Anerkennung des Merkzeichens aG im Schwerbehindertenrecht bei der Notwendigkeit einer weit geöffneten Wagentür; Berücksichtigung
einer stark eingeschränkten Sehfähigkeit mit Erforderlichkeit fremder Hilfe
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnliche
Gehbehinderung) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (
SGB IX).
Der im Juli 1994 geborene Kläger erlitt bei einem Fahrradunfall am 15.03.2011 unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma
mit multiplen Mittelgesichtsverletzungen.
Am 02.09.2011 beantragte er die Feststellung einer Behinderung und bezog sich zur Begründung auf den Entlassungsbrief der
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichts-Chirurgie des Uni-Klinikums B , wo sich der Kläger vom 15.03.2011 bis
zum 04.04.2011 in außerdienstlicher Mitbetreuung und operativer Behandlung befand.
Das Amt für soziale Angelegenheiten Koblenz zog ein sozialmedizinisches Gutachten für den Medizinischen Dienst der Krankenkassen
Rheinland-Pfalz (MDK) zur Prüfung der Pflegebedürftigkeit auf Grund der Begutachtung durch den Arzt im MDK Dr. S am 30.09.2011
bei. Weiterhin wurde ein Bericht des Neurologischen Rehabilitationszentrums G vom 04.07.2011 zur Akte genommen.
Die Mutter des Klägers übermittelte sodann einen vorläufigen Entlassungsbericht des Neurologischen Rehabilitationszentrums
G , wo sich der Kläger vom 05.04.2011 bis 02.12.2011 in stationärer Behandlung befand. Danach sei der Kläger in einem umfassenden
multidisziplinären Therapieprogramm mit Ergo- und Physiotherapie, logopädischer und neuropsychologischer Therapie behandelt
worden und habe große Fortschritte für sich erzielen können. Zum Entlassungszeitpunkt habe der Kläger mit Fußbandage selbstständig
gehen können. Er sei selbstständig in allen Lagewechseln und benötige noch wenig Unterstützung beim Anziehen und Duschen.
Das Treppensteigen sei über drei Etagen mit Sicherungsperson und Elektrostimulation zur Fußhebung möglich. Zur weiteren Aktivierung
der Handfunktion, Stabilisierung des Rumpfes und Verbesserung des Gangbildes sei ambulante Physiotherapie mehrfach wöchentlich
weiterhin notwendig.
In der dazu gegenüber dem Amt für soziale Angelegenheiten Koblenz abgegebenen gutachterlichen Stellungnahme vom 19.12.2011
wurden folgende Beeinträchtigungen festgestellt:
Halbseitenlähmung nach Schädel-Hirntrauma (Einzel-GdB 80);
Hirnleistungsstörungen, Inkontinenz (Einzel-GdB 80);
Hemianopsie und Verlust des rechten Auges (Einzel-GdB 70).
Mit Bescheid vom 02.01.2012 stellte das Amt für soziale Angelegenheiten Koblenz unter Berufung auf die Auswertung der beigezogenen
ärztlichen Unterlagen und des Ergebnisses der Einschaltung des ärztlichen Sachverständigen einen GdB von 100 sowie das Vorliegen
der Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" fest. Das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen "aG") wurde
ausdrücklich nicht festgestellt.
Sein am 13.01.2012 eingelegter Widerspruch war auf die zusätzliche Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG" gerichtet. Zur
Begründung trug der Kläger vor, ihre Parkplätze würden so eng aneinander liegen, dass es ihm nicht möglich sei, die Autotür
weit zu öffnen, um aussteigen zu können ohne ein anderes Fahrzeug mit der Autotür zu beschädigen. Es gehe nicht um die Strecke,
die er zurücklegen müsse, sondern um den Platz zum Ein- und Aussteigen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 06.02.2012 wies das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung den Widerspruch des Klägers
zurück, da die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nicht vorlägen.
Nach ärztlicher Beurteilung sei der Kläger nicht derart außergewöhnlich gehbehindert, dass er sich dauernd nur mit fremder
Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen könne.
Zur Begründung seiner hiergegen am 06.03.2012 beim Sozialgericht Koblenz (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er sei auf Grund der Bewertung mit dem Merkmal "G" auf die Benutzung der allgemein
zur Verfügung stehenden Parkplätze angewiesen. Dort könne er nicht parken, weil er das Fahrzeug nicht verlassen könne, wenn
auf dem Nachbarparkplatz ein weiteres Fahrzeug stehe. Zur Teilnahme am Straßenverkehr sei er auf die Benutzung von Schwerbehinderten-Parkplätzen
angewiesen, da allein diese die notwendige Breite aufwiesen, die es ihm ermögliche, das Fahrzeug zu verlassen bzw. zu besteigen.
Er könne ein Fahrzeug weder ohne Hilfe besteigen, noch aus diesem aussteigen. Die jeweilige Person, die dabei helfe, benötige
eine komplett geöffnete Fahrzeugtür oder einen Aktionsraum daneben, um dem Kläger das Ein- und Aussteigen zu ermöglichen.
Darüber hinaus sei die Gehbehinderung des Klägers auch außerhalb des Fahrzeugs außergewöhnlich eingeschränkt, weil er dauernd
auf fremde Hilfe angewiesen sei. Stufen könne er nicht alleine bewältigen. Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger ein Auge
verloren habe und die Sehstärke des verbliebenen Auges bei unter 30 v.H. liege. Um sich zu orientieren müsse er deshalb bei
noch geöffneter Fahrzeugtür seinen gesamten Körper um fast 180 Grad nach rechts und links drehen. Auch dazu benötige er genügend
Raum neben und an der ganz geöffneten Fahrzeugtür. Diese notwendige Bewegungsfreiheit lasse sich auf normalen Parkplätzen
nicht erreichen. Auf Grund der vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei der Kläger bereits ab dem ersten Schritt
außerhalb des Kraftfahrzeugs auf fremde Hilfe angewiesen. Ohnehin könne er sich nur unter Einsatz einer speziellen Beinorthese
(Myoorthese) bewegen, da er nur mit diesem Hilfsmittel in der Lage sei, seinen Fuß anzuheben. Auch mit diesem Hilfsmittel
könne der Kläger den Fuß aber nur geringfügig heben, sodass bereits leichte Unebenheiten am Boden zum Sturz führen könnten.
Das SG hat von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. K vom 26.06.2012 veranlasst.
Der Gutachter hat im Rahmen einer Zusatzuntersuchung am 26.06.2012 mit dem Kläger einen Spaziergang über eine Wegstrecke von
771 m unternommen. Die Strecke sei innerhalb von 14 Minuten ohne Pausen bewältigt worden. Die Einschränkung des Gesichtsfelds
nach links berge die Gefahr einer Kollision, zum Beispiel mit Passanten oder Laternenmasten. Zusammenfassend hat der Sachverständige
unter anderem ausgeführt:
"Beim Spaziergang durch B ist insbesondere durch die Hemianopsie nach links deutlich, dass der Proband auf fremde Hilfe angewiesen
ist, da er alleine nicht in der Lage ist, Hindernisse im linken Gesichtsfeld, das ausgefallen ist, zu erfassen. Er geht leicht
hinkend. Er bewältigt allerdings die beschriebene Gehstrecke ohne Pausen. Treppen kann er nicht steigen."
Zur Frage einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ist der Sachverständige zum Schluss gekommen, diese liege nicht vor. Zweifellos
habe der Kläger eine Gehbehinderung. Die Gehstrecke sei zügig, jedoch nur besonderer Konzentration, einer Begleitperson und
mit körperlicher Anstrengung zurückzulegen.
In einer Stellungnahme zum Gutachten von Dr. K ist für den Kläger vorgetragen worden, das darin beschriebene Gangbild sei
"stark untertrieben". Auf Grund der linksseitigen Hemiparese sei er nur unter Einsatz einer speziellen Beinorthese in der
Lage, seinen Fuß leicht anzuheben. Ohne diese Orthese wäre beim Gutachtertermin ein passiv beeinträchtigtes Gangbild erkennbar
gewesen. Leichte Unebenheiten am Boden ließen den Kläger schon hinstürzen, und auch ein Treppensteigen wäre fast unmöglich.
Man müsse den Kläger ständig beim Gehen unterstützen. Selbst unter Hilfenahme der speziellen Beinorthese verfüge er nur über
eine eingeschränkte Gehfähigkeit. Tatsächlich sei jeder Gang für ihn mit sehr großer Anstrengung möglich bzw. bei entsprechender
Tagesform unmöglich. Dies beeinträchtige seine Gehgeschwindigkeit enorm. Man könne nicht von einem normal Gehenden ausgehen.
Ergänzend hat der Kläger ein Attest des behandelnden Psychologischen Psychotherapeuten Dr. phil. Dipl.-Psych. B vom 22.02.2013
vorgelegt. Danach bestünden auf neuropsychologischem Fachgebiet folgende Störungen, die eine Auswirkung auf die Gehfähigkeit
hätten: Hemianopsie mit entsprechenden Einschränkungen in der räumlichen Wahrnehmung sowie ein ausgeprägtes dysexekutives
Syndrom mit eingeschränkter Krankheitseinsicht und Störungen der Handlungskontrolle, insbesondere eine reduzierte Impulskontrolle.
Das SG hat den Beteiligten die Ablichtung der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - übersandt.
Der Kläger hat daraufhin mitteilen lassen, für das Merkzeichen "aG" komme es allein darauf an, dass sich eine Person wegen
der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen
könne. Es komme nicht darauf an, welche konkrete Wegstrecke ein Schwerbehinderter außerhalb seines Fahrzeugs zumutbar noch
bewältigen könne, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies möglich sei. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten
festgestellt, dass der Kläger auf fremde Hilfe angewiesen sei. Die daraus gezogene Schlussfolgerung, eine außergewöhnliche
Gehbehinderung liege nicht vor, sei falsch. Der Kläger sei nicht allein in der Lage, sich zu bewegen. In diesem Zusammenhang
sei zu berücksichtigen, dass neben den schweren Folgen des Hirntraumas und den Ausfällen im linken Gesichtsfeld eine eingeschränkte
Sehfähigkeit bestehe. Das rechte Auge sei unfallbedingt entfernt worden. Auf dem linken Auge bestehe nur eine Sehfähigkeit
von 30 v.H.. Der Kläger sei auf Grund der vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bereits ab dem ersten Schritt außerhalb
des Fahrzeugs auf fremde Hilfe angewiesen. Damit lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" vor.
Mit Urteil vom 30.09.2013 hat das SG die Klage abgewiesen, da der Hilfebedarf des Klägers nicht aus einer Bewegungseinschränkung resultiere. Für die Gewährung
des Merkzeichens "aG" seien jedoch allein die Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit maßgeblich. Ein- und Ausstiegsprobleme
aus einem Pkw, die auch durch andere technische Maßnahmen, wie zum Beispiel die Nutzung eines Pkw mit Seitenschiebetüren behoben
werden könnten, seien nach Auffassung des Bundessozialgerichts nicht geeignet, das Merkzeichen "aG" zu gewähren, da es denjenigen
vorbehalten werden solle, die wegen der Schwere ihres Leidens bzw. ihrer Leiden schon beim ersten Schritt außerhalb des Pkw
sehr große Mühe hätten, sich fortzubewegen. Der Kläger habe dies derzeit noch nicht.
Am 28.01.2014 hat der Kläger gegen das am 31.12.2013 zugestellte Urteil Berufung eingelegt und zur Begründung seinen bisherigen
Vortrag im Wesentlichen wiederholt. Er sei auf Grund der Kombination der bei ihm vorliegenden erheblichen Erkrankungen in
extremer Weise in seinem Gehvermögen eingeschränkt und vom ersten Schritt außerhalb des Fahrzeugs an auf fremde Hilfe angewiesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 30.09.2013 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 02.01.2012 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen
des Nachteilsausgleichs "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" lägen beim Kläger nicht vor, da die Annahme
einer Gehbehinderung nur auf einer Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen
werden dürfe. Ebenso lägen die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Gleichstellung mit diesem Personenkreis nicht vor.
Dem vorliegenden Hilfebedarf werde durch die Zuerkennung der Merkzeichen "H" oder "B" bereits Rechnung getragen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der den Kläger betreffenden Schwerbehindertenakte
des Amts für soziale Angelegenheiten Koblenz (Az.: 60-22-31-04897532) verwiesen, er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen
Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "Außergewöhnliche Gehbehinderung" (Merkzeichen "aG").
Nach §
69 Abs.
4 SGB IX treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen in Verfahren nach §
69 Abs.
1 SGB IX, wenn neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen
sind. Nach §
69 Abs.
1 Satz 1
SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Gemäß §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden
abgestuft festgestellt (§
69 Abs.
1 Satz 4
SGB IX). Dabei gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend (vgl. §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX). Somit ist entsprechend § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG der GdB nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten
körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Im Interesse
einer einheitlichen und gleichmäßigen Behandlung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Grund der Ermächtigung
in § 69 Abs. 1 Satz 5 und § 30 Abs. 17 BVB a.F. (entspricht § 30 Abs. 16 BVG der aktuellen Fassung) die Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 - VersMedV - erlassen, nach dessen § 2 Satz 1 die Grundsätze unter anderem für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG und Kriterien in der Anlage hierzu festgelegt werden. Die Anlage wird gemäß § 2 Satz 2 VersMedV auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten
Medizin erstellt und fortentwickelt. Diese "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" - VmG - ersetzen die bis zum 31.12.2008 anzuwendenden
Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (letzte
Ausgabe 2008).
Gemäß Teil D Ziffer 3 a VmG ist für die Gewährung von Parkerleichterungen für schwerbehinderte Menschen nach dem
Straßenverkehrsgesetz (
StVG) die Frage zu beurteilen, ob eine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliegt. Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher
Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauerhaft nur mit fremder Hilfe oder
nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte,
Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein
Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich Unterschenkel- oder Armamputiert sind, sowie
andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen dem vorstehend
aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind (Teil D Ziffer 5 b VmG).
Zwar fällt der Kläger - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - zum Personenkreis der schwerbehinderten Menschen im
Sinne des §
2 Abs.
2 SGB IX, da bei ihm ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und er seinen Wohnsitz im Geltungsbereich des
SGB IX hat, doch gehört er nicht zu dem vorstehenden im Einzelnen aufgeführten Personenkreis des Teil D Ziffer 5 b VmG.
Der Kläger ist auf Grund seiner Erkrankungen auch nicht dem aufgeführten Personenkreis gleichzustellen. Nach Teil D Ziffer
5 c VmG darf die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf
Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an
den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab
am Ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen
Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl
angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen
der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompressionserscheinungen
oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkungen der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen.
Gründe die gemäß Teil D Ziffer 5 c VmG die Gleichstellung mit den konkret benannten Personenkreisen rechtfertigen, liegen
beim Kläger nicht vor.
Die im Widerspruchsverfahren vom Kläger geltend gemachten Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen aus einem Fahrzeug, die
eine vollständig geöffnete Fahrzeugtür und einen entsprechend breiteren Parkplatz erfordern, reichen für eine Gleichstellung
nicht aus, wie das SG bereits zu Recht ausgeführt hat. Der Senat schließt sich insofern der Auffassung des BSG an, wonach es darauf ankommt, ob sich der Kläger wegen der Schwere seines Leidens nur mit großer Anstrengung außerhalb seines
Kraftfahrzeugs bewegen kann, somit Schwierigkeiten beim Verlassen des Fahrzeugs insoweit nicht in Betracht kommen, zumal diese
von der Art und Ausstattung des Fahrzeugs abhängen (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9 a SB 5/06 R -, [...] Rn. 21). Das SG hat in diesem Zusammenhang bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass die vom Kläger beschriebenen Probleme auch durch technische
Maßnahmen, wie zum Beispiel die Nutzung eines Pkw mit Seitenschiebetüren behoben werden können.
Auch die eingeschränkte Sehfähigkeit durch Verlust eines Auges und einer Sehstärke des verbliebenen Auges unter 30 v.H. stellt
keine gesundheitliche Beeinträchtigung dar, die zur Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" führt. Nach Teil D Ziffer
5 c VmG darf die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf
Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Der Senat folgt der Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom
19.06.2001 - L 6 SB 32/01, [...] Rn. 24, 25), wonach es nicht ausreicht, dass behinderte Personen zum Beispiel auf Grund eines gestörten Orientierungsvermögens
ein gewünschtes Ziel nicht alleine erreichen können. Selbst blinde Menschen erhalten danach nicht den Nachteilsausgleich "aG"
(so auch Hausmann, Schillings, Wendler, Sozialrecht, begutachtungsrelevanter Teil, Kommentar, Stand Januar 2010 S. 328).
Dies wird nach Auffassung des Senats auch durch die Systematik der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bestätigt. Nach Teil
D Ziffer 2 c VmG ist die Berechtigung für eine ständige Begleitung (Merkzeichen "B") unter anderem anzunehmen bei Blinden
und Sehbehinderten. Während diese Personengruppe somit im Zusammenhang mit dem Merkzeichen "B" (dessen Voraussetzungen im
Fall des Klägers festgestellt wurden), ausdrücklich benannt wurde, sind diese Gesundheitsstörungen in Teil D Ziffer 3 VmG
für außergewöhnliche Gehbehinderungen nicht als maßgeblich aufgeführt worden. Hieraus ist der Schluss zu ziehen, dass sehbehinderte
Menschen zwar eine Berechtigung für eine ständige Begleitung (Merkzeichen "B") haben, nicht jedoch dem ausdrücklich benannten
Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzustellen sind. Ansonsten hätte der Verordnungsgeber Blindheit und
Sehbehinderungen nicht nur in Teil D Ziffer 2 c VmG sondern auch in der Ziffer 5 aufgeführt. Deshalb kommt es auf die vom
behandelnden Psychologischen Psychotherapeut B attestierte Hemianopsie nach links mit entsprechenden Einschränkungen der räumlichen
Wahrnehmung nicht an.
Dass der Kläger sich wegen der Schwere seines Leidens nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen kann,
wie die in Teil D Ziffer 5 b VmG beschriebenen Personen ist nach Überzeugung des Senats nicht gegeben. Der Gutachter Dr. K
hat in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten ausführlich und nachvollziehbar einen Spaziergang mit dem Kläger beschrieben.
Danach ging der Kläger leicht hinkend und bewältigte die Gehstrecke von 771 m innerhalb von 14 Minuten ohne Pausen. Auch im
Entlassungsbericht des Neurologischen Reha-Zentrums G wurde beschrieben, dass der Kläger zum Entlassungszeitpunkt selbstständig
mit Fußbandage gehen konnte und das Treppensteigen über drei Etagen mit Sicherungsperson und Elektrostimulation zur Fußhebung
möglich war. Dass der Kläger nach Auffassung des Sachverständigen Dr. K beim Gehen auf fremde Hilfe angewiesen ist, beruht
auf der Einschränkung des Gesichtsfelds nach links, auf Grund dessen der Kläger nicht in der Lage ist, Hindernisse im linken
Gesichtsfeld zu erfassen und die Gefahr einer Kollision zum Beispiel mit Passanten und Laternenmasten besteht. Eine solche
Störung der Orientierungsfähigkeit ist aber aus den vorgenannten Gründen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ohne Bedeutung
und dem wird durch das Vorliegen des Merkzeichens "H" Rechnung getragen.
Die Berufung ist somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
Sozialgerichtsgesetz -
SGG - nicht vorliegen.