Gründe
Die Klägerin, deutsche Staatsangehörige, wendet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage
auf Gewährung höherer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der Beklagte bewilligte der aus der Klägerin, ihrem Ehemann und zwei Kindern bestehenden Bedarfsgemeinschaft bis einschließlich
November 2011 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Regelleistungen nach § 20 SGB II sowie der Unterkunftskosten
nach § 22 SGB II zu je 1/4 je Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.
Nach Angaben der Klägerin nahmen sie Anfang September 2010 das Kind N in den gemeinsamen Haushalt auf und gaben an, N sei
die leibliche Tochter des Ehemannes der Klägerin. N wurde von dem Beklagten als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin,
jedoch nicht selbst leistungsberechtigt nach dem SGB II angesehen.
Mit den im vorliegenden Verfahren streitigen Bescheiden bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrer Bedarfsgemeinschaft
Leistungen nach dem SGB II unter Ansatz nurmehr eines Fünftels der gesamten Unterkunftskosten nach § 22 SGB X anstelle des zuvor bei der Klägerin berücksichtigten Viertels der Unterkunftskosten.
Am 18.03.2011 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, zugleich bestellter Betreuer des Kindes N, Klage erhoben und am
12.04.2011 unter Vorlage einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beantragt, "der Klägerin
PKH. zu gewähren".
Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 19.09.2011 wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten
Rechtsverfolgung abgelehnt und dies unter Hinweis auf das sog. "Kopfteilprinzips" begründet. Auf die weitere Begründung des
Beschlusses wird Bezug genommen.
Die Beschwerde vom 19.10.2011 gegen den am 23.09.2011 zugestellten Beschluss wird damit begründet, nach den Umständen des
Einzelfalles sei eine Durchbrechung des sog. "Kopfteilprinzips" geboten, weil ein vom Regelfall abweichender Sonderfall i.S.d.
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorliege.
Die zulässige Beschwerde ist auch begründet. Der nach ihren glaubhaft gemachten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
bedürftigen Klägerin steht für die nicht mutwillige Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe zu. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
weist darüber hinaus die nach §§ 73a des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG), 114 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht in dem Sinne auf, dass die Abstammung des Kindes N vom Ehemann der Klägerin zu
klären sein wird, bevor die Höhe des der Klägerin zustehenden Anteiles an den gesamten Kosten der Unterkunft ihrer Bedarfsgemeinschaft
i.S.v. § 22 SGB II festzustellen ist.
Zu entscheiden ist dabei alleine über den Anspruch der Klägerin selbst auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe; nur in ihrem
Namen ist Klage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt worden. Zudem liegt auch nur hinsichtlich ihres
Anspruches auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine Entscheidung des Sozialgerichts als Grundlage einer Befassung des Senats
im Beschwerdeverfahren (§§
29 Abs.
1,
142, 172 f.
SGG) vor.
Eine Feststellung der Familienzugehörigkeit des Kindes N als Kind des Ehemannes der Klägerin scheint geboten, weil eine uneingeschränkte
Anwendung des sog. "Kopfteilprinzips" auch bei Familienzugehörigkeit des Kindes N zu einem Wertungswiderspruch mit dem grundgesetzlich
garantierten Schutz von Ehe und Familie nach Art.
6 des Grundgesetzes (
GG) führen würde und unter diesem Gesichtspunkt eine Durchbrechung des "Kopfteilprinzips" geboten sein könnte.
Dabei findet das sog. "Kopfteilsprinzip" im Leistungsrecht des SGB II grundsätzlich immer dann Anwendung, wenn Hilfebedürftige
eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen nutzen. In diesem Falle sind die Kosten der Unterkunft im Regelfall unabhängig
von Alter, individueller Nutzungsintensität, Zugehörigkeit zu der Bedarfsgemeinschaft, unabhängig von der Zugehörigkeit der
weiteren Person zum Leistungssystem des SGB II und auch unabhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit des weiteren Wohnungsnutzers
anzuwenden (vgl. Urteile des BSG vom 27.08.2008 - B 14/11b AS 55/06 R, vom 19.03.2008 - B 11b AS 13/06 R, vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 58/06 R, vom 27.01.2009 - B 14/7b AS 8/07 R, vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R).
Eine ausnahmsweise Durchbrechung des "Kopfteilprinzips" hat der Senat bereits erwogen im Falle einer Bedarfsgemeinschaft,
in der die Unterkunftskosten der Klägerin mit deutscher Staatsangehörigkeit nach dem Zuzug ihres vorübergehend vom Leistungsbezug
nach dem SGB II ausgeschlossenen Ehegatten in Anwendung des "Kopfteilprinzips" nur noch hälftig übernommen worden waren (Beschluss
des Senats vom 30.03.2011 - L 19 AS 230/11 B). Der Senat hat dies im Anschluss an einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 650/77 vom 18.07.1979) damit begründet, Art.
6 Abs.
1 GG enthalte sowohl ein klassisches Grundrecht auf Schutz vor Eingriffen des Staates im Sinne einer Institutsgarantie als auch
eine wertentscheidende Grundsatznorm für das den gesamten Bereich Ehe und Familie betreffende private und öffentliche Recht.
Art.
6 Abs.
1 GG schütze das Interesse des deutschen Ehepartners, seine Ehe als eine Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner im Bundesgebiet
zu begründen und fortzusetzen. Da es grundsätzlich allein den Ehepartnern zustehe, selbstverantwortlich und frei von staatlicher
Einflussnahme den räumlichen und sozialen Mittelpunkt ihres gemeinsamen Lebens zu bestimmen, verdiene die freie Entscheidung
beider Eheleute, gemeinsam im Bundesgebiet zu leben, nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung besonderen staatlichen Schutz,
falls einer der Ehepartner die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Dieser Ansatz ist auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar, in der die Klägerin als in den Schutzbereich von Art.
6 Abs.
1 GG einbezogene deutsche Staatsangehörige wegen des Einzuges der Tochter ihres Ehemannes einen Leistungsnachteil hinnehmen müsste,
weil sie sich für den gemeinsamen Verbleib im Bundesgebiet entschieden haben. In dieser Konstellation tritt bei strikter Anwendung
des "Kopfteilprinzips" ein zur Überzeugung des Senats nicht mit Art.
6 Abs.
1 GG vereinbarer Wertungswiderspruch auf, dem durch Einschränken der Anwendung des "Kopfteilprinzips" Rechnung getragen werden
könnte.
Ob der Wertungswiderspruch hier allerdings besteht, hängt davon ab, ob das Kind N die Tochter des Ehemannes der Klägerin und
daher als dem Haushalt angehörendes unverheiratetes Kind nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a, Nr. 4 SGB II in die Bedarfsgemeinschaft einbezogen
ist. Die hieraus resultierende Notwendigkeit weiterer Aufklärung des Sachverhalts rechtfertigt zur Überzeugung des Senats
die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht i.S.v. §
114 ZPO.
Unabhängig hiervon regt der Senat (vgl. schon Vorschlag des Berichterstatters vom 08.02.2012) an, in Anbetracht der offensichtlich
geringen streitigen Beträge und eines möglicherweise drohenden Missverhältnisses zum Ermittlungsaufwand, über eine nicht streitige
Lösung nachzudenken.
Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind entsprechend §
127 Abs.
4 ZPO nicht zu erstatten.
Dieser Beschluss ist nach §
177 SGG endgültig.