoraussetzung für den Anspruch auf Krg dar.
Bei fortdauernder AU aber - wie hier - abschnittsweiser Krg-Bewilligung, ist jeder Bewilligungsabschnitt eigenständig zu prüfen,
d. h. jeder Bewilligungsabschnitt ist eigenständig darauf zu prüfen, ob die AU erneut oder weiterhin ärztlich festgestellt
wurde (stRspr, vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 8/07 R -, SozR 4-2500 § 44 Nr. 12, Rn. 16, m. w. N., juris ; BSG, Urteil vom 22. März 2005 - B 1 KR 22/04 R -, BSGE 94, 247-258, SozR 4-2500 § 44 Nr. 6, Rn. 29, juris). Dies hat zur Folge, dass es nach befristeter AU-Feststellung und abschnittsweiser
Krg-Bewilligung für die Entstehung eines weiteren Anspruchs auf Krg grundsätzlich einer erneuten ärztlichen Feststellung bedarf.
Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V (in der Fassung vom 22.12.2011) ruht der Anspruch auf Krg, solange die AU der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt
nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der AU erfolgt.
Obwohl der Kläger am 19.04.2016 bei der ihn behandelnden Neurologin persönlich vorstellig war, hat diese die AU-Feststellung
für die Zeit vom 19.04.2016 bis 12.05.2016 nicht am 19.04.2016 getroffen, sondern erst am 12.05.2016, rückdatiert auf den
19.04.2016. Am 19.04.2016 hat die Ärztin die AU des Klägers versehentlich nicht festgestellt, sondern die AU vom 05.04.2016
(bis zum 19.04.2016) nochmals (rückwirkend) bescheinigt. Diese fehlerhafte AU-Bescheinigung hat der Kläger auch innerhalb
der Frist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bei der Beklagten eingereicht. Bei der Vorlage der (rückdatierten) AU-Bescheinigung vom 19.04.2016 hat der Kläger allerdings
die Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 SGB V zur Meldung seiner AU bei der Beklagten versäumt.
Hier liegt jedoch ein zu einem Krg-Anspruch führender Ausnahmefall vor. Nach der Rechtsprechung des BSG sind dem Versicherten Krg-Ansprüche zuerkannt worden, wenn die rechtzeitige ärztliche Feststellung (oder die fristgerechte
Meldung der AU nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die entweder auf einer Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Versicherten
beruhten (BSG, Urteil vom 10. Mai 2012 - B 1 KR 19/11 R -, BSGE 111, 9-18, SozR 4-2500 § 192 Nr. 5, Rn. 23, juris) oder dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht demjenigen des Versicherten
zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 08. November 2005 - B 1 KR 30/04 R -, BSGE 95, 219-232, SozR 4-2500 § 46 Nr. 1, Rn. 18 ff, juris). Letzteres ist angenommen worden im Falle des verspäteten Zugangs der AU-Meldung
bei der Krankenkasse aufgrund von Organisationsmängeln, die diese selbst zu vertreten hat, für Fälle einer irrtümlichen Verneinung
der AU des Versicherten aufgrund ärztlicher Fehlbeurteilung sowie bei einem von der Krankenkasse rechtsfehlerhaft bewerteten
Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach Aufgabe des letzten Arbeitsplatzes (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 1 KR 37/14 R -, BSGE 118, 52-63, SozR 4-2500 § 192 Nr. 7, Rn. 24 ff, juris). Schließlich ist in Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung vom BSG ein solcher Ausnahmefall auch bejaht worden, wenn 1. der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan
hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm
seine Beschwerden geschildert hat, um (a) die ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krg zu erreichen,
und (b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krg-Anspruch erfolgt
ist, 2. er an der Wahrung der Krg-Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert
wurde (z.B. eine irrtümlich nicht erstellte AU-Bescheinigung), und 3. er - zusätzlich - seine Rechte bei der Krankenkasse
unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R -, BSGE 123, 134-144, SozR 4-2500 § 46 Nr. 8, Rn. 34, juris; BSG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - B 3 KR 23/17 R -, SozR 4-2500 § 49 Nr. 8, Rn. 23, juris).
Vorliegend hat der Kläger seinerseits die ihm vom Gesetz übertragene Obliegenheit erfüllt, für eine zeitgerechte ärztliche
Feststellung der geltend gemachten AU zu sorgen (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) und alles in seiner Macht Stehende getan, um nicht nur die ärztliche Feststellung der AU zu erhalten, sondern diese auch
innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bei der Beklagten zu melden, um seine Krg-Ansprüche zu wahren. Denn er hat sich am 19.04.2016 bei seiner behandelnden Ärztin
vorgestellt. Ein Arzt-Patienten-Kontakt hat somit stattgefunden. Die Ärztin hat ihm irrtümlich (infolge einer nichtmedizinischen
Fehlentscheidung) die - unzweifelhaft vorliegende - AU ab 19.04.2016 nicht attestiert, sondern nochmals die AU vom 05.04.2016
bis 19.04.2016 bescheinigt. Diese fehlerhafte AU-Bescheinigung hat der Kläger - ebenfalls irrtümlich - der Beklagten innerhalb
der Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V vorgelegt. Allerdings ist die irrtümliche Nichtfeststellung der AU durch die Vertragsärztin am 19.04.2016 von der Beklagten
zu vertreten (BSG, Urteil vom 08. Februar 2000 - B 1 KR 11/99 R -, BSGE 85, 271-278, SozR 3-2500 § 49 Nr. 4, SozR 3-2500 § 44 Nr. 7, SozR 3-2500 § 44 Nr. 7, Rn. 19, juris). Denn der fehlerhafte Ausdruck
einer nicht zeitgerechten und nicht mehr aktuellen AU-Bescheinigung steht in ihrer Wirkung einer (irrtümlichen) Nichtfeststellung
der AU gleich (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R - juris). Nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler durch den Anruf seines Arbeitsgebers am 10.05.2016 hat der Kläger seine
Rechte bei der Beklagten innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V geltend gemacht, in dem er unverzüglich am 12.05.2016 bei seiner behandelnden Ärztin vorsprach und die nachträglich (richtig)
erstellte AU-Bescheinigung vom 19.04.2016 zusammen mit der AU-Bescheinigung vom 12.05.2016 noch am 12.05.2016 bei der Beklagten
einreichte.
Folglich wurde die Feststellung und Meldung der AU durch Umstände verhindert oder verzögert, die dem Verantwortungsbereich
der Beklagten und nicht dem des Klägers zuzurechnen sind. Damit ist ein Ausnahmetatbestand erfüllt, welcher die Ausschlusswirkung
der Ruhensregelung verdrängt (BSG, Urteil vom 08. Februar 2000 - B 1 KR 11/99 R -, BSGE 85, 271-278, SozR 3-2500 § 49 Nr 4, SozR 3-2500 § 44 Nr. 7, SozR 3-2500 § 44 Nr. 7, Rn. 18, juris). Gerade wenn der Kausalverlauf
- so wie hier - durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung initiiert worden ist, muss eine nachträgliche
Richtigstellung möglich sein, um eine unangemessene Benachteiligung des Versicherten, die weder durch den Wortlaut noch durch
den Zweck der Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V gerechtfertigt wird, auszuschließen (BSG, Urteil vom 08. Februar 2000 - B 1 KR 11/99 R -, BSGE 85, 271-278, SozR 3-2500 § 49 Nr 4, SozR 3-2500 § 44 Nr 7, SozR 3-2500 § 44 Nr 7, Rn. 21, juris). In einem solchen Fall geht es nicht
darum, Krg-Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung der AU und deren
rückwirkende Bescheinigung beitragen können (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - B 3 KR 23/17 R -, SozR 4-2500 § 49 Nr 8, Rn. 18, juris), sondern eine der Krankenkasse zuzurechnende ärztliche Fehlentscheidung zu korrigieren.
Anhaltspunkte dafür, dass das Vertrauen des Klägers auf die Richtigkeit der von der behandelnden Kassenärztin ausgestellten
AU-Bescheinigung nicht gerechtfertigt gewesen wäre, bestehen nicht (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 1981 - 3 RK 59/80 -, Rn. 30, juris).
Gegen die Höhe des Krankengeldes hat der Kläger keine Einwände erhoben.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
III. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
|