Verwertbarkeit von Gutachten des Verwaltungsverfahrens im sozialgerichtlichen Verfahren; Pflegebedarf eines peritonealdialysepflichtigen
Kindes
Gründe:
I. Streitig ist die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Bei der 2003 geborenen Klägerin wurde im Alter von drei Jahren ein Nierenversagen festgestellt. Von ihren Eltern wird dreimal
wöchentlich nachts eine Bauchdialyse durchgeführt. Wegen der sehr trockenen Haut muss die Klägerin vermehrt eingecremt werden.
Die geistige und motorische Entwicklung ist altersgerecht.
Auf den Antrag vom 07.05.20007, mit dem Kombinationsleistungen beantragt wurden, ließ die Beklagte die Klägerin durch den
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 25.07.2007 begutachten. Aufgrund der Beobachtungen beim Hausbesuch am
17.07.2007 stellte der MDK einen Hilfebedarf bei den Grundpflegeverrichtungen lediglich für das Eincremen fest, für das unter
der Verrichtung Teilwäsche des Oberkörpers 2 Minuten zusätzlicher Hilfebedarf gegenüber einem gesunden Kind veranschlagt wurde.
Mit Bescheid vom 31.07.2007 lehnte die Beklagte Leistungen ab. Der für Pflegestufe I maßgebende Hilfebedarf von mehr als 45
Minuten bei den täglich wiederkehrenden Verrichtungen werde nicht erreicht.
Auf den von der Klägerin erhobenen Widerspruch führte der MDK erneut einen Hausbesuch am 19.09.2007 durch. Er kam wiederum
zum Ergebnis, es sei lediglich ein Hilfebedarf von 2 Minuten bei der Körperpflege wegen der notwendigen Einreibung mit Dermatica
erforderlich. Ansonsten unterscheide sich der Hilfebedarf bei den täglichen Verrichtungen nicht von denen eines gleichaltrigen
Kindes. Die über Nacht durchgeführte 8-stündige Bauchdialyse, das Blutdruckmessen, Verabreichen von Medikamenten, täglich
2-maliges Wiegen, der Verbandswechsel fielen ebenso wenig wie die Begleitung in den Kindergarten unter den Verrichtungskatalog
der Pflegeversicherung. In einer weiteren Stellungnahme räumte der MDK ein, für die Begleitung der Klägerin einmal wöchentlich
zum Arzt könne ein Hilfebedarf von 30 Minuten täglich berücksichtigt werden, nämlich für das Gehen zum PKW, Ein- und Aussteigen,
Aufsuchen der Arztpraxis, Fahr- und Wartezeit. Der so korrigierte Hilfebedarf erhöhe sich auf 32 Minuten pro Tag. Den Widerspruch
wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2007 zurück. Auch unter Berücksichtigung der Begleitung zu den regelmäßig
einmal pro Woche stattfindenden Praxisbesuchen errechne sich lediglich ein Hilfemehrbedarf gegenüber einem gleichaltrigen
Kind von 32 Minuten, was für Leistungen nach der Pflegestufe I nicht ausreiche. Danach werde ein Hilfebedarf von mehr als
45 Minuten pro Tag gefordert.
Im anschließenden Klageverfahren brachte die Klägerin vor, der Aufwand für die Heimdialyse müsse als pflegerelevant berücksichtigt
werden. Zugleich beantragte sie, ihr Prozesskostenhilfe zu gewähren. Sie müsse während der nächtlichen Dialyse mehrfach umgelagert
werden, um zu verhindern, dass der Dialyseschlauch durch unkontrolliertes Umdrehen abreiße. Auch benötige sie eine spezielle
Diät. Ihre Eltern müssten sie ständig zum Essen motivieren. Hierfür sei ein weiterer Hilfebedarf von 15 bis 20 Minuten anzusetzen.
Während der Dialyse könne sie nicht allein die Toilette aufsuchen. Die Eltern müssten sie zur Toilette tragen. Hierfür fielen
7 Minuten zusätzlich an. Da sie vermehrt schwitze, müsse sie öfters umgezogen werden. Für die wöchentlich einmal anfallenden
Arztbesuche seien nicht bloß 30 Minuten, sondern 45 Minuten anzusetzen. Insgesamt erreiche der Hilfebedarf mehr als 45 Minuten
täglich.
Hierzu nahm der MDK am 24.04.2008 Stellung und verneinte weiterhin einen Hilfebedarf, wie er für Pflegestufe I notwendig ist.
Verhaltensauffälligkeiten hätten sich nicht gezeigt, so dass allein deswegen eine Unterstützung in Form der Motivation und
Überwachung beim Essen nicht in Betracht komme. Dass die Klägerin nachts zur Toilette gebracht werden müsse, führe lediglich
zur Erhöhung des Hilfebedarfs von 5 Minuten pro Tag. Das nächtliche Wechseln des Nachthemds wegen vermehrten Schwitzens verursache
allenfalls einen zusätzlichen Bedarf von 2 Minuten, eine teilweise Wäsche des Oberkörpers in Verbindung damit weitere 4 Minuten.
Selbst wenn für die einmal wöchentlichen Arztbesuche 45 Minuten statt 30 Minuten angerechnet würden, erreiche der Hilfebedarf
nicht mehr als 45 Minuten. Denn für die Fahrt zum 3,6 km entfernten Arzt seien für Hin- und Rückweg jeweils 6 Minuten notwendig.
Bei durchschnittlicher Wartezeit von 45 statt 30 Minuten errechne sich für die wöchentlich einmal notwendigen Arztbesuche
umgerechnet auf den Tag nur 8 Minuten, nämlich 12 + 45 = 57: 7 = 8.
Den Antrag, ihr Prozesskostenhilfe zu gewähren, lehnte das Sozialgericht Regensburg (SG) mit Beschluss vom 25.07.2008 ab. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage habe die Klage keine hinreichende Aussicht
auf Erfolg. Nach dem Gutachten des MDK, auf das sich das Gericht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stützen
dürfe, lasse sich eine Erfolgsaussicht nicht erkennen.
Dagegen erhob die Klägerin Beschwerde. Sie wiederholte im Wesentlichen ihr Vorbringen. Insbesondere müsse die nächtliche Kontrolle,
dass der Dialyseschlauch richtig liege und die Motivation zum Essen berücksichtigt werden. Der Hilfebedarf übersteige 45 Minuten
pro Tag. Für Arztbesuche einmal pro Woche seien für Hin- und Rückfahrt inklusive Wartezeit nicht bloß 30 Minuten, sondern
45 Minuten anzurechnen. Das SG sei gehalten, den pflegerischen Mehrbedarf durch ein Gutachten abzuklären. Die Erfolgsaussichten seien schon dann zu bejahen,
wenn ein Erfolg als durchaus möglich angesehen werde und eine Beweisaufnahme durchzuführen sei.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 25.07.2008 aufzuheben, ihr Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihr Rechtsanwältin
B. beizuordnen.
Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Klage nach dem bisherigen Ermittlungsstand keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Bescheid vom 31.07.2007, mit dem
die Beklagte Leistungen der Pflegeversicherung als Kombinationsleistungen ablehnte, erweist sich als rechtmäßig. Bei der hier
gebotenen kursorischen Prüfung vermag der Senat keinen Hilfebedarf festzustellen, der den für Leistungen nach der Pflegestufe
I maßgebenden Zeitrahmen von mehr als 45 Minuten pro Tag erreichen würde (§§
14 und
15 Abs.1 Nr.1 und Abs.3 Nr.1 des Elften Sozialgesetzbuchs -
SGB XI -).
Anders als die Klägerin meint, können im Rahmen der freien Beweiswürdigung gemäß §§
118,
128 SGG im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten im Urkundenbeweis verwertet werden. Solche Gutachten sind keine Privatgutachten
(Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Auflage § 118 Rdnr.12b). Dem entspricht auch die vom SG bereits zitierte Rechtsprechung des BSG (BSG-Urteil vom 14.12.2000, - B 3 P 5/00 R). Nach dem vom MDK erstatteten Gutachten vom 24.09.2007 einschließlich der ergänzenden Stellungnahme wird ein Hilfebedarf
erreicht, der weit unter den von Pflegestufe I geforderten 45 Minuten täglich liegt. Die Ausführungen der Klägerin im Klageverfahren
geben keinen Anlass, ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen. Ihre Einwendungen sind nicht geeignet, die Feststellungen
des MDK zu widerlegen.
Die Frage, ob und in welcher Art ein Pflegebedarf bei der Peritonealdialyse zu berücksichtigen ist, ist höchstrichterlich
bereits entschieden. Das BSG legte in der Entscheidung vom 12.11.2003 - B 3 P 5/02 R dar, dass Dialyse eine Maßnahme der Behandlungspflege ist und auch dann nicht als Verrichtung im Ablauf des täglichen Lebens
im Sinne des §
14 SGB XI gewertet werden kann, wenn sie krankheitsbedingt täglich zu leisten ist. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung schließe
eine Berücksichtigung der Behandlungspflege als Grundpflege zwar nicht immer aus. Sie sei aber nur ausnahmsweise dann nach
§
14 SGB XI zu berücksichtigen, wenn und soweit sie entweder Bestandteil der Hilfe für eine der zur Grundpflege gehörenden Verrichtung
ist oder aus medizinisch-pflegerischen Gründen in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Maßnahme
der Grundpflege erforderlich wird. Die Peritonaldialyse sei weder als "Blasenentleerung" im Sinne des §
14 Abs.4 Nr.1
SGB XI anzusehen, noch komme eine Gleichstellung dieser Maßnahme mit der Grundpflege in Betracht. Auch die Hilfe bei der technischen
Durchführung und Überwachung der Bauchdialyse könne nicht als Pflegebedarf berücksichtigt werden. In der vorgenannten Entscheidung
räumt das BSG ein, dass diese Art der Ausgrenzung von Behandlungspflegemaßnahmen ungerecht erscheinen möge, jedoch nicht verfassungswidrig
sei. Dem Gesetzgeber sei insoweit ein großer Entscheidungsfreiraum eingeräumt. Damit kommt der Senat wie vor ihm das SG zum Ergebnis, dass die Leistungen bei der Peritonealdialyse durch die Eltern nicht berücksichtigungsfähig sind, soweit sie
nicht mit einer Pflegeverrichtung untrennbar verbunden sind. Nach dieser Maßgabe sind lediglich das Wechseln des Nachthemds
und das Waschen des Oberkörpers wegen vermehrten Schwitzens und das Verbringen zur Toilette während der Dialsyse berücksichtigungsfähig.
Hinzu kommt der Zeitbedarf von 2 Minuten für das Eincremen mit Dermatica.
Für die notwendige Begleitung der Klägerin zum regelmäßig einmal wöchentlich anfallenden Arztbesuch ist zu erläutern, dass
der gesamte Zeitbedarf hierfür zu addieren und, weil er nur einmal wöchentlich anfällt, auf den Tag umzurechnen ist. Das bedeutet,
dass selbst bei einer Wartezeit von 45 Minuten für die Anfahrt zur 3,6 km entfernt liegenden Arztpraxis lediglich 12 Minuten
hinzuzurechnen (= 57 Minuten) und durch 7 zu teilen sind. Dies ergibt umgerechnet 8 Minuten pro Tag. Insofern ist der Vortrag
der Klägerin nicht schlüssig, bei einer Wartezeit von 45 Minuten statt 30 Minuten würde der tägliche Hilfebedarf mehr als
45 Minuten erreichen. Soweit der MDK in seinem früheren Gutachten vom 24.09.2007 ohne Umrechnung auf den Tag 30 Minuten zusätzlicher
Pflegezeit und damit einen Gesamtpflegebedarf von 32 Minuten ansetzte, kann dieser Berechnung nicht gefolgt werden. Richtig
ist vielmehr, wie bereits dargelegt, eine Umrechnung der wöchentlich anfallenden Zeit der Begleitung auf den Tag.
Für die Begleitung zum Kindergarten fällt kein Hilfebedarf im Sinne der Pflegeversicherung an. Dies hat das BSG bereits mehrfach
festgestellt, im Übrigen auch in der bereits angegebenen Entscheidung vom 12.11.2003, dort zum Schulbesuch. Das BSG betont,
bei solchen notwendigen Begleitungen handele es sich nicht um Hilfen zur Aufrechterhaltung der Existenz des Versicherten in
der häuslichen Umgebung. Ein derartiger Hilfebedarf könne nicht mit der Verrichtung "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung"
in Beziehung gesetzt werden.
Damit ist nach dem gegenwärtigen Beweisergebnis eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage zu verneinen und Prozesskostenhilfe,
auch bei unterstellter Bedürftigkeit, nicht zu gewähren.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 25.07.2008 war zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).