Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
Gründe
I
Das LSG hat mit Urteil vom 3.7.2019 die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 27.2.2018 zurückgewiesen und wie die Vorinstanz entschieden, dass das gegen die beklagte Pflegekasse gerichtete Klagebegehren
auf Gewährung von Leistungen des
SGB XI nach der Pflegestufe I für die Zeit vom 1.2. bis 31.12.2016 und nach dem Pflegegrad 2 ab 1.1.2017 ohne Erfolg bleibt.
In seinem Urteil - das aufgrund des erklärten Einverständnisses der anwaltlich vertretenen Klägerin und der Beklagten durch
die Berichterstatterin als Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung erging (§
155 Abs
4 iVm Abs
3, §
124 Abs
2 SGG) - hat das LSG als Gegenstand des Berufungsverfahrens allein die für die Zeit vom 1.2. bis 31.12.2016 verfolgten Ansprüche
nach dem
SGB XI aF bestimmt. Nicht Gegenstand des Verfahrens seien, wie das SG bereits zutreffend festgestellt habe, die von der Klägerin verfolgten Ansprüche ab 1.1.2017 nach den Änderungen des
SGB XI zum 1.1.2017. Für die streitige Zeit vom 1.2. bis 31.12.2016 habe die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem
SGB XI aF, weil sie in dieser Zeit nicht erheblich pflegebedürftig im Sinne der gesetzlichen Regelungen zur Pflegestufe I gewesen
sei. Das LSG hat hierfür zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des SG verwiesen, das auf der Grundlage des von ihm eingeholten, nach Untersuchung der Klägerin erstellten Sachverständigengutachtens
der Ärztin H. vom 28.9.2017 festgestellt habe, dass keine erhebliche Pflegebedürftigkeit vorgelegen habe. Das vom SG eingeholte Gutachten sei nachvollziehbar und schlüssig und stimme im Wesentlichen mit den Ergebnissen der Gutachten des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) überein.
Das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren und die Beweiserhebung in diesem Verfahren rechtfertigten keine
andere Entscheidung. In seinem - nachdem die Klägerin unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflichten drei vorgeschlagene Begutachtungstermine
nicht wahrgenommen habe - nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 19.10.2018 habe der Sachverständige Dipl-Psych B. in rückschauender
Betrachtung die gutachtlichen Einschätzungen des MDK - vom 24.6.2016 nach Untersuchung der Klägerin und vom 13.7.2016 nach
Aktenlage - und im Wesentlichen auch der vom SG bestellten Sachverständigen bestätigt. Neue bzw nicht berücksichtigte medizinische Befunde, die die Annahme eines höheren
Pflegeumfangs rechtfertigen würden, habe er nicht beschrieben. Vielmehr habe er die in den Vorgutachten gestellten Diagnosen
bestätigt und ausgeführt, die Klägerin nehme subjektiv zahlreiche körperliche Beschwerden wahr, die durch organmedizinische
Befunde nicht bzw nicht hinreichend zu begründen seien. Dieses die Aktenlage wertende Gutachten sei nachvollziehbar begründet
und lasse keinen Widerspruch zwischen der dargestellten Befundlage der Vorgutachten und deren Beurteilung erkennen.
Das LSG hat weiter ausgeführt, es verkenne nicht die in zahlreichen Gutachten festgestellten Erkrankungen der Klägerin, aber
allein aus vorhandenen Erkrankungen sei entgegen dem Vorbringen der Klägerin kein eine Pflegestufe rechtfertigender Pflegeaufwand
ableitbar. Maßgebend bei der Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem
SGB XI aF sei nicht die Schwere der Erkrankung oder Behinderung, sondern allein der aus der konkreten Schädigung oder Beeinträchtigung
der Aktivitäten resultierende Hilfebedarf in Bezug auf die gesetzlich definierten Verrichtungen. Sämtliche Sachverständige
seien insoweit übereinstimmend der Auffassung, dass die Klägerin mit den vorhandenen Ressourcen in der streitigen Zeit in
der Lage gewesen sei, die der Grundpflege zuzurechnenden Verrichtungen (überwiegend) selbstständig zu bewältigen. Bei dieser
Sachlage seien weitere Ermittlungen nicht angezeigt gewesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG im vorgenannten Urteil hat die Klägerin Beschwerde eingelegt und beruft
sich auf Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 3.7.2019 ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2
SGG). Ungeachtet des Umstands, dass der Klägerin wegen der versäumten Frist zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde
durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§
73 Abs
4 SGG) antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war, ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig, weil die
Klägerin in der Begründung ihrer Beschwerde den vorliegend allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels
(§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht schlüssig bezeichnet hat (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §
109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG
ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG).
a) Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) rügt, weil das LSG dem Sachverständigen B. nicht die von der Klägerin mitgeteilten Fragen (Schriftsatz vom 19.12.2018/1.12.2018) zu dessen Gutachten vom 19.10.2018 vorgelegt habe, und weil es in seinem Urteil sich weder mit diesen Fragen auseinandergesetzt
habe noch darauf eingegangen sei, warum es die Fragen dem Sachverständigen nicht vorgelegt habe, lässt sich der Beschwerdebegründung
der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht entnehmen. Weder lässt diese hinreichend erkennen, welche konkreten Fragen die
Klägerin formuliert hatte und ob diese sich auf die allein streitige Feststellung ihrer Pflegebedürftigkeit bezogen hatten
(zu Umfang und Grenzen des Fragerechts der Beteiligten als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
118 RdNr 12d), noch ist der Beschwerdebegründung hinreichend zu entnehmen, warum es aus der hierfür maßgeblichen Sicht des LSG auf diese
Fragen angekommen sein sollte (zur Maßgeblichkeit dieser Sicht vgl Leitherer in Meyer-Ladewig ua, aaO, § 160 RdNr 23).
Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine genügende Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des LSG. Auf dessen
Würdigung des Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren und Beweiswürdigung auch unter Berücksichtigung des Gutachtens
des Sachverständigen B., kommt es indes an für die Bewertung, ob das Urteil auf einer etwaigen Gehörsverletzung beruhen kann.
Die eingehende Kritik der Beschwerdebegründung an dem Gutachten des Sachverständigen B. im Gewand der Gehörsrüge vermag die
schlüssige Bezeichnung einer Gehörsverletzung durch das LSG nicht zu ersetzen (zu den Anforderungen an die Rüge einer Gehörsverletzung des LSG ausgehend von dessen Rechtsauffassung vgl nur Leitherer in
Meyer-Ladewig ua, aaO, § 160 RdNr 20, 23 und § 160a RdNr 16d, jeweils mwN; zum Gewährleistungsgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör vgl zuletzt BSG Beschluss vom 26.3.2020 - B 3 P 14/19 B - RdNr 6, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).
Zudem begründet die Klägerin in ihrer Beschwerde nicht hinreichend, warum das angefochtene Urteil ausgehend von der Rechtsauffassung
des LSG auf einer etwaigen Gehörsverletzung beruhen kann, obwohl sie - anwaltlich vertreten - ihr Einverständnis mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf die entsprechende Anfrage des Gerichts erteilt hatte (Anhörungsmitteilung des LSG vom 15.1.2019, Schriftsatz der Klägerin vom 16.1.2019). Weder macht die Beschwerdebegründung insoweit geltend, die Klägerin sei nicht ordnungsgemäß zur beabsichtigten Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung angehört worden, noch, dass nach Erteilung ihres Einverständnisses eine Überraschungsentscheidung
ergangen sei (vgl dazu zuletzt BSG Beschluss vom 26.3.2020 - B 3 P 14/19 B - RdNr 7 ff, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Dass die Klägerin trotz ihres Einverständnisses mit einer Entscheidung des LSG ohne mündliche Verhandlung ihrerseits alles
Zumutbare getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl zu dieser Anforderung Leitherer in Meyer-Ladewig ua, aaO, § 160a RdNr 16d), legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
b) Soweit die Klägerin eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) durch eine verfahrensfehlerhafte Beweiserhebung rügt, weil das LSG sie lediglich pauschal, aber nicht klar und deutlich auf
die Folgen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht bei ihrer Untersuchung durch einen Sachverständigen unter Setzung einer
angemessenen Frist hingewiesen habe, setzt sich die Beschwerdebegründung nicht damit auseinander, dass ein Verfahrensmangel
nur dann auf eine Verletzung des §
103 SGG gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG). Dass sie durch ihren anwaltlichen Vertreter einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS der
ZPO iVm §
118 SGG gestellt und aufrechterhalten hatte, lässt sich der Beschwerdebegründung indes nicht entnehmen. Ihre hierfür wiedergegebene
Ausführung im Schriftsatz vom 6.8.2018/9.8.2018 ("Es wird an dieser Stelle betont, dass die Klägerin Hausbesuche durch den
Gutachter keinesfalls ablehnt. Sie bittet und beantragt jedoch Herrn B. zu entpflichten und einen anderen Gutachter, nach
Möglichkeit eine Frau, für die Begutachtung zu benennen.") erfüllt nicht die Anforderungen an einen prozessordnungsgemäß gestellten
und noch nach Erstellung des Gutachtens nach Aktenlage durch den Sachverständigen B. vom 19.10.2018 aufrechterhaltenen Beweisantrag
(vgl zu diesen Anforderungen nur Leitherer in Meyer-Ladewig ua, aaO, § 160 RdNr 18a ff und § 160a RdNr 16e f, jeweils mwN). Hinzu kommt, dass nach dem Beschwerdevorbringen der wiedergegebene Antrag bereits durch Beschluss des LSG vom 13.8.2018
abgelehnt worden war.
Zudem ist auch insoweit darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nach Erstellung des Gutachtens vom 19.10.2018 und vor der angefochtenen
Entscheidung des LSG ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hatte. Die Beschwerdebegründung
zeigt nicht auf, dass die Klägerin trotz dieses von ihr erklärten Einverständnisses dem LSG deutlich gemacht hatte, dass sie
die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht.
c) Soweit die Klägerin zudem im Zusammenhang mit der geltend gemachten verfahrensfehlerhaften Beweiserhebung eine Verletzung
der prozessualen Fürsorgepflicht (§
106 Abs
1 SGG) rügt, weil das LSG mit seiner Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht auf die ausdrückliche
nochmalige Stellung noch nicht als erledigt angesehener Beweisanträge hingewiesen habe, lässt sich der Beschwerdebegründung
nicht entnehmen, dass die Klägerin zuvor durch ihren anwaltlichen Vertreter einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt
hatte, der aufrechtzuerhalten gewesen sein könnte. Auch insoweit enthält die Beschwerde zudem keine hinreichende Begründung
dafür, warum die Entscheidung des LSG auf einer etwaigen Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht beruhen kann, obwohl
die Klägerin - anwaltlich vertreten - ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt hatte.
d) Unzulässig ist schließlich auch die Rüge einer Verletzung des §
109 SGG, weil das LSG einen Beweisantrag der Klägerin im Schriftsatz vom 6.8.2018/9.8.2018 nicht als wirksam gestellten Antrag nach
§
109 SGG behandelt und somit übergangen habe. Auf eine Verletzung des §
109 SGG kann ein Verfahrensmangel von vornherein nicht gestützt werden (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG). Soweit auch diese Rüge als eine der Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht zu verstehen ist, ist nur erneut darauf
hinzuweisen, dass sich der Beschwerdebegründung weder die Stellung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags entnehmen lässt,
der als Antrag nach §
109 SGG hätte zu behandeln sein können, noch, warum die Entscheidung des LSG trotz des von der anwaltlich vertretenen Klägerin erteilten
Einverständnisses mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf einer etwaigen Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht
beruhen kann.
2. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des §
169 Satz 3
SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von §
193 SGG.