Einbehalt rückständiger Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung aus einer Witwenrente
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die Beklagte berechtigt
ist, rückständige Beiträge zur gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) aus der Witwenrente der Klägerin
einzubehalten.
Die Klägerin bezieht seit 1990 eine Witwenrente von der Beklagten. Seit 1.1.2009 war sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt
und bei der beigeladenen Krankenkasse (KK) versichert. Sie nahm zum 1.10.2014 erneut eine Beschäftigung auf. Beiträge zur
GKV und sPV aus der Witwenrente führte die Beklagte nicht ab. Nachdem die Arbeitgeberin der Beklagten die Beschäftigung seit
1.10.2014 mitgeteilt und die beigeladene KK die Versicherungspflicht in der GKV seit Januar 2009 bestätigt hatte, berechnete
die Beklagte die Rente neu. Sie forderte von der Klägerin rückständige Beiträge zur GKV und sPV für die Zeit vom 1.10.2014
bis zum 31.1.2017 in Höhe von 1879,92 Euro (Bescheid vom 25.1.2017) und für die Zeit vom 1.1.2012 bis zum 30.9.2014 in Höhe von 2024,52 Euro (Bescheid vom 23.11.2017), die sie gemäß §
255 Abs
2 SGB V von der Rente einbehalten werde, sofern die Klägerin nicht wünsche, die Beträge jeweils in einem Betrag zu zahlen.
Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 13.2.2018), Klage (Urteil des SG Freiburg vom 15.7.2020) und Berufung sind erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin sei seit 1.1.2009 versicherungspflichtig
gewesen. Daher hätten Beiträge zur GKV und sPV aus der Witwenrente bezahlt werden müssen. Die Beklagte sei gemäß §
255 Abs
2 SGB V und §
60 Abs
1 Satz 2
SGB XI berechtigt, die Beiträge einzubehalten. Auf Verschulden komme es insofern nicht an. Die Beklagte habe die Verjährung der
Beiträge für die Zeit vor dem 1.1.2012 zutreffend berücksichtigt, Verwirkung sei nicht eingetreten, Anhaltspunkte für eine
fehlerhafte Berechnung und den Eintritt der Hilfebedürftigkeit der Klägerin seien nicht gegeben (Beschluss des LSG vom 21.10.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG). Die Klägerin hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen,
welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit
oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten
(Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre
nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage
im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin wirft in der Beschwerdebegründung folgende Frage auf:
"Kommt es bei der Nacherhebung von Beiträgen und Einbehaltung von Beiträgen im Rahmen des §
255 Abs.
2 SGB V auf ein Verschulden der gesetzlichen Krankenkasse als gesetzlich fiktioniertem Auftraggeber an, mit der Rechtsfolge einer
eintretenden Verwirkung von Beitragsansprüchen für die Vergangenheit?"
Die Klägerin legt die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich
geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich
entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte
zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Die Klägerin erwähnt zwar die Urteile des BSG vom 23.5.1989 (12 RK 66/87 - SozR 2200 § 393a Nr 3) sowie vom 14.9.1989 (12 RK 9/89) und weist darauf hin, dass es danach auf Verschulden nicht ankomme. Jedoch setzt sie sich weder mit der nachfolgenden Rechtsprechung
des BSG zum Verschulden im Rahmen des §
255 Abs
2 SGB V, §
60 SGB XI (BSG Urteil vom 23.3.1993 - 12 RK 50/92 - juris RdNr 15 und BSG Urteil vom 29.11.2006 - B 12 RJ 4/05 R - BSGE 97, 292 = SozR 4-3300 § 59 Nr 1) noch mit den Voraussetzungen der Verwirkung von Beitragsansprüchen (zB BSG Urteil vom 27.7.2011 - B 12 R 16/09 R - BSGE 109, 22 = SozR 4-2400 § 7 Nr 14 RdNr 35 ff; BSG Urteil vom 1.7.2010 - B 13 R 67/09 R - SozR 4-2400 § 24 Nr 5 RdNr 30 ff; BSG Urteil vom 23.3.1993 - 12 RK 62/92 - juris) auseinander. Auch legt sie nicht dar, inwiefern die von ihr aufgeworfene Frage dennoch weiterhin klärungsbedürftig sein soll.
Weder zeigt sie auf, dass den von ihr selbst angeführten Entscheidungen in nicht geringfügigem Umfang widersprochen worden
wäre (vgl BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 10 ÜG 8/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 5.2.2019 - B 1 KR 34/18 B - juris RdNr 7), noch dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben hätten, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten
(vgl BSG Beschluss vom 3.8.2016 - B 12 P 4/15 B - juris RdNr 5 mwN), also erneut Klärungsbedürftigkeit bestehe. Dazu reicht es nicht, darauf hinzuweisen, dass es 1989 noch keine sPV gegeben
habe und die Beiträge zur GKV seitdem gestiegen seien.
Sofern die Klägerin behauptet, entgegen der Ansicht des LSG sei Verwirkung eingetreten, der Beschluss des LSG sei also inhaltlich
unrichtig, kann das nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen (vgl BSG Beschluss vom 4.4.2018 - B 12 R 38/17 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 1.9.2021 - B 12 KR 27/21 B - juris RdNr 15).
2. Weitere Zulassungsgründe hat die Klägerin ausdrücklich nicht geltend gemacht. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat
auch deshalb ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.