Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung des Zuschlags zum Kindergeld nach § 11a BKKG auf die Sozialhilfe
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig, im übrigen hat sie - ihre Zulässigkeit unterstellt - keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg (§ 93 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BVerfGG).
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen richtet, ist sie unzulässig. Die
Beschwerdeführer haben innerhalb der Einlegungsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt (§ 92 BVerfGG; vgl. BVerfGE 6, 132 [134]; 81, 347 [355]; st. Rspr.). Insbesondere haben sie nicht vorgetragen, daß die Fachgerichte bei
der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts verkannt haben (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]).
2. Soweit mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar § 77 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSGH) und § 11 a des Bundeskindergeldgesetzes (
BKGG) angegriffen werden, hat die Verfassungsbeschwerde - ihre Zulässigkeit unterstellt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
a) Ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze, insbesondere gegen das Gebot der ausreichenden Bestimmtheit von Normen,
ist, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer, nicht erkennbar.
Danach sind Rechtsvorschriften so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit
Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 49, 168 [181]; 59, 104 [114]). Wenn ein Gesetz - wie hier § 77 Abs. 1 BSHG - auf andere Normen verweist, muß es klar erkennen lassen, welche Normen gelten sollen (vgl. BVerfGE 5, 25 [31], 47, 285
[311]). Die Notwendigkeit der Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung nimmt ihr nicht die Bestimmtheit, die der Rechtsstaatsgrundsatz
von einem Gesetz fordert. Es ist vielmehr Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, die Zweifelsfragen zu klären, die sich aus einer
komplexe Sachverhalte erfassenden Regelung ergeben (vgl. BVerfGE 21, 245 [261]; 31, 255 [264]; 77, 1 [51]; 81, 70 [88]). Schwierigkeiten, die bei der Auslegung und Anwendung einer Vorschrift auftreten,
mögen zwar Anlaß für rechtspolitische Überlegungen sein; Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit lassen sich hieraus indes
grundsätzlich nicht herleiten (vgl. BVerfGE 47, 109 [120 f.]; 48, 48 [56]; 55, 144 [152]).
Diesen Maßstäben wird § 77 Abs. 1 BSHG gerecht. Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift ergibt, sollen öffentlichrechtliche Leistungen, die zu einem
ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur dann als Einkommen im Sinne des § 76 BSHG auf die Sozialhilfe angerechnet werden, wenn sie im Einzelfall demselben Zweck wie die Sozialhilfe dienen. Damit wird zum
einen ein Schutz des Empfängers bezweckt. Derjenige, der eine Leistung für einen ausdrücklich genannten besonderen Bedarf
erhält, soll diese nicht ihrer Zweckbestimmung zuwider verwenden müssen. Andererseits sollen Doppelleistungen der öffentlichen
Kassen für ein und denselben Zweck vermieden werden. Damit wird der allgemeine Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe
(§§ 2 Abs. 1 und 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG), zu dem auch der Einsatz anderweitigen Einkommens gehört, nur für die Leistungen durchbrochen, deren Zweck in öffentlichrechtlichen
Vorschriften ausdrücklich benannt und nicht identisch mit der Sozialhilfe ist. Ob die einzelne öffentlichrechtliche Leistung
- wie hier der Zuschlag zum Kindergeld nach § 11 a
BKGG - diese Voraussetzungen erfüllt, insbesondere mit der Sozialhilfe zweckidentisch ist, haben die Fachgerichte im Einzelfall
mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu beantworten.
b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist es von Verfassungs wegen auch nicht geboten, daß der Gesetzgeber in das
Bundeskindergeldgesetz oder das Bundessozialhilfegesetz eine ergänzende Regelung aufnimmt, die die Anrechnung des Zuschlags zum Kindergeld auf die Sozialhilfe ausschließt.
aa) Aus Art.
3 Abs.
1 GG läßt sich ein entsprechender Anspruch nicht herleiten. Die Anwendung dieser Bestimmung verlangt den Vergleich von Lebensverhältnissen,
die nicht in allen, sondern stets nur in einzelnen Elementen gleich sein können. Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers
zu entscheiden, welche von diesen Elementen er als maßgebend für eine Gleich- und Ungleichbehandlung ansieht (vgl. BVerfGE
71, 255 [271]; 81, 108 [117]; BVerfG, Beschluß vom 19. Februar 1991 [1 BvR 1231/85]; Umdruck S. 9). Wegen der fortwährenden, schnellen
Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens ist dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialrechts eine besonders
weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen. Diese unterliegt nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle (vgl.
BVerfGE 77, 84 [106]; 81, 156 [205 f.]). Das Bundesverfassungsgericht kann insbesondere nicht prüfen, ob der Gesetzgeber im einzelnen die
zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (vgl. BVerfGE 71, 255 [271]; 81, 156 [26]). Die Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit sind erst dann überschritten, wenn ein vernünftiger,
einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt, es sich also um Regelungen handelt, die unter keinem sachlich
vertretbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt erscheinen, so daß die Unsachlichkeit evident ist (vgl. BVerfGE 7, 39 [58]).
Was die hier angegriffene Anrechnung des Zuschlags zum Kindergeld auf die Sozialhilfe anbelangt, so tritt eine Benachteiligung
der Sozialhilfeempfänger gegenüber den übrigen Kindergeldberechtigten mit geringem Einkommen nur im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes
durch die Anwendung der Anrechnungsvorschriften der §§ 76, 77 Abs. 1 BSHG ein, während beide Personengruppen den Zuschlag zum Kindergeld von der Kindergeldkasse erhalten, demnach insoweit gleichbehandelt
werden. Rechtfertigender sachlicher Grund für diese Anrechnungsvorschriften ist der Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe,
zu dem auch der Einsatz anderweitigen Einkommens gehört. Nur bei nicht zweckidentischen öffentlichrechtlichen Leistungen,
deren Zweck ausdrücklich genannt ist, sieht § 77 Abs. 1 BSHG eine Ausnahme vor.
bb) Aus Art. 6 Abs. 1 i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip, die insoweit als Wertentscheidungen der Verfassung die Gestaltungsfreiheit
des Gesetzgebers begrenzen, läßt sich zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen,
nicht aber die Entscheidungen darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist.
Ebensowenig lassen sich aus dem Förderungsgebot des Art.
6 Abs.
1 GG konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen herleiten. Dieses geht insbesondere nicht soweit, daß der Staat gehalten
wäre, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen (vgl. BVerfGE 82, 60 [81]).
cc) Auf Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip können die Beschwerdeführer den von ihnen mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Anspruch
ebenfalls nicht stützen. Die sich aus diesen Bestimmungen ergebende Pflicht des Staates zur Fürsorge für Hilfsbedürftige erfordert
von Verfassungs wegen zwingend nur eine Hilfe, die die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins sicherstellt
(vgl. BVerfGE 40, 121 [133]; 43, 13 [19]; 45, 187 [228]; 82, 60 [80]). Das wirtschaftliche Existenzminimum der Beschwerdeführer wird durch die
(gekürzte) Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich des Kindergeldes und des Kindergeldzuschlags gesichert. Soweit es nicht um
die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein geht, steht es in der Entscheidung des Gesetzgebers, in welchem
Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden
kann und soll (vgl. BVerfGe 40, 121 [133]; 82, 60 [80]).
Da die Verfassungsbeschwerde teilweise unzulässig ist und im übrigen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, steht der
Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht entsprechend §
114 ZPO keine Prozeßkostenhilfe zu.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.