Wirksamkeit und Reichweite des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Zur Begründung verweist der Senat hinsichtlich der Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs auf die zutreffenden Gründe der
angefochtenen Entscheidung.
Ergänzend führt der Senat aus:
Im Gegensatz zur Auffassung des Antragsgegners hat der EuGH die Frage der Wirksamkeit und Reichweite des Leistungsausschlusses
nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Urteil vom 11.11.2014 - Rechtssache "E" (C-333/13) nicht abschließend geklärt. Diese Entscheidung des EuGH beruht ausdrücklich auf der Feststellung, dass Frau E sich nicht
um Arbeit bemüht habe und es sich damit um eine Unionsbürgerin handele, die mit dem Ziel eingewandert sei, in den Genuss von
Sozialhilfe zu kommen (Rn. 78 der Entscheidung). Diese Fallgestaltung ist auf die Antragsteller bedingt durch die frühere
Arbeitstätigkeit der Antragstellerin zu 1) in Deutschland und ihre glaubhaft erklärte Arbeitsuche nicht übertragbar. Lediglich
die Frage, ob das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs.
4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004
gilt, hat der EuGH über die Fallgestaltung "E" hinausgehend bejahend beantwortet.
Eine Entscheidung des EuGH für Personen, bei denen - wie bei der Antragstellerin zu 1) - die Arbeitsuche zu bejahen ist, steht
noch aus (BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R; Az. beim EuGH C-67/14, Rechtssache Alimanovic). In seinem Schlussantrag vom 26.03.2015 zu diesem Verfahren empfiehlt der Generalanwalt X, drei
Fallgruppen zu unterscheiden (Rn. 87 des Schlussantrags):
1. Den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt
und sich dort weniger als drei Monate oder seit mehr als drei Monaten aufhält, ohne jedoch den Zweck der Arbeitsuche zu verfolgen
(erste Fallgestaltung),
2. den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich zur Arbeitsuche in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats
begibt (zweite Fallgestaltung),
3. den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich seit mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen
Mitgliedstaats aufhält und dort eine Beschäftigung ausgeübt hat (dritte Fallgestaltung).
Die Antragstellerin zu 1) könnte aufgrund ihrer in Deutschland ausgeübten Beschäftigung der dritten Fallgestaltung unterfallen.
Für diese Fallgestaltung empfiehlt der Generalanwalt dem EuGH (Rn. 126 des Schlussantrags), die Vorlagefrage des BSG dahingehend zu beantworten, dass Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Staatsangehörige
anderer Mitgliedstaaten, die eine Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat suchen, nachdem sie in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten
waren, von bestimmten "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung 883/2004
automatisch und ohne individuelle Prüfung ausschließt, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der
gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten.
Nach diesen Ausführungen, die zwar für den EuGH nicht bindend sind, mindestens aber die Komplexität der Rechtslage verdeutlichen,
ist eine Unwirksamkeit des Leistungsausschlusses gegenüber den Antragsstellern offen. Darüber hinaus hat der Generalanwalt
darauf hingewiesen, dass nach ständiger Rechtsprechung den Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, der im Aufnahmemitgliedstaat
erwerbstätig ist oder gewesen ist, und dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein
Recht auf Aufenthalt in diesem Staat auf der Grundlage allein von Art. 10 der Verordnung Nr. 492/2011 zusteht (Rn. 119 des
Schlussantrags). Da der Antragsteller zu 2) nach Aktenlage seit 2012 oder 2013 in Deutschland zur Schule geht, die Antragstellerin
zu 1) hier erwerbstätig gewesen ist und die Antragstellerin zu 1) die elterliche Sorge für den Antragsteller zu 2) tatsächlich
wahrnimmt, spricht auch dieser Gesichtspunkt für einen Leistungsanspruch.
Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie sind unter Berücksichtigung der vorhandenen Einnahmen
nicht in der Lage, den Regelbedarf zu decken. Somit drohen ihnen ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwerwiegende
Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG. Bei dieser Entscheidung hat der Senat berücksichtigt, dass zwar mangels Anschlussbeschwerde die Kosten für Unterkunft und
Heizung nicht zugesprochen werden konnten, aber auch diesbezüglich ein Anordnungsanspruch und -grund vorlagen. Der Senat hat
die vormals vertretene Auffassung aufgegeben, ein Anordnungsgrund liege erst vor, wenn Wohnungs- und Obdachlosigkeit drohen,
d.h. Räumungsklage erhoben wurde (Beschluss des Senats vom 04.05.2015 - L 7 AS 139/15 B ER). Die Versagung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung führte ansonsten unmittelbar zu einer Bedarfsunterdeckung, die
bei glaubhaft gemachter Hilfebedürftigkeit den Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
berührt (in diesem Sinne auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.01.2015 - L 11 AS 261/14 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.07.2014- L 10 AS 1393/14 BER, L 10 AS 1394/ B ER PKH).
Den Antragstellern stand für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 119
ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).