Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung des Verfahrensmangels einer Verletzung
der Sachaufklärungspflicht
Gründe:
I
Die 1957 geborene Klägerin beansprucht von dem beklagten Land Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen eines in der Zeit vor 1973 jahrelang erlittenen sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater.
Den im September 2006 gestellten Versorgungsantrag der Klägerin lehnte das beklagte Land nach Durchführung von Ermittlungen
mit Bescheid vom 28.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.2.2007 ab, weil es nicht als erwiesen angesehen
werden könne, dass die Klägerin infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung
iS des §
1 Abs
1 OEG erlitten habe. Die Klägerin habe ihren Antrag auf Leistungen mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Vaters und den erklärten
letzten Schädigungshandlungen gestellt. Zeugen für die Vorfälle gebe es nicht. Die Klägerin selbst habe in ihrem Antrag angegeben,
sie wisse nicht mehr, was "hinter der verschlossenen Tür geschah". Es lägen also ausschließlich die Angaben der Klägerin gegenüber
den behandelnden Ärzten (nach 1990) vor. Die Mutter und die Schwester der Klägerin könnten nur wiedergeben, was diese ihnen
selbst berichtet habe.
Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Freiburg (SG) hat die Klägerin persönlich angehört, ihre Schwester R. Q. als Zeugin vernommen sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten
von Dr. S., eingeholt. Durch Urteil vom 10.12.2010 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer seelischen Störung
im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen
rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen ab dem 1.9.2006
Versorgung nach dem
OEG nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 80 zu gewähren.
Das vom Beklagten angerufene Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat zunächst durch die Senatsvorsitzende einen Erörterungstermin
durchgeführt und sodann in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2011 die Klägerin persönlich befragt und deren Schwester R.
Q. als Zeugin vernommen. Nach dem Hinweis des Senats, "dass es schwierig sein dürfte, auch einen sexuellen Missbrauch vom
4. bis 8. Lebensjahr nachzuweisen und nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eigentlich eine Verurteilung zu Lasten des Beklagten in diesem Verfahrensstadium ausscheide, da die Beklagte selbst noch
nicht über die Versorgung entschieden habe", hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte erklärt, es werde auf die Rechte
aus dem Urteil vom 10.12.2010 insoweit verzichtet, als ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend
gemacht worden sei. Des Weiteren werde auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet, soweit der Klägerin Versorgung zugesprochen
worden sei.
Der Beklagte hat danach beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 insoweit aufzuheben, als die Klägerin nicht auf die Rechte aus
dem Urteil verzichtet hat, und die Klage insoweit abzuweisen, hilfsweise von Amts wegen ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit
der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin ... einzuholen.
Durch Urteil vom selben Tag (15.12.2011) hat das LSG die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es
im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Klägerin sei zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des §
1 Abs
1 OEG geworden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen
Verhandlung, sei der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung
sexuell missbraucht worden sei. Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs
der Klägerin nehme der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten
oralen Befriedigung an. Dabei müsse nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert
werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich sei.
Der Senat halte die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussagen ergebe, dass die dem Vater vorgeworfenen
Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt würden. Die Aussage erweise sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der Aussage weise im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen
Darstellung auf, so zB die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen
lebenden Familie. Es fänden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, die von ihrer Mutter nicht bestätigt worden seien. Zudem
habe sich die Zeugin nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt. Die Zeugin habe
glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16.10.2006, geschildert, dass sie selbst
gesehen habe, wie ihr Vater der Klägerin gegen deren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem "mittäglichen Schlafritual"
regelrecht verkeilt im Bett gelegen habe. Letztere Haltung lasse bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen
Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu. Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen wolle, weil das Einseifen
in der Badewanne geschehen sei und der Vater im Bett angezogen gewesen sei, sei aus Sicht des Senats lebensfremd. Dass die
konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters habe in den Mund nehmen müssen, von der Zeugin erst während
des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden sei, mache ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig.
Denn die Zeugin habe den Vorgang so detailgetreu geschildert, dass sie ihn selbst erlebt haben müsse. Sie habe auch ein nachvollziehbares
Motiv für ihre späte Aussage angegeben, nämlich die anfängliche Scham über die familiären Vorgänge überhaupt und ihre Schuldgefühle,
darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erkläre auch hinlänglich die
angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.
Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage sowie des Akteninhalts getroffen habe, könne dahingestellt bleiben,
ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten
Nullhypothese ausgegangen werden müsse. Zudem habe der Senat entscheiden können, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten
über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht
nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehöre zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und sei daher
grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) komme nur in
besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich dann, wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit
fehle. Die Einholung eines entsprechenden Gutachtens sei nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten
aufweise, die eine Sachkunde erforderten, die ein Richter normalerweise nicht habe. Das sei vorliegend nicht der Fall. Weder
wiesen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf noch sei der Sachverhalt besonders gelagert, sondern könne im Kern durch
die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.
Der fortgesetzte Missbrauch der Klägerin habe iS einer Alleinverursachung wahrscheinlich zu einer posttraumatischen Belastungsstörung
sowie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stütze sich insoweit auf das Gutachten
des Dr. S., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte stehe.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Beklagte beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie von Verfahrensmängeln
(§
160 Abs
2 Nr
1 und
3 SGG) begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene
Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan
werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller
Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 §
160a Nr 14, 36). Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs
1 S 1
SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG
ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Soweit der Beklagte als Verfahrensmangel rügt, das LSG habe mit der Entscheidung selbst gegen den "Bestimmtheitsgrundsatz"
und das "Gebot der Rechtsklarheit" verstoßen, hat er die für die Annahme eines Verfahrensmangels relevanten Tatsachen dargestellt.
Entscheidet ein Gericht, ohne hinreichend deutlich zu machen, worin die Entscheidung liegt, handelt es sich um einen das Urteil
selbst betreffenden Verfahrensmangel (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
160 RdNr 16a und Keller, aaO, §
136 RdNr 5d). Der behauptete Verfahrensmangel liegt jedoch nicht vor.
Dem Beklagten ist hier zwar einzuräumen, dass sich für ihn als dem unterlegenen Prozessbeteiligten der Inhalt der Entscheidung
des LSG als unübersichtlich darstellt. Bei Heranziehung der Prozessgeschichte, also des Urteils des SG, des der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des LSG gegebenen verfahrensrechtlichen Hinweises, der daraufhin von der
Klägerin abgegebenen Erklärung sowie des Inhalts der Entscheidungsgründe (vgl dazu Keller, aaO, § 136 RdNr 5c) ist indes eindeutig
zu erkennen, worüber und mit welchem Ergebnis das LSG entschieden hat.
Das LSG selbst hat nicht positiv tenoriert, sondern die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 10.12.2010 zurückgewiesen, nachdem die Klägerin zuvor einen Verzicht auf einen Teil ihrer Rechte aus dem Urteil des SG erklärt hatte. Das SG hatte den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer näher bezeichneten seelischen Störung als Folge von
vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennnen und ihr wegen dieser Folgen
Versorgung nach dem
OEG ab dem 1.9.2006 nach einem GdS von 80 zu gewähren. Hinsichtlich des auf Gewährung von "Versorgung" nach einem GdS von 80
gerichteten Teils hat die Klägerin auf ihre Rechte aus dem Urteil verzichtet, sodass dieses insoweit nicht auszuführen ist
und auch nicht vollstreckt werden kann.
Soweit das SG den Beklagten zur "Anerkennung" bestimmter Gesundheitsstörungen als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen
auf die Klägerin verurteilt hat, hat es sich im Rahmen der als zulässig anzusehenden kombinierten Klage auf Anfechtung des
entgegenstehenden Bescheides und Verpflichtung zur Feststellung von Folgen eines versorgungsrechtlich relevanten Tatbestandes
(s nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VS 2/09 R - SozR 4-3200 § 88 Nr 4 RdNr 32; für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung s jüngst BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 RdNr 12 bis 14, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) - hier: eines tätlichen Angriffs iS des §
1 Abs
1 S 1
OEG - gehalten. Da die Klägerin auf ihre Rechte aus diesem Urteil verzichtet hat, soweit ein sexueller Missbrauch auch für die
Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht worden war, enfaltet der Urteilsausspruch des SG nur insoweit Wirkung als es sich um die Folgen von tätlichen Angriffen in den Jahren 1965 bis 1972 handelt. Soweit der Beklagte
diesen Zusammenhang rügt, es sei unbestimmt, was das LSG letztlich als schädigenden Vorgang angesehen habe, bezieht er sich
darauf, dass das LSG in den Entscheidungsgründen einmal als Schädigungszeitraum die Jahre 1961 bis 1972 genannt hat. Dabei
handelt es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit, die nicht den Inhalt des Urteils in Frage stellt.
Erwächst dieses Urteil in Rechtskraft, verpflichtet es den Beklagten unmittelbar zur Erteilung eines Ausführungsbescheides.
Daneben bleibt der Beklagte aufgrund des Leistungsantrages der Klägerin verpflichtet, über die der Klägerin zustehenden konkreten
Leistungen der Beschädigtenversorgung - auch soweit es den GdS betrifft und soweit sie von dessen Höhe abhängen - durch anfechtbaren
Verwaltungsakt zu entscheiden. Bei dem Verzicht der Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil des SG, soweit ihr ein Anspruch auf Versorgung zugesprochen worden war, handelt es sich nicht um eine auf die Anfechtung des ablehnenden
Verwaltungakts bezogene Klagerücknahme, sodass dieser dadurch nicht bestandkräftig geworden ist (vgl §
77 SGG). Er ist und bleibt durch das Urteil des SG aufgehoben.
Den Darlegungsanforderungen des §
160a Abs
2 S 3
SGG nicht entsprochen hat der Beklagte, soweit er beanstandet, dass ihm nicht klar sei, ob das LSG bei seiner Entscheidung auch
auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin oder ausschließlich auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der als Zeugin vernommenen
Schwester und nach Aktenlage auch deren Mutter abgestellt habe. Dabei handelt es sich nicht um einen - rügbaren - Verfahrensfehler,
also einen Verstoß gegen das gerichtliche Verfahren regelnde Vorschriften oder einen das Urteil selbst betreffenden Verfahrensmangel,
sondern um eine mögliche Unklarheit des Urteils, die nicht zu dessen Fehlerhaftigkeit führt. Soweit in dieser Begründung des
Beklagten ein Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG zu sehen ist, kann die Nichtzulassungsbeschwerde nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG darauf nicht gestützt werden.
Soweit der Beklagte als Verfahrensfehler eine Verletzung des §
103 SGG mit der Begründung rügt, das LSG sei seinem bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens über
die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin ohne hinreichende Begründung nicht nachgekommen, kann
offenbleiben, ob der Beklagte insoweit den Anforderungen des §
160a Abs
2 S 3
SGG in allen notwendigen Punkten Rechnung getragen hat. Denn jedenfalls ist das LSG diesem Beweisantrag nicht ohne hinreichende
Begründung, dh nicht ohne hinreichenden Grund (BSG SozR 1500 §
160 Nr 5), nicht gefolgt (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG). Das LSG musste sich nicht gedrängt fühlen, die beantragte Beweiserhebung durchzuführen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 49). Es hat sich seine Überzeugung davon, dass die Klägerin in den Jahren 1965 bis 1972 durch ihren Vater sexuell missbraucht
worden ist, im Wesentlichen aufgrund der Zeugenaussagen der Schwester der Klägerin, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung,
gebildet und war auch nach Auffassung des erkennenden Beschwerdesenats nicht verpflichtet, Glaubhaftigkeitsgutachten der beantragten
Art einzuholen.
Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl dazu BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247
RVO S Aa 25 Rückseite). Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt
(vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische
Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen
Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens
nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182).
Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines
aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das
fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung
der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - juris). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht ersichtlich.
Möglicherweise wäre eine Glaubhaftigkeitsbegutachtung bezüglich der Angaben der psychisch kranken Klägerin erforderlich gewesen,
wenn das LSG seine Entscheidung maßgebend darauf hätte stützen wollen. Das ist jedoch nicht der Fall. Das LSG hat vielmehr
im Rahmen einer eingehenden Abwägung insbesondere die Aussagen der Zeugin Q. als glaubhaft angesehen und sie bei der Bejahung
eines jahrelangen sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch ihren Vater entscheidend zugrunde gelegt. Hinsichtlich der Angaben
dieser Zeugin sind keine Umstände zu erkennen, die eine darauf bezogene Glaubhaftigkeitsbegutachtung hätten gebieten können.
Die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung selbst kann auch insoweit nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen
werden (vgl §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG).
Soweit der Beklagte geltend macht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, kann dahinstehen, ob der Beklagte den Zulassungsgrund
in allen notwendigen Punkten dargetan hat (§
160a Abs
2 S 3
SGG).
Grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss
daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums
angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit
oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner
Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre
(abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung
der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65).
Die vom Beklagten als klärungsbedürftig, klärungsfähig und über den Einzelfall hinaus bedeutsam angesehene Frage, ob für ein
im Verfahren des sozialen Entschädigungsrechtes eingeholtes aussagepsychologisches Gutachten über die Glaubhaftigkeit der
Angaben eines Antragstellers/Zeugen die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) für Strafsachen zu
berücksichtigenden methodischen Mindeststandards Anwendung finden oder ob andere und ggf welche Anforderungen zu gelten haben,
ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht erheblich. Zunächst hat das LSG seine Tatsachenfeststellungen
dahin, dass der Vater der Klägerin diese in den Jahren 1965 bis 1972 fortgesetzt sexuell missbraucht hat, ohne Verwertung
eines Sachverständigengutachtens über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin oder der Zeugin Q. getroffen. Darüber hinaus
ist die Vorinstanz - wie der Senat zu der entsprechenden Verfahrensrüge des Beklagten bereits ausgeführt hat - nicht verpflichtet
gewesen, ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen.
Der Beklagte übersieht in diesem Zusammenhang, dass die Beurteilung, ob eine grundsätzliche Bedeutung vorliegt, auf der Tatsachengrundlage
der Vorinstanz zu erfolgen hat (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
160 RdNr 9f). Danach kommt es hier auf die Auswertung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nicht an. Insofern kann in dem vom Beklagten
angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden, nach welchen methodischen Standards Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen
Leistungsstreitigkeiten zu fertigen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.