Leistungen für ärztlich verordneten Rehabilitationssport in Gruppen
Begriff des Rehabilitationssports
Überwiegender medizinischer Zweck
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Leistungen für ärztlich verordneten Rehabilitationssport in Gruppen (Reha-Sport).
Mit ärztlicher Verordnung vom 15.05.2012 begehrte die Klägerin die Kostenübernahme für Reha-Sport in Gestalt von Gymnastik
(auch im Wasser). Zur Begründung wurde angeführt, dass die bei der Klägerin vorliegende Diagnose (M47.99 G - Spondylose, nicht
näher bezeichnet) zu Funktionsstörungen und Schmerzen durch Gelenkblockierung führe. Ziel des Rehabilitationssports seien
Funktionsverbesserung und Schmerzreduktion durch Verringern oder Beseitigen der Gelenkfunktionsstörung.
Im Verwaltungsverfahren wurde von der Beklagten der verordnende Arzt Dr. med. G. M. mit einem Fragebogen zur Klärung eines
weiteren Bedarfs von Rehabilitationssport zur Stellungnahme beteiligt. Auf die Frage, ob die Verlängerung des Reha-Sports
unter fachkundiger Anleitung und Überwachung in der Gruppe medizinisch notwendig sei, wurde "nein" angekreuzt.
Außerdem wurde von der Beklagten der MDK beteiligt, der am 15.06.2012 eine negative Stellungnahme abgab.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20.06.2012 den Antrag auf Kostenübernahme ab. Nach der Stellungnahme des medizinischen
Sachverständigen gingen aus der ärztlichen Verordnung keine Gründe für eine nochmalige Kostenübernahme hervor. Die Übungen
könnten selbstständig und in Eigenverantwortung durchgeführt werden.
Mit Schreiben vom 13.07.2012 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 20.06.2012 Widerspruch ein. Nach dem Urteil des BSG vom 02.11.2010 (B 1 KR 8/10 R) komme es auf die Möglichkeiten der Eigenbeübung nicht an. Im Übrigen könne die Klägerin die Übungen noch nicht selbstständig
durchführen. Ergänzend führte die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.07.2012 aus, der MDK gehe in tatsächlicher Hinsicht davon
aus, dass die medizinische Notwendigkeit gegeben sei. Er schließe diese lediglich mit rechtlichen Erwägungen, gestützt auf
die Rahmenvereinbarung, aus. Die Rahmenvereinbarung sei jedoch rechtlich unwirksam, soweit sie den Anspruch auf Rehabilitationssport
einschränke. Auch auf die Frage der eventuell möglichen Eigenübung komme es im Rahmen des Rehabilitationssports im Unterschied
zum Funktionstraining nicht an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Beklagte folge den Ausführungen des
MDK. Eine medizinische Notwendigkeit für die weitere Kostenübernahme von Reha-Sport sei nicht gegeben, die Klägerin sei durch
die bisherige Teilnahme in die Lage versetzt worden, erlernte Übungen eigenverantwortlich durchzuführen. Auf den in §
1 SGB V normierten Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der Versicherten dürfe in diesem Zusammenhang besonders hingewiesen werden.
Selbst der verordnende Arzt halte die Verlängerung des Reha-Sports in der Gruppe unter fachkundiger Anleitung/Überwachung
nicht für medizinisch notwendig. Das in der Widerspruchsbegründung zitierte Urteil des BSG vom 02.11.2010 (B 1 KR 8/10 R) könne in diesem Fall keine Anwendung finden. Das BSG habe bei diesem Urteil in dem konkreten Fall die soziale Komponente des Gruppensports in den Vordergrund gestellt. Das Gemeinschaftserlebnis
werde hier als rehabilitativ bezeichnet und es würden die besonderen Rechte behinderter Menschen in den Fokus gerückt. Das
Urteil sei nicht geeignet, unkritisch auf sämtliche Verordnungen von Reha-Sport übertragen zu werden. Vielmehr habe daraus
zu folgen, dass die medizinische Notwendigkeit jeweils im Einzelfall festzustellen sei. Diese sei wesentliche Voraussetzung
für Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung.
Gegen den Bescheid vom 20.06.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2012 hat die Klägerin am 22.08.2012 Klage
zum Sozialgericht Landshut (SG) erhoben. Sie hat ein Attest des Orthopäden Dr. M. vom 12.08.2012 vorgelegt, in dem es heißt, bei der Klägerin beständen
seit längerem Beschwerden an allen Muskeln des Körpers. Es lägen klinisch deutliche Zeichen der generalisierten fibromyalgischen
Muskel-Ansatztendinose vor. Als Diagnosen hat Dr. M. angegeben:
Osteopenie, segmentale Funktionsstörung LWS, Fersensporn, Fibrolmyalgie-Syndrom, vegetative Dystonie, Lumbago, Spreizsenkfuß
ausgeprägt beidseits und degeneratives LWS-Syndrom.
Soweit die Beklagte im Widerspruchsbescheid die Auffassung vertreten habe, der Leistungsanspruch gegenüber der GKV bestehe
bei Folgeanträgen nur, wenn der Versicherte nicht in der Lage sei, das bereits einmal Erlernte selbstständig umzusetzen und
es erforderlich sei, weiter an Gruppentraining teilzunehmen, sei dies unzutreffend. Diese Erwägungen des BSG aus dem Urteil vom 17.06.2008 (B 1 KR 31/07 R) zum Funktionstraining seien gemäß der Entscheidung des BSG vom 02.11.2010 (B 1 KR 8/10 R) auf den Rehabilitationssport nicht übertragbar.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30.07.2012 zu verurteilen, der Klägerin Mittel zur Gewährung von Rehabilitationssport zur Verfügung zu stellen.
Mit Urteil vom 01.08.2014 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2012 verurteilt,
die Kosten für die Teilnahme der Klägerin am Rehabilitationssport auf Grundlage der Verordnung vom 15.05.2012 in Höhe von
250,- Euro zu erstatten.
Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Kammer gehe davon aus, dass die Voraussetzungen des Anspruchs auf Rehabilitationssport im vorliegenden Fall
gegeben seien, da die Klägerin rehabilitationsbedürftig sei, der Rehabilitationssport eine Maßnahme der Rehabilitation oder
der Krankenbehandlung ergänze und geeignet, notwendig und wirtschaftlich sei.
Gem. §
11 Abs.
2 Satz 1
SGB V hätten Versicherte Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, wenn bei diesen eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit
vorliege. Die Klägerin sei rehabilitationsbedürftig, da eine Behinderung vorliege. Maßgeblich sei der während des gerichtlichen
Verfahrens vorgelegte Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 08.10.2012. Aus diesem ergebe sich, dass die gesundheitlichen
Verhältnisse im Hinblick auf die für den Reha-Sport verordnungsbegründende Diagnose Spondylose der Wirbelsäule ein Ausmaß
hätten, welches nicht nur eine altersentsprechende Problematik darstelle, sondern die Feststellung eines Einzel-GdB bedinge.
Rehabilitationssport sei notwendig, wenn bei dem Versicherten eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit vorliege, die durch
die weitere Teilnahme am Rehabilitationssport abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, deren Verschlimmerung
zu verhüten oder deren Folgen zu mildern seien.
Gestützt auf die Verordnung vom 15.05.2012, den vom verordnenden Arzt Dr. med. G. M. ausgefüllten Fragebogen zur Klärung eines
weiteren Bedarfs von Rehabilitationssport sowie die MDK-Stellungnahmen vom 15.06.2012 und 17.05.2013 gehe die Kammer davon
aus, dass der Rehabilitationssport im vorliegenden Fall der Klägerin geeignet, notwendig und wirtschaftlich sei.
Die Beklagte stütze ihre Leistungsverweigerung zu Unrecht auf die Auffassung, dass die Klägerin aufgrund der bisher durchgeführten
Übungseinheiten in der Lage sei, die erlernten Übungen eigenverantwortlich und ohne Hilfestellung des Übungsleiters fortzuführen.
Im Unterschied zum Funktionstraining handele es sich beim Reha-Sport nicht um eine bloße Hilfe zur Selbsthilfe. Dies folge
aus dem Urteil des BSG vom 02.11.2010 (B 1 KR 8/10 R). Es sei also unbeachtlich, ob eine eigenverantwortliche Durchführung des Reha-Sports möglich sei und über welche individuellen
Vorkenntnisse der Leistungsberechtigte verfüge.
Die Verweisung der Versicherten auf Training in anderer Form, z.B. durch Eigenübungen oder die Teilnahme an anderen Trainingsmaßnahmen
(Gymnastikgruppen im Sportverein, VHS etc.), sei rechtlich nicht relevant. Auch dies ergebe sich aus dem Urteil des BSG vom 02.11.2010 (B 1 KR 8/10 R). Die Kammer vertrete die Auffassung, dass es gemessen am Sinn und Zweck der ergänzenden Maßnahme, Betroffenen im Rahmen
ihrer medizinisch notwendigen Rehabilitation und Krankenbehandlung auch sportlich Gruppenaktivitäten auf Kosten der gesetzlichen
Krankenversicherung zu ermöglichen, nicht darauf ankomme, dass die Versicherten möglicherweise auch andere sportliche Aktivitäten
außerhalb des Rehabilitationssports ausüben könnten. Die Notwendigkeit im Sinn des § 11 Abs. 2 Satz 1 SBG V sei nicht gleichzusetzen mit der zwingenden Erforderlichkeit des Reha-Sports in Gruppen, sondern es reiche aus, dass die
Teilnahme des Versicherten am Reha-Sport in Gruppen im Hinblick auf das Behandlungsziel medizinisch sinnvoll und empfehlenswert
sei.
Gegen das am 05.08.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.09.2014 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, das SG habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Reha-Sport als akzessorische Leistung ergänzend zu einer Hauptleistung der
Krankenkasse erbracht werden sollte. Bei der Klägerin habe zwischen dem 15.05.2012 und dem November 2013 nur vom 25.04.2013
bis 26.04.2013 eine Krankenbehandlung stattgefunden. Es habe sich um einen Krankenhausaufenthalt wegen einer Ösophagitis gehandelt,
also einer Entzündung der Speiseröhre. Ein Zusammenhang mit dem beantragten Reha-Sport bestehe nicht. Ferner sei die Klägerin
je einmal bei einem Orthopäden und einem Lungenfacharzt gewesen. Spezielle fachärztliche Krankenbehandlung wegen der hier
relevanten Krankheitsbilder seien darüber hinaus nicht durchgeführt worden.
Keinesfalls könne auf die Voraussetzung verzichtet werden, dass Reha-Sport in Gruppen im Einzelfall medizinisch notwendig
sein müsse. Etwas anderes könne auch aus der Rechtsprechung des BSG nicht abgeleitet werden. Es reiche nicht aus, wenn der Reha-Sport medizinisch sinnvoll und empfehlenswert sei. Im konkreten
Fall habe der verordnende Arzt die medizinische Notwendigkeit verneint. Im Übrigen müssten Versicherte auch auf eigene Kosten
einen Beitrag zu ihrer Gesundheit leisten. Ergänzend sei der aktuelle Rahmenvertrag anzuwenden, der vom BSG nicht für rechtswidrig erklärt worden sei.
Schließlich sei nicht belegt worden, warum die spezielle sportliche Betätigung in einer Reha-Sportgruppe (unter ärztlicher
Aufsicht) bei der Klägerin notwendig sein solle. Das zitierte Urteil des BSG (B 1 KR 8/10 R) habe einen Rollstuhlfahrer betroffen, der - anders als die Klägerin - kaum andere Möglichkeiten gehabt habe, sich sportlich
zu betätigen, als in der beantragten Basketballgruppe. Dort habe die sportliche Betätigung in der Gruppe einen rehabilitativen
Charakter gehabt, weil sie sich als eine der wenigen Betätigungsmöglichkeiten aufbauend auf die psychische Situation ausgewirkt
habe. Der vorliegende Fall unterscheide sich auch wesentlich von Sachverhalten, in denen Versicherte Reha-Sport n einer Herzsportgruppe
begehrten. Hier sei die Erforderlichkeit einer ärztlichen Überwachung besonders naheliegend.
Die Klägerin hat vorgetragen, jede Begrenzung des Anspruchs auf Reha-Sport durch eine Rahmenvereinbarung sei rechtswidrig.
Akzessorietät sei keine Anspruchsvoraussetzung für Reha-Sport. Im Übrigen stehe die bei der Klägerin behandelte Ösophagitis
möglicherweise in einem Zusammenhang mit dem asthma bronchiale, auf das die Verordnung von Reha-Sport gestützt worden sei.
Die vorliegenden Gutachten des MDK gingen nicht auf die Frage der medizinischen Notwendigkeit ein. Der Gesetzgeber habe Reha-Sport
in Gruppen als Leistung der GKV vorgesehen. Der Anspruch sei nicht auf bestimmte Personengruppen wie z. B. Rollstuhlfahrer
beschränkt.
Auf Nachfrage des Senats hat die Klägerin mitgeteilt, sie habe seit der streitgegenständlichen Verordnung keinen Reha-Sport
mehr betrieben. Daher seien auch keine erstattungsfähigen Kosten entstanden. Der in erster Instanz gestellte Antrag sei auf
Gewährung einer Sachleistung gerichtet gewesen.
Der Rechtsstreit ist in der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2016 vertagt worden. Der Senat hat die Schwerbehindertenakte
der Klägerin beigezogen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 01.08.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 23.11.2016 beantragt,
1.
die Berufung zurückzuweisen,
2.
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 01.08.2014 klarzustellen und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom
20.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2012 zu verurteilen, der Klägerin auf Grundlage der Verordnung
vom 15.05.2012 Rehabilitationssport durch Gymnastik im Umfang von 50 Übungseinheiten in 18 Monaten zu gewähren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogene Akte
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung
auf die Möglichkeit einer Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§
110,
126,
132 SGG). Im Übrigen hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 22.05.2018 mitgeteilt, er werde den Termin am 28.06.2018
nicht wahrnehmen; es möge nichtsdestotrotz entschieden werden.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft, weil das
SG sie in dem angefochtenen Urteil zugelassen hat (§
144 Abs.
1 Satz 1
SGG). Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt (§
151 SGG).
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet.
Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil eine Kostenerstattung zugesprochen. Der Bevollmächtigte der Klägerin hatte
jedoch seinen ursprünglich gestellten Klageantrag, "der Klägerin Mittel zur Gewährung von Rehabilitationssport zur Verfügung
zu stellen", mit Schriftsatz vom 05.05.2014 dahingehend konkretisiert, dass die Klägerin begehre, "zukünftig auf Kosten der
Beklagten Rehabilitationssport betreiben zu können". Sein Klageantrag war demnach auf einen Primärleistungsanspruch (Gewährung
von Reha-Sport) gerichtet und nicht auf Erstattung der Kosten einer selbst beschafften Leistung. Damit hat das Sozialgericht
nicht über den gestellten Klageantrag entschieden und der Klägerin etwas zugesprochen, was nicht beantragt war. Das Urteil
konnte schon aus diesem Grund keinen Bestand haben und war daher aufzuheben.
Somit war noch über den offenen Klageantrag (Verurteilung der Beklagten, die Klägerin auf Grundlage der ärztlichen Verordnung
vom 15.05.2012 mit Rehabilitationssport zu versorgen) zu entscheiden. Insoweit ist die Klage unbegründet. Die Klägerin hat
keinen Anspruch auf eine weitere Versorgung mit Reha-Sport in Gruppen aufgrund der ärztlichen Verordnung vom 15.05.2012.
Versicherte haben nach §
11 Abs.
2 Satz 1
SGB V Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen,
die notwendig sind, um eine Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern oder auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu
verhüten oder ihre Folgen zu mindern. Diese Leistungen werden unter Beachtung des
SGB IX erbracht, soweit im
SGB V nichts anderes bestimmt ist (§
11 Abs.
2 Satz 3
SGB V).
Die Krankenkasse kann neben den Leistungen, die nach §
64 Abs.
1 Nr.
2 bis 6
SGB IX sowie nach §§
73 und
74 SGB IX (jeweils in der Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016, BGBl I 3234) als ergänzende Leistungen zu erbringen sind,
weitere Leistungen zur Rehabilitation ganz oder teilweise erbringen oder fördern, wenn sie zuletzt Krankenbehandlung gewährt
hat oder leistet (§
43 Abs.
1 Nr.
1 SGB V). §
64 Abs.
1 Nr.
3 SGB IX sieht als ergänzende Leistung u.a. zur medizinischen Rehabilitation "ärztlich verordneten Rehabilitationssport in Gruppen
unter ärztlicher Betreuung und Überwachung" vor.
Aus dem Wortlaut des §
43 Abs.
1 SGB V ("zu erbringen ... sind") folgt, dass ein Rechtsanspruch auf die ergänzende Leistung "Reha-Sport in Gruppen" besteht, wenn
die in der Regelung genannten Voraussetzungen vorliegen. Die Verweisung des §
43 Abs.
1 SGB V auf die darin angesprochenen Regelungen des
SGB IX über die Erbringung ergänzender Leistungen zur Rehabilitation bewirkt, dass diese Regelungen im Bereich der GKV Anwendung
finden, weil das
SGB V für den in §
64 Abs.
1 Nr.
3 SGB IX geregelten Rehabilitationssport nichts Abweichendes i. S. v. §
11 Abs.
2 Satz 3
SGB V und §
7 SGB IX bestimmt (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2008, B 1 KR 31/07 R, Rn. 20).
Der von der Klägerin begehrte Reha-Sport im Sinne von §
64 Abs.
1 Nr.
3 SGB IX setzt zunächst voraus, dass er ärztlich verordnet worden ist. Das ist hier der Fall. Es liegt eine entsprechende ärztliche
Verordnung der Praxis Dr. M. vom 15.05.2012 vor. Allerdings stellt sich die Frage, ob die mittlerweile knapp sechs Jahre alte
Verordnung noch eine sinnvolle Grundlage für eine aktuell durchzuführende medizinische Maßnahme sein kann oder ob sie nicht
durch Zeitablauf als überholt anzusehen ist. Nach Auffassung des Senats kann die Verordnung vom 15.05.2012 nur dann als hinreichende
Grundlage für künftig durchzuführenden Reha-Sport angesehen werden, wenn sich der Gesundheitszustand der Klägerin seit der
Verordnung nicht in wesentlicher Hinsicht verändert hat. Sollte sich ihre gesundheitliche Verfassung in relevanter Weise verschlechtert
haben, müsste die Verordnung jedenfalls als überholt betrachtet werden. Gleiches gilt für den Fall einer deutlichen Verbesserung
ihres Gesundheitszustands. Den vorliegenden Akten sind jedoch konkrete Anhaltspunkte für eine relevante Veränderung des Gesundheitszustands
der Klägerin nicht zu entnehmen. Entsprechendes ist von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden. Der Senat geht daher zugunsten
der Klägerin von einer weiter bestehenden Gültigkeit der Verordnung vom 15.05.2012 aus.
Der Rehabilitationssport muss ferner zumindest Maßnahmen der Krankenbehandlung einschließlich medizinischer Rehabilitation
ergänzen, denn ergänzende Leistungen zur Rehabilitation sind von den Krankenkassen akzessorisch zu einer zuvor oder gleichzeitig
von ihnen zu gewährenden Hauptleistung zu erbringen (BSG, Urteil vom 17.06.2008, B 1 KR 31/07 R, Rn. 35). Dies ist nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall zu bejahen. Die Klägerin leidet nach der Stellungnahme
von Dr. M. vom 12.08.2012 unter Osteopenie, segmentaler Funktionsstörung LWS, Fersensporn, Fibrolmyalgie-Syndrom, vegetativer
Dystonie, Lumbago, Spreizsenkfuß ausgeprägt beidseits und degenerativem LWS-Syndrom. Auch wenn im Zeitraum 2012/2013 eine
Behandlung offensichtlich nur sporadisch durchgeführt wurde, geht der Senat zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass der verordnete
Reha-Sport die Behandlung unterstützen sollte.
Schließlich muss die begehrte Leistung im Einzelfall geeignet, notwendig und wirtschaftlich sein (§
11 Abs.
2 Satz 1, §
43 Abs.
1 SGB V i.V.m. §
64 Abs.
1 Nr.
3 SGB IX, §
12 Abs.
1 SGB V). Dies hat das BSG mit Beschluss vom 09.05.2018 (B 1 KR 55/17 B) nochmals bestätigt. Bei der Frage der Notwendigkeit des Reha-Sports sind auch dessen Zielsetzung und seine besondere Ausgestaltung
zu berücksichtigen.
Wie das BSG in seinem Urteil vom 22.04.2009 (B 3 KR 5/08 R, Rn. 20) ausführt, ist der Rehabilitationssport eine Maßnahme, die über die spezifische Zielrichtung von §
1 Satz 1 und §
2 SGB V hinausgeht und der Aufgabenstellung in §
1 SGB IX entspricht, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu
fördern. Anders als Krankengymnastik oder physikalische Therapie fällt Sport, der in allgemeiner Weise den körperlichen und
psychischen Zustand positiv beeinflussen soll und bei dem der medizinische Zweck nicht überwiegt, nicht unter den krankenversicherungsrechtlichen
Behandlungsbegriff. Weiter heißt es in der o.g. Entscheidung (Rn. 21):
"Unabhängig von der Art der Behinderung weisen behinderte oder chronisch kranke Menschen nämlich eine ausgeprägte körperliche
Inaktivität mit einer Vielzahl negativer Folgen auf, die mit dem Behindertensport angegangen werden sollen (vgl. Schmid/Huber/Marschner/Zimmer,
Medizinische Aspekte im Behindertensport, DÄBl 2004, A-2177). Dementsprechend dient ärztlich verordneter Behindertensport
in Gruppen nicht unmittelbar der Therapie einer Krankheit, sondern soll wesentlich dazu beitragen, die körperliche Leistungsfähigkeit
zu verbessern, Restfunktionen zu mobilisieren, die Ausdauer und Belastungsfähigkeit zu erhöhen und den Betroffenen bei der
psychischen Bewältigung ihrer Krankheit und Behinderung sowie den Folgewirkungen zu helfen (so Bericht der Bundesregierung
über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe, BT-Drucks 15/4575 S. 59 unter 3.27)."
Nach dem Urteil des BSG vom 02.11.2010 (B 1 KR 8/10 R, Rn. 18) ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Leistung nicht nur als "Rehabilitationssport", sondern als "Rehabilitationssport
in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung" bezeichnet wird. Weiter heißt es:
"Das Gesetz misst bereits durch die Leistungskennzeichnung der Betätigung behinderter Menschen gerade in einer rehabilitationsorientierten
Sportgruppe einen besonderen Stellenwert im Zusammenhang mit ihren Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit
bei, der über denjenigen des gesundheitlichen Nutzens allgemeinen Sporttreibens und sinnvoller regelmäßiger körperteilbezogener
gymnastischer Übungen hinausgeht. Die Hervorhebung des Sports "in Gruppen" beruht hier offensichtlich auf der Erkenntnis,
dass für behinderte Menschen - zumal für Menschen, die wie der Kläger in jungen Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen sind
- häufig nur eine begrenzte Zahl von Sportarten in Betracht kommen wird (vgl. hierzu allgemein die in Nr. 5 bis 5.3 Rahmenvereinbarung
2003 hervorgehobenen Reha-Sportarten). Insoweit wirkt gerade das Gemeinschaftserlebnis, mit anderen vergleichbar Betroffenen
Sportliches leisten zu können, in besonderer Weise rehabilitativ."
Rehabilitationssport ist dann notwendig, wenn der rehabilitationsbedürftige Versicherte nicht auf eine dem Rehabilitationssport
in einer Gruppe gleichwertige sportliche Alternative verwiesen werden kann, insbesondere auch, weil diese nicht "unter ärztlicher
Betreuung und Überwachung" erfolgt (vgl. BSG, a.a.O, Rdnr. 18).
Abzustellen ist somit auf den Einzelfall und hierbei auf den Schweregrad der Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung des
rehabilitativen Zwecks des Gemeinschaftserlebnisses, mit anderen vergleichbar Betroffenen Sportliches leisten zu können (vgl.
Bayer. LSG, Urteil vom 20.06.2017, L 4 KR 399/14).
Auch unter Beachtung der vorbeschriebenen weiten Zielsetzung des Reha-Sports ist im vorliegenden Fall die weitere Versorgung
der Klägerin mit Rehabilitationssport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung nicht notwendig. Dabei ist beachten,
dass die Notwendigkeit nicht nur im Hinblick auf die sportliche Betätigung als solche, sondern auch im Hinblick auf die Tatbestandsmerkmale
"in Gruppen" und "unter ärztlicher Betreuung und Überwachung" zu prüfen ist.
Zwar erscheint das weitere Betreiben von (Reha-)Sport bei der Klägerin durchaus sinnvoll, wie die Beklagte selbst angegeben
hat. Entgegen der Auffassung des SG liegt aber eine Notwendigkeit im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 SBG V nicht schon dann vor, wenn die weitere Teilnahme am Reha-Sport in Gruppen medizinisch sinnvoll und empfehlenswert ist.
Eine Notwendigkeit für die fortgesetzte Durchführung von Reha-Sport kann vielmehr nur dann bejaht werden, wenn die mit dem
Reha-Sport anvisierten Ziele wie auch der rehabilitative Zweck desselben nur durch die weitere Teilnahme gerade am Rehabilitationssport
erreicht werden können.
Das ist in Anbetracht der vorliegenden Erkrankungen und Funktionseinschränkungen der Klägerin nicht der Fall. Zum einen ist
in keiner Weise erkennbar, dass die Klägerin Sport nur unter ärztlicher Betreuung und Überwachung in einer speziellen Rehabilitationsgruppe
betreiben kann. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb sie nicht auch die im Rahmen der Verordnung empfohlenen Aktivitäten
- Gymnastik (auch im Wasser) - eigenständig etwa in einem Verein, Fitnessstudio oder bei einem anderen Anbieter betreiben
könnte. Ein besonderes gesundheitliches Risiko, das jederzeit das Eingreifen eines Arztes erforderlich machen könnte, ergibt
sich aus den vorliegenden Diagnosen nicht.
Außerdem ist angesichts der ärztlich festgestellten Funktionseinschränkungen bei der Klägerin (Wirbelsäule, Füße) nicht erkennbar,
dass die Klägerin auf Reha-Sport angewiesen ist, um sich mit anderen vergleichbar Betroffenen gemeinsam sportlich betätigen
zu können (rehabilitativer Zweck des Gemeinschaftserlebnisses). Auch wenn Reha-Sport keine Hilfe zur Selbsthilfe darstellt,
die nur so lange gewährt werden kann, bis der Patient gelernt hat, die Übungen allein durchzuführen, bedeutet dies nicht,
dass auf das Merkmal der Erforderlichkeit auch hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "in Gruppen" verzichtet werden könnte.
Der rehabilitative Zweck des Gemeinschaftserlebnisses ist besonders bei Sportarten nachvollziehbar, die ihrer Natur nach von
mehreren Personen gemeinsam ausgeübt werden, wie z.B. Bewegungsspiele oder Rollstuhl-Basketball (letzteres im Fall des BSG, B 1 KR 8/10 R). Dies trifft auf Gymnastik nicht zu. Hier sind an die Darstellung der besonderen Bedeutung des Gemeinschaftserlebnisses
hohe Anforderungen zu stellen, die im vorliegenden Fall nicht einmal ansatzweise erfüllt sind. So hat selbst der behandelnde
Arzt Dr. M. im Verwaltungsverfahren auf die von der Beklagten gestellte Frage, ob die Verlängerung des Rehabilitationssports
unter fachkundiger Anleitung und Überwachung in der Gruppe medizinisch notwendig sei, als Antwort "nein" angekreuzt.
Unter diesen Umständen ist eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht geboten; es würde sich
dabei um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, also um Ermittlungen ohne konkreten Anhaltspunkt ("ins Blaue") handeln (dazu
B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl., §
103 Rn. 8a m.w.N.).
Die Kostenentscheidung - die sich auf beide Rechtszüge bezieht - beruht auf §
193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.