Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren bei Feststellungsverfahren nach § 69 Abs. 1 SGB IX
Gründe:
I. Die Klägerin und hiesige Beschwerdeführerin ist schwerbehindert im Sinne von §§
2 Abs.2, 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX). Der Grad der Behinderung (GdB) ist mit 100 höchstmöglich festgestellt. Streitig ist zwischen den Parteien die Feststellung
der Merkzeichen "aG" und "RF".
Der Beklagte und hiesige Beschwerdegegner hat mit dem streitgegenständlichen Änderungsbescheid des Zentrums Bayern Familie
und Soziales Region Oberpfalz vom 25.10.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrums Bayern Familie und Soziales
vom 28.01.2008 den GdB ab 06.08.2007 mit 100 festgestellt sowie die Merkzeichen "G" und "B" zuerkannt. Hierbei sind nachstehende
Gesundheitsstörungen berücksichtigt worden:
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Nervenwurzelreizerscheinungen, Wirbelgleiten, Osteoporose im
Kniegelenk beidseits (Einzel-GdB 60);
künstlicher Teilgelenkersatz beider Schultergelenke, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke (Einzel-GdB 50);
Schwerhörigkeit beidseits (Einzel-GdB 30);
cerebrale Minderdurchblutung mit funktionellen Auswirkungen (Einzel-GdB 30);
Bluthochdruck (Einzel-GdB 20);
Zuckerkrankheit (Einzel-GdB10).
In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Regensburg bereits ein ärztliches Gutachten gemäß §§
103,
106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) eingeholt. Dr.J. W. hat mit internistischem Fachgutachten vom 22.10.2008 die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab Oktober
2008 befürwortet, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" jedoch verneint.
Das entsprechende Vergleichsangebot des Beklagten vom 08.01.2009 ist von den Bevollmächtigten der Klägerin bislang nicht angenommen
worden. Diese haben mit Schriftsatz vom 28.01.2009 mitgeteilt, dass sie ihrer Mandantin zwar empfohlen hätten, das Vergleichsangebot
des Beklagten vom 08.01.2009 anzunehmen und auch die Klage zurückzunehmen. Vorab werde aber gebeten, über die schriftsätzlich
am 28.02.2008 beantragte Prozesskostenhilfe zu entscheiden.
Das Sozialgericht Regensburg hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 13.02.2009 abgelehnt. Vorliegend
sei es gemäß §
73a SGG in Verbindung mit §
121 Abs.2 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) nicht erforderlich, der Klägerin einen Rechtsanwalt ihrer Wahl beizuordnen. Der Rechtsstreit sei weder in tatsächlicher
noch in rechtlicher Hinsicht schwierig. Der Sachverhalt sei auch in keiner Weise besonders schwer von Amts wegen aufklärbar
gewesen. Auch habe der Beklagte zugunsten der Antragstellerin sämtliche Umstände zu beachten, die zu einer Entscheidung über
einen Anspruch erforderlich seien. Daneben habe der Beklagte die Interessen der Sozialgemeinschaft zu wahren, zu der auch
die Klägerin selbst gehöre.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 19.02.2009 ging am 20.02.2009 beim Sozialgericht Regensburg ein. Dieses legte den
Gesamtvorgang dem Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) zur Entscheidung vor.
Auf Anfrage des BayLSG vom 06.04.2009 übermittelten die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin eine aktuelle Erklärung über
die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
II. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist gemäß den §§ 73a, 172 ff.
SGG in Verbindung mit §
127 Abs.2 Satz 2
ZPO zulässig und begründet.
Das Sozialgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 13.02.2009 - S 9 SB 112/08 - grundsätzlich zutreffend darauf abgestellt, dass in Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz (nunmehr:
SGB IX) die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß §
121 Abs.2
ZPO regelmäßig nicht erforderlich ist. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BayLSG (vgl. zuletzt Beschluss vom 03.11.2008
- L 15 B 899/08 SB PKH -).
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt in Verfahren wie dem vorliegenden nur in Ausnahmefällen in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht
hat seinen Beschluss vom 18.12.2001 - 1 BvR 391/01 - mit Beschluss vom 22.06.2007 - 1 BvR 681/07 - fortgeführt. Ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich im Sinne des §
121 Abs.2
ZPO erscheine, beurteile sich nicht nur nach Umfang und Schwierigkeit der Sache, sondern auch nach der Fähigkeit des Beteiligten,
sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Entscheidend sei, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise
einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon sei regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand
und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht bestehe. Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung
eines Rechtsanwalts sei, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führten, dass der Grundsatz der "Waffengleichheit"
zwischen den Parteien verletzt sei. Angesichts dessen hätte es insbesondere eines Eingehens auf die Frage bedurft, ob die
festgestellten Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers zu einem derartigen Ungleichgewicht zwischen den Parteien führten
und wie weit dieses Ungleichgewicht gegebenenfalls durch andere gerichtliche Maßnahmen - etwa nach §
186 des Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) - behoben werden könnte.
Hiervon ausgehend ist darauf hinzuweisen, dass die 1926 geborene Klägerin nicht nur an einer altersbedingten Schwerhörigkeit
beidseits leidet, sondern u.a. auch eine "cerebrale Minderdurchblutung mit funktionellen Auswirkungen", bewertet mit einem
Einzel-GdB von 30. Die Zusammenschau vor allem der vorstehend genannten Funktionsstörungen ergibt, dass hier ein Ausnahmefall
vorliegt, der es gebietet in Beachtung des Grundsatzes der "Waffengleichheit", wie er von dem Bundesverfassungsgericht entwickelt
worden ist, der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Sozialgericht Regensburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung
unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt R. S. zu bewilligen. Denn die genannten Funktionsstörungen wirken sich auf
die Kommunikationsfähigkeit der Beschwerdeführerin entscheidungserheblich aus.
Die Beschwerdeführerin ist auch bedürftig im Sinne von §
115 ZPO. Sie bezieht zwei Altersrenten in Höhe von insgesamt 804,63 EUR netto. Das selbst genutzte Haus in A-Stadt ist noch mit 44.909,51
EUR beliehen. Die monatliche Belastung aus Fremdmitteln beläuft sich auf 319,00 EUR. Zuzüglich Heizungskosten und übrigen
Nebenkosten verwendet die Beschwerdeführerin 408,00 EUR monatlich auf das Haus. Ihr verbleiben somit lediglich 396,63 EUR
monatlich für die übrigen Lebenshaltungskosten.
Auch wenn der Beklagte mit Vergleichsangebot vom 08.01.2009 sich bereit erklärt hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
entstandenen notwendigen Aufwendungen des Klageverfahrens (ohne Vorverfahren zu 4/10 zu erstatten, würde ohne die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe dennoch ein Teil der Rechtsanwaltskosten ungedeckt sein.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist nicht anfechtbar (§§
177,
193 SGG).