Höheres Elterngeld unter Berücksichtigung von Bonuszahlungen und einer Eheschließungsprämie
Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache höheres Elterngeld für ihre am 2.5.2017 geborene Tochter unter Berücksichtigung der
während des Bemessungszeitraums im April und Dezember 2016 bezogenen Bonuszahlungen sowie der im Dezember 2016 erhaltenen
Eheschließungsprämie. Diesen Anspruch hat das LSG mit Urteil nach mündlicher Verhandlung vom 24.6.2021 verneint, weil es sich
bei diesen Entgeltbestandteilen um sonstige Bezüge iS des § 2c Bundeselterngeldund Elternzeitgesetzes (BEEG) gehandelt habe, die nicht bei der Berechnung des Elterngelds zu berücksichtigen seien.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) und einer Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form,
weil die geltend gemachten Zulassungsgründe des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) und der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet worden sind (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich,
dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass
also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung von §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diese Darlegungsanforderungen an einen Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
a) Anders als geboten hat die Klägerin bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des LSG zugrunde liegt, nicht
mitgeteilt. "Bezeichnet" iS des §
160a Abs
2 Nr
3 SGG ist ein Verfahrensmangel nur dann, wenn er in den ihn begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird. Dies wird aber
nur dann erkennbar, wenn zuvor diese Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargestellt und einer rechtlichen Wertung
unterzogen werden. Hieran fehlt es. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, unter Heranziehung von Verwaltungs- und Prozessakten
das herauszusuchen, was möglicherweise zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (stRspr; zB BSG Beschluss vom 28.2.2017 - B 9 SB 88/16 B - juris RdNr 5 mwN). Ohne Sachverhaltswiedergabe kann der Senat schon nicht beurteilen, inwiefern das Urteil des LSG auf den vermeintlich gerügten
Verfahrensmängeln beruhen können soll.
b) Soweit die Klägerin rügt, dass ihr bis zum Abschluss des zweitinstanzlichen Verfahrens keine Akteneinsicht in die Verwaltungsakte
der Beklagten gewährt worden sei, obwohl sie dies in der ersten Instanz beantragt habe, hat sie bereits keinen Verstoß des
Berufungsgerichts gegen das Recht auf Akteneinsicht nach §
120 Abs
1 SGG bezeichnet. Verfahrensmängel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG sind Verstöße des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug. Ein Verfahrensmangel,
der dem SG unterlaufen ist, kann daher nur dann die Revision rechtfertigen, wenn dieser fortwirkt und damit zugleich als ein Mangel
des Verfahrens vor dem LSG anzusehen ist (vgl BSG Beschluss vom 23.2.2017 - B 5 R 381/16 B - juris RdNr 16 mwN). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine substantiierten Angaben. Insbesondere fehlt es vollständig an dem erforderlichen
Sachvortrag, wie sich eine angeblich fehlerhafte Nichtgewährung der Akteneinsicht durch das LSG denkbar auf dessen Entscheidung
ausgewirkt haben könnte. Dass die im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin vom LSG daran gehindert worden ist,
vor Verkündung seines Urteils (erneut) einen Antrag auf Akteneinsicht zu stellen, behauptet sie nicht.
c) Sofern die Klägerin weiter rügt, dass sie nicht persönlich zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 24.6.2021 geladen
worden sei, hat sie ebenfalls keinen Verfahrensmangel des Berufungsgerichts bezeichnet. Der Gesetzgeber des
SGG hat als Mittel zur Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör den Grundsatz der mündlichen Verhandlung als Prozessmaxime
des sozialgerichtlichen Verfahrens ausgestaltet und den Beteiligten in §
124 Abs
1 SGG grundsätzlich einen Anspruch auf ihre Durchführung eingeräumt. Die Beteiligten haben ein Recht darauf, zur mündlichen Verhandlung
als dem "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens zu erscheinen und dort mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Wird aufgrund
mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten daher die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen (vgl BSG Beschluss vom 12.3.2019 - B 13 R 160/17 B - juris RdNr 8 mwN). Die Möglichkeit der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung setzt die ordnungsgemäße Benachrichtigung über den Termin zur
mündlichen Verhandlung voraus (§
153 Abs
1, §
110 Abs
1 Satz 1, §
63 Abs
1 Satz 2
SGG), die bei anwaltlich vertretenen Beteiligten - wie der Klägerin - gemäß §
73 Abs
6 Satz 6
SGG eine an den Bevollmächtigten gerichtete Mitteilung der Terminbestimmung erfordert (vgl BSG, aaO, RdNr 9). Einen Verstoß hiergegen hat die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht dargelegt. Sofern darin sinngemäß geltend gemacht
werden sollte, das LSG hätte das persönliche Erscheinen der Klägerin zur mündlichen Verhandlung anordnen müssen, so wäre es
erforderlich gewesen, weiter auszuführen, dass und warum das nach §
111 Abs
1 Satz 1
SGG bestehende gerichtliche Ermessen auf Null reduziert gewesen sein sollte, dass also die Anordnung des persönlichen Erscheinens
durch das Gericht zwingend hätte erfolgen müssen (vgl BSG Beschluss vom 21.8.2018 - B 13 R 107/18 B - juris RdNr 7). Solche zur Begründung einer Ermessensreduzierung geeigneten Umstände hat die Klägerin aber nicht benannt.
d) Auch die gerügte fehlerhafte Verkündung des Urteils des LSG wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen §
132 Abs
1 Satz 2
SGG, weil eine Urteilsverkündung "im Laufe" des Sitzungstages unzulässig sei, hat die Klägerin nicht dargetan. Ausweislich des
von ihr selbst in Bezug genommenen Protokolls über die öffentliche Sitzung des LSG vom 24.6.2021 hat der Vorsitzende die mündliche
Verhandlung um 10.36 Uhr für geschlossen erklärt und der Senat sich zur Beratung zurückgezogen. Nach geheimer Beratung hat
der Vorsitzende sodann um 10.45 Uhr im Namen des Volkes das Urteil durch Verlesen der Urteilsformel verkündet. Nach §
132 Abs
1 Satz 2
SGG wird das Urteil grundsätzlich in dem Termin verkündet, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird. Ebendies ist nach
dem Sitzungsprotokoll geschehen. Etwas Anderes zeigt auch die Beschwerdebegründung nicht auf.
e) Soweit schließlich als Verfahrensmangel gerügt wird, dass das Urteil nach den Unterschriften der Richter verändert worden
sei, "und zwar nicht von einem Gericht", und die Klägerin eine andere Abschrift des Urteils erhalten habe als das in den Akten
des LSG enthaltene Exemplar, so fehlt es schon an Ausführungen dazu, die diesen Umstand objektiv nachvollziehbar belegen können.
Die Klägerin behauptet nicht, dass das Urteil des LSG mit den handschriftlichen Verbesserungen im Text nicht von den beteiligten
Berufsrichtern des LSG unterzeichnet worden ist (§
153 Abs
3 SGG). Sie wirft in ihrer Beschwerdebegründung auch keine Zweifel an der Echtheit der Unterschriften der am Urteil beteiligten
Berufsrichter auf. Schließlich trägt die Klägerin nicht vor, was konkret nach den Unterschriften der Richter im Urteil verändert
oder korrigiert worden sein soll.
2. Auch die behauptete Divergenz hat die Klägerin nicht ordnungsgemäß bezeichnet.
Eine Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der
Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.
Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz
in der in Bezug genommenen höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz
dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das BSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren einer Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 25.10.2019 - B 9 SB 40/19 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 13 R 140/17 B - juris RdNr 12 f). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin behauptet, das Berufungsgericht weiche mit seiner Entscheidung von dem Urteil des BSG vom 25.6.2020 (B 10 EG 3/19 R - BSGE 130, 237 = SozR 4-7837 § 2c Nr 7) ab. Das LSG habe formuliert: "Die streitigen Zahlungen des Arbeitgebers sind bei der Berechnung des Elterngeldes nicht als
Einkommen zu berücksichtigen." Ferner übernehme das LSG aus dem Gesamtzusammenhang genommene Formulierungen des BSG, ohne dass eine ausreichende Berücksichtigung der differenzierten Rechtsprechung des BSG vorgenommen werde. Die Nichtberücksichtigung entscheidender Umstände in ihrem Fall durch das LSG mache deutlich, dass es
mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des BSG abweiche, weil es Bonuszahlungen einer Arbeitnehmerin im Bemessungszeitraum rechtlich als "sonstige Bezüge" einordne, wohingegen
das BSG Bonuszahlungen einer Arbeitnehmerin im Bemessungszeitraum eines Elterngeldanspruchs rechtlich als "laufenden Arbeitslohn"
betrachte.
Mit diesem Vorbringen bezeichnet die Klägerin indes keinen Rechtssatz des LSG, der die zitierte Rechtsprechung des BSG infrage stellt, sondern wendet sich hier im Kern gegen die inhaltliche Unrichtigkeit des Berufungsurteils. Allein die - behauptete
- Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall - zB wegen der Nichtbeachtung oder fehlerhaften Anwendung höchstrichterlicher
Rechtsprechung - rechtfertigt die Zulassung wegen Divergenz nicht (vgl stRspr; zB Senatsbeschluss vom 19.8.2021 - B 9 SB 30/21 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 16.4.2018 - B 9 V 8/18 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 16.3.2017 - B 13 R 390/16 B - juris RdNr 16). Das Vorbringen der Klägerin geht daher über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht
hinaus (vgl BSG Beschluss vom 29.5.2019 - B 9 V 15/19 B - juris RdNr 14).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.