Elektronische Lese-Sprechgeräte als Hilfsmittel der Krankenversicherung, vorrangige Verpflichtung Familienangehöriger im Heil-
und Hilfsmittelbereich
Gründe:
Streitig ist ein Anspruch nach §
33 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (
SGB V) auf Versorgung mit einem Lese-Sprechgerät als Hilfsmittel der Krankenversicherung (Kv).
Der 1953 geborene und bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger ist blind. Er erlernte den Beruf eines Masseurs
und ist als Physiotherapeut in einem Rheumakrankenhaus beschäftigt. An seinem Arbeitsplatz steht ihm ein Computer zur Verfügung
mit Sprachausgabe und Braille-Zeile, das ist eine Ausgabe in Blindenschrift, bei der vibrierende Schriftzeichen ertastet werden
können. Er lebt mit seiner berufstätigen Ehefrau, die als Wirtschaftsleiterin in einem Seniorenheim beschäftigt ist, und seiner
14-jährigen schulpflichtigen Tochter zusammen. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung eines ihm ärztlich
verordneten elektronischen Lese-Sprechgeräts ab, das schwarze Druckschriften durch ein elektronisches Abtastsystem und eine
Sprachausgabe akustisch wahrnehmbar macht, also "vorliest" und dessen Kosten - je nach Ausstattung - nach dem vorgelegten
Kostenvoranschlag damals rd 16.000,00 bis 31.000.00 DM betrugen (Bescheid vom 25. Februar 1993; Widerspruchsbescheid vom 20.
Juli 1993). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Kosten für ein elektronisches Lesegerät zu übernehmen (Urteil vom 20. Mai 1994), Das Landessozialgericht
(LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11, Januar 1995), Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es handele
sich zwar um ein geeignetes, nicht aber um ein erforderliches und wirtschaftliches Hilfsmittel i.S. der §§
33 Abs
1,
12 Abs
1
SGB V: Das Informationsbedürffnis des Klägers könne in annähernd gleichem Umfang durch andere Mittel wie den Hörfunk, Blindendruckschrift,
Kassetten der Blindenhörbüchereien, befriedigt werden. Um von Behördenschreiben Kenntnis zu nehmen, könne er seine Ehefrau
oder eine dritte Person als Vorleeskraft hinzuziehen. Das Erschließen von Fachliteratur falle nicht in den Leistungskatalog
der gesetzlichen KV.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der Vorschriften der §§
12 Abs.
1,
33 Abs.
1
SGB V: Das Lesegerät sei erforderlich und auch wirtschaftlich. Er benötige das Lesesystem, um ohne fremde Hilfe seinen erhöhten
Informationsbedarf zu befriedigen. Die Verweisung auf die Mithilfe seiner Ehefrau und Tochter als Vorlesekraft sei unzumutbar,
da das Vorlesen von Fach- und Freizeitliteratur zu umfangreich sei. Blindendruckschriften deckten einen nur sehr geringen
Ausschnitt aus dem Gesamtangebot der Literatur ab.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Januar 1995 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil
des Sozialgerichts Berlin vom 20. Mai 1994 zurückzuweisen mit der Maßgabe, daß der Kläger die Kosten des Lese-Sprechgeräts
trägt, soweit dieses als PC nutzbar ist und die Kosten auf diese Funktion entfallen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.Die Revision des Klägers führt mit der dem Revisionsantrag entsprechenden Einschränkung hinsichtlich einer Eigenbeteiligung
zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
1) Der Kläger hat in den Vorinstanzen beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für ein elektronisches Lesegerät
zu übernehmen. Das ist i.S. der Verurteilung zur Verschaffung einer Sachleistung zu verstehen. Auch im sozialgerichtlichen
Verfahren gilt als Zulässigkeitsvoraussetzung das Erfordernis eines bestimmten Klageantrages (BSGE 60, 87, 90 = SozR 1200 § 53 Nr. 6). Diesem Erfordernis genügt der gestellte Klageantrag, obgleich dieser offen läßt, welcher Gerätetyp
begehrt wird und ob das Gerät übereignet oder nur leihweise zur Verfügung gestellt werden soll. Die KK hat im angefochtenen
Bescheid ihre Leistungspflicht wegen fehlender Wirtschaftlichkeit global für alle Lese-Sprechgeräte im Grundsatz verneint.
Ungeklärt blieb, welche Geräteart (PC-Lösung oder geschlossene Anlage) und welcher Gerätetyp nach Leistung und Preis unter
Berücksichtigung der Wünsche des Leistungsempfängers als wirtschaftlich am ehesten in Betracht kommt und ob das Gerät leihweise
überlassen oder übereignet werden soll. In Fällen, in denen nicht nur die Entscheidung über die Art der Gewährung (Leihe oder
Übereignung), sondern auch die Spezifizierung der geschuldeten Leistung im Zusammenwirken der Behörde mit dem Leistungsempfänger
erfolgt, ist eine Klage auf eine wie im Ablehnungsbescheid nur global umschriebene Leistung zulässig, aber auch eine entsprechende
Feststellungsklage, jeweils verbunden mit der Anfechtungsklage (vgl. BSG SozR 3-4100 § 58 Nr. 6) - jedenfalls wenn kein Anhaltspunkt
dafür vorliegt, daß die Beteiligten im Falle einer Verurteilung der Behörde über die Auswahl streiten werden, wie dies hier
der Fall ist. Das bedarf keiner näheren Begründung, soweit offen bleibt, ob die Versorgung im Wege der Übereignung oder im
Wege der leihweisen Überlassung erfolgen soll, weil die Rechtsprechung dies stets als zulässig angesehen hat (vgl. BSG SozR
3-2500 § 33 Nrn. 3, 4, 5 und 7). Aus dem Eigenanteil des Versicherten bei Wahl der PC-Lösung ergeben sich insoweit keine Besonderheiten.
Entschließt sich die KK, das Gerät auf Dauer nur leihweise zur Verfügung zu stellen, dann ist für den PC-Anteil aus den hierauf
entfallenden Anschaffungskosten ein laufendes Nutzungsentgelt zu berechnen und vom Versicherten für die Dauer der Nutzung
zu fordern.
Es verstößt auch nicht gegen das Bestimmtheitserfordernis, daß die begehrte Sachleistung im Klageantrag wie im Urteil allein
mit ihrer Funktion als elektronisches Lesegerät mit Sprachausgabe (Lese-Sprechgerät) beschrieben wird. Ein solches Lese-Sprechgerät
ermöglicht es, Druckschriften verschiedenster Art mit einem Scanner in einen Arbeitsspeicher einzulesen und sofort oder nach
einer Zwischenspeicherung später mittels einer Sprachausgabe dem Blinden "vorzulesen". Hierzu werden von verschiedenen Herstellern
zahlreiche Gerätetypen mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit angeboten. Nach der Wirkweise sind zwei Arten zu unterscheiden:
die PC-Lösung und die geschlossene Anlage. Bei der PC-Lösung wird die Druckschrift mit Hilfe eines sog. Scanners in den Arbeitsspeicher
eines handelsüblichen PC eingelesen und mittels einer Sprachausgabe "vorgelesen". Das Steuergerät des PC (Rechner) muß mit
den für den Betrieb des Scanners und mit den für den Betrieb der Tonausgabe erforderlichen Einrichtungen und Programmen ausgestattet
sein. Die Aufrüstung eines PC zu einem Lese-Sprechgerät erfordert also neben dem Scanner und den Lautsprechern die Ausstattung
des Rechners mit den erforderlichen Einrichtungen und Programmen zur Steuerung dieser Geräte. Soweit das Lese-Sprechgerät
einen PC umfaßt und in dessen Arbeitsspeicher einliest, ist das Lese-Sprechgerät als PC nutzbar, insbesondere zur Textverarbeitung,
zur Nutzung von Datenbanken und zum Betrieb eines Druckers. Bei der "Nicht-PC-Lösung" (oder geschlossenen Anlage) wird der
gedruckte Text in einen besonderen Arbeitsspeicher eingelesen, der keine Nutzung als PC erlaubt.
Bei einigen Gerätetypen ist neben der Sprachausgabe eine Ausgabe über eine Braille-Zeile möglich. Das Optacon-Lesegerät -
auf die hierzu ergangene Rechtsprechung ist noch einzugehen - erlaubt demgegenüber nur die Ausgabe über eine Braille-Zeile.
Das Lese-Sprechgerät ermöglicht es durch die Sprachausgabe, daß erheblich mehr Zeichen je Minute übermittelt werden als beim
Optacon-Lesegerät oder beim Bildschirmlesegerät, bei dem der eingelesene Text stark vergrößert in einem entsprechend kleinen
Ausschnitt auf einem Bildschirm sichtbar gemacht wird. Das Geräteangebot verändert sich fortlaufend. Auch dies spricht unter
dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie dafür, eine globale Bezeichnung zuzulassen und erst im Falle einer Verurteilung der KK
unter den dann angebotenen Geräten auszuwählen, soweit der Streit nicht auch bestimmte Elemente der Auswahlentscheidung betrifft,
wie dies hier der Fall ist.
2) Der Kläger hat, wie vom SG zu Recht entschieden, Anspruch auf ein Lese-Sprechgerät als Hilfsmittel. Nach §
33 Abs.
1 S. 1
SGB V i.d.F. durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 2477) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken,
orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern
(1. Alternative) oder eine Behinderun auszugleichen (2. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände
des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Das begehrte Lese-Sprechgerät ist jedenfalls zur
Zeit noch kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Darunter fallen die Gegenstände, die allgemein im täglichen
Leben verwendet, d.h. üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig genutzt werden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr.
7 - Rollstuhlboy mwN). Insoweit ist der PC in der üblichen Ausstattung (Rechner - einschließlich Betriebssystem, Disketten-
und CD-Rom-Laufwerk-Bildschirm, Tastatur, Maus und Drucker, also ohne Scanner und Sprachausgabe) zwar schon zur Zeit als ein
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen. Auch die Beteiligten haben unter Berücksichtigung einer Pressemeldung,
die Gegenstand der Verhandlung war, nach der von 100 Einwohnern 12 über einen PC verfügen, einen PC (ohne Scanner und Sprachausgabe)
als Gebrauchsgegenstand angesehen. Ein solcher PC kann nicht als Lese-Sprechgerät genutzt werden. Die mit dem "Multimedia-PC"
eingeleitete Entwicklung mag in Zukunft dahin gehen, daß der übliche PC in der Lage sein wird, gedruckte Texte vorzulesen.
Das ist indes jedenfalls zur Zeit noch nicht der Fall. Soweit das Lese-Sprechgerät als Gesamtanlage einen handelsüblichen
PC umfaßt, sind die einzelnen Komponenten aufeinander abgestimmt und als technische Einheit anzusehen. Scanner und Sprachausgabe
sind nicht ein selbständiges Gerät, das nur Blinde benötigen, sondern Teil der Gesamtanlage. Ein solches PC-Lese-Sprechgerät
hat eine Doppelfunktion. Es ist einerseits als PC nutzbar (zB zur Textverarbeitung, zum Betreiben einer Datenbank oder eines
Kalkulationsprogramms) und andererseits als Lese-Sprechgerät. In seiner Funktion als Lese-Sprechgerät ist es Hilfsmittel,
was noch zu begründen ist, und in seiner Funktion als PC ein Gebrauchsgegenstand. In Fällen einer solchen Doppelfunktion verbleibt
das Hilfsmittel und entsprechend auch ein Heilmittel in der Leistungspflicht der KKn, wenn der Teil der Herstellungskosten
überwiegt, der auf die Hilfsmittelfunktion (Heilmittelfunktion) entfällt (BSG Urteil vom 10. Mai 1995 - 1 RK 18/94 -, antiallergene Kissenbezüge, für SozR vorgesehen mwN). Das wurde damit begründet, daß beim Überwiegen der Hilfsmittelfunktion
entfallenden Herstellungskosten die Bedeutung als Gebrauchsgegenstand in den Hintergrund trete und daß der Versicherte in
diesen Fällen mit der Tragung der vollen Kosten übermäßig belastet werde. Sei diese Voraussetzung erfüllt, dann müßten die
Beschaffungskosten im Verhältnis des festgestellten Herstellungsaufwands auf den Versicherten und die KK aufgeteilt werden.
Dem stimmt der Senat im Grundsatz zu, meint aber, daß bei besonders aufwendigen Geräten auch die absolute Höhe der auf die
Hilfsmittelfunktion entfallende Kosten zu berücksichtigen ist.
Das LSG hat zur Verteilung der Herstellungskosten bei der PC-Lösung keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen und lediglich
mitgeteilt, daß die Kosten für das Gesamtgerät - je nach Ausstattung nach dem mit dem Antrag im Oktober 1992 vorgelegten Kostenvoranschlag
damals rd 16.700,00 bis 31.000.00 DM betrugen. Zwischenzeitlich sind die Marktpreise für die in Betracht kommenden Geräte
erheblich gefallen. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, daß die Kosten der Vorrichtungen für Einlesen und Sprachausgabe
im August 1995 im Falle einer PC-Lösung auf 4.000,00 bis 5.000,00 DM anzusetzen sind. Ob die Gesamtanlage zur Zeit nicht mehr
als 8.000,00 DM kostet und damit die Gesamtkosten zu mehr als 50 vH auf die Hilfsmittelfunktion entfallen, kann offen bleiben.
Denn bei besonders aufwendigen Geräten kommt eine volle Belastung des Versicherten auch dann nicht in Betracht, wenn die auf
die Hilfsmittelfunktion entfallenden Kosten nicht überwiegen. Nach den zuvor mitgeteilten Zahlen, sind diese Vorrichtungen
wertmäßig so erheblich, daß dem Versicherten die Tragung der hierauf entfallenden Kosten nicht zugemutet werden kann. Bei
Geräten, die aus Teilkomponenten bestehen, die nach dem Baukastensystem ausgesucht werden können und für die sich Marktpreise
gebildet haben, ist von den Marktpreisen auszugehen. In diesen Fällen kann auf die Feststellung des anteiligen Herstellungsaufwands
verzichtet werden.
Auf die Verpflichtung des Versicherten, bei Wahl einer PC-Lösung einen Eigenanteil zu tragen, ist nicht näher einzugehen,
da der Kläger diesen bereits bei der Fassung des Klageantrags, soweit er mit der Revision weiterverfolgt wird, berücksichtigt
hat. Insoweit sind sich die Beteiligten auch darüber einig, daß die KK bei der Auswahl des Geräts berücksichtigt, ob ihre
Aufwendungen im Falle einer PC-Lösung (hier abzüglich des Eigenanteils des Versicherten) niedriger sind als im Falle einer
Nicht-PC-Lösung (hier ohne Eigenanteil).
Ein Anspruchsausschluß nach §
34 Abs.
4
SGB V i.d.F. durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG), der durch Gesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I 2266) einziger Absatz der Vorschrift wurde, greift nicht ein. Nach dieser
Vorschrift i.d.F. durch das GRG vom 20. Dezember 1988 kann der Bundesminister für Arbeit, nach der Fassung durch Gesetz vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I 2325)
kann der Bundesminister für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem
oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die KK nicht übernimmt (Satz 1).
In der aufgrund dieser Ermächtigung erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem
Abgabepreis in der gesetzlichen KV (KVHilfsmittelV) vom 13. Dezember 1989 (BGBl. I 2237), die i.d.F. durch die Verordnung
vom 17. Januar 1995 (BGBl. I 44) gilt, sind Lese-Sprechgeräte nicht erfaßt. Es kann daher offenbleiben, ob die Worte "von
geringem therapeutischen Nutzen" nur die Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung i.S. - der 1. Alternative
des §
33 Abs.
1
SGB V betreffen, was nahe liegt, oder ob die Ermächtigung auch für den Fall gilt, daß ein Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung
i.S. der 2. Alternative nur von geringem Nutzen ist.
Ein Ausschluß der Lese-Sprechgeräte aus der Leistungspflicht der KKn ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis.
Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche
Auslegungshilfe zu schaffen. Nach §
128
SGB V i.d.F. durch das GRG erstellen die Spitzenverbände der KKn gemeinsam ein Hilfsmittelverzeichnis (Satz 1), in dem die von der Leistungspflicht
umfaßten Hilfsmittel aufzuführen sind (Satz 2). Nach §
128 S. 2
SGB V i.d.F. durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (2.
SGB V-ÄndG) vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I 2325) sind in dem Verzeichnis auch die für die von der Leistungspflicht umfaßten Hilfsmittel
vorgesehenen Festbeträge oder vereinbarten Preise anzugeben. Das Hilfsmittelverzeichnis schließt elektronische Lese-Sprechgeräte
nicht aus (Hilfsmittelverzeichnis vom 29. Januar 1993, BAnz Beilage 1993, Nr. 50a 1-140 mit Ergänzungen, zuletzt BAnz Beilage
1995. Nr. 150a 1-19 vom 11. Mai 1995; vgl. auch Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Versorgung
mit Seh- und Hörhilfen Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln nach dem Recht der gesetzlichen KV vom
15. August 1990, ErsK 1990, 454).
Das LSG hat das Lese-Sprechgerät zu Recht als ein - bezogen auf den individuellen Bedarf des Klägers - geeignetes Hilfsmittel
zum Ausgleich einer Behinderung i.S. der 2. Alternative des §
33 Abs.
1 S. 1
SGB V angesehen. Ob der Begriff der Sehhilfe in §
33 Abs.
1 S. 1
SGB V nur Hilfsmittel erfaßt, die wie zB eine Brille das Restsehvermögen verstärken und nicht die Körperfunktion des Sehens durch
eine andere Köperfunktion ersetzen, wie dies bei den Lese-Sprechgeräten der Fall ist, kann offenbleiben. Das Lese-Sprechgerät
ist jedenfalls ein sonstiges Hilfsmittel, da der allgemeine Hilfsmittelbegriff i.S. der 2. Alternative als Ausgleich der Behinderung
auch den ersetzenden Ausgleich umfaßt (vgl. BSG SozR 2200 § 182b Nr. 17 - Blattwendegerät -, Nr. 25 - Kopfschreiber - und
Nr. 26 - Schreibtelefon; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 7 - Rollstuhlboy). Auch das Optacon-Lesegerät, das die Rechtsprechung als
geeignetes Hilfsmittel anerkannt hat (BSG 8. Senat, SozR 2200 § 182b Nr. 34 - 1. Optacon-Entscheidung -; BSG, 11a Senat SozR
5420 § 16 Nr. 1 - 2. Optacon-Entscheidung -), dient dem ersetzenden Ausgleich. Desgleichen ist es unerheblich, daß das Lese-Sprechgerät
nicht unmittelbar am Körper des Behinderten ausgleichend wirkt, sondern der Ausgleich indirekt auf andere Weise erzielt wird
(BSG SozR 2200 § 182b Nr. 12 - Fernsehlesegerät: BSG SozR 3-2500 Nr. 7 - Rollstuhlboy). Die Rechtsprechung hat zwar Hilfsmittel,
die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzen, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder auch
nur privatem Gebiet, nicht als Hilfsmittel der KV anerkannt und insoweit zwischen Hilfsmitteln der KV und solchen der Eingliederungshilfe
unterschieden (vgl. zu einer elektrischen Schreibmaschine bei einer Phokomelie der oberen Gliedmaßen: BSG SozR 2200 § 187
Nr 1 und zu einer Blindenschrift-Schreibmaschine: BSG SozR 2200 § 182b Nr. 5). Dies gilt aber nur für Hilfsmittel, die ausschließlich
oder nahezu ausschließlich für nur eines dieser Gebiete eingesetzt werden. Soweit jedoch Grundbedürfnisse betroffen sind,
fällt auch der Ausgleich der Folgen der Behinderung auf den genannten Gebieten in die Leistungspflicht der KV, wie zum Clos-o-mat
entschieden (BSG SozR 2200 § 182 Nr. 10, ständige Rechtsprechung). Das Lese-Sprechgerät kann keinem der vorgenannten Bereiche
zugeordnet werden. Es liest Druckschriften jeglichen Inhalts, die sich auf jedes der genannten Gebiete beziehen können. Im
übrigen ist das Informationsbedürfnis, dessen Ausgleich das Lese-Sprechgerät dient, den Grundbedürfnissen zuzuordnen, wovon
beide Optacon-Entscheidungen ausgehen. Überdies hat die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang zu den Grundbedürfnissen ganz
allgemein die Schaffung eines geistigen Freiraums gerechnet und insoweit ausdrücklich auch die Teilnahme am gesellschaftlichen
Leben einbezogen (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 1). Das schließt es entgegen der Auffassung des LSG aus, bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung den
vom Kläger bezeichneten Informationsbedarf unberücksichtigt zu lassen, soweit dieser auf den beruflichen, privaten und - mit
der ehrenamtlichen Betätigung - auf den gesellschaftlichen Bereich entfällt.
3) In die Leistungspflicht der KV fallen nach dem Grundsatz des §
12
SGB V, der auch für die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln gilt, nur solche Hilfsmittel. deren Verwendung wirtschaftlich und
notwendig ist, was neben der in § 33 geforderten Erforderlichkeit zu prüfen ist. Das LSG hat das Lese-Sprechgerät nicht als
"erforderlich und wirtschaftlich" angesehen und dabei die vom Kläger angegebenen Informationen nach Lebensbereichen aufgeteilt.
Es hat den Kläger hinsichtlich der Informationen von allgemeinem Interesse auf Rundfunk, Fernsehen, Tonkassetten, Erzeugnisse
in Blindenschrift usw verwiesen. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen. Der Informationsbedarf eines Blinden rechtfertigt
die Versorgung mit einem Lese-Sprechgerät nicht nur in wenigen Ausnahmefällen eines außerordentlich hohen Lesebedarfs, etwa
im Zusammenhang mit dem Besuch eines Gymnasiums oder eines Studiums. Ein dahingehender Rechtssatz ist der Hilfsmittel-Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zu entnehmen (aA: Krauskopf,
SGB V §
33 Rz. 15). Der 8. Senat des BSG hat zwar in der 1. Optacon-Entscheidung (SozR 2200 § 182b Nr. 34) einen Anspruch mit der Begründung
verneint, ein Bedarf in den Grenzen elementarer Grundbedürfnisse, der nicht mittels Rundfunk oder Druckerzeugnissen in Blindenschrift
gedeckt werden kann, aber durch das begehrte Hilfsmittel gedeckt werden könnte, sei den Feststellungen des LSG in der damals
angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Der 11a Senat hat in der 2. Optacon-Entscheidung aufgrund der damals vom LSG
getroffenen Feststellungen einen Bedarf nach weiteren Informationen, der nicht durch Rundfunk und Blindendruckschrift gedeckt
werden könne, als nicht ausgeschlossen angesehen (SozR 5420 § 16 Nr. 1).
Der Maßstab elementarer Grundbedürfnisse, des Wirtschatlichen und des Notwendigen besagt in diesem Zusammenhang nicht, daß
die Informationen, für deren Erlangung das begehrte Hilfsmittel erforderlich ist, ihrerseits unerläßlich sein müssen. Der
erkennende Senat hat zwar in einer älteren Entscheidung zum Schreibtelefon für Taubstumme nur auf Informationen abgestellt,
auf die der Behinderte unumgänglich angewiesen sei (BSG, 3. Senat. SozR 2200 § 182b Nr26). Dem Informationsbedürfnis ist indes
- allerdings begrenzt durch eine Nutzen-Kosten-Betrachtung, auf die später einzugehen ist - in einem umfassenderen Sinne Rechnung
zu tragen. Es genügt, daß ein Informationsbedarf im Rahmen einer normalen Lebensführung auftritt. Eine entgegenstehende Auffassung
ist der 1. Optacon-Entscheidung des 8. Senats, der nach der Geschäftsverteilung für das Gebiet der KV nicht mehr zuständig
ist, jedenfalls nicht mit der für eine Anrufung des Großen Senats erforderlichen Deutlichkeit zu entnehmen. Insbesondere kann
dem Hinweis auf den Rundfunk als mögliche Informationsquelle nicht die Aussage entnommen werden, daß nur das Bedürfnis nach
allgemein interessierenden Informationen als Grundbedürfnis anzuerkennen sei, zumal die Einteilung der Informationen in solche
von allgemeinem Interesse und solche, die nur Spezialgebiete betreffen oder nur von regionaler Bedeutung sind, nichts über
die Wichtigkeit der Information für die Lebensführung des Einzelnen besagt. So könnte zB bei schöngeistiger Literatur, auch
wenn sie allgemein bekannt ist, die Erforderlichkeit ihrer Kenntnis in Zweifel gezogen werden. Die Erforderlichkeit der jeweiligen
Information nach ihrem Inhalt zu bestimmen, wäre mit dem in Art.
5
Grundgesetz (
GG) geschützten Grundwert unvereinbar. Eine Verengung auf Informationen von allgemeinem Interesse würde zumindest in der Tendenz
der Rechtsprechung widersprechen, daß zu den Grundbedürfnissen nicht nur das Informationsbedürfnis, sondern auch die Bildung
eines geistigen Freiraums gehört, der sich der 8. Senat zur knappschaftlichen KV später ausdrücklich angeschlossen hat (SozR
3-2500 § 33 Nr. 3). Als Maßstab ist deshalb der allgemein praktizierte Informationsbedarf heranzuziehen.
Der normale Informationsbedarf und das Angebot zur Deckung dieses Bedarfs wächst ständig. Trotz der Veränderungen im Bereich
von Rundfunk und Fernsehen haben auch die gedruckten Informationen an Bedeutung zugenommen. Fernsehen (mit Tonkanal) und Rundfunk
bieten zwar fortlaufend weitere Programme an. So sind die früheren zwei Fernsehprogramme je nach Kabel- oder Satellitenanschluß
inzwischen durch 25-50 weitere Sender ergänzt worden. Das ermöglicht es den Sendern, in einem früher nicht gekannten Umfang
auch auf Spezialinteressen einzugehen. Andererseits ist gerade auf Spezialgebieten der Umfang der notwendigen Informationen
noch schneller gewachsen als das Rundfunkangebot, so daß auch hier die Informationen, die nur gedruckt zur Verfügung stehen,
zunehmen. Auch allgemein ist der Umfang der Informationen, die als erforderlich angesehen werden, so gewachsen, daß der Markt
an Wochen-, Unterhaltungs- und Spezialzeitschriften geradezu explodiert. Für den Büchermarkt gehen die jährlichen Neuerscheinungen
in die 100.000. Ein vernünftiger Gebrauch von Fernsehen und Rundfunk erscheint gerade in Anbetracht des wachsenden Angebots
nur bei Benutzung gedruckter Informationen möglich (Programmzeitschriften). Mit der Zunahme technischer Geräte zur Erleichterung
der normalen Lebensführung nimmt die Zahl der gedruckten Gebrauchsanweisungen ständig zu. Deren Vielzahl läßt es weitgehend
nicht mehr genügen, diese vor der ersten Inbetriebnahme einmal durchzulesen. Ihre ständige Verfügbarkeit erweist sich damit
als besonders wichtig. Die ständige Verfügbarkeit gedruckter Texte ist für die Informationen über Spezialgebiete, aber auch
für den persönlichen Lebensbereich (etwa Kontoauszüge) von besonderer Bedeutung.
Die Revision hält der Verweisung auf Radio und Fernsehen zu Recht entgegen, daß in den vom Kläger bezeichneten Druckschriften
Informationen angeboten werden, die weitgehend nicht über Rundfunk, Fernsehen, Erzeugnisse in Blindendruckschrift oder Tonkassetten
erlangt werden könnten; derartige Erzeugnisse deckten auch allgemein nur einen sehr geringen Ausschnitt der Literatur ab.
Ein Informationsbedarf i.S. eines Grundbedürfnisses kann für nach ihrem Inhalt bezeichnete Informationen nicht mit der Begründung
verneint werden, Radio und Fernsehen würden andere Informationen jeweils zu einem mehr oder minder gleich Thema anbieten und
insoweit sei auch eine Auswahl möglich. Rundfunk und Fernsehen sowie die in Tonbibliotheken angebotenen Aufzeichnungen eröffnen
auch Nichtbehinderten die theoretische Möglichkeit, auf gedruckte Informationen zu verzichten, da eine große Auswahl an Informationen
angeboten wird. Auch wenn Teile der Bevölkerung sich mit Fernsehen und Rundfunk begnügen und bewußt auf gedruckte Informationen
verzichten, kann dies nicht als Maßstab herangezogen werden. Ein Verzicht auf das Lesen von Druckschriften bewirkt nach allgemeiner
Auffassung eine geistige Verarmung, weil zahlreiche Informationen nur gedruckt zur Verfügung stehen. Die Fähigkeit zu lesen
bleibt für Allgemeinbildung, Erziehung und Persönlichkeitsentfaltung (Art
2
GG) von elementarer Bedeutung.
Die aufgezeigte Bedeutung der nur gedruckt zur Verfügung stehenden Informationen gilt für Nichtbehinderte und Behinderte in
gleichem Maße. In diesem Zusammenhang kann zwar die Bedeutung des Schreibens für die kulturelle Entwicklung und für die geistige
Entwicklung des Einzelnen nur teilweise berücksichtigt werden. Denn das Lese-Sprechgerät ermöglicht es nicht, selbst zu lesen
und setzt auch nicht die Fähigkeit zu lesen voraus. Es liest vor. Die Eigenschaft gedruckter Texte, daß die Information jederzeit
verfügbar ist, wirkt sich dagegen auch beim Gebrauch des Lese-Sprechgeräts aus. Es ermöglicht dem Blinden überdies die jederzeitige
eigene Auswahl zwischen den Büchern und gedruckten Texten, über die er verfügt. Auch die jederzeitige Auswahl wird vom Grundbedürfnis
umfaßt (vgl BSG, 3. Senat, SozR 3-2500 § 33 Nr. 4). Damit ist der vom Kläger bezeichnete "Lesebedarf" in vollem Umfang zu
berücksichtigen, auch hinsichtlich der beruflichen Fachliteratur und der ehrenamtlichen Betätigung.
4) Schon wegen des Umfangs des danach zu berücksichtigenden Lesebedarfs kann der Kläger nicht auf die Mithilfe des Ehepartners
und der schulpflichtigen Tochter als Vorlesekräfte verwiesen werden. Es läßt sich innerhalb der gesetzlichen KV keine generelle
vorrangige Selbsthilfe bzw Hilfe von Angehörigen gegenüber Versicherungsansprüchen begründen (Schulin, Handbuch der Sozialversicherung
Band I, 1994, § 6 RdNr. 62 f). Wesentliches Merkmal der Sozialversicherung ist die Bemessung der Leistungen am versicherten
Risiko. Nur ausnahmsweise gilt der in der Sozialhilfe vorherrschende Nachranggrundsatz, nach dem eine Leistung nicht zu bewilligen
ist, wenn der Betroffene sich selbst helfen kann oder die erforderliche Hilfe von anderen erhalt (Schulin, aaO. RdNr 64).
Eine solche Ausnahme hat der Gesetzgeber im Rahmen der häuslichen Krankenpflege und Haushaltshilfe (§ §
37,
38
SGB V) normiert, wonach kein Anspruch auf die vorgenannten Leistungen besteht, soweit Familienangehörige zu Hilfeleistungen zur
Verfügung stehen. Die Rechtsprechung hat diese Ausnahme auf den Heil- und Hilfsmittelbereich ausgeweitet; auch hier gehöre
es zu den Pflichten jedes Versicherten und der mit ihm in einem Haushalt lebenden Familienangehörigen, alles Zumutbare zu
tun, um neben den vorgesehenen Leistungen der KKn zur Behebung des Krankheitszustandes beizutragen (Keine Entschädigung der
nicht erwerbstätigen Ehefrau für deren Mithilfe bei der Heimdialyse: BSGE 44, 139, 141 = SozR 2200 § 185 Nr. 1 und BSGE 45, 130; ähnlich zur kostenlosen häuslichen Krankenpflege eines Kindes durch seine Mutter: BSGE 28, 253, 254 = SozR Nr. 33 zu § 182
RVO; ähnlich zum Bad-Helfer: BSG SozR 2200 § 187 Nr. 3, eine Entscheidung, die den Rechtszustand vor dem Rehabilitationsangleichungsgesetz [RehaAnglG] betrifft). Eine solche Verweisung ist indes unter dem Gesichtspunkt der Solidarität nur gerechtfertigt, soweit für die Angehörigen
eine kostenfreie Familienversicherung besteht (Schulin, aaO. RdNr. 64) und diesen deswegen eine solche Mithilfe zuzumuten
ist (Höfler, KassKomm. § 37 RdNr. 19 und § 38 RdNr. 20). Maßgebend ist der im Einzelfall bestehende Bedarf. Der Zeitaufwand,
den das Vorlesen der vom Kläger bezeichneten Texte aus Tageszeitungen, Behördenpost usw nicht nur vorübergehend für die Zeit
einer Erkrankung, sondern dauerhaft erfordert, ist der Ehefrau und der Tochter des Klägers schon unabhängig von einer anderweitigen
Belastung beim Maßstab der kostenlosen Familienversicherung unzumutbar. Überdies ist die Ehefrau des Klägers selbst volltags
als Wirtschaftsleiterin in einem Seniorenheim berufstätig. Diese Berufstätigkeit führt zusätzlich zur Unzumutbarkeit. Offen
bleibt, ob sich aus der Berufstätigkeit auch das Fehlen einer Familienversicherung ergibt. Der Heranziehung der Tochter setzt
deren Schulbesuch enge Grenzen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Kläger wegen seiner Blindheit ohnehin weitgehend auf
die Unterstützung seiner Familie angewiesen ist.
5) Auch soweit das LSG auf "Dritte", also auf bezahlte Vorlesekräfte, verweist, hält das Urteil einer Nachprüfung nicht stand.
Das LSG hat in anderen Verfahren (vgl. BSG Urteil vom 23. August 1995 - 3 RK 8/95, vorgehend LSG Berlin vom 11. Januar 1995 - L 15 Kr 92/93), in denen der Ehegatte des Versicherten selbst sehbehindert war,
vorrangig auf bezahlte Vorlesekräfte verwiesen und dies damit begründet, daß Blinde verschiedene Leistungen und steuerrechtliche
Vergünstigungen erhalten, die ua Mehraufwendungen für Vorlesekräfte berücksichtigen. Nach dem in Berlin geltenden Landesrecht
erhielten Blinde ein Pflegegeld, das in diesen Fällen monatlich 1.100,00 DM betragen habe (§ 2 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über
Pflegeleistungen vom 10. Mai 1962 i.d.F. des Gesetzes vom 25. September 1990 - GVBl. Berlin S. 2076). Dieses Pflegegeld ist
zweckgleich der Blindenhilfe nach § 67
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und berücksichtige ebenfalls ua den Mehraufwand für Vorlesen (Hinweis auf BVerwGE 27, 270, 274). Das Pflegegeld ist jedoch wie die Blindenhilfe nach § 67
BSHG und die steuerrechtlichen Vergünstigungen, auf die das LSG verweist, nur für den blindheitsbedingten Mehrbedarf gedacht,
der mit den Hilfsmitteln der KV nicht gedeckt werden kann. Insbesondere hinsichtlich der Blindenhilfe schließt es der Grundsatz
der Subsidiarität der Sozialhilfe zu den Leistungen der KV aus, zur Entlastung der KV auf die Sozialhilfe zu verweisen. Der
Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gilt zwar für die Blindenhilfe nach § 67
BSHG nur eingeschränkt. Die Blindenhilfe wird als pauschalierte Leistung ohne Rücksicht auf im Einzelfall festgestellte oder feststellbare,
nachgewiesene oder nachweisbare Mehraufwendungen gewährt; das erschwert es, einen Bedarf und die zur Deckung dieses Bedarfs
erforderlichen Aufwendungen zu ermitteln und ihnen tatsächliche Leistungen gegenüberzustellen, die diesen Bedarf möglicherweise
(teilweise) zu decken geeignet erscheinen (BVerwGE 51, 281, 284 f). Der Nachrang zu den Hilfsmitteln der KV bereitet jedoch keine Anwendungsschwierigkeiten. Der Grundsatz, daß aus
der Blindenhilfe (§ 67
BSHG) auch solche Geräte zu bestreiten sind, die nicht Hilfsmittel i.S. der Verordnung nach § 47
BSHG (Eingliederungshilfe-Verordnung) sind, steht dem nicht entgegen, sondern bestätigt den Vorrang der Hilfsmittel. Soweit es sich um persönliche Schriften handelt,
bliebe überdies bei einer Verweisung auf Dritte der verfassungsrechtlich garantierte Schutz der Privatsphäre (Art
2 Abs
1 iVm Art.
1 Abs
1
GG außer acht. Auch bei der Anwendung sozialrechtlicher Leistungsvorschriften ist dieser verfassungsrechtlich garantierte Schutz
der Privatsphäre zu beachten, d.h. es sind diejenigen Leistungen zu gewähren, die den Schutz der Privatsphäre des Versicherten
und seiner Familie sicherstellen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 5 - Schreibtelefon -).
6) Der Senat hat aufgrund der Feststellungen des LSG und ergänzend des SG keinen Zweifel daran, daß der Kläger mit dem begehrten Lese-Sprechgerät Druckschriften in einem wesentlichen Umfang zur Kenntnis
nehmen kann. Beim Optacon-Lesegerät (SozR 5420 § 16 Nr. 1) und beim Bildschirm-Lesegerät (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 4) waren
insoweit besonders eingehende Feststellungen erforderlich, weil diese Geräte jeweils nur wenige Buchstaben gleichzeitig erkennen
lassen. Das Lese-Sprechgerät bietet gerade hinsichtlich der Ausgabe eine ungleich größere Leistungsfähigkeit und stellt an
den Benutzer vergleichsweise geringere Anforderungen. Der Einleseteil erfordert es zwar, daß Zeitungsartikel von einer Hilfsperson
paßgerecht gefaltet oder ausgeschnitten werden müssen. Das führt zu einer ungleich geringeren Belastung der Hilfsperson als
deren Vorlesung und bewirkt darüber hinaus, daß ein solcher Artikel für den Blinden auf Dauer verfügbar bleibt. Es mag sein,
daß die Schwierigkeiten des Scanners mit Vielfarbdrucken und übergroßen Buchstaben (zB in Überschriften) gerade bei Arzneibeipackzetteln,
Kontoauszügen und Telefonbüchern zu Problemen führen (vgl hierzu Rundschreiben des BMA BArbBl 10/1994, 155). Das Fortbestehen
derartiger Einschränkungen ändert indes nichts daran, daß Lese-Sprechgeräte im Grundsatz einen breiten Anwendungsbereich haben.
Vielmehr ist darauf hinzuwirken, daß die genannten Druckerzeugnisse in Zukunft behindertengerecht so gestaltet werden. daß
sie ohne Mühe eingelesen werden können. Der Senat sieht aufgrund der Feststellungen der Vorinstanzen keine Veranlassung, an
der Beurteilung des Klägers zu zweifeln, daß ihm das Gerät die Befriedigung des angegebenen Informationsbedarfs erlaubt. Der
Kläger benutzt an seinem Arbeitsplatz ein vergleichbares Gerät und kennt dessen Leistungsfähigkeit. Überdies waren sich die
Beteiligten in der mündlichen Verhandlung einig, daß der Kläger auch zur Nutzung eines Geräts mit PC-Funktion in der Lage
ist.
7) Das Lese-Sprechgerät ist auch wirtschaftlich i.S. einer begründbaren Relation zwischen Kosten und Gebrauchsvorteil des
Hilfsmittels (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 4 mwN - Bildschirmlesegerät). Im Falle einer PC-Lösung entfallen auf die KK für Einlese-
und Sprachausgabe nach den jetzt geltenden Preisen etwa 4.000.00 bis 5.000,00 DM, wie ausgeführt. Für die Bewertung des Gebrauchsvorteils
ist ua der zeitliche Umfang der beabsichtigten Nutzung und die Bedeutung der jeweils erschließbaren Informationen maßgebend.
Der Kläger benötigt das Lesegerät, um Fachliteratur, Bücher und private Unterlagen zu lesen und um als Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft
für Masseure und Physiotherapeuten mitarbeiten zu können. Ein solcher Informationsbedarf kann nach seiner Dringlichkeit als
durchschnittlich bewertet werden. In einem solchen Fall muß der zeitliche Umfang der Nutzung wöchentlich durchschnittlich
mindestens 5 Stunden betragen, um die auf die KK entfallenden Kosten zu rechtfertigen. Das ist i.S. einer "gegriffenen Größe"
zu verstehen, wie sie von der Rechtsprechung entwickelt wird, um die Handhabung unbestimmter Rechtsbegriffe zu erleichtern
(vgl. hierzu BSG vom 7.Dezember 1983 - 9a RV 46/82 - VersorgB 1984, 93 = SozSich 1984, 221 = ZfS 1984, 240). Das LSG hat zwar die mutmaßliche Nutzungsdauer nicht ausdrücklich festgestellt. Jedoch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang
der Feststellungen insoweit eine Mindestdauer, die eine abschließende Beurteilung erlaubt. Der vom LS festgestellte Lesebedarf
und die Bereitschaft des Klägers, einen erheblichen Anteil der Kosten selbst zu tragen, lassen den Schluß zu, daß die erforderliche
Mindestnutzungsdauer erreicht wird. Eine solche Nutzungsdauer ist zwischen den Beteiligten überdies unstreitig.