Anspruch auf Arbeitslosengeld; Berücksichtigung des Vorbereitungsdienstes der Juristenausbildung in Sachsen-Anhalt als Anwartschaftszeit
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Anspruches des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg).
Der am ... 1970 geborene Kläger absolvierte bis zum 21. Januar 2004 ein rechtswissenschaftliches Studium. Am 1. September
2004 trat er als Rechtsreferendar den Vorbereitungsdienst in Sachsen-Anhalt mit dem O.-gericht N. als Stammdienststelle an.
Bei dem Vorbereitungsdienst handelte es sich nach § 6 des Gesetzes über die Juristenausbildung im Land Sachsen-Anhalt vom
16. Juli 2003 - Juristenausbildungsgesetz - (GVBl. LSA 2003, S. 167) um ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis.
Nach § 7 Abs. 1 Juristenausbildungsgesetz erhält der Rechtsreferendar in dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis
eine monatliche Unterhaltsbeihilfe. Der Kläger nahm bis zum 18. Juli 2007 an dem Vorbereitungsdienst teil und beendete seine
juristische Ausbildung mit dem erfolgreichen Ablegen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung am 19. Juli 2007.
Am 19. Juli 2007 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos. In einer Arbeitsbescheinigung vom 15. August 2007 bestätigte
die Bezügestelle D. der Oberfinanzdirektion M. für den Kläger den Bezug eines beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgelts für
die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 18. Juli 2007 in Höhe von insgesamt 10.020,50 EUR. Auf der Bescheinigung war angegeben,
es seien Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet worden und auf der Lohnsteuerkarte des Klägers sei die Steuerklasse
I ohne Kinderfreibetrag eingetragen gewesen. Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 22. August 2007
Alg für die Zeit ab dem 19. Juli 2007 für 360 Kalendertage in Höhe von 13,47 EUR täglich und legte hierbei unter Berücksichtigung
der von der Bezügestelle D. bescheinigten Daten ein Bemessungsentgelt in Höhe von 28,42 EUR täglich, die Lohnsteuerklasse
I und einen Leistungssatz von 60 vom Hundert zugrunde.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 21. September 2007 Widerspruch ein, den er wie folgt begründete: Er habe vor Eintritt
der Arbeitslosigkeit Unterhaltsbeihilfe erhalten. Diese sei kein Arbeits- oder Ausbildungsentgelt. Deshalb sei das Alg auf
der Grundlage eines fiktiven Einkommens zu berechnen, wie er es nach dem Bestehen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung hätte
erzielen können. Es sei die Besoldungsgruppe R 1, hilfsweise A 13, der Bundesbesoldungsordnung zugrunde zu legen, hilfsweise
eine Entgeltgruppe E 13 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2007 als unbegründet zurück und führte aus, bei
der Unterhaltsbeihilfe habe es sich um Arbeitsentgelt gehandelt.
Der Kläger hat am 29. Oktober 2007 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben und ausgeführt: Rechtsreferendare seien von der Rentenversicherungspflicht befreit und es gelte ein geminderter
Beitragssatz in den übrigen Zweigen der Sozialversicherung. Die vorgenommene Bemessung verstoße auch gegen das Sozialstaatsprinzip.
Außerdem sei er vor Erlass des Ausgangsbescheides nicht angehört worden. Zudem sei er bei der Stellung des Antrags auf Alg
von einer Mitarbeiterin der Beklagten falsch beraten worden. Auf seine diesbezügliche Frage hin sei ihm gesagt worden, einen
Antrag auf Arbeitslosengeld II könne er erst nach dem Auslaufen des Anspruchs auf Alg stellen. Er sei nicht auf die Möglichkeit
hingewiesen worden, Arbeitslosengeld II neben Alg beziehen zu können.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 29. Juli 2009 als unbegründet abgewiesen: Eine fiktive Bemessung scheide aus, weil der Kläger
im Bemessungszeitraum Arbeitsentgelt erhalten habe.
Gegen das ihm am 7. August 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25. August 2009 Berufung eingelegt. Er meint weiter,
das ihm bewilligte Alg sei zu niedrig gewesen. Zudem habe er einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegen die Beklagte.
Er habe Alg für den gesamten Bewilligungszeitraum von 360 Kalendertagen bezogen. Erst ab dem 30. Januar 2008 habe er ergänzend
Arbeitslosengeld II bezogen. Bei entsprechender Beratung hätte er einen Antrag auf Alg II früher gestellt und diese Leistung
auch schon ab dem 19. Juli 2007 bezogen. Der ihm deshalb entstandene Schaden belaufe sich auf 4.441, 20 EUR. Der Kläger hat
nähere Ausführungen zu der Berechnung der Höhe des ihm entstandenen Schadens gemacht. Insoweit wird auf die Berufungsbegründung
(Blatt 55ff. der Gerichtsakten) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Madeburg vom 29. Juli 2009 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 22. August 2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit ab
dem 19. Juli 2007 Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines Arbeitsentgeltes zu gewähren, das er in seinem Beruf als Jurist
nach Ablegung der Zweiten Juristischen Staatsprüfung erzielen könnte,
hilfsweise, ihn auf der Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, wie er bei Beantragung von Arbeitslosengeld
II für die Zeit vom 19. Juli 2007 bis zum 29. Januar 2008 gestanden hätte, und die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag
in Höhe von 4.441,20 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung und den Hilfsantrag zurückzuweisen.
Sie hält die von ihr vorgenommene Leistungsbemessung für rechtmäßig. Wegen des behaupteten Schadens sei der Kläger auf die
Möglichkeit einer Schadensersatzklage beim zuständigen Landgericht zu verweisen.
Für weitere Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen. Diese Akten haben vorgelesen
und sind vom Senat bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach den §§
143,
144 Abs.
1 Satz 1, 1. Halbsatz des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Selbst bei ganz überschlägiger Beurteilung liegt der Wert des Beschwerdegegenstandes
ausgehend von dem begehrten höheren Alg für 360 Tage über dem Betrag von 750,00 EUR, so dass die Beschränkung der Berufung
nach §
144 Abs.
1 Nr.
1 SGG nicht eingereift.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen höheren Anspruch auf Arbeitslosengeld als er ihm
mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 bewilligt
wurde. Der Bescheid vom 22. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 ist auch nicht unter
Verletzung von Verfahrensrecht zustande gekommen, weil vor seinem Erlass keine formelle Anhörung des Klägers erfolgte. Nach
§ 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist einem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein
Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift. Ein Eingriff im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn der
vorhandene Rechtskreis eines Beteiligten durch die Verwaltungsentscheidung beeinträchtigt wird. Bescheide, mit denen erstmals
über einen Anspruch auf Sozialleistungen entschieden wird, greifen in diesem Sinne nicht in ein Recht ein und begründen keine
Anhörungspflicht. Dies gilt auch bei einer vollständigen oder teilweisen Ablehnung der beantragten Leistung (von Wulffen,
in: Komm. zum SGB X, § 24 Rdnr. 4). Insofern war der Kläger nicht vor dem Erlass des angefochtenen Bewilligungsbescheides anzuhören.
Die angefochtene Leistungsbewilligung beruht auch materiell-rechtlich auf der korrekten Anwendung des für den Leistungszeitraum
maßgeblichen Rechts. Die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch des Klägers ergeben sich aus den §§
117 Abs.
1,
118 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (
SGB III) in der für den streitigen Zeitraum maßgeblichen Fassung. Der Kläger erfüllte bei Eintritt der Arbeitslosigkeit am 19. September
2007 die in §
118 SGB III genannten Anspruchsvoraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Anspruch auf Alg haben danach Personen, die arbeitslos sind,
sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Der Kläger war arbeitslos
und hatte sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet.
Der Kläger hatte auch die Anwartschaftszeit erfüllt. Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist, die zwei Jahre
beträgt und mit dem Tag vor Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen für den Alg-Anspruch beginnt, mindestens zwölf Monate
in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§§
123,
124 SGB III). Der Kläger stand während des Vorbereitungsdienstes in der Zeit vom 1. September 2004 bis 18. Juli 2007 in einem Versicherungspflichtverhältnis
im Sinne des §
25 Abs.
1 SGB III, so dass er die Anwartschaftszeit für den Anspruch auf Alg nach §
123 SGB III erfüllt hatte. Versicherungspflichtig sind nach §
25 Abs.
1 Satz 1 zweite Alternative Personen, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Der juristische Vorbereitungsdienst stellt
- unabhängig davon, welcher konkrete Beruf nach dem Abschluss ergriffen werden soll oder ergriffen wird - eine Berufsausbildung
dar (so ausdrücklich Bundessozialgericht, Urteil vom 3. Februar 1994 - 12 RK 6/91 - zitiert nach juris). Es werden berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, die für die Ausübung bestimmter Berufe
(Richter, Rechtsanwalt, Verwaltungsjurist) erforderlich sind. Während des Vorbereitungsdienstes lag auch eine Beschäftigung
vor. Es greift die Bestimmung in §
7 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften über die Sozialversicherung (
SGB IV), wonach der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsausbildung als Beschäftigung
gilt (so ausdrücklich Bundessozialgericht, Urteil vom 3. Februar 1994 - 12 RK 6/91 - zitiert nach juris).
Es bestand auch keine Versicherungsfreiheit nach §
27 Abs.
1 Nr.
1 SGB III. Denn dies setzt einen Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge bei Krankheit nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundzügen
voraus. Für Referendare im Vorbereitungsdienst des Landes Sachsen-Anhalt findet aber nach §
7 Abs.
1 Juristenausbildungsgesetz das
Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994 (BGBl. I. S. 1014, 1065) Anwendung. Dieses Gesetz gilt nach dessen § 1 Abs. 2 allgemein für Arbeiter und Angestellte und die zu ihrer Berufsausbildung
Beschäftigten und nicht speziell für Beamte.
Die Höhe des Arbeitslosengeldes ist in den §§
129 ff.
SGB III in der hier maßgeblichen, am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Fassung durch das Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848) geregelt. Das Arbeitslosengeld beträgt nach dem allgemeinen Leistungssatz (wenn kein Kind im Sinne des §
32 Abs.
1,
3 bis
5 des
Einkommensteuergesetzes (
EStG) zu berücksichtigen ist) 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt,
das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach §
130 Abs.
1 Satz 1
SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten
Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Dabei umfasst nach Satz 2 der
Bemessungsrahmen ein Jahr und endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des
Anspruchs.
Danach hat die Beklagte das Bemessungsentgelt fehlerfrei ermittelt. Der Bemessungsrahmen umfasst als Bemessungszeitraum die
von der Bezügestelle mitgeteilten Entgeltabrechnungszeiträume vom 1. Juli 2006 bis zum 18. Juli 2007. Dabei wurde in 383 Tagen
ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von insgesamt 10.885,78 EUR erzielt, woraus sich ein durchschnittliches tägliches Bemessungsentgelt
von 28,42 EUR ergibt. Bei der dem Kläger monatlich gezahlten Unterhaltsbeihilfe handelte es sich um Arbeitsentgelt im Sinne
des §
14 Abs.
1 SGB IV. Arbeitsentgelt sind danach alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch
darauf besteht und unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden. Hierunter fällt auch das während einer
Referendarzeit außerhalb eines formellen Beamtenverhältnisses gezahlte Unterhaltgeld (so ausdrücklich Bundessozialgericht,
Urteil vom 3. Februar 1994 - 12 RK 6/91 - zitiert nach juris) bzw. die in Sachsen-Anhalt so bezeichnete Unterhaltsbeihilfe. Dem entspricht auch, dass für den Kläger
während der Referendarausbildung Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt wurden.
Für eine Leistungsberechnung nach einem fiktiven Bemessungsentgelt auf der Basis des Arbeitsentgelts, das der Kläger bei einer
Arbeitsaufnahme nach der Referendarausbildung hätte erzielen können, fehlt die gesetzliche Grundlage. Eine fiktive Bemessung
ist nach dem ab dem 1. Januar 2005 geltenden Recht nur noch im Rahmen des §
132 SGB III n. F. möglich. Voraussetzung für die fiktive Bemessung ist danach, dass innerhalb eines auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens
ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festgestellt werden kann. Dies scheidet
im Falle des Klägers aus, weil er sich in dem relevanten Zweijahreszeitraum im Vorbereitungsdienst befand und wie oben dargestellt
Anspruch auf Arbeitsentgelt hatte. Eine fiktive Leistungsbemessung nach §
134 Abs.
2 Nr.
2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung scheitert daran, dass der Anspruch des Klägers erst im Jahre 2007 entstanden
ist. Nach §
134 Abs.
2 Nr.
2 SGB III a. F. war für Zeiten einer Berufsausbildung, wenn der Arbeitslose die Abschlussprüfung bestanden hat, die Hälfte des tariflichen
Arbeitsentgelts derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster
Linie zu erstrecken hat, zugrunde zu legen. Mindestens war das Arbeitsentgelt der Beschäftigung zur Berufsausbildung maßgeblich.
Aufgrund des außer Krafttretens der Norm im Zuge der vollständigen Neufassung des §
134 SGB III durch Artikel 123 Abs. 3 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848) konnte eine auf diese Regelung gestützte Leistungsbemessung bei Eintritt des Leistungsfalls im Jahre 2007 keine Anwendung
mehr finden.
Der Kläger kann einen Anspruch auf höheres Alg auch nicht aus dem sogen. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten.
Der richterrechtlich entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt kein subjektives Verschulden voraus. Ausreichend
ist ein objektives Fehlverhalten, das einem Sozialleistungsträger - etwa aufgrund einer fehlerhaften oder unzureichenden Beratung
- zuzurechnen ist und das kausal für einen Rechtsnachteil des Betroffenen geworden ist. Rechtsfolge des Herstellungsanspruchs
ist, dass der Betroffene im Hinblick auf die begehrte Sozialleistung so zu stellen ist, wie er stehen würde, wenn er sich
bei unterstellter pflichtgemäßer Beratung seinen Interessen entsprechend verhalten hätte. Rechtsfolge kann aber immer nur
die Gewährung solcher Leistungen sein, wie sie das Gesetz vorsieht und wie sie grundsätzlich in dem betroffenen Sozialleistungsverhältnis
vorgesehen sind. Der Kläger behauptet, dass er bei entsprechender Beratung im Zusammenhang mit der Stellung des Alg-Antrags
früher einen Antrag auf Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) gestellt hätte. Diese Leistung kann bedürftigkeitsabhängig ergänzend neben den Anspruch auf Alg treten. Für die Gewährung
von Arbeitslosengeld II ist der Träger der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zuständig, von dem der Kläger auch solche Leistungen ab dem 30. Januar 2008 erhalten hat. Für Beginn und Umfang dieses Anspruchs
kann nicht im hier gegen die Beklagte anhängigen Rechtsstreit entschieden werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch
kann nicht dazu führen, dass die Beklagte als nicht zuständiger Träger rückwirkende Leistungen nach dem SGB II erbringt, weil dies so gesetzlich nicht vorgesehen ist. Es kam auch keine Beiladung des Trägers der Grundsicherungsleistungen
nach §
75 Abs.
2 SGG in Betracht, weil es sich bei den Ansprüchen auf Alg nach dem
SGB III und Alg II um unterschiedliche Leistungen handelt, die sich nicht gegenseitig ausschließen, so dass keine einheitliche Entscheidung
über die Ansprüche zu ergehen hat.
Der Hilfsantrag des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg.
Mit dem erstmals im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag liegt eine Klageänderung vor, weil der Kläger statt höherem
Arbeitslosengeld nach dem
SGB III oder ergänzendem Alg II nun erstmals im Berufungsverfahren einen Schadensersatz von der Beklagten begehrt. Der Kläger macht
im Kern einen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadenersatz wegen einer schuldhaften Amtspflichtverletzung bei seiner Beratung
im Zusammenhang mit der Abgabe des Alg-Antrags geltend. Diesen Anspruch hat der Kläger in das Verfahren eingeführt, nachdem
in der mündlichen Verhandlung am 24. Mai 2012 der rechtliche Hinweis erfolgte, dass die nachträgliche Gewährung von Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nur vom dafür zuständigen Träger der Grundsicherungsleistungen und nicht von der Beklagten
begehrt werden kann, selbst wenn eine frühere Antragstellung aufgrund eines Beratungsfehlers bei der Beklagten unterblieben
wäre. Diese Klageänderung ist hier nach §
99 Abs.
1 erste Alternative
SGG im Hinblick auf eine anzunehmende Einwilligung der Beklagten zulässig. Die Beklagte hat dem in der mündlichen Verhandlung
hilfsweise gestellten Antrag nicht widersprochen und eine Zurückweisung in der Sache beantragt, so dass eine Einwilligung
zur Klageänderung nach §
99 Abs.
2 SGG anzunehmen und die Klageänderung nach Abs.
1 der Vorschrift zulässig ist.
Für die Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch wegen einer Amtspflichtverletzung ist grundsätzlich der ordentliche
Rechtsweg gegeben (Art.
34 Satz 2
Grundgesetz (
GG)). Der Senat sieht dennoch im konkreten Fall keine Grundlage für eine Abtrennung dieses Teils des Rechtsstreits und eine
Verweisung an das zuständige Landgericht. Die Beklagte hat den Kläger in der Berufungserwiderung darauf hingewiesen, dass
für einen auf Amtshaftung gegründeten Schadensersatzanspruch der Rechtsweg (nur) vor dem zuständigen Landgericht offensteht.
Ein dort geführtes Verfahren wäre gerichtskostenpflichtig und deshalb für den Kläger mit einem Kostenrisiko verbunden. Dies
sucht der Kläger offensichtlich zu vermeiden, indem er den Schadensersatzanspruch alleine als mögliche Rechtsfolge aus dem
sozialrechtlichen Herstellungsanspruch - über den die Sozialgerichte zu entscheiden haben - herleiten will. Einen Amtshaftungsanspruch
nach §
839 Bürgerliches Gesetzbuch in Verbindung mit Art.
34 GG hat der Kläger nicht geltend gemacht. Insofern entscheidet der Senat auch nur über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
In der Sache kann der Hilfsantrag keinen Erfolg haben. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist zwar insofern auch auf
Schadensersatz im Sinne einer Naturalrestitution gerichtet, dass der Betroffene so zu stellen ist, wie er bei sinnvollem Handeln
nach ordnungsgemäßer Beratung mutmaßlich stehen würde. Möglich ist dies aber nur dadurch, dass eine dem angegangenen Leistungsträger
nach den Vorgaben des Gesetzes mögliche Leistung erbracht wird. Kann der Leistungsträger - wie hier die Beklagte bezogen auf
das Arbeitslosengeld II - eine solche Leistung nicht erbringen, umfasst der sozialrechtliche Herstellungsanspruch als mögliche
Rechtsfolge nicht die sekundäre Schadenersatzforderung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Der Fall wirft keine ungeklärten Rechtsfragen auf.