Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für eine Tätigkeit als Syndikusanwalt
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Kläger für seine
Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. für die Zeit vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2015 von der Rentenversicherungspflicht zu befreien
ist.
Der 1961 geborene, als Rechtsanwalt zugelassene Kläger ist Mitglied in der Rechtsanwaltskammer Braunschweig und gehört seit
1.5.2003 dem zu 2. beigeladenen Niedersächsischen Versorgungswerk der Rechtsanwälte an. Nachdem er in der Zeit vom 1.5.2003
bis zum 31.12.2013 durchgängig für verschiedene juristische Tätigkeiten von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung
(GRV) befreit worden war, lehnte die Beklagte eine Befreiung für seine Tätigkeit als Syndikusanwalt bei der Beigeladenen zu
1. für die Zeit ab 1.1.2014 ab, da er dort keinen typischen rechtsanwaltlichen Tätigkeiten nachgehe (Bescheid vom 30.4.2014; Widerspruchsbescheid vom 30.3.2015). Diese Tätigkeit endete zum 31.12.2015; danach war er bis zum 1.2.2017 arbeitslos.
Während des Klageverfahrens beantragte der Kläger am 19.1.2016 unter Hinweis auf eine zu erwartende Zulassung als Syndikusrechtsanwalt
die Befreiung von der GRV nach §
6 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB VI iVm § 46a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO, nF) sowie eine rückwirkende Befreiung nach §
231 Abs
4b SGB VI und die Erstattung zu Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung.
Nachdem die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nicht erteilt worden war, lehnte die Beklagte auch diesen Befreiungsantrag
ab (Bescheid vom 2.5.2017; Widerspruchsbescheid vom 4.12.2017). Außerdem lehnte sie den Antrag auf rückwirkende Befreiung nach §
231 Abs
4b SGB VI und die Erstattung gezahlter Pflichtbeiträge ab. Da die hierfür erforderliche Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
als Syndikusrechtsanwalt nach §
6 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB VI unter Berücksichtigung der BRAO in der ab 1.1.2016 geltenden Fassung nicht vorliege, könne auch eine sich auf rückwirkende Zeiträume erstreckende Befreiung
nicht erteilt werden (Bescheid vom 18.1.2018; Widerspruchsbescheid vom 1.3.2018).
Das SG Köln hat die gegen die genannten Bescheide gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 4.11.2019); das LSG Nordrhein-Westfalen hat die Berufung zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig und verletzten
den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser könne die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nicht aufgrund einer vorangegangenen
Befreiung verlangen, weil er zum 1.1.2014 eine andere Tätigkeit aufgenommen habe. Für diese Tätigkeit hätten die Voraussetzungen
einer Befreiung nach der Rechtsprechung des BSG nicht vorgelegen. Er habe auch keinen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach §
6 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB VI iVm der BRAO in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung, da ihm ab diesem Zeitpunkt keine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erteilt worden
sei. Aus diesem Grund habe er auch keinen Anspruch auf eine rückwirkende Befreiung nach §
231 Abs
4b SGB VI. Auch dies setze eine Befreiung nach §
6 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB VI iVm der BRAO in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung voraus, die ihm zu Recht nicht erteilt worden sei. Verfassungsrecht stehe dem nicht
entgegen (Urteil vom 28.5.2021).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG in entsprechender Anwendung von §
169 Satz 2 und
3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen,
welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit
oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten
(Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). In der Beschwerdebegründung muss eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit
einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§
162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert werden (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN).
Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist in der Beschwerdebegründung dazulegen, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen
noch aus der Rechtsprechung des BSG - und gegebenenfalls des BVerfG - hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Wird
eine verfassungsrechtliche Frage aufgeworfen, darf sich die Begründung nicht auf die bloße Behauptung der Verletzung einer
Norm des
GG beschränken. Vielmehr muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG substantiiert ausgeführt werden, woraus sich im konkreten Fall die vermeintliche Verfassungswidrigkeit ergibt. Dazu müssen
der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung
erörtert und die behauptete Verfassungsverletzung dargelegt werden (vgl BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 12 KR 95/18 B - juris RdNr 5 mwN). Wird in der Beschwerde eine Verletzung des Gleichheitssatzes geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung unter Berücksichtigung
der Rechtsprechung des BVerfG darlegen, worin die für eine Gleich- bzw Ungleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale
bestehen sollen (vgl BVerfG <Dreier-Ausschuss> Beschluss vom 8.6.1982 - SozR 1500 § 160a Nr 45). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Der Kläger formuliert folgende Frage:
"War der Gesetzgeber berechtigt, ohne Verstoß gegen Art
3 GG für die Rückwirkung des §
231 Absatz 4b
SGB VI zur Voraussetzung zu machen, dass bei fristgerechter Stellung des Antrags auf rückwirkende Befreiung ein befreiungsberechtigendes
Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 01.01. - 01.04.2016 vorlag?"
aa) Es fehlt bereits an hinreichenden Darlegungen zur Klärungsfähigkeit in dem angestrebten Revisionsverfahren. Denn der Kläger
bezieht seine Ausführungen auf einen Personenkreis, dem er nach eigenen Angaben nicht angehört, sondern sich lediglich "in
dessen zeitlicher Nähe" befunden hat.
bb) Unabhängig davon legt der Kläger auch die Klärungsbedürftigkeit der in den Raum gestellten Frage nicht hinreichend dar.
(a) Er führt zunächst aus, die "in §
231 Abs.
4b SGB VI bestimmte Stichtagsspanne" sei "eindeutig zu kurz bemessen". Zudem "beanstandet" er, "dass derjenige, welcher im 1. Quartal
keinen Arbeitsplatz besitzt, keine Möglichkeit hat, die Vergangenheit in der Weise zurecht rücken zu können, wie das dem Besitzer
eines Arbeitsplatzes ermöglicht worden ist." Er befasst sich allerdings in diesem Zusammenhang weder mit der Rechtsprechung
des BVerfG zu den Anforderungen an eine Stichtagsregelung (vgl zB BVerfG <Kammer> Nichtannahmebeschluss vom 19.5.2015 - 2 BvR 1170/14 - juris mwN) noch mit den Anforderungen an eine Vergleichsgruppenbildung (vgl zB BVerfG <Kammer> Nichtannahmebeschluss vom 13.12.2016 - 1 BvR 713/13 - juris RdNr
19). Es fehlt zudem an hinreichenden Darlegungen zum Bedeutungsgehalt des §
231 Abs
4b SGB VI als Übergangsvorschrift. Insbesondere setzt sich der Kläger nicht mit den Sachgründen für ihre Ausgestaltung auseinander,
sodass die Verfassungsverletzung lediglich behauptet, aber nicht hinreichend dargelegt wird.
(b) Schließlich sieht der Kläger "eine ins Auge stechende Ungleichbehandlung" für "Personen, die nach dem Stichtag und innerhalb
der festzulegenden Frist kein neues Beschäftigungsverhältnis zu begründen in der Lage waren oder ein solches überhaupt nicht
begründen wollten. (Personenkreis CC)". Für diese habe "die in der Vergangenheit liegende noch streitige Befreiungszeit nicht
mehr repariert werden" können. Bei ihnen blieben "Lücken im Versicherungsverlauf zurück, ohne dass sie in irgendeiner Weise
noch reparabel wären."
Auch mit diesen Ausführungen legt der Kläger die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dar. Er befasst sich weder hinreichend
mit dem Merkmal, das die Personengruppen unterscheidet, noch mit möglichen Sachgründen der Ungleichbehandlung. Insbesondere
lassen die Ausführungen des Klägers im Rahmen einer denkbaren Rechtfertigung der Ungleichbehandlung eine hinreichende Auseinandersetzung
mit der Vorschrift des §
231 Abs
4b Satz 2
SGB VI vermissen, die gerade eine Regelung hinsichtlich "davor liegender Beschäftigungen" enthält. Er behauptet zwar, Gründe hierfür
seien aus der Gesetzesbegründung nicht ersichtlich, setzt sich aber mit der Gesetzesbegründung insgesamt gar nicht auseinander.
Er geht auch nicht auf die Begründung des LSG ein, dass §
231 Abs
4b Satz 1
SGB VI die Befreiung auf den Beginn der konkreten Beschäftigung ausdehne, für welche von der zuständigen Rechtsanwaltskammer die
Voraussetzungen nach § 46a BRAO geprüft worden seien. Das LSG sieht daher einen vernünftigen, hinreichenden Grund, die Befreiung lediglich insoweit rückwirkend
auszudehnen, als die einheitlich zu beurteilende Beschäftigung über den Stichtag hinaus unverändert geblieben sei. Daher ist
auch mit der Behauptung des Klägers, es sei "kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum nur Arbeitsplatzbesitzer innerhalb
des fraglichen Quartals in den Genuss der Rückwirkung des §
231 SGB VI gekommen" seien, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht dargetan.
b) Des Weiteren wirft der Kläger die Frage auf:
"Sieht §
231 Abs.
4b SGB VI eine Rückwirkung der Befreiung auch dann vor, wenn ein Befreiungsantrag nach dieser Vorschrift zwar innerhalb der dort genannten
Frist gestellt worden ist, der Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt mit dem Erfolg der Befreiung erst nach dem 01.04.2016
gestellt werden konnte"?
Auch hierzu fehlen hinreichende Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Insbesondere fehlt es an einer Auseinandersetzung mit
dem Inhalt der Vorschrift, um darzulegen, ob und inwieweit sich die Frage nicht bereits aus den gesetzlichen Regelungen selbst
beantworten lässt.
2. Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang auf eine vermeintliche Divergenz des angefochtenen Urteils zu Entscheidungen
des LSG Baden-Württemberg vom 13.11.2018 und vom 16.10.2018 beruft, kann dies die Zulassung der Revision nicht begründen.
Eine Zulassung wegen Divergenz erfordert nach §
160 Abs
2 Nr
2 SGG, dass das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine abweichende Entscheidung eines der genannten
obersten Bundesgerichte ist entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG nicht bezeichnet.
3. Schließlich wird ein Verfahrensfehler nicht allein mit der Behauptung hinreichend bezeichnet, "dass das Gericht den vorgetragenen
Sachverhalt nicht berücksichtigt hat".
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.