Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Nichtzahlung der Miete durch den Hilfsbedürftigen
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung der für die Zeit vom 01.03.2011 bis 30.06.2011 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
(Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen der Nichtzahlung der Miete durch den Kläger an seine Vermieterin.
Nach seinem Umzug aus dem M.-Kreis bezog der Kläger ab 01.11.2005 Alg II vom Beklagten. Er leidet insbesondere unter einer
Laktose- und Fruktoseintoleranz. Nach dem Mietvertrag der bis zum 30.11.2011 bewohnten Wohnung und der Bescheinigung der Vermieterin
betrug die Miete zunächst 305 EUR (Kaltmiete 220 EUR, kalte Nebenkosten 45 EUR und Heizung 40 EUR) und wurde vom Beklagten
- gemäß der Vereinbarung im Mietvertrag - bis 31.10.2009 und wieder ab 01.05.2010 direkt an die Vermieterin überwiesen.
Mit Bescheid vom 29.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2011 bewilligte der Beklagte vorläufig Alg
II für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 iHv monatlich 803,33 EUR. Die monatliche Miete iHv 338 EUR werde weiterhin an
die Vermieterin überwiesen.
Nach Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern (DRV), der Kläger erhalte ab 01.11.2010 bis 30.04.2012 eine arbeitsmarktbedingte
Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, änderte der Beklagte mit Bescheid vom 17.02.2011 die Bewilligung des Alg II
für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 auf monatlich 231,10 EUR ab. Wegen des nur noch ergänzenden Leistungsanspruchs
könne die Miete nicht länger direkt an die Vermieterin überwiesen werden. Unterkunftskosten würden iHv 375,53 EUR anerkannt.
Der Kläger sei verpflichtet, diesen Betrag an die Vermieterin bzw. die zuständigen Stellen vollständig zu zahlen, andernfalls
müsse er mit einer Rückforderung der zweckwidrig verwendeten Leistungen rechnen. Entsprechende Zahlungen seien jeweils bis
zum 10. des Monats nachzuweisen.
Mit Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung
ab 01.03.2011 ganz auf, da der Kläger keine Nachweise für die anfallenden Unterkunftskosten vorgelegt habe. Der Kläger sei
im Bescheid vom 17.02.2011 darüber informiert worden, dass die Unterkunftskosten nicht mehr direkt an die Vermieterin überwiesen
werden würden und er verpflichtet sei, die vollständigen berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 375,53 EUR
an seine Vermieterin weiterzuleiten. Trotz entsprechender Aufforderung habe der Kläger keinen Nachweis für die Mietzahlungen
ab 01.03.2011 vorgelegt. Unterkunftskosten, die ein Leistungsberechtigter nicht zahle, stellten keinen Bedarf im Sinne von
"tatsächlichen Aufwendungen" dar. Den übrigen Bedarf habe er mit seinem Renteneinkommen decken können. Die entsprechende Änderung
der tatsächlichen Verhältnisse habe der Kläger zumindest grob fahrlässig nicht mitgeteilt.
Im Rahmen einer Vorsprache gab die Vermieterin beim Beklagten an, der Kläger habe seit dem 01.03.2011 keine Mietzahlungen
mehr geleistet. Mit Urteil des Amtsgerichts O. - Zweigstelle M. - vom 02.11.2011 (14 C 372/11) wurde der Kläger u.a. zur Räumung seiner Wohnung und Zahlung von Mietrückständen für die Zeit von März bis August 2011 iHv
insgesamt 2.028 EUR sowie Restschulden aus Haus- und Heizkostenabrechnungen für 2009 und 2010 iHv 514,87 EUR verurteilt. Nach
einem Umzug zum 01.11.2011 bewilligte der Beklagte wieder Alg II.
Mit seiner beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger zuletzt die Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23.05.2011 beantragt. Neben der Rentengewährung durch die DRV habe der Beklagte ergänzend Alg II zu zahlen. Mittlerweile
könne er keine Miete mehr bezahlen, da seine medizinische Versorgung vorrangig sei. Mit Urteil vom 16.02.2012 hat das SG den Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 aufgehoben. Die Tatsache, dass der Kläger
keine Mietzahlungen erbringe, sei für den Bedarf unerheblich. Es genüge, wenn der Leistungsberechtigte einer wirksamen und
nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sei. Es fehle an einer wesentlichen Änderung iSv § 48 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Auch aus § 22 Abs 7 Satz 2 SGB II ergebe sich, dass der Leistungsanspruch bei fehlender Mietzahlung nicht entfalle, sondern der Leistungsträger dann vielmehr
die Miete direkt an die Vermieterin zahlen könne. Dies gelte auch, wenn nur ein Teilbetrag gewährt werde. Der Kläger hat ausweislich
der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem SG erklärt, er verzichte auf Rechtsmittel gegen das Urteil.
Dagegen haben beide Beteiligte Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Der Beklagte hat vorgetragen,
die Nichtzahlung der Miete durch den Kläger stelle eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Aus dem Begriff
"Aufwendungen" in § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II folge, dass solche nur dann anzunehmen seien, wenn die Miete tatsächlich bezahlt werde. So sehe auch das BSG (Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 8/09 R) die tatsächliche Zahlung als notwendig an. Ab März 2011 habe der Kläger keine Miete mehr gezahlt, mithin keine Aufwendungen
mehr gehabt. Auch spätere Versuche, ihn noch zur Mietzahlung zu veranlassen, um eine Leistungsgewährung zu ermöglichen, seien
ohne Erfolg geblieben. Im Übrigen sei das Mietverhältnis bereits zum 31.10.2008 gekündigt worden und der Kläger habe vorgebracht,
es bestehe gar keine Pflicht zur Mietzahlung. Er habe versucht, eine Mietminderung vorzunehmen. Hätte der Beklagte die Miete
direkt überwiesen, so würden die Voraussetzungen des § 47 SGB X vorliegen. Eine Direktzahlung an die Vermieterin wäre ebenfalls nicht zielführend gewesen, da der Kläger nicht bereit gewesen
sei, seinen Anteil selbst zu überweisen. § 22 Abs 7 SGB II sei nicht einschlägig, da der Kläger sich ganz bewusst entschieden habe, die Miete nicht an seine Vermieterin zu überweisen.
Soweit der Kläger weitere Ansprüche geltend mache, die nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen seien, bestehe
kein Einverständnis mit einer entsprechenden Klageerweiterung.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 16.02.2012 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zu verwerfen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen und den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 16.02.2012
zu verurteilen, Schadensersatz zu zahlen.
Zwar habe ihm das SG für die Zeit vom 01.03.2011 bis 30.06.2011 Recht gegeben, daneben müsse der Beklagte auch Schadenersatz leisten. Seinen Verzicht
auf Rechtsmittel erkläre er für nichtig.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), aber nicht begründet; die Berufung des Klägers ist bereits unzulässig. Das SG hat zu Recht den Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 aufgehoben. Der Bescheid
ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die Berufung des Klägers ist unzulässig. Es fehlt an einer Beschwer. Eine solche liegt nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung
dem Berufungskläger etwas versagt hat, was er beantragt hatte (formelle Beschwer), also bei Klageabweisung oder teilweiser
Klageabweisung, nicht aber bei Stattgabe in vollem Umfang, grds. auch nicht, wenn das Gericht der Klage aus anderen Gründen
stattgegeben hat, als vom Kläger vorgetragen (vgl dazu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, vor § 143 Rn 6 mwN). Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem SG vom 16.02.2012 hat er zuletzt beim SG allein die Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 beantragt. Damit
hat er sein Klagebegehren auf diesen Streitgegenstand - die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 - beschränkt. Eine solche Beschränkung war auch zulässig. Mit dem angefochtenen
Bescheid hat der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.03.2011 bis 30.06.2011 - insoweit
waren dem Kläger Leistungen mit dem Bescheid vom 29.11.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17.02.2011 bewilligt
worden - aufgehoben. Statthafte Klageart gegen diese Aufhebung ist die Anfechtungsklage (§
54 Abs
1 SGG). Der Antrag ist ihm nach der Niederschrift auch vorgelesen und von ihm genehmigt worden, er wurde nach ausführlicher Erörterung
der Sach- und Rechtslage gestellt. An der Wirksamkeit dieser Prozesserklärung besteht damit kein Zweifel. Ihr Inhalt wird
durch den Inhalt der Sitzungsniederschrift bewiesen (§
122 SGG iVm §
165 Zivilprozessordnung -
ZPO-) und ist unter Beachtung der Anforderungen von §
160 Abs
3 Nr
2 SGG und §
162 Abs
1 ZPO protokolliert worden. Die Niederschrift ist entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und vom Vorsitzenden
sowie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§
122 SGG iVm §§
159 f
ZPO).
Diesem Antrag hat das SG in vollem Umfang entsprochen. Es hat (antragsgemäß) den Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23.05.2011 aufgehoben. Damit ist der Kläger durch die Entscheidung des SG nicht beschwert. Auch wenn teilweise vertreten wird, eine Anschlussberufung - die im Hinblick auf die bereits zuvor vom Beklagten
eingelegte Berufung angenommen werden könnte - könne alleine zum Zwecke einer Klageerweiterung eingelegt werden (vgl dazu
Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, §
143 Rn 5d mwN), wäre eine solche Klageerweiterung im Berufungsverfahren mangels Zustimmung des Beklagten bzw. einer Sachdienlichkeit
im Sinne einer Prozessökonomie nicht zulässig (§
99 SGG). Der Kläger hat die im Berufungsverfahren gestellten Anträge zudem zuletzt auch nicht hilfsweise im Rahmen des Klageverfahrens
vor dem SG gestellt (vgl dazu BSG, Urteil vom 17.05.1988 - 10 RKg 3/87 - BSGE 63, 167; Leitherer aaO).
Die Berufung des Klägers war damit als unzulässig zu verwerfen, ohne dass es darauf ankommt, ob einer solchen schon der nach
der Niederschrift vom 16.02.2012 erklärte Rechtsmittelverzicht des Klägers - der nach dem Protokoll nicht nochmals vorgelesen
und vom Kläger genehmigt worden ist - entgegen steht.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist dagegen unbegründet. Die mit dem Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23.05.2011 verfügte Aufhebung der Leistungsbewilligung ab dem 01.03.2011 ist rechtswidrig.
Nach § 40 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) bzw § 40 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Nr 3 SGB II idF der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13.05.2011 (BGBl I 850) iVm §
330 Abs
3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) und § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene
einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse
vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass vorliegend für die Zeit ab 01.03.2011 keine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen
eingetreten ist. Der Umstand, dass der Kläger die Miete nicht an seine Vermieterin gezahlt und die Leistungen des Beklagten
nach eigenen Angaben im Hinblick auf den von ihm angenommenen krankheitsbedingten Mehrbedarf vorrangig eingesetzt hat, ist
leistungsrechtlich nicht erheblich.
Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§
22 Abs 1 Satz 1 SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 -BGBl I 453-). Bereits aus dem Gesetzeswortlaut folgt, dass danach nur solche Bedarfe zu berücksichtigen sind,
die dem Leistungsberechtigten tatsächlich entstanden sind und für deren Deckung ein Bedarf besteht. Der Kläger hat für die
Überlassung der von ihm bewohnten Wohnung im streitigen Zeitraum keine Mietzinszahlungen an die Vermieterin der Wohnung geleistet.
Allerdings führt dies nicht - wie der Beklagte meint - bereits dazu, dass keine Unterkunftskosten mehr zu berücksichtigen
wären. "Tatsächliche Aufwendungen" für eine Wohnung liegen nicht nur dann vor, wenn die Miete bereits gezahlt wurde und nunmehr
deren Erstattung verlangt wird, sondern es genügt, dass der Leistungsberechtigte im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen
und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist (vgl BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 1; Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217; Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 8/09 R - BSGE 104, 179; Luik in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 22 Rn 46; Krauß in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 10/2012, § 22 Rn 43). Dies ergibt sich schon daraus, dass bei einer Nichtzahlung der Miete regelmäßig die Kündigung und Räumung der Unterkunft
droht. Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die Unterkunft ist es aber gerade, existentielle Notlagen zu
beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern. Für die Frage, ob tatsächlich Aufwendungen für Unterkunft
entstanden sind, kommt es nicht darauf an, ob der Leistungsberechtigte der Verpflichtung aus eigenen Mitteln wird nachkommen
können oder in der Vergangenheit nachkommen konnte, auch nicht, ob die Aufwendungen bisher durch andere Sozialleistungen gedeckt
wurden. Ausgangspunkt für die Frage, ob eine wirksame Mietzinsverpflichtung des Hilfebedürftigen vorliegt, ist in erster Linie
der Mietvertrag mit dem der geschuldete Mietzins vertraglich vereinbart worden ist (so insgesamt BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 1).
Auch aus dem vom Beklagten im Widerspruchsbescheid in Bezug genommene Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom
22.06.2006 - L 8 AS 165/06 ER) ergibt sich nichts anderes, da dort ebenfalls nur auf die Notwendigkeit tatsächlicher Aufwendungen abgestellt wird, die
das Gericht dort u.a. im Hinblick auf die tatsächlichen Zahlungen für gegeben erachtet hat. Dass alleine tatsächliche Zahlungen
"tatsächliche Aufwendungen" darstellen sollen, geht daraus nicht hervor. Dies gilt auch für die vom Beklagten im Rahmen der
Berufung angegebene Entscheidung des BSG (Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 8/09 R). Dort wurde alleine die Höhe der tatsächlichen Zahlungen für maßgeblich dafür befunden, in welcher Höhe Aufwendungen zugrunde
zu legen sind, wenn rein rechtlich ggf. nur ein geringerer Mietzinsanspruch des Vermieters besteht. Es wird aber nicht umgekehrt
eine tatsächliche Zahlung als Anspruchsvoraussetzung bezeichnet.
Der Kläger war für die Zeit vom 01.03.2011 bis 30.06.2011 unverändert einer entsprechenden Mietzinsforderung ausgesetzt. Mit
Urteil des Amtsgerichts O. - Zweigstelle M. - vom 02.11.2011 (14 C 372/11) wurde er u.a. zur Zahlung der Mietrückständen für diesen Zeitraum verurteilt. Damit steht fest, dass - trotz einer etwaigen
vorhergehenden Kündigung - ein Mietverhältnis fortbestanden und ebenso eine entsprechend wirksame Mietzinsforderung bestanden
hat. Im Übrigen ist der Beklagte auch zuvor nicht davon ausgegangen, der Kläger habe wirksam eine Mietminderung vorgenommen
oder es habe wegen einer Kündigung kein Mietzinsanspruch mehr bestanden. Bis einschließlich 28.02.2011 hat er entsprechende
Aufwendungen berücksichtigt. Aber selbst eine der Vermieterin unzweifelhaft zustehende Nutzungsentschädigung bei Nichträumung
der Wohnung durch den Kläger nach Kündigung würde als Aufwendung im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen sein (vgl Luik aaO Rn 49). Es hätte dem Beklagten frei gestanden, wie zuvor auch, eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung
über die Direktzahlung der bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung an die Vermieterin zu treffen (§ 22 Abs 7 SGB II). Eine Einschränkung, dass die Direktzahlung nur dann möglich sein soll, wenn die vollständige Miete gezahlt werden kann,
ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Ebenso greift die Möglichkeit auch in den Fällen, in denen der Leistungsberechtigte
eine Mietzinszahlung (unberechtigterweise) nicht vornehmen will. Wie oben ausgeführt, bestand nicht zuletzt nach dem Urteil
des Amtsgerichts O. ein Anspruch auf ungeminderte Mietzinszahlung im streitgegenständlichen Zeitraum.
Schließlich kann der Beklagte seine Entscheidung auch nicht auf § 47 Abs 1 oder Abs 2 SGB X stützen. Ein Widerruf der Bewilligungsentscheidung nach dieser Vorschrift setzt in jedem Fall eine Ermessensentscheidung
voraus. Anders als für die Vorschrift des § 48 SGB X gibt es nach § 40 Abs 1 SGB II aF bzw § 40 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB II nF iVm §
330 SGB III keine Einschränkung des Ermessens. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte im Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 nicht getroffen. Eine entsprechende Widerrufsentscheidung wäre schon deshalb aufzuheben.
Das SG hat demnach den Bescheid vom 01.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2011 zu Recht aufgehoben. Die
Berufung des Beklagten war mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG liegen nicht vor.