Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
Tierarzt
Beschränkung der Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit
Kammerrechtlicher Begriff der Berufsausübung im Bereich des Heilberufsrechts
Revisibilität einer für ein einzelnes Bundesland geltenden Rechtsvorschrift
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger ab dem 16.2.2013 für die Beschäfti- gung, die er bei der Beigeladenen
zu 2. ausübt, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien muss.
Der 1961 geborene Kläger ist approbierter Tierarzt und bei der Beigeladenen zu 2. seit dem 16.2.2013 als wissenschaftlicher
Mitarbeiter im veterinärmedizinischen Außendienst beschäftigt. Geschäftsinhalt des in der Rechtsform einer GmbH betriebenen
Unternehmens der Beigelade- nen zu 2. ist der Vertrieb von Arzneimitteln, Futtermitteln, Pflege- und Hygieneprodukten, Zube-
hör für Intensivmedizin und Nahtmaterial für Tiere. Der Kläger berät die Kunden in Tierarztpra- xen und Kliniken, präsentiert
und verkauft die von der Beigeladenen zu 2. angebotenen Pro- dukte. Wegen der für die Beratung der Kunden erforderlichen veterinärmedizinischen
Fach- kenntnisse waren das abgeschlossene Hochschulstudium der Veterinärmedizin und die Appro- bation als Tierarzt entscheidende
Kriterien für die Einstellung des Klägers. Der Kläger ist für die Beigeladene zu 2. in einem Arbeitsverhältnis in mehr als
geringfügigem Umfang tätig. Er erhält ein monatliches Gehalt in Höhe von 4750 Euro brutto. Der Kläger übt seinen Beruf in
Baden-Württemberg aus.
Seit 16.2.2013 ist der Kläger Pflichtmitglied der Landestierärztekammer Baden-Württemberg (im Folgenden: Landestierärztekammer)
und Pflichtmitglied der Baden-Württembergischen Versor- gungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte (Beigeladene zu 1.),
die ihren Teilnehmern und deren Hinterbliebenen Altersruhegeld, Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit sowie eine Hinterbliebe- nenversorgung
gewährt. Es sind einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung
zu zahlen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestand bereits vor dem 1.1.1995
in Baden-Württemberg. Das Versorgungsanstaltsgesetz stammt aus dem Jahr 1961. Die Bestätigung der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde
darüber, dass die Beigeladene zu 2. die rechtlichen Anforderungen an eine berufsständische Versorgungseinrich- tung erfüllt,
liegt vor.
Mit Schreiben vom 8.2.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Befreiung von der Ver- sicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung. Die Beklagte lehnte den Befreiungsantrag mit Bescheid vom 16.1.2014 mit der Begründung ab, es werde keine
berufsspezifische Tätigkeit als Tierarzt ausgeübt. Typische tierärztliche Berufstätigkeiten seien nur solche, die dem Berufsbild
von Tierärzten nach der Bundestierärzteordnung (BTÄO) entsprächen. Danach behandelten Tierärzte erkrankte oder verletzte Tiere,
führten Vorsorgemaßnahmen zur Verhin- derung von Krankheiten durch, stellten den Tierschutz sicher und leisteten einen wichtigen
Bei- trag für den Verbraucherschutz. Anders als im Beitragsrecht der Kammern sei eine berufsspezi- fische Tätigkeit nicht
bereits gegeben, wenn noch Kenntnisse und Fähigkeiten einer veterinär- medizinischen Ausbildung mit verwendet würden. Vielmehr
müsse es sich um eine approba- tionspflichtige Tätigkeit handeln. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 12.6.2014 zurück. Bei der Tätigkeit des Klägers handele es sich nicht um eine berufsspezifische
Tätigkeit als Tierarzt, die in der Ausübung der Heilkunde an Tieren bestehe.
Das SG Karlsruhe hat mit Urteil vom 25.3.2015 die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger übe im Wesentlichen die
Tätigkeit eines Pharmareferenten und damit keine für die Be- rufsgruppe der Tierärzte spezifische Tätigkeit aus. Eine Approbation
als Tierarzt sei dafür nicht erforderlich.
Auf die Berufung des Klägers hat das LSG mit Urteil vom 9.11.2016 das erstinstanzliche Urteil sowie die Bescheide der Beklagten
aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger ab dem 16.2.2013 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
zu be- freien. Das LSG hat die versorgungs- und kammerrechtlichen Normen des Baden-Württember- gischen Landesrechts angewandt.
Der Kläger gehöre als approbierter Tierarzt nach den Vor- schriften des Gesetzes über das Berufsrecht und die Kammern der
Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychologischen Psychotherapeuten sowie der Kinder- und Jugendlichenpsychothe- rapeuten
(Heilberufe Kammergesetz - HBKG) vom 16.3.1995 idF vom 15.6.2010 (GBl BW S 427, 431) der Landestierärztekammer an. Er sei
nach dem Versorgungsanstaltsgesetz auch Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung (der Beigeladenen zu 1.).
Die Mitglied- schaft in der Versorgungseinrichtung knüpfe allein tätigkeitsbezogen an die Ausübung des Berufes eines Tierarztes
an. Nach § 2 der Berufsordnung der Landestierärztekammer sei unter tierärztlicher Berufsausübung jede Tätigkeit zu verstehen,
die Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt, die während des veterinärmedizinischen Studiums erworben werden, sofern die Bestimmungen
der §§ 2, 3 BTÄO erfüllt seien. Damit sei im Wesentlichen die Approbation gemeint. Auf das in § 1 Abs 1 BTÄO beschriebene,
dh approbationspflichtige Berufsbild komme es dagegen nicht an. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Befreiung von der
Rentenver- sicherungspflicht lägen vor.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI. Das Berufungsgericht habe seiner Entscheidung einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, indem es die Prüfung einer tierärztlichen
Berufsausübung allein an den landes- rechtlichen kammer- und versorgungsrechtlichen Normen ausgerichtet und insbesondere §
1 Abs 1 BTÄO als nicht einschlägig erachtet habe. Die für die Auslegung des Kammerrechts zutreffenden Überlegungen stimmten
nicht mit der Funktion des §
6 Abs
1 Nr
1 SGB VI überein. Das LSG habe sich nicht mit der Gesetzeshistorie und der systematischen Stellung der Befrei- ungsregelung und der
daraus folgenden Auslegung der Norm befasst. Die Vorschrift sei als abschließende Ausnahmevorschrift zu verstehen. Würden
selbst Tätigkeiten, die auch ohne Approbation ausgeführt werden könnten, zur Befreiung berechtigen, solange die Betroffenen
noch Tätigkeiten ausübten, in denen sie die im Studium erworbenen Kenntnisse noch mitver- wendeten und ihre Approbation nicht
zurückgäben, hätten diese es weitgehend in der Hand, welchem Alterssicherungssystem sie angehören wollten. Deshalb sei in
einem zweiten Prü- fungsschritt zu klären, ob die konkrete Tätigkeit dem sich aus der BTÄO ergebenden Berufsbild entspreche.
Anders als im Beitragsrecht der Kammern sei eine berufsspezifische Tätigkeit danach nicht gegeben, wenn Kenntnisse und Fähigkeiten
einer tierärztlichen Ausbildung ver- wendet würden, vielmehr müsse es sich um eine approbationspflichtige Tätigkeit handeln.
Dies sei beim Kläger nicht der Fall.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. November 2016 aufzu- heben und die Berufung des Klägers gegen
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. März 2015 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Kläger und die Beigeladene zu 1. halten die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Entscheidung des LSG, die Verwal- tungsentscheidungen der Beklagten
aufzuheben und diese zu verpflichten, den Kläger in seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 2. ab 16.2.2013 von der Rentenversicherungspflicht
zu befreien, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Nach §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI (idF von Art 1 Nr
2 des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 9.12.2004 - BGBl I 3242) werden unter den
weiteren Voraussetzungen der Buchst a bis c von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbstständig Tätige für
die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden
Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe
(berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer
sind.
A. Der Kläger ist seit dem 16.2.2013 für die Beigeladene zu 2. als wissenschaftlicher Mitarbeiter im veterinärmedizinischen
Außendienst im Rahmen einer Beschäftigung iS von §
7 Abs
1 S 1
SGB IV tätig und deshalb versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung (§
1 S 1 Nr 1 Halbs 1 Alt 1
SGB VI). Nach den unangefochtenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§
163 SGG) ist der Kläger für die Beigeladene zu 2. in einem Arbeits- verhältnis in mehr als in geringfügigem Umfang tätig. Eine Versicherungsfreiheit
nach §
5 Abs
2 S 1 Nr
1 SGB VI besteht nicht.
B. Das LSG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der Kläger wegen seiner Beschäftigung
bei der Beigeladenen zu 2. aufgrund auf Gesetz beruhender Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung
und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer ist.
Die konkret ausgeübte Tätigkeit des Klägers ist zu beurteilen anhand des Prüfungsmaßstabs der hier einschlägigen versorgungs-
und kammerrechtlichen Normen des Baden-Württember- gischen Landesrechts. Der Senat ist an deren Auslegung durch das LSG gebunden
(dazu I.). Ein von der Beklagten gefordertes weiteres (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal, wonach die Tätigkeit, für die
eine Befreiung zu erteilen ist, auch approbationspflichtig sein muss, ist §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI nicht zu entnehmen (dazu II.). Auch sind die weiteren Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs 1 S 1 Nr
1 Buchst a bis c iVm Abs
3 S 1 Nr 1
SGB VI erfüllt (dazu III.).
I. Der Kläger war nach den vom LSG festgestellten Tatsachen wegen der Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2. aufgrund auf
Gesetz beruhender Verpflichtung Mitglied einer berufsstän- dischen Versorgungseinrichtung und zugleich kraft gesetzlicher
Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer.
Der Senat ist insoweit an die unter Anwendung des Baden-Württembergischen Landesrechts getroffene Entscheidung des LSG gebunden
(§
202 SGG iVm §
560 ZPO). Anders als in frühe- ren vom Senat entschiedenen Verfahren über die Befreiung in der gesetzlichen Rentenversiche- rung
von Syndikusanwälten, deren Zulassung als Rechtsanwälte und die damit einhergehende Pflichtmitgliedschaft in der zulassenden
Rechtsanwaltskammer sich nach der Bundesrechtsan- waltsordnung (BRAO) und damit nach Bundesrecht bestimmt (vgl dazu BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 26), ist vorliegend die sozialrechtliche (Vor-)Frage, ob eine Erwerbstätigkeit der tierärztlichen
Berufstätigkeit zuge- ordnet werden kann, allein nach nicht revisiblem Landesrecht zu beantworten.
Es ist zu beurteilen die konkret ausgeübte Tätigkeit des Klägers. Prüfungsmaßstab sind die versorgungs- und kammerrechtlichen
Normen des Baden-Württembergischen Landesrechts (dazu 1.). Ob das LSG gegen Landesrecht als ausnahmsweise revisibles Recht
oder ob das LSG bei der Anwendung von Landesrecht gegen allgemein geltende Auslegungsgrundsätze, die dem Bundesrecht angehören,
verstoßen hat, ist nicht Gegenstand der rechtlichen Überprüfung im Revisionsverfahren. Die Beklagte hat einen solchen Revisionsgrund
nach §
162 SGG nicht geltend gemacht (dazu 2.). Unbeschadet der fehlenden Revisionsgründe steht die Auslegung des LSG im Einklang mit der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Kammerrecht (dazu 3.).
1. Die Beurteilung, ob ein Beschäftigter oder selbstständig Tätiger wegen der streitigen Beschäftigung bzw Tätigkeit Pflichtmitglied
einer Versorgungseinrichtung und einer berufsstän- digen Kammer ist, erfolgt im Wesentlichen tätigkeitsbezogen.
Nach dem Wortlaut von §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI wird die Befreiung von der Versicherungs- pflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung "für die Beschäftigung oder selbstständige
Tätig- keit" erteilt. Dabei ist unter "derselben Beschäftigung" im Sinne der Norm die "von der Beschäf- tigung erfasste Erwerbstätigkeit"
zu verstehen (vgl dazu im Einzelnen BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 28 f). Die Befreiung ist zudem ausdrücklich beschränkt "auf die jeweilige Beschäftigung oder
selbständige Tätigkeit" (§
6 Abs
5 S 1
SGB VI). Der Gesetzeswortlaut defi- niert die Reichweite einer Befreiung von der Versicherungspflicht damit nicht über die konkreten
inhaltlichen Merkmale der ausgeübten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit, wie etwa Berufsbezeichnung, berufliche
Qualifikation oder beruflichen Status (BSG Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R - BSGE 112, 108 = SozR 4-2600 § 6 Nr 9, RdNr 18). Maßgeblich ist vielmehr die Klassifikation konkret der Tätigkeit, für welche die Befreiung
begehrt wird. Auf die abstrakte berufliche Qualifikation des Beschäftigten bzw Selbstständigen kommt es nicht an (BSG Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R - BSGE 112, 108 = SozR 4-2600 § 6 Nr 9, RdNr 34).
Die Pflichtmitgliedschaft des Klägers in der Landestierärztekammer und der Versorgungsanstalt wird hier anders als bei der
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, die nach § 4 BRAO unabhängig von einer bestimmten Tätigkeit im Wesentlichen personenbezogen und ohne zusätzliche Beschränkung für alle Betätigungen,
die mit dem Beruf des Rechtsanwalts verbunden sind, erteilt wird (vgl BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 28), im Wesentlichen tätigkeitsbezogen beurteilt.
Dass der Kläger als approbierter Tierarzt eine tierärztliche Berufstätigkeit in Baden-Württemberg ausübt und deshalb Pflichtmitglied
in der Landestierärztekammer und damit in der weiteren Folge auch Pflichtmitglied der Beigeladenen zu 1. ist, bestimmte das
LSG zutreffend anhand von Landesrecht.
Rechtsgrundlage für eine Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 1. sind § 7 Abs 1 Gesetz über die Versorgungsanstalt
für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte in Baden-Württemberg (VersAnstG) idF vom 11.10.2007 (GBl BW S 473) und § 17 der Satzung
der Beigeladenen zu 1.
Nach § 7 Abs 1 VersAnstG nehmen an der Versorgungsanstalt diejenigen Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Dentisten teil, die die
in § 2 Abs 1 Nr 1 bis 3 HBKG genannten Voraussetzungen erfüllen und im Land ihren Beruf ausüben, soweit sie nicht als Beamte
einen gesetzlichen Anspruch auf Ruhegehalt oder Hinterbliebenenversorgung haben. Gemäß § 17 der Satzung richtet sich die Teilnahme
an der Versorgungsanstalt nach § 7 des Gesetzes (gemeint ist das VersAnstG).
Nach § 2 Abs 1 Nr 3 HBKG gehören der Landestierärztekammer alle Tierärztinnen und Tierärzte an, die bestallt oder approbiert
sind oder eine Erlaubnis zur Ausübung des tierärztlichen Berufs besitzen, und die im Land ihren Beruf ausüben oder, falls
sie ihren Beruf nicht ausüben, im Land ihren Wohnsitz haben. Eine Erfassung nicht Approbierter oder ausnahmsweise Gleichgestellter
scheidet damit entgegen der Revisionsbegründung aus.
Weder das HBKG noch das VersAnstG enthalten eine Legaldefinition der "tierärztlichen Berufs- ausübung". Eine solche enthält
die aufgrund von § 10 Nr 15 HBKG als Satzung erlassene Berufsordnung der Landestierärztekammer. Nach § 2 Berufsordnung der
Landestierärzte- kammer Baden-Württemberg vom 20.12.2001, idF vom 25.6.2015 (Berufsordnung - BerufsO) ist unter tierärztlicher Berufsausübung jede Tätigkeit zu verstehen, die Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt, die während
des veterinärmedizinischen Studiums erworben werden, sofern die Bestimmungen der §§ 2, 3 BTÄO erfüllt sind.
Das LSG hat dem folgend und für den Senat bindend (§
202 SGG iVm §
560 ZPO) entschieden, dass die vom Kläger verrichtete Arbeit einer tierärztlichen Berufsausübung iS von § 2 BerufsO entspricht. Bereits die Anstellung des Klägers als "wissenschaftlicher Mitarbeiter" lasse darauf schließen, dass eine besondere
Sachkunde und Ausbildung erforderlich sei. Veterinärmedizini- sche Fachkenntnisse seien für die Beratung der Kunden zwingend
erforderlich und das abge- schlossene Hochschulstudium der Veterinärmedizin und die Approbation als Tierarzt das ent- scheidende
Kriterium für die Einstellung des Klägers bei der Beigeladenen zu 2. gewesen. Auch sei der Kläger approbierter Tierarzt und
dürfe deshalb den tierärztlichen Beruf ausüben und die Berufsbezeichnung "Tierarzt" führen (§ 2 Abs 1 BTÄO).
2. Ob das LSG gegen Landesrecht als ausnahmsweise revisibles Recht oder ob das LSG bei der Anwendung von Landesrecht gegen
allgemein geltende Auslegungsgrundsätze, die dem Bundesrecht angehören, verstoßen hat, ist nicht Gegenstand der rechtlichen
Überprüfung des vorliegenden Revisionsverfahrens.
Eine für ein einzelnes Bundesland geltende Rechtsvorschrift ist nur ausnahmsweise revisibel, wenn für andere Bundesländer
inhaltlich übereinstimmende Vorschriften geschaffen worden sind und dies bewusst und gewollt um der Rechtseinheit willen geschehen
ist (vgl BSG Urteil vom 17.3.1982 - 9a/9 RVs 6/81 - BSGE 53, 175, 176 f = SozR 3870 § 3 Nr 15 S 39; BSG Urteil vom 20.3.1996 - 6 RKa 34/95 - SozR 3-2500 § 95 Nr 9 S 36; BSG Urteil vom 12.9.2001 - B 6 KA 64/00 R - SozR 3-2500 § 135 Nr 20 = SozR 3-5541 § 2 Nr 1, RdNr 16; BSG Urteil vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - SozR 4-2500 §
69 Nr 7 RdNr 26). Die Beklagte macht einen solchen Revisionsgrund nach §
162 SGG nicht geltend. Auch enthält die Revisionsbegründung keinen Vortrag dahingehend, dass das LSG möglicherweise aufgrund einer
willkürlichen und deshalb vom Senat zu korrigierenden Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Landesrechts gegen allgemein
geltende Auslegungsgrundsätze, die dem Bundesrecht angehören, verstoßen hat (vgl BSG Urteil vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - SozR 4-2500 § 69 Nr 7 RdNr 28 mwN). Die Beklagte beruft sich in ihrer Revisionsbegründung ausschließlich auf eine Verletzung
von §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI.
3. Unbeschadet der fehlenden Revisionsgründe steht die Auslegung des LSG im Einklang mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung
zum Kammerrecht.
Der kammerrechtliche Begriff der Berufsausübung im Bereich des Heilberufsrechts wird regel- mäßig weiter ausgelegt als derjenige
im Sinne des Approbationsrechts (vgl OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 24.4.2008 - 5 A 4699/05 - RdNr 7 mwN). Unter ärztlicher, zahnärztli- cher oder tierärztlicher Tätigkeit werden nicht nur diejenigen Tätigkeiten verstanden,
für die die ärztliche, zahnärztliche oder tierärztliche Approbation oder Erlaubnis Voraussetzung ist, sondern auch jene Tätigkeiten,
bei welchen Kenntnisse verwertet werden, die aufgrund einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Tätigkeit erworben
wurden oder die nach den jeweils gelten- den Vorschriften Gegenstand der ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Ausbildung,
Fort- oder Weiterbildung sind (vgl BayVGH Beschluss vom 19.6.2007 - 21 ZB 06.1853 - RdNr 4; OVG Schleswig-Holstein Urteil
vom 23.1.2014 - 3 LB 6/12). Danach umfasst der Begriff der ärztlichen Tätigkeit auch solche Tätigkeiten eines Mitglieds, bei denen es seine im Medizinstudium
erlangten Fachkenntnisse einsetzt, selbst wenn sie nur mitverwendet werden. Ausgenommen sind nur berufsfremde Tätigkeiten,
die in keinerlei Zusammenhang mit der ärztlichen Ausbildung und den medizinischen Fachkenntnissen stehen (vgl BVerwG Urteil
vom 26.1.1993 - 1 C 33/89 - BVerwGE 92, 24-29, RdNr 15; OVG Lüneburg Urteil vom 26.4.2007 - 8 LC 13/05 - RdNr 37 und OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 24.4.2008
-5A 4699/05 - RdNr 8). Auch eine Tätigkeit "in einem Randbereich" wird als eine die Zwangsmit- gliedschaft begründende Berufsausübung
gewertet (vgl BVerwG Urteil vom 30.1.1996 - 1 C 9/93 - RdNr 24; VG München Urteil vom 3.6.2008 - M 16 K 07.876 - RdNr 20).
§ 2 BerufsO nimmt lediglich Bezug auf die Vorschriften der §§ 2 und 3 BTÄO. Dagegen kann § 1 BTÄO, wonach der Tierarzt berufen ist, Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lin- dern
und zu heilen, zur Erhaltung und Entwicklung eines leistungsfähigen Tierbestandes beizu- tragen, den Menschen vor Gefahren
und Schädigungen durch Tierkrankheiten sowie durch Lebensmittel und Erzeugnisse tierischer Herkunft zu schützen und auf eine
Steigerung der Güte von Lebensmitteln tierischer Herkunft hinzuwirken, nicht als norminterpretierende Vorschrift zur Konkretisierung
der "tierärztlichen Berufsausübung" iS des § 7 Abs 1 VersAnstG und § 2 Abs 1 Nr 3 HBKG herangezogen werden.
Aufgrund der verschiedenen Gesetzgebungskompetenzen zum einen des Bundes für den Bereich der Zulassung zu ärztlichen und anderen
Heilberufen und zum anderen der Länder für die Regelungen berufsständischer Art im Kammerrecht ist nach der Rechtsprechung
des BVerwG der Landesgesetzgeber bei der Bestimmung dessen, wann Berufsangehörige im Sinne des Kammerrechts ihren Beruf ausüben,
auch nicht an die bundesrechtlichen Approbations- regelungen gebunden. Er kann die Abgrenzung vielmehr eigenständig vornehmen
(vgl BVerwG Urteil vom 30.1.1996 - 1 C 9/93 - RdNr 17) unabhängig von dem bundesrechtlichen Ärztebegriff der Bundesärzteordnung (BVerwG Urteil vom 25.11.1971 - I C 48.65 - BVerwGE 39, 100, RdNr 14).
II. Ein von der Beklagten gefordertes weiteres (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal, wonach die Tätigkeit, für die eine Befreiung
zu erteilen ist, dem in § 1 Abs 1 BTÄO beschriebenen Berufsbild eines approbierten Tierarztes entsprechen muss, ist §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI nicht zu entnehmen. Der Bundesgesetzgeber durfte sich bei der Ausübung seiner entsprechenden Gesetzgebungskompetenz aus Art
74 Abs
1 Nr
12 GG auf die Inkorporation der landesrechtli- chen Normen zum Kammer- und Versorgungsrecht beschränken.
1. Nach dem Wortlaut des §
6 Abs
1 S 1
SGB VI werden (unter den weiteren Voraussetzungen der Nr
1 Buchst a bis c aaO) von der Versicherungspflicht befreite Beschäftigte und selbststän- dig Tätige für die Beschäftigung oder
selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung
Mitglied einer öffentlich- rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufs- ständische
Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Dies bestimmt
sich vorliegend - wie bereits ausge- führt - anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen des Baden-Württembergischen
Landesrechts (s o die Ausführungen unter I.).
Dass die Tätigkeit, für die eine Befreiung zu erteilen ist, dem in § 1 Abs 1 BTÄO beschriebenen Berufsbild eines approbierten
Tierarztes entsprechen muss, kann entgegen der Rechtsauffas- sung der Beklagten dem Gesetzestext nicht entnommen werden. Eine
Bezugnahme auf die BTÄO enthält §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI nicht. Auch kann dies nicht - wie von der Beklagten vorgetragen - als eine weitere Voraussetzung, unter der erst ein Zusammenhang
zwischen Berufstätigkeit und Pflichtmitgliedschaft zu bejahen ist, aus der Verwendung der Präposition "wegen" entnommen werden.
Wie der Senat bereits entschieden hat, beschreibt "... für die Beschäftigung, wegen der ..." das Tatbestandsmerkmal "derselben
Beschäftigung" (vgl BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 28). Die Bedeutung von "wegen" erschöpft sich damit in der Herstellung eines ursächlichen Verhältnis-
ses. Sie dient der Klarstellung, auf welche Tätigkeit oder Beschäftigung sich das Befreiungs- recht beschränkt (BT-Drucks
13/2590 S 22).
2. Nichts anderes ergibt sich aus der Gesetzeshistorie. Auch daraus kann nicht geschlossen werden, dass - wie die Beklagte
meint - die Bestimmungen der landes- und kammergesetzli- chen Regelungen nur als "Einstiegsnormen" zu verstehen sind, die
durch weitere Anforderungen des §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI im Sinne der Beklagten zu ergänzen wären.
Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Änderung des
SGB VI und anderer Gesetze vom 15.12.1995 (BGBl I 1824) mit Wirkung vom 1.1.1996 die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Befreiung
von der Rentenversicherungspflicht verschärft und auf Pflichtmitglieder einer berufs- ständischen Kammer beschränkt (unter
der weiteren Voraussetzung, dass bereits vor dem 1.1.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft bestanden hat).
Allein die Pflichtmit- gliedschaft in einer Versorgungseinrichtung sollte nicht mehr ausreichen, um von der Renten- versicherungspflicht
befreit zu werden. Der Gesetzgeber reagierte auf die Gründung von neuen Versorgungseinrichtungen, in denen eine Pflichtmitgliedschaft
bereits mit einer freiwilligen Mit- gliedschaft in der Berufskammer begründet werden konnte.
Der Gesetzgeber hätte bei der Neubestimmung der sog "Friedensgrenze" (BT-Drucks 13/2590 S 1), die der Verschärfung der rentenversicherungsrechtlichen
Befreiungsregelung und der Vermeidung einer befürchteten Erosion der gesetzlichen Rentenversicherung diente (vgl BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 54) unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der berufsständischen Versorgung einer-
seits und den Interessen der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung ande- rerseits, weitere zusätzliche Anforderungen
in den Befreiungstatbestand des §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI mit aufnehmen können. Dies hat er jedoch nicht getan.
Durch das Gesetz zur Änderung des
SGB VI und anderer Gesetze vom 15.12.1995 (BGBl I 1824) sollte die Grenze zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischer
Ver- sorgung unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen beider Systeme gefestigt werden. Die Beschränkung des Befreiungsrechts
diente nach der Gesetzesbegründung im Ergebnis der "seit langem akzeptierten Abgrenzung zwischen berufsständischer Versorgung
und gesetzlicher Rentenversicherung in ihrer bisherigen Ausprägung" (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 13/2590
S 22). Der Gesetzgeber beschränkte sich dabei wie bislang bei der Formulierung des Befreiungstatbestandes auf die Bezugnahme
auf eine Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung "aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf
Gesetz beruhenden Verpflichtung" und ergänzte für die neue Voraussetzung einer zugleich bestehenden Mitgliedschaft in einer
berufsständischen Kammer entsprechend "kraft gesetzli- cher Verpflichtung". Dies erfolgte auch vor dem Hintergrund der damals
bereits begründeten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ausgehend von einem weiten Verständnis der ausge- übten Berufstätigkeit
zur Begründung einer Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kam- mer. Danach genügten für die Annahme einer ärztlichen
Tätigkeit auch solche Tätigkeiten, bei denen im Medizinstudium erlangte Fachkenntnisse eingesetzt, selbst wenn sie nur mitverwendet
wurden. Ausgenommen wurden ausdrücklich nur berufsfremde Tätigkeiten, die in keinerlei Zusammenhang mit der ärztlichen Ausbildung
und den medizinischen Fachkenntnissen standen (vgl BVerwG Urteil vom 26.1.1993 - 1 C 33/89 - BVerwGE 92, 24-29, RdNr 15). Hintergrund dieses weiten Begriffsverständnisses sind Sinn und Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung (vgl
Gutmann/Walter/Wiese, Die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für Ärztinnen und Ärzte, NZS 2015, 361, 363). Das BVerwG ging bereits früher davon aus, dass die Ärztekammer die ihr übertragene Aufgabe nur dann voll erfüllen
kann, "wenn sie sich die Erfahrungen der Ärzte aus allen Tätigkeitsbereichen [...] nutzbar machen kann" (BVerwG Urteil vom
25.11.1971 - I C 48.65 - BVerwGE 39, 100, RdNr 16). Der Gesetzgeber beließ es dennoch bei den Änderungen durch Gesetz vom 15.12.1995 (BGBl I 1824).
Auch ging der Gesetzentwurf zur Änderung des
SGB VI und anderer Gesetze ganz offenkundig davon aus, dass einzelne Voraussetzungen im Landesrecht zu klären sind. So wird zu §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 Buchst a
SGB VI ausgeführt: "Für die Beurteilung der Frage, ob für die jeweilige Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 die Verpflichtung
bestand, zur Ausübung des Berufs der jeweiligen berufsständischen Kammer anzugehören, sind die rechtlichen Verhält- nisse
des Ortes maßgebend, an dem der Beruf jeweils ausgeübt wird. Hat daher in einem Bun- desland für Angehörige einer Berufsgruppe
vor dem 1. Januar 1995 eine Verpflichtung zur Mit- gliedschaft in einer berufsständischen Kammer nicht bestanden, steht diesen
Angehörigen im Falle einer nach dem Stichtag erfolgenden Pflichtverkammerung mit anschließender Errichtung eines Versorgungswerks
das Recht zur Befreiung von der Versicherungspflicht nicht zu" (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 13/2590 S 22).
Die letzte Gesetzesänderung von §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI erfolgte damit bewusst in Kenntnis des Gesetzgebers von der Maßgeblichkeit von Landesrecht für die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft
in der berufs- ständischen Kammer.
3. Der Forderung der Beklagten nach einem "zweiten Prüfungsschritt" zur Bestimmung, ob die konkrete Tätigkeit dem sich aus
der BTÄO ergebenden Berufsbild entspricht, dh ob es sich um eine approbationspflichtige Tätigkeit handelt, lässt sich auch
nicht damit begründen, der Betei- ligte hätte es andernfalls "weitgehend in der Hand, welchem Alterssicherungssystem er angehö-
ren will" und allein die Anwendung des Landesrechts widerspreche der Funktion des §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI.
Der Anwendungsbereich der Norm ist über ihren Wortlaut hinaus nicht weiter einzuschränken. Dies folgt aus der Gesetzesbindung
aus Art
20 Abs
3 GG. Nach der Rechtsprechung des BVerfG überschreitet richterliche Rechtsfortbildung die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn
sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzli- che Entscheidungen abändert
oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft (vgl BVerfGE 126, 286 [306]). Zwar ist eine bestimmte Auslegungs- methode oder gar eine reine Wortinterpretation von Verfassungs wegen nicht vorgesehen
(vgl BVerfGE 88, 145 [166 f]). Der Wortlaut des Gesetzes zieht im Regelfall auch keine starre Auslegungsgrenze (vgl BVerfGE 118, 212 [243]). Bei einer Auslegung gegen den Wortlaut einer Norm müssen jedoch andere Indizien deutlich belegen, dass ihr Sinn im
Text unzu- reichend Ausdruck gefunden hat (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2016 - 1 BvR 1147/12 - Juris RdNr 7).
Nach dem Wortlaut werden (unter den weiteren Voraussetzungen des §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 Buchst a bis c
SGB VI) von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit,
wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtli-
chen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständi- sche Versorgungseinrichtung) und
zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Dies bestimmt sich - wie bereits ausgeführt
- anhand der ein- schlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen des Landesrechts. Indizien dafür, dass darüber hinaus
§ 1 Abs 1 BTÄO zu prüfen ist, fehlen.
Solche Indizien für eine zusätzliche Prüfung von § 1 Abs 1 BTÄO ergeben sich insbesondere nicht aus der Gesetzeshistorie (vgl
dazu bereits die Ausführungen unter 2.) und sind auch sonst nicht ersichtlich. Woraus die Beklagte folgert, der Betroffene
habe es "weitgehend in der Hand, welchem Alterssicherungssystem er angehören will", lässt die Revisionsbegründung offen. Sowohl
die Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kammer als auch (in der Folge) die Mitgliedschaft in der Versorgungsanstalt
stehen nach den einschlägigen landesrechtlichen Vor- schriften nicht zur Disposition des Betroffenen (vgl dazu bereits die
Ausführungen unter I. 1.).
Auch dass bei Anwendung desselben Prüfungsmaßstabs für die Beurteilung der Kammerzuge- hörigkeit und der Pflichtmitgliedschaft
in einem Versorgungswerk die Verwaltungsgerichte zu anderen Ergebnissen als die Sozialgerichte kommen können, ist entgegen
der Auffassung der Beklagten kein "starkes Indiz dafür, dass allein die kammerrechtlichen Normen nicht der zutref- fende Beurteilungsmaßstab
sind". Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass es im Fall der Syndikusanwälte nach den für diesen Personenkreis mit
Wirkung ab 18.5.2017 neu geschaffe- nen Regelungen zu einer unterschiedlichen Beurteilung hinsichtlich Berufszulassung und
Kam- merzugehörigkeit nicht kommen kann. Der Träger der Rentenversicherung ist nämlich als stets notwendiger Adressat von
derartigen Zulassungsentscheidungen (§ 46a Abs 2 S 2 BRAO) kraft Gesetzes an den bestandskräftigen Verwaltungsakt über die tätigkeitsgebundene (vgl § 46b Abs 3 BRAO) Zulassung als Syndikusrechtsanwalt gebunden (§ 32 Abs 1 S 1 BRAO, § 43 Abs 1 S 1 1. Alt VwVfG). Aufgrund spezialgesetzlicher Anordnung in § 46a Abs 2 S 4 BRAO gilt diese Bindung ausdrücklich auch, soweit der Rentenversicherungsträger im Rahmen der Befreiungs- entscheidung nach §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 und Abs
3 SGB VI die Zulassung zur Anwaltschaft als Syndikusanwalt und deren Umfang als Vorfrage zu prüfen hat. Schließlich kann es auch hin-
sichtlich der Frage der Kammerzugehörigkeit dieses Personenkreises nicht zu unterschiedlichen Auffassungen kommen, weil diese
allein von der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt abhängt (§ 60 Abs 2 Nr 1 BRAO) und die Beklagte auch diesbezüglich der unmittelbaren Bindung an den an sie gerichteten Verwaltungsakt unterliegt.
Entgegen dem Revisionsvorbringen kann aus diesen besonderen Regelungen zur Zulassung von Syndikusanwälten jedoch rechtlich
nicht geschlossen werden, dass es im Fall des Klägers über die Erfüllung der kammerrechtlichen Voraussetzungen hinaus notwendig
der Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 BTÄO bedürfte, um ein Auseinanderfallen von "berufsrechtlicher" und "sozialversicherungsrechtlicher"
Beurteilung zu vermeiden. Insofern fehlt es bereits an einem Rechtssatz, aus dem sich die verbindliche Anordnung eines derartigen
allgemeinen Ausle- gungsziels ergeben könnte. Jeder Träger öffentlicher Verwaltung beurteilt innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs
die Voraussetzungen der für ihn maßgeblichen Normen grundsätzlich auch dann, wenn diese "fachfremd" sind. Ebenso entscheidet
die für diesen Träger zuständige Gerichtsbarkeit im Streitfall Vorfragen in eigener Zuständigkeit, auch wenn sie für deren
Beant- wortung in einem Hauptsacheverfahren nicht zuständig wäre (vgl exemplarisch für die Sozialge- richtsbarkeit Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
51 RdNr 44).
4. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des Senats in anderem Zusammenhang.
Der Senat hatte die Voraussetzungen einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI für Syndikusanwälte verneint, weil die Erwerbstätigkeit als Syndikus dem Berufsfeld des Rechtsanwalts von vornherein nicht
zugeordnet werden konnte (vgl BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 31). Aus dieser Entscheidung geht jedoch nicht hervor, dass es sich bei der Frage, ob die Erwerbstätig-
keit zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und zugleich zu einer Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen
Versorgung führt, nur um einen - wie von der Beklagten vorgetragen - "ersten Prüfungsschritt" in dem von ihr verstandenen
Sinne handelt, mit der Folge eines "zweiten Prüfungsschritts" über das Vorliegen einer approbationspflichtigen Tätigkeit.
Ein anderer als der vom LSG herangezogene Prüfungsmaßstab unter Anwendung weiterer Vor- schriften des Bundesrechts folgt entgegen
der Rechtsauffassung der Beklagten auch nicht aus einem Beschluss des Senats, in dem die Revision gegen ein Urteil des LSG
Baden-Württem- berg vom 23.1.2013 (L 5 R 4971/10) als unzulässig verworfen wurde (Senatsbeschluss vom 6.2.2014 - B 5 RE 10/14 R). Der Senat prüfte ausschließlich die Zulässigkeit
der Revision (§
164 Abs
2 SGG) und nahm Bezug auf die Ausführungen des Berufungsgerichts. Rückschlüsse auf das anzuwendende materielle Recht, insbesondere
darauf, welcher Prüfungsmaßstab bei der Beurteilung einer Pflichtmitgliedschaft nach dem Kammerrecht gilt, ergeben sich daraus
nicht.
III. Die weiteren Voraussetzungen für eine Befreiung nach §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 Buchst a bis c iVm Abs
3 S 1
SGB VI sind ebenfalls erfüllt. Nach den von der Beklagten nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des
LSG hat die gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bereits vor dem 1.1.1995 bestanden,
es sind einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung
zu zahlen und aufgrund dieser Beiträge werden Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für
Hinterbliebene erbracht. Nach §
6 Abs
3 S 1
SGB VI hat die für die berufsständische Versorgungseinrichtung zuständige oberste Verwaltungsbehörde die rechtlichen Anforderungen
an die berufsständische Versorgungseinrichtung vor Entscheidung des Trägers der Rentenversicherung zu bestätigen (vgl BSG Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R - BSGE 112, 108 = SozR 4-2600 § 6 Nr 9, RdNr 36). Auch diese Bestätigung lag nach den Feststellungen des LSG vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.