Höhe des Regelbedarfs nach dem SGB II
Verfassungsmäßigkeit der Änderung des gesetzlichen Regelbedarfs
Differenzierung zwischen behinderten und nicht behinderten Personen
Besondere Bedarfe wegen Behinderungen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Regelbedarfs nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die zwei Halbjahre des Jahres 2011.
Der 1961 geborene alleinstehende Kläger ist seit längerem hilfebedürftig und bezieht laufend Leistungen nach dem SGB II von dem Beklagten. In dem betreffenden Zeitraum war er erwerbsfähig und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von
50.
Mit zwei Bescheiden vom 8. Dezember 2010 wurden dem Kläger für das Jahr 2011 in zwei Bewilligungszeiträumen vom Januar bis
Juni und vom Juli bis Dezember 2011 - neben Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 431,23 EUR - monatliche Regelbedarfsleistungen
in Höhe von jeweils 359 EUR bewilligt. Die dagegen gerichteten Widersprüche des Klägers vom 16. Dezember 2010 wies der Beklagte
mit Widerspruchsbescheiden vom 21. Januar 2011 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 31. Januar 2011 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und sie damit begründet, dass die Höhe
der Regelbedarfsleistungen nicht ausreichend sei. Das Bundesverfassungsgericht sei in seinem Urteil vom 2. Februar 2010 zu
den Regelbedarfssätzen im SGB II weit hinter seinen Maßstäben zurück geblieben, die es noch in früheren Entscheidungen zum Verbot der Ausgrenzung einzelner
Bevölkerungsgruppen angelegt habe. Das Bundesverfassungsgericht habe in diesem Urteil nicht zwischen vorrübergehenden und
dauerhaften Transferleistungsbeziehern unterschieden und habe nicht das verbindliche Übereinkommen der Vereinten Nationen
über Rechte von Menschen mit Behinderung berücksichtigt, als es die Anforderungen an die Ermittlung der Höhe existenzsichernder
Leistungen bestimmt habe.
Während des anhängigen Klageverfahrens hat der Beklagte unter dem 26. März 2011 Änderungsbescheide erlassen, mit denen er
die zuvor mit Bescheiden vom 8. Dezember 2010 bewilligten Regelleistungen von monatlich 359 EUR aufgrund der zwischenzeitlich
stattgefundene Gesetzesänderung zur Höhe der Regelbedarfe auf monatlich 364 EUR für die beiden Halbjahreszeiträume 2011 erhöht
hat. Auch gegen diese Änderungsbescheide hat der Kläger Widerspruch eingelegt, den der Beklagte zurückgewiesen hat.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. Juni 2011 abgewiesen. Der Beklagte habe mit den angegriffenen Bescheiden
die Höhe des dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2011 bewilligten Regelsatzes zu Recht in
Höhe von monatlich 364 EUR festgesetzt. Diese Festsetzung entspreche den Regelbedarfen, wie sie durch das Gesetz zur Ermittlung
von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl I, S. 453) neu festgelegt worden seien. An diese gesetzlichen Vorschriften habe sich nicht nur der Beklagte, sondern auch das Sozialgericht
zu halten. Eine Vorlage der Bestimmung zur Höhe der neu festgelegten Regelsätze beim Bundesverfassungsgericht nach Art.
100 des
Grundgesetzes (
GG) komme nicht in Betracht, da die Kammer von der Verfassungswidrigkeit der betreffenden gesetzlichen Bestimmungen nicht überzeugt
sei. Für eine Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfsgesetzes gebe es keine Anhaltspunkte. Wie sich der Begründung des
Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 42 ff.) entnehmen lasse, habe sich der Gesetzgeber sehr
genau an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 u.a.) gehalten. Auf Grundlage einer Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 2008 seien die Bedarfe
im Einzelnen ermittelt worden. Abschläge von einzelnen Verbrauchspositionen seien entweder unterlassen (z.B. bei Bekleidung)
oder durch Sonderauswertungen berichtigt worden (z.B. Heizstromanteil, Personennahverkehr, Telefonkosten). Die Fortschreibung
des gesetzlich festgelegten Regelbedarfs sei nunmehr an die Preisentwicklung und die Nettolöhne gebunden, statt an die Rentenentwicklung.
Gegen das ihm am 23. Juni 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. Juli 2011 Berufung eingelegt. Er rügt, dass das Sozialgericht
die Klage ohne inhaltliche Befassung mit der Kalkulation des Regelbedarfs abgewiesen habe und vertieft und ergänzt seine Kritik
an der Bedarfsermittlung durch den Gesetzgeber.
Die Regelsätze seien unzutreffend ermittelt worden. Die meisten Menschen würden in Deutschland unter "krankmachenden" Bedingungen
leben müssen, was die Gesellschaft und der Gesetzgeber nicht wahrnehmen wolle. Der Regelbedarf müsse nach den Berechnungen
des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bei mindestens 450 EUR liegen. Bei dauerhaften Transferleistungsbeziehern
wie ihm müsste er mindestens 511 EUR betragen. Ferner sei aufgrund des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember
2006 über die Rechte mit Behinderungen an Leistungsempfänger mit Behinderungen, wie es bei ihm der Fall sei, ein um 150 EUR
erhöhter Regelbedarf anzusetzen.
Zahlreiche Positionen der EVS von 2008 seien vom Bundesgesetzgeber nicht ordnungsgemäß ermittelt worden und fänden sich in
der Regelsatzverordnung nicht wieder. Dies werde durch eine rechtsgutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. M. bestätigt. Am Beispiel der monatlichen
Fahrkosten werde deutlich, wie unlogisch der Gesetzgeber die Regelbedarfe ermittelt und zusammengestellt habe. Gleiches gelte
für Bildungs-, Gewerkschafts-, Partei- und Vereinsbeiträge, die für nicht erwerbstätige Leistungsbezieher in den Regelsatz
hätten einbezogen werden müssen. In seinem Fall ergebe dies insgesamt einen Betrag von 94,64 EUR monatlich. In den Regelbedarf
seien auch Kosten für Hausrat-, Haftpflicht-, Sterbe- und Rechtsschutzversicherungen in Höhe von 15,13 EUR monatlich einzubeziehen.
Dies sei für die Leistungsträger finanziell günstiger, als für tatsächliche Schäden aufzukommen.
Zu berücksichtigen seien ferner erhöhte Gesundheitskosten, die behinderungsbedingt seien bzw. auf chronische Erkrankungen
zurückzuführen seien. Diese Aspekte habe der Gesetzgeber verkannt, sodass der Beklagte stellvertretend für ihn zu verurteilen
sei, die Bedarfe neu zu berechnen und zu erhöhen. Dabei müssten für dauerhafte Transferleistungsbezieher mit Behinderungen,
zu denen er gehöre, die dynamisierenden Veränderungen zwecks behinderungsbedingten Nachteilsausgleichs in Höhe von 150 EUR
je Monat sowie die aktuelle Preisveränderung zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung verpflichtend berücksichtigt werden. Bezogen
auf seine persönlichen Verhältnisse sei der pauschalierte Regelbedarf nicht ausreichend, um alle bei ihm anfallenden Bedarfe
abzudecken.
Das Gesetz zum Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderung habe
bei der Bestimmung der Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II berücksichtigt werden müssen, zumal über 60 % aller Bezieher von Leistungen nach den SGB II, III, XI und XII Menschen mit Behinderung seien. Die in dieser Konvention niedergelegten Ziele fänden sich weder in den zahlreichen
Gesetzen und Verordnungen noch in der bisherigen Rechtsprechung wieder. Da in dieser Konvention keine Leistungsbeträge für
Behinderte angeführt seien, die zur Umsetzung der dort bestimmten Ziele und Vorgaben erforderlich seien, habe er, der Kläger,
die insoweit bei Hilfebedürftigen nach dem SGB II anfallenden höheren laufenden Kosten ausdrücklich im Berufungsantrag angeführt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Juni 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung
der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, dem Kläger über die bereits bewilligten Leistungen hinaus einen höheren Regelbedarf
in Höhe von 511,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2011 nebst Zinsen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen
und nimmt zur Begründung auf die bisherigen Ausführungen Bezug.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten
sowie der beigezogenen Akten der Beklagten verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Beklagte den dem Kläger zustehenden Regelbedarf für die beiden
Bewilligungszeiträume vom 1. Januar bis zum 30 Juni 2011 und vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2011 zutreffend mit 364 EUR
pro Monat bestimmt hat. Dieser Betrag entspricht dem in § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II vorgesehenen Regelbedarf für alleinstehende hilfebedürftige Personen, zu denen der Kläger zählt.
Einer Verpflichtung des Beklagten zur Bewilligung eines höheren Regelbedarfs, wie es der Kläger anstrebt, steht entgegen,
dass der Gesetzgeber den Pauschalbetrag in § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II festgelegt hat und das Gericht gem. Art.
20 Abs.
3 des
Grundgesetzes - wie auch der Beklagte - an dieses Gesetz gebunden ist. Da der Gesetzgeber den Regelbedarf als Pauschalbetrag in das Gesetz
aufgenommen hat, ist diese Bestimmung auch keiner Auslegung durch das Gericht zugänglich. Das Gericht kann einen höheren Regelbedarf
auch nicht wegen der Behinderung des Klägers und seines schon länger dauernden Leistungsbezugs zusprechen. Denn die entsprechenden
Regelungen, die den Regelbedarf typisierend für sämtliche Leistungsempfänger nach dem SGB II festlegen, sehen dies nicht vor.
Zur Änderung des gesetzlichen Regelbedarfs kann nur das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber veranlassen. Der Senat ist
allerdings nicht davon überzeugt, dass die Bestimmung des Regelbedarfs verfassungswidrig ist, was erforderlich wäre, um sie
dem Bundesverfassungsgericht nach Art.
100 des
Grundgesetzes (
GG) zur Entscheidung über die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht vorzulegen (ständige Rspr. BVerfG, Urteil vom 20.3.1952 - 1
BvL 12, 15, 15, 24, 28/51). Im Gegenteil erachtet er diese Bestimmung für verfassungsgemäß. Bereits mit Urteil vom 24. April
2014 (L 4 AS 372/13), seinerzeit noch auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 28.3.2013 - B 4 AS 12/12 R und B 4 AS 47/12 R sowie vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R und B 13 AS 189/11 R) hat der Senat zu dieser Frage befunden, dass die Regelbedarfe für Alleinstehende nicht in verfassungswidriger Weise zu
niedrig festgesetzt worden seien. Nachdem das Bundesverfassungsgericht erneut mit Urteil vom 23. Juli 2014 (1 BvL 10/12, 10/12, 1 BvR 1691/13) entschieden hat, dass die betreffende Bestimmung mit Verfassungsrecht in Einklang steht, ist diese Auseinandersetzung inzwischen
endgültig obsolet geworden.
Im Hinblick auf die von dem Kläger an der Höhe des Regelbedarfs angebrachte Kritik ist auszuführen, dass das Bundesverfassungsgericht
in dem angeführten Urteil vom 23. Juli 2014 mit ausführlicher und überzeugender Begründung dargelegt hat, dass der Gesetzgeber
die Leistungen nicht evident unzureichend festgesetzt hat und nicht zu erkennen ist, dass der existenzsichernde Bedarf hierdurch
möglicherweise nicht gedeckt sein könnte. So hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Bestimmung den Anforderungen
an eine hinreichend transparente, jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren
tragfähig zu rechtfertigende Bemessung der Leistungshöhe beruhe. Zur Bestimmung der Höhe der Leistungen für den Regelbedarf
habe sich der Gesetzgeber mit dem Statistikmodell auf eine Methode gestützt, die grundsätzlich geeignet sei, die zur Sicherung
eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen Leistungen bedarfsgerecht zu bemessen.
Nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts, hat sich der Gesetzgeber im Ausgangspunkt mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
(EVS) auf geeignete empirische Daten gestützt. Zu der von dem Kläger problematisierten Heranziehung der EVS von 2008 hat das
Bundesverfassungsgericht (aaO., Rn. 95) angeführt: "Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, für die Berechnung jeder Leistung
eigene Erhebungen durchzuführen, sondern darf sich auch dafür entscheiden, vorhandene Daten zu nutzen. Mit der EVS wird zwar
der Verbrauch und nicht der Bedarf ermittelt, doch ist es in einer Gesellschaft, in der sich Menschen im Regelfall nicht mit
eigenen Erzeugnissen versorgen, hinreichend plausibel, vom Verbrauch auf den Bedarf zu schließen. Da die EVS Ausstattung und
Konsumverhalten privater Haushalte im Wege von freiwilligen Befragungen in Stichproben ermittelt, ist diese Datengrundlage
wie jede andere empirische Erhebung auch nicht fehlerfrei. Doch bildet die EVS in statistisch hinreichend zuverlässiger Weise
das Verbrauchsverhalten der Bevölkerung ab. Das Statistische Bundesamt versucht, die freiwilligen Eintragungen in den Haushaltsbüchern
der befragten Referenzgruppen durch Kontrollfragen fachlich angemessen zu verifizieren und kontrolliert die Ergebnisse durch
Plausibilitätsprüfungen. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass in die Berechnung der Regelbedarfe Einzelposten aus der EVS
einfließen, die nicht mit veröffentlichten Zahlen belegt sind. Bestimmte Daten werden aus Gründen des auch hier zu beachtenden
Datenschutzes durch das Statistische Bundesamt numerisch nicht genau ausgewiesen, sondern bei Fallzahlen unter 25 neutral
("/") oder bei Fallzahlen unter 100 durch Klammern gekennzeichnet."
Eine Auseinandersetzung mit dem pauschalen Vorbringen des Klägers, zahlreiche Positionen der EVS von 2008 seien vom Bundesgesetzgeber
nicht ordnungsgemäß ermittelt worden und sie fänden sich in der Berechnung des Regelbedarfs nicht wieder, ist mangels genauerer
Darlegungen, an die angeknüpft werden könnte, nicht angezeigt. Der bloße Verweis auf die rechtsgutachterliche Stellungnahme
von Prof. Dr. M. genügt nicht, die Feststelllungen des Bundesverfassungsgerichts in Zweifel zu ziehen, ohne die betreffenden
Punkte aus der Stellungnahme nachvollziehbar darzulegen.
Soweit der Gesetzgeber von der Orientierung an den so ermittelten Daten durch die Herausnahme und durch Kürzungen einzelner
Positionen abgewichen ist, hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung hieran keine durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert. Dies betrifft u.a. auch die von dem Kläger mit 94,84 EUR bezifferten monatlichen
Fahrkosten, deren Ermittlung zur Festlegung des Regelbedarfs er für unlogisch hält. Das Bundesverfassungsgericht hat den Umstand,
dass individuelle monatliche Fahrkosten höher sein mögen, als die aus der Abteilung 7 "Verkehr" der EVS für die Bemessung
des Regelbedarfs berücksichtigten Verbraucherausgaben, für unmaßgeblich erachtet und dies damit begründet, dass dem Regelbedarf
nur ein typischer Bedarf zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch einen monatlichen Festbetrag zu decken
sei, der sich an den durchschnittlichen Verbrauchsausgaben eines Teils der Bevölkerung im Rahmen des Statistikmodells orientiere.
Diesen typischen Bedarf habe der Gesetzgeber nach verfassungsrechtlichen Maßstäben tragfähig ermittelt. Die Referenzgruppe
für die Ermittlung des typischen Bedarfs sei so breit gefasst worden, dass statistisch zuverlässige Daten hätten erhoben werden
können (so bereits BVerfG, Urteil vom 9.10.2010, 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09). Die Herausnahme einzelner Positionen der EVS von 2008 sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ihnen
lägen Wertungen zugrunde, die er in Ausfüllung seines Gestaltungsspielraums politisch zu verantworten habe, die aber nicht
verfassungsrechtlich im Detail determiniert seien. Die wertende Entscheidung des Gesetzgebers, dass bei den Fahrkosten ein
Kraftfahrzeug im Grundsicherungsrecht nicht als existenznotwendig zu berücksichtigen sei, hat das Bundesverfassungsgericht
für vertretbar erachtet, hat aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass die ohne Kraftfahrzeug zwangsläufig höher anzusetzenden
Aufwendungen der Hilfebedürftigen für den öffentlichen Personennahverkehr entsprechend zu berücksichtigen seien, damit der
existenznotwendige Mobilitätsbedarf tatsächlich gedeckt werden könne. Obwohl das Bundesverfassungsgericht deshalb in diesem
Segment ein Anpassungsbedarfs des im SGB II im Jahr 2011 bestimmten Regelbedarf gesehen hat, hat es die Höhe des Regelbedarfs noch als derzeit mit der Verfassung vereinbar
angesehen und den Gesetzgeber zur Nachbesserung angehalten.
Im Hinblick auf weitere einzelne von dem Kläger angesprochene Positionen bei der Bedarfsfeststellung ist nach der angeführten
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen, dass die Ermittlung von Regelbedarfen, die ein menschenwürdiges
Existenzminimum gewährleisten, stets nur annäherungsweise möglich ist. So hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten
Entscheidung vom 23. Juli 2014 ausgeführt, dass die Ermittlungen nur auf Daten zu komplexen Verhältnissen gestützt werden
könnten, die für die jeweils aktuell geforderte Deckung eines existenzsichernden Bedarfs nur begrenzt aussagekräftig seien.
Zwar müsse die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums nach der erforderlichen Gesamtbetrachtung auf im Ausgangspunkt
tragfähigen Grundannahmen, Daten und Berechnungsschritten beruhen. Bedenken hinsichtlich einzelner Berechnungspositionen schlügen
hingegen nicht ohne weiteres auf die verfassungsrechtliche Beurteilung durch. Der Gesetzgeber dürfe ernsthafte Bedenken, die
auf tatsächliche Gefahren der Unterdeckung verwiesen, allerdings nicht einfach auf sich beruhen lassen und fortschreiben,
sondern sei gehalten, bei den periodisch anstehenden Neuermittlungen des Regelbedarfs zwischenzeitlich erkennbare Bedenken
aufzugreifen und unzureichende Berechnungsschritte zu korrigieren. Eine Verfassungswidrigkeit der bestehenden Bestimmung des
Regelbedarfs folge daraus aber nicht.
Vor diesem Hintergrund war der Gesetzgeber auch nicht gehalten, die von dem Kläger angeführten persönlichen monatlichen Aufwendungen,
die er nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sieht, in den Regelbedarf erhöhend einzubeziehen. Dies betrifft die von ihm geltend
gemachten Versicherungsbeiträge als auch die Höhe der in den einzelnen Bedarfskategorien des Warenkorbs eingestellten Werte
für Bekleidung und Fachliteratur sowie für Beiträge zu Vereinen, Parteien und Gewerkschaften.
Dem SGB II liegt das Konzept der Gewährung eines statistisch ermittelten Regelbedarfs als Festbetrag zugrunde, der keine Differenzierung
zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen oder kurz- und langzeitigen Leistungsbeziehern vorsieht. Mit den Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts als Bestandteil der im SGB II geregelten Grundsicherung für Arbeitsuchende hat der Gesetzgeber ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums
geschaffen, das nach seiner Zielrichtung sämtlichen Bedarfslagen, die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins gedeckt
werden müssen, Rechnung trägt. Die Bestimmung des Regelbedarfs als Festbetrag dient dazu, sowohl die physische Seite des Existenzminimums
als auch dessen soziale Seite in pauschalierender Weise allgemein abzudecken. Anderen Bedarfslagen zur Gewährleistung des
Existenzminimums wird im SGB II durch weitere Ansprüche und Leistungen neben den Regelbedarfsleistungen Rechnung getragen. Nach der zitierten Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts dient die Gewährung einer Regelleistung als Festbetrag in verfassungsgemäßer Weise dazu, bei
der Ordnung von Massenerscheinungen typisierende und pauschalierende Bestimmungen zu treffen, um den Verwaltungsaufwand gering
zu halten und den Hilfebedürftigen die Möglichkeit zu eröffnen, über die Verwendung des Festbetrages im Einzelnen selbst zu
bestimmen und sein individuelles Verbrauchsverhalten selbstverantwortlich so zu gestalten, dass er mit diesem Betrag auskommt.
Auch aus dem vom Kläger für sein Begehren ins Feld geführte am 13. Dezember 2006 unterzeichnete Übereinkommen der Vereinten
Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) ergibt sich keine andere Beurteilung. Eine völkerrechtliche
Vertragsverletzung der Bundesrepublik Deutschland bezogen auf die in der Konvention niedergelegten Rechte und Ziele ist in
der Ausgestaltung der Regelungen im SGB II nicht begründet. Insbesondere ist der Gesetzgeber aufgrund dieser internationalen Konvention nicht gehalten, den in § 20 SGB II betragsmäßig fixierten Regelbedarf speziell für Menschen mit Behinderung anzuheben, denn ein bestimmtes - von dem SGB II und die sie ergänzenden Vorschriften für diese Personengruppe abweichendes - Regelungskonzept oder sogar die Vorgabe eines
konkreten höheren Betrages gibt das Übereinkommen nicht vor.
Ein übereinstimmender Wille der Vertragsstaaten zu einem bestimmten Regelungssystem zur Gewährleistung eines menschenwürdigen
Daseins für Menschen mit Behinderung ist in der Konvention nicht verankert. Das Übereinkommen enthält - abgesehen von den
hier nicht einschlägigen als ausdrückliche Verpflichtung formulierten Vertragsbestimmungen - in weiten Teilen die Einigung
der Vertragsstaaten auf politische Programmsätze zur Verbesserung der Rechte von Menschen mit Behinderung. Die Art und Weise
der Realisierung der formulierten Ziele und das Tempo bei ihrer Verwirklichung bleiben offen. Damit kommt dem Übereinkommen
allein die Aufgabe zu, die Vertragsstaaten politisch auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse mit Behinderungen festzulegen
(Hessischer VGH, Beschluss vom 12.11.2009 - 7 B 2763/09). So haben sich die Vertragsstaaten nach Art. 1 Abs. 1 und 4 Abs. 1 UN-BRK dazu verpflichtet, die volle Verwirklichung aller
Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung
zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, alle geeigneten Gesetzgebungsmaßnahmen
zur Umsetzung der in dem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen. Bei der Festlegung auf nicht weiter präzisierte "geeignete"
Gesetzgebungsmaßnahmen wird den Vertragsstaaten die Ausgestaltung durch die nationale Gesetzgebung belassen.
Auch die von dem Kläger in Bezug genommene spezielle Regelung in Art. 28 UN-BRK gibt den Nationalstaaten keine bestimmten
nationalen Bestimmungen vor. Sie beschränkt sich auf die Anerkennung des Rechts von Menschen mit Behinderungen auf einen angemessenen
Lebensstandard und auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen sowie auf das Recht auf sozialen Schutz sowie auf die
allgemeine Verpflichtung geeignete Schritte zum Schutz und zur Förderung der Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung
aufgrund von Behinderung zu unternehmen. Die in Art. 28 UN-BRK niedergelegten Vereinbarungen zeichnen sich mithin dadurch
aus, dass sie proklamationsartig soziale Ziele aufstellen, deren Umsetzung den Vertragsstaaten mit einem eigenen Gestaltungsspielraum
überlassen bleibt.
Die Vertragsstaaten haben entsprechend dem in § 35 UN-BRK vorgesehenen Berichtssystem regelmäßig über die Maßnahmen, die er
zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Übereinkommen getroffen hat, und über die dabei erzielten Fortschritte vorzulegen,
was mit dem vom Bundeskabinett beschlossenen ersten Staatenbericht vom 3. August 2011 auch geschehen ist (Veröffentlichung
des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im Internet, speziell zum Thema "angemessener Lebensstandard und sozialer Schutz"
S. 71 ff.). Zu Beanstandungen der ergriffenen Maßnahmen oder zu Empfehlungen gem. Art. 35 ff. UN-BRK durch den nach Art. §
34 UN-BRK gebildeten Ausschusses oder gar zu völkerrechtlichen Reaktionsmaßnahmen ist es in Bezug auf die bestehende soziale
Existenzsicherung von Menschen mit Behinderung in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere hinsichtlich des einheitlichen
Niveaus der Leistungen zum Lebensunterhalt im Rahmen eines pauschalen für sämtliche Leistungsempfänger - gleich ob mit Behinderung
oder nicht - gleichermaßen festgelegten Betrages, ersichtlich nicht gekommen. Die gesetzliche Ausgestaltung von existenzsichernden
Leistungen für Menschen mit Behinderung in der deutschen Rechtsordnung lässt auch nicht besorgen, dass sie in Kollision mit
den in dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung proklamierten Zielen stehen.
Denn den besonderen Bedürfnissen dieser Bevölkerungsgruppe wird durch weitere Anspruchsgrundlagen im SGB II bei besonderen Bedarfslagen und durch Rechtsvorschriften in anderen Regelwerken neben den pauschalierten Regelbedarfsleistungen
in vielfältiger Weise Rechnung getragen. So werden besondere Bedarfe wegen Behinderungen eines Leistungsberechtigten durch
die Regelung in § 21 Abs. 4 SGB II Rechnung getragen, wonach ein spezieller Anspruch auf einen pauschalen Mehrbedarf in Höhe von 35 % des Regelbedarfs für diese
Gruppe vorgesehen ist, wenn sie Leistungen zur tatsächlichen Teilnahme am Arbeitsleben oder zur Erlangung eines geeigneten
Platzes im Arbeitsleben bzw. bestimmte Eingliederungshilfen erhalten. Dadurch werden Mehrkosten von behinderten Leistungsempfängern
aufgefangen, die durch die Arbeitstätigkeit bzw. bestimmte Hilfsmaßnahmen entstehen. Zudem werden im konkreten Einzelfall
besondere Bedarfe von der Härtefallregelung in § 21 Abs. 6 SGB II erfasst, soweit keine der zahlreichen vorrangigen speziellen Leistungsansprüche nach anderen Vorschriften außerhalb des SGB II bestehen, wie etwa nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen.