Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nach einer Betriebsprüfung durch den Rentenversicherungsträger; Nachweis der
Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung für einen Tarifvertrag mit Mindestlohnfestsetzung
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Prüfbescheid der Beklagten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für
tarifvertraglich geregeltes, tatsächlich aber nicht gezahltes Arbeitsentgelt für seine früheren Arbeitnehmer im Zeitraum Januar
1998 bis April 1999.
Er war Inhaber des Maler- und Lackiererbetriebes E M in F und beschäftigte u. a. im oben genannten Zeitraum die Arbeitnehmer
H E, M F, F M, B S, C Q, S K und H C(im Folgenden: Mitarbeiter).
In diesem Zeitraum galt in Berlin-Brandenburg für alle gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk die Lohntabelle
für das Maler- und Lackiererhandwerk im Land Brandenburg vom 01. Oktober 1997, die zwischen dem Landesinnungsverband für das
Maler- und Lackiererhandwerk Berlin-Brandenburg und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Landesverband Berlin-Brandenburg,
beschlossen wurde. Für die Zeit vom 01. Januar 1998 bis 30. April 1999 ist diese Lohntabelle im Bundesanzeiger Nr. 167 vom
08. September 1998 durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg (MASGF) für allgemein
verbindlich erklärt worden. Sie sieht unter anderem vor, dass für Arbeitnehmer ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung im
Maler- und Lackiererhandwerk ab dem vollendeten 20. Lebensjahr sowie Junggesellen mit bestandener Gesellenprüfung im 1. Gesellenjahr
folgender Mindestarbeitslohn pro Stunde zu zahlen ist: Im Zeitraum vom 01.01.1998 bis 30.04.1998 19,79 DM und im Zeitraum
vom 01.05.1998 bis 30.04.1999 20,13 DM.
Gleichzeitig existierte noch ein Tarifvertrag der Maler- und Lackiererinnung F mit Arbeitnehmervertretern über die tarifvertragliche
Festlegung über Mindestlöhne im Malerhandwerk für den Zeitraum 1998 bis 2001, der in Bezug auf den zu zahlenden Mindestlohn
wesentlich geringere Beträge vorsah, nämlich zwischen 13,00 DM und 14,50 DM pro Stunde.
Die Lohntabelle vom 01. Oktober 1997 hatte die vorangegangene Lohntabelle vom 06. August 1996, in Kraft getreten zum 01. Mai
1996, abgelöst. Für die Zeit vom 01. Mai 1996 bis 30. April 1997 (also nicht nahtlos) war diese Lohntabelle im Bundesanzeiger
Nr. 47 vom 08. März 1997 durch das MASGF für allgemeinverbindlich erklärt worden. Sie sah für Arbeitnehmer ohne eine abgeschlossene
Berufsausbildung im Maler- und Lackiererhandwerk ab dem vollendeten 20. Lebensjahr sowie für Junggesellen mit bestandener
Gesellenprüfung im ersten Gesellenjahr eine nahezu identische Regelung zum Mindestlohn wie die hier im Streit stehende nachfolgende
Lohntabelle vor.
Mit Schreiben vom 14. Oktober 1999 beantragte der Landesinnungsverband des Maler- und Lackiererhandwerkes, auch noch die nachfolgende
Lohntabelle für das Maler- und Lackiererhandwerk im Land Brandenburg vom 01. Juli 1999 für allgemeinverbindlich zu erklären.
Im Land Brandenburg seien rund 2000 von insgesamt 5868 [also nur ca. 34 %] gewerblichen Arbeitnehmern (Angaben der Urlaubskasse
von August 1999) des Maler- und Lackiererhandwerks in Mitgliedsbetrieben des Landesinnungsverbandes beschäftigt. Auf entsprechende
Anfrage des MASGF teilte die Zusatzversorgungskasse des Maler- und Lackiererhandwerkes mit, dass im Maler- und Lackiererhandwerk
im Juni 1999 5337 Arbeitnehmer und im September 1999 5189 gewerbliche Arbeitnehmer in Brandenburg gemeldet worden seien. (August
1999 gemäß telefonischer Rücksprache: 5320). Mit Schreiben vom 08. Dezember 1999 teilte der Landesinnungsverband dem MASGF
mit, dass aufgrund zwischenzeitlicher telefonischer Abstimmung auf Mitarbeiterebene sich ergeben habe, dass die gesetzlichen
Mindestvoraussetzungen für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) in Brandenburg nicht mehr vorlägen. Er nahm den Antrag
zurück.
Aufgrund einer Betriebsprüfung am 12. Juni 2002 forderte die Beklagte nach Anhörung in der Schlussbesprechung vom Kläger mit
Bescheid vom 24. Juli 2002 Beiträge in Höhe von insgesamt 20.888,75 EUR für tarifvertraglich geschuldetes, tatsächlich aber
nicht gezahltes Arbeitsentgelt nach und führte zur Begründung aus, die Forderung ergebe sich aus der Nachberechnung der Beiträge
für die Differenz zwischen Mindestarbeitslohn und tatsächlich gezahltem Stundenlohn im Zeitraum Januar 1998 bis April 1999.
Die Höhe des Beitragsanspruches richte sich nach den vom Arbeitgeber geschuldeten Lohnleistungen und sei unabhängig davon,
ob das geschuldete Arbeitsentgelt tatsächlich dem Arbeitnehmer zugeflossen sei, denn der Entgeltanspruch mindestens in Höhe
des für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages könne für die Parteien eines Arbeitsvertrages nicht unterschritten
werden. Der Bescheid enthielt in der Anlage die Zusammenstellung und Berechnung über die nachgeforderten Beiträge. Hiergegen
widersprach der Kläger und führte aus, er habe den Tariflohn gezahlt und die tarifvertraglichen Festlegungen über Mindestlöhne
im Malerhandwerk beachtet; finanziell sei es ihm nicht möglich, die sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung zu finanzieren;
im Übrigen stünde ihm Vertrauensschutz im Hinblick auf das so genannte Zuflussprinzip zu.
Unter Hinweis auf das geltende Entstehungsprinzip und die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 14. Juli 2004 wies die
Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2004 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 16. November 2004 vor dem Sozialgericht Cottbus (SG) erhobene Klage, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er hat ergänzend vorgetragen, entscheidend für den Mindestlohn
sei im streitigen Zeitraum der Tarifvertrag der Maler- und Lackiererinnung F gewesen. Die Einzugsstellen in der Vergangenheit
hätten generell die Sozialversicherungsbeiträge anhand des tatsächlich zugeflossenen Arbeitentgeltes ermittelt, so dass er
auf diese Verwaltungspraxis habe vertrauen dürfen. Auch die Höhe der Nachforderung sei unbegründet, da diese nicht nachvollziehbar
sei. Die Beklagte hat hinsichtlich der Berechnung eine Übersicht zur Feststellung der Differenzlöhne übersandt und dargelegt,
dass auch aus der Gegenrechnung des Klägers sich nicht die Fehlerhaftigkeit des Bescheides ergebe, da diese Gegenrechnung
selbst fehlerhaft sei, denn der Kläger gehe bei seiner Berechnung von Arbeitsstunden im Zeitraum Januar 1998 bis Dezember
2000 aus, hingegen sei aber nur für den Zeitraum Januar 1998 bis April 1999 nachgefordert worden. Das SG hat Stellungnahmen des Landesinnungsverbandes für das Maler- und Lackiererhandwerk Berlin-Brandenburg, der Industriegewerkschaft
Bauen-Agrar-Umwelt, Landesverband Berlin-Brandenburg und der Maler- und Lackiererinnung F zu den gleichzeitig existierenden
Tarifverträgen aus einem anderen Verfahren beigezogen.
Am 23. Mai 2005 hat der Kläger ferner einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, welchen das SG mit Beschluss vom 20. Januar 2006 abgelehnt hat. Der Senat hat im Beschwerdeverfahren eine amtliche Auskunft des MASGF eingeholt
und den Vorgang über die betreffende AVE beigezogen. Auf die Stellungnahme des MASGF vom 6. Juli 2006, eingegangen zum Parallelverfahren
L 1 B 76/06 KRER, wird ergänzend Bezug genommen. Außerdem ist der betreffende Vorgang des MASGF beigezogen worden. Er hat mit Beschluss
vom 28. Juli 2006 die Entscheidung des SG aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 05. Dezember 2007 abgewiesen. Rechtsgrundlage für die Nachforderung sei §
28 p Abs.
1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV). Nach §
28 e Abs.
1 SGB IV habe der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Dieser bestehe nach §
28 d SGB IV aus den Beiträgen in der Kranken, Pflege- und Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten sowie
dem Betrag aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung als Gesamtsozialversicherungsbeitrag.
Die Bemessungsgrundlage für diesen Gesamtsozialversicherungsbeitrag sei das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen
Beschäftigung (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch, § 162 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch sowie § 342 Sozialgesetzbuch Drittes Buch). Für die Entstehung der Höhe des Arbeitsentgeltes
und damit auch der Beitragshöhe gelte das Entstehungsprinzip und nicht das Zuflussprinzip (Bezugnahme auf Bundessozialgericht
BSG, Urteil vom 30.08.1994, BSGE 75, 61, 64 f., sowie Urteil vom 14.07.2004 B 12 KR 1/04 R). Hier ergebe sich die Höhe des geschuldeten und den Beigeladenen zu 5) bis 11) zustehenden Arbeitsentgeltes aus der zwischen
dem Landesinnungsverband für das Maler- und Lackiererhandwerk Berlin-Brandenburg und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt
Landesverband Berlin-Brandenburg beschlossenen Lohntabelle für das Maler- und Lackiererhandwerk im Land Brandenburg vom 01.
Oktober 1997. Diese habe die zuständige Stelle für allgemeinverbindlich erklärt. Das SG habe keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Lohntabelle. Zum einen sei der Tarifvertrag der Maler- und Lackiererinnung
Finsterwalde über die tarifvertragliche Festlegung über Mindestlöhne im Malerhandwerk für den Zeitraum 1998 bis 2001 nicht
anzuwenden. Dieser erfülle nicht die Wirksamkeitsvoraussetzungen, welche das Gesetz an den Abschluss von Tarifverträgen stelle.
Zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen gehörten zum einen die Tariffähigkeit und zum anderen die Tarifzuständigkeit. An der Tariffähigkeit
fehle es, weil auf Arbeitnehmerseite keine Gewerkschaft, die gemäß § 2 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) alleine tariffähig sei, beteiligt gewesen sei. Es existiere keine Organisationsbezeichnung.
Die Voraussetzungen des § 5 TVG für eine AVE hätten vorgelegen. Es spreche der Beweis des ersten Anscheines für die Rechtmäßigkeit einer AVE (Bezugnahme
auf Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 04. Juni 2007 16 Sa 1444/05). Denn es sei davon auszugehen, dass der zuständige Minister die AVE nur erkläre, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt
seien. Bestünden nach dem Vortrag der Beteiligten ernsthafte Zweifel, ob die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG, wonach die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden
Arbeitnehmer beschäftigen müssten, bei Erlass der AVE vorgelegen hätten, so seien im gerichtlichen Verfahren die Prüfakten
des Ministeriums beizuziehen, ihr Inhalt den Beteiligten bekanntzumachen und zu überprüfen. Hier trage die Auswertung der
Prüfakten des Ministeriums hinreichend den Schluss, dass die organisierten Arbeitgeber des Maler- und Lackiererhandwerkes
mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich der Lohntabelle fallenden Arbeitnehmer beschäftigt hätten. Das MASGF habe sich
bei der Ermittlung auf die einzig eingeholten Angaben der Zusatzversorgungskasse verlassen können (Bezugnahme auf Hessisches
Landesarbeitsgericht, aaO.).
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 15. Februar 2008.
Der Senat hat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales angefragt, wie dortigen Erachtens § 5 TVG zu prüfen sei. Entsprechende Anfragen zu den Rechtsauffassungen hat er auch an den Deutschen Gewerkschaftsbund und die Bundesvereinigung
der Deutschen Arbeitgeberverbände gerichtet. Nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Schreiben vom
07. Januar 2008) müssten die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG zur AVE zum Zeitpunkt des Ausspruches der AVE gegeben sein. Zur Prüfung der Voraussetzungen werde auf verwertbares statistisches
Material, das möglichst zeitnah erstellt worden sei, zurückgegriffen. Stehe solches Material nicht oder nicht zeitnah zur
Verfügung, könnten auch sorgfältige Schätzungen zugrunde gelegt werden. Einzubeziehen in die Zahl der tarifgebundenen Arbeitgeber
seien alle zum Zeitpunkt des Ausspruchs der AVE im Tarif schließenden Arbeitgeberverband organisierten Arbeitgeber. Sei die
Mitgliedschaft gekündigt, ohne dass sie bereits wirksam geworden sei, seien die Arbeitgeber noch zu berücksichtigen. Saisonale
Schwankungen in der Zahl der Arbeitnehmer, wie sie beispielsweise im Baugewerbe vorlägen, wirkten sich in der Regel nicht
auf das Vorliegen der Voraussetzungen aus, weil hiervon die tarifgebundenen und die nicht tarifgebundenen Betriebe gleichmäßig
betroffen seien. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich dieser Rechtseinschätzung angeschlossen.
Nach Auffassung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) müsse das notwendige 50 % Quorum grundsätzlich
zum Zeitpunkt des In Kraft Tretens der Allgemeinverbindlichkeit vorliegen. Bei einer AVE, die erst in der Zukunft in Kraft
treten solle, werde allerdings nur auf den Zeitpunkt der Entscheidung abgestellt werden können. Ein späterer Wegfall des Quorums
sei ggf. in einem Verfahren über die Aufhebung einer AVE gemäß § 5 Abs. 5 TVG zu prüfen. Auch der BDA hält eine Schätzung für zulässig, da das notwendige Datenmaterial in der Regel nicht für jeden Stichtag
verfügbar sei. Im Falle des Bauhauptgewerbes erwarte das für die AVE zuständige Referat des Bundesarbeitsministerium von den
Tarifvertragsparteien, deren Tarifverträge regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt würden, jährlich aktualisierte Erhebungen
zum einheitlichen Stichtag 30. September.
Der Senat hat ferner bei der Gemeinnützigen Urlaubskasse für das Maler- und Lackiererhandwerk e. V. sowie der Zusatzversorgungskasse
des Maler- und Lackiererhandwerks um Auskunft gebeten. Diese antworteten mit gemeinsamen Schreiben vom 02. Juni 2009, die
Daten aus ihrem Bestand bezögen sich auf die gemeldeten Betriebe und die gemeldeten gewerblichen Arbeitnehmer. Durch einen
regelmäßigen Datenabgleich mit anderen Institutionen, wie z. B. Bauberufsgenossenschaften und Handwerkskammern, werde sichergestellt,
dass der Datenbestand fortlaufend gepflegt und aktualisiert sei. Betriebe, die sich nicht rechtzeitig oder korrekt anmeldeten,
würden auf diesem Weg rückwirkend erfasst. Diese Maßnahmen führten zu einer sehr hohen Genauigkeit ihres Datenbestandes. Ein
dem korrespondierender Datenbestand für die bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer sei in den Jahren
1997 und 1998 nicht geführt worden. Soweit in den betreffenden Jahren auf Anfrage Daten weitergegeben worden seien, seien
diese zum jeweiligen Abfragezeitpunkt anhand der zur Verfügung gestellten Mitgliedslisten gesondert ermittelt worden. Nachträglich
könnten die Zahlen nicht mehr ermittelt werden.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 hat der Senat beim Landesinnungsverband des Maler- und Lackiererhandwerks um Auskunft zur
Zahl der Mitgliedsbetriebe und insbesondere zu Kündigungen von Innungen zum 01. Januar 1998 gebeten. Dieser hat im Parallelverfahren
L 24 KR 24/04 bereits mit Schreiben vom 28. Januar 2009 mitgeteilt, dass in der Handwerksrolle auch sämtliche so genannten Nebenbetriebe
erfasst worden seien, die keinem oder einem anderen Tarifvertrag unterlägen. Außerdem seien Betriebe erfasst, die erfahrungsgemäß
vom Profil her nicht ausschließlich oder nur teilweise Arbeiten des Maler- und Lackiererhandwerks ausführten. Auch seien in
der Handwerksrolle auch Betriebe erfasst, die keine gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigten und somit auch keine Arbeitgeberfunktion
im Sinne des Tarifvertrags ausübten (so genannte Alleinmeister). Traditionell liege dieser Anteil im Handwerk der Maler und
Lackierer sehr hoch, bei 35 bis 50 %. Sie hat mit Schreiben vom 01. März 2010 eine Tabelle über die Mitgliederbewegungen in
den Jahren 1996 bis 1999 eingereicht, auf die ergänzend verwiesen wird.
Der Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die Akten MASGF 32 2910 321 AVEBB Nr. 52 und 53 haben vorgelegen und sind Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 05. Dezember 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2002 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Zur Rechtsgrundlage des Prüfbescheides und der Beitragsnachforderung verweist der Senat zur Vermeidung bloßer Wiederholungen
nach §
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil. Auch unter Zugrundelegung des Entstehungsprinzips für
die Beitragshöhe, welche das SG mit zutreffender Begründung im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) hergeleitet hat, setzt die
Beitragsnachforderung hier voraus, dass die maßgebliche Lohntabelle wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist die AVE von Tarifverträgen nach § 5 TVG ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, der darauf abzielt, auch die nicht
organisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sogenannten Außenseiter, den Bestimmungen des Tarifvertrages zu unterwerfen
(BVerfGE 55, 7, 20 m. weit. Nachweisen). Die Außenseiter können regelmäßig nicht geltend machen, sie hätten die einschlägigen Bestimmungen
nicht gekannt, weil sie sich durch das vorgesehene Veröffentlichungs- und Dokumentationsverfahren hinreichend informieren
können (BVerfG, B. v. 10.09.1991 -1 BvR 561/89 Juris). Die Wirksamkeit einer AVE eines Tarifvertrages, also das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 TVG und die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, ist jedoch von Amts wegen zu prüfen, wenn -wie hier- ein tariflicher Anspruch
gegenüber jemandem geltend gemacht wird, der aus dem fraglichen Tarifvertrag selbst weder kraft Tarifbindung noch aufgrund
einzelvertraglicher Vereinbarung verpflichtet ist (BVerfGE 55, 7, 27; Bundesarbeitsgericht BAGE 74, 226, 230; ErfK/Schaub/Franzen § 5 TVG Rn. 45). Davon ist auch der 24. Senat des LSG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 20.09.2005 -L 24 KR 19/05- ausgegangen. Er hat im dort entschiedenen Fall (lediglich) mangels substantiierten Vortrages keinen Anlass zu Ermittlungen
ins Blaue hinein gesehen.
Der Beweis des ersten Anscheins, welcher eine AVE zukommen mag, ist hier erschüttert. Maßgeblicher Zeitpunkt, an welchem die
Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG erfüllt sein müssen, ist - wie sich bereits aus dem Wortlaut ergibt - der Zeitpunkt des In Kraft Tretens der Allgemeinverbindlichkeit.
Anderes hätte nur gelten können, wenn die Allgemeinverbindlichkeit erst in Zukunft hätte in Kraft treten sollen. Die AVE hier
ist rückwirkend erlassen worden.
Die Annahme des MASGF, es seien rund 52 %, genauer 2615 von 5048 der gewerblichen Arbeitnehmer, solche tarifgebundenen Arbeitgeber,
ist sehr wahrscheinlich falsch und jedenfalls angreifbar. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Voraussetzungen des
§ 5 Abs. 1 TVG hinsichtlich des hier einschlägigen Tarifvertrages für das Maler- und Lackiererhandwerk (Lohntabelle vom 1. Oktober 1997
für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackierhandwerk im Lande Brandenburg) vom 18. August 1998 (nachfolgend nur:
TV) vorgelegen haben.
Die erforderliche sogenannte 50%-Klausel nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG ist bereits nach den Ermittlungen des zuständigen MASGF (nur) recht knapp erreicht gewesen. Die tarifgebundenen Arbeitgeber
sollen rund 52%, genauer 2615 von 5048 der gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigt haben. Bei nur 2615 - 5048: 2+1 = 92 tarifgebundenen
Arbeitnehmern weniger wäre das Erfordernis bereits nicht mehr erfüllt. Wäre ein einziger größerer Arbeitgeber fälschlicherweise
als tarifgebunden angesehen worden, genügte dies, um die Voraussetzung entfallen zu lassen. Das MASGF hat sich nach Aktenlage
einzig auf die eingeholten Angaben der Zusatzversorgungskasse verlassen, weil aufgrund der Allgemeinverbindlichkeit des bundesweit
geltenden Rahmen- und des maßgeblichen Verfahrenstarifvertrages alle Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks dort ihre
Beschäftigten hätten melden müssen. Die Zusatzversorgungskasse hält ihre Zahlen zwar für valide, weil sie laufend aktualisiert
würden. Unberücksichtigt ist aber geblieben, dass die Zahlen für 1997 nicht einfach für den maßgeblichen Zeitraum ab 1998
haben übernommen werden können: Die Angaben über die Arbeitnehmerzahl der tarifgebundenen Arbeitgeber sind nach Aktenlage
ungeprüft vom antragstellenden Landesinnungsverband übernommen worden. Dieser selbst hat allerdings seinen Antrag u. a. damit
begründet, für 1997 hätten drei Innungen mit über 100 Betrieben ihren Austritt aus dem Verband angekündigt. Wie die weiteren
Ermittlungen ergeben haben, sank in der Tat die Zahl der Mitglieder in Brandenburg von 397 im Jahr 1997 auf 283 im Jahr 1998
und ist dann 1999 mit 274 erneut abgefallen. So waren die örtlichen Innungen Fürstenwalde/Oder Spree und Jüterbog, Luckenwalde/Teltow
Fläming jeweils zum 31. Dezember 1997 aus dem tarifschließenden Landesverband ausgetreten.
Zum maßgeblichen Stichtag 01. Januar 1998 spricht deshalb alles dafür, dass die verbliebenen Arbeitgeber nicht mehr mindestens
50 % der Arbeitnehmer beschäftigt haben, insbesondere auch, deshalb weil der Landesinnungsverband selbst den Antrag auf AVE
unter Bezugnahme auf deutlichen Zahlen des nachfolgenden Jahres 1999 für den Folgetarifvertrag zurückgenommen hat, da nur
noch 34% der Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt waren. Der Mittelwert aus 52% im Jahr 1997 und 34%
im Jahr 1999 ergäbe für 1998 43%.
Ob die Angabe 52% für das Jahr 1997 auch deshalb zweifelhaft ist, weil die zugrunde gelegte Zahl von 5048 Arbeitnehmern nach
Aktenlage aus dem Durchschnitt der Zahlen für Februar 1997 und Juni 1997 gebildet worden zu sein scheint, kann dahingestellt
bleiben.
Nachdem somit der erste Anschein der Gültigkeit der AVE erschüttert ist, musste die Beklagte darlegen und beweisen, dass die
Voraussetzungen des § 5 TVG erfüllt sind. Weitere Aufklärungsmöglichkeiten sieht der Senat nicht, nachdem die Zusatzversorgungskasse erklärt hat, die
alten Zahlen nicht mehr nennen zu können. Insbesondere sind die Sachbearbeiter im MASGF keine Zeugen.
Die Kostenentscheidung nach §
193 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Dass eine AVE keine Rechtsnorm darstellt, ist bereits geklärt. Die von der Beklagten aufgeworfene Grundsatzfrage
stellt sich deshalb nicht. Es handelt sich um eine Einzelfallprüfung, die einen lange zurückliegenden Zeitraum betrifft. Die
inzident zu überprüfende AVE betrifft zudem nur das Land Brandenburg.