Staatsangehörigkeitsrecht: Staatenlosigkeit nach Rücknahme einer Einbürgerung wegen bewusster Täuschung
Gründe:
I. Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Er wurde 1956 in Graz (Österreich)
geboren und war bis zu seiner Einbürgerung österreichischer Staatsangehöriger.
Nachdem im Juni 1995 von der Bundespolizeidirektion Graz gegen den Kläger Ermittlungen wegen des (von ihm bestrittenen) Verdachts
des schweren gewerbsmäßigen Betruges eingeleitet worden waren, reiste er aus Österreich aus und nahm seinen Wohnsitz in München.
Im Februar 1997 erließ das Landesgericht für Strafsachen in Graz einen nationalen Haftbefehl gegen den Kläger.
Bei der Landeshauptstadt München beantragte der Kläger im Februar 1998 seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
In dem hierfür verwendeten, von ihm unterschriebenen Antragsformular ist in der Rubrik "Angaben über anhängige Ermittlungsverfahren"
handschriftlich eingetragen "keine". Die Einbürgerungsurkunde vom 25. Januar 1999 wurde dem Kläger am 5. Februar 1999 ausgehändigt.
Im August 1999 erreichten die Landeshauptstadt München Informationen des Magistrats der Stadt Graz, dass der Kläger dort per
Haftbefehl gesucht werde. Die Staatsanwaltschaft teilte der Landeshauptstadt München im September 1999 u.a. mit, dass der
Kläger bereits im Juli 1995 vom Landesgericht für Strafsachen in Graz als Beschuldigter vernommen worden sei. Darauf hin nahm
der beklagte Freistaat Bayern (Regierung von Oberbayern) nach Anhörung des Klägers die Einbürgerung mit Bescheid vom 4. Juli
2000 rückwirkend zurück, weil der Kläger das österreichische Ermittlungsverfahren verschwiegen und dadurch die Einbürgerung
erschlichen habe.
Klage und Berufung blieben erfolglos. Auf die Revision des Klägers hat der damals für das Staatsangehörigkeitsrecht zuständige
1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts das Berufungsurteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Juni 2002 wegen
eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen
(vgl. Urteil vom 3. Juni 2003 - BVerwG 1 C 19.02 - BVerwGE 118, 216).
In seiner Entscheidung vom 25. Oktober 2005 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers abermals zurückgewiesen.
Die Rücknahme der durch eine bewusste Täuschung erwirkten Einbürgerung sei rechtmäßig. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in Art.
48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG. Danach könne ein ursprünglich rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, ganz oder teilweise
mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei
im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Abwägungsergebnis halte sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen des eröffneten Rücknahmeermessens.
Entgegen der Auffassung des Klägers sei der Beklagte auch unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben nicht gezwungen
gewesen, eine Rücknahme der vom Kläger arglistig erschlichenen Einbürgerung zurückzustellen oder gänzlich von ihr abzusehen.
Die in Art. 17 Abs. 1 EG geregelte Unionsbürgerschaft, die gemäß Abs. 2 der Vorschrift u.a. die in Art. 18 ff. EG genannten
Rechte vermittele, sei ein an der mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeit anknüpfender Status. Dessen gemeinschaftsunmittelbare
und grundlegende Qualität ändere gemäß Art. 17 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EG nichts an der Akzessorietät im Verhältnis zur nationalen
Staatsangehörigkeit, so dass Erwerb und Verlust ausschließlich durch die mitgliedstaatliche Staatsangehörigkeit vermittelt
würden. Die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit unterliege nach ständiger Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (unter Hinweis auf EuGH, Urteil
vom 7. Juli 1992 - C-369/90 -, Slg. 1992, I-4239 Rn.10 - Micheletti; Urteil vom 11. November 1999 - C 179/98 -, Slg. 1999, I-7955 Rn. 29 - Mesbah; Urteil vom 20. Februar 2001 - C-192/99 -, Slg. 2001, I-1237 Rn. 19 - Kaur). Dem darin zum Ausdruck gebrachten Grundsatz, dass von dieser Zuständigkeit unter Beachtung
des Gemeinschaftsrechts Gebrauch zu machen sei, werde bei der Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung im Falle des Eintritts
von Staatenlosigkeit mit der Folge des Verlusts der Unionsbürgerschaft dadurch Genüge getan, dass die Bedeutung der durch
die Unionsbürgerschaft vermittelten Rechte als abwägungsrelevanter Belang von Gewicht in die Ermessenserwägungen einzustellen
sei. Die darüber hinausgehende Annahme einer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung, von der Rücknahme einer durch bewusste
Täuschung erwirkten Einbürgerung abzusehen, würde die von Art. 17 Abs. 1 EG respektierte Autonomie der Mitgliedsstaaten bei
der souveränen Ausgestaltung ihres Staatsangehörigkeitsrechts im Kern treffen. Damit bestehe gemeinschaftsrechtlich kein Hinderungsgrund,
die vom Kläger erschlichene Einbürgerung zurückzunehmen. Dass eine durch bewusste Täuschung erschlichene Einbürgerung auch
nach internationalem Recht nicht als schutzwürdig angesehen werde, ergebe sich aus Art. 8 Abs. 2 Buchst. b des für die Bundesrepublik
Deutschland mit Vertragsgesetz vom 29. Juni 1977 (BGBl 1977 II, S. 597) ratifizierten Übereinkommens zur Verminderung von Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 sowie aus der Regelung des Art. 7
Abs. 1 Buchst. b des Europäischen Übereinkommens über Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997. Soweit der Kläger rüge, er
verliere seine Unionsbürgerschaft aufgrund des unkoordinierten Zusammenwirkens der staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen
der Bundesrepublik Deutschland sowie der Republik Österreich, worin ein europarechtlicher Verstoß begründet sei, verfange
dies ebenfalls nicht. Die in diesem Zusammenhang vertretene These, aus Art. 17 EG und den entsprechenden Vorschriften der
Grundrechte-Charta könne man die Verpflichtung ableiten, dass die EG-Mitgliedsstaaten dann, wenn ein Gemeinschaftsbürger von
einem zum anderen als Staatsangehöriger wechsele, dessen Unionsbürgerschaft ungeschmälert erhalten müssten, auch wenn dieser
Wechsel - unabhängig von einem Vertretenmüssen - fehlschlage, basiere auf der Annahme, dass der entlassende Mitgliedsstaat
(hier: Republik Österreich) seinen Staatsbürger endgültig und ohne Vorsorge für den Fall entlasse, dass die beantragte Einbürgerung
(hier: in den deutschen Staatsverband) möglicherweise fehlschlage. Die Prämisse, der Verlust der (österreichischen) Staatsangehörigkeit
und in der Folge auch der Unionsbürgerschaft erweise sich als unabwendbar, trage indes nicht. Denn das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz
sehe in §§ 27, 28 die Möglichkeit einer Beibehaltungsbewilligung für den Fall des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit
vor, so dass die unterstellte Unausweichlichkeit des Verlusts der Unionsbürgerschaft nicht bestehe. Selbst wenn man der These
des Klägers folge, ergäbe sich aus der Wertung des Art. 8 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens zur Verminderung von Staatenlosigkeit
vom 30. August 1961 sowie Art. 7 Abs. 1 Buchst. b des Europäischen Übereinkommens über Staatsangehörigkeit vom 6. November
1997 im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland die Vorrangigkeit einer die Republik Österreich treffenden Verpflichtung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seinen Rechtsstandpunkt
vertieft und beantragt, die gegen ihn ergangenen Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Oktober 2005 und
des Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2001 sowie den angefochtenen Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 4.
Juli 2000 aufzuheben.
Der Beklagte ist der Revision entgegengetreten.
II. Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist in entsprechender Anwendung des §
94 VwGO auszusetzen, um gemäß Art. 234 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu den im Tenor dieses Beschlusses gestellten
Fragen einzuholen.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung dieser Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Hinblick
auf den mit einer bestandskräftigen Rücknahme der Einbürgerung des Klägers verbundenen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit
zugleich drohenden Verlust der Unionsbürgerschaft (und der mit dieser verbundenen Rechte und Grundfreiheiten) ab. Die vom
Berufungsgericht vertretene und auf Art. 17 Abs. 1 EG gestützte Entscheidung begegnet aus der Sicht des Senats nicht überwindbaren
Bedenken, weil eine jeden Zweifel ausschließende Beantwortung der gemeinschaftsrechtlichen Fragen anhand der bisherigen Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nicht möglich erscheint.
1. Nach Auffassung des beschließenden Senats entspräche die - auf den Verleihungszeitpunkt zurückwirkende - Rücknahme der
Einbürgerung des Klägers an sich dem nationalen Recht. Art. 48 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) bildet eine ausreichende Rechtsgrundlage für die ausgesprochene Rücknahme mit Wirkung ex tunc (vgl. Urteile des Senats vom
14. Februar 2008 - BVerwG 5 C 4.07 u.a. - und BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24).
Art. 48 BayVwVfG hat folgenden Wortlaut:
"Art. 48 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für
die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen
Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis
4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder
hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut
hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist
in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat,
die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht
berufen, wenn er
1. den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren,
3. die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen
auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut
hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden.
Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand
des Verwaltungsakts hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb
eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, so
ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Fall des Absatzes
2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach Art. 3 zuständige Behörde; dies gilt
auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist."
Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die
Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der Kläger hat die zuständige Einbürgerungsbehörde nach den nicht
mit durchgreifenden Verfahrensrügen angefochtenen und daher für den Senat bindenden (§
137 Abs.
2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 25. Oktober 2005 über das Vorliegen der Einbürgerungsvoraussetzungen
getäuscht und damit die Einbürgerung erschlichen. Sie war damit von Anfang an rechtswidrig und konnte nach dem pflichtgemäß
auszuübenden Ermessen des Beklagten zurückgenommen werden. Das Bundesverwaltungsgericht ist im ersten Revisionsurteil (Urteil
vom 3. Juni 2003 aaO. S. 222 ff.) davon ausgegangen, dass der Beklagte sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat und die
Rücknahme rechtmäßig ist, falls sich in dem erneuten Berufungsverfahren der Vorwurf der bewussten Täuschung und die ursprüngliche
Annahme im angefochtenen Bescheid bestätigen sollten, der Kläger werde bei rückwirkender Zurücknahme der Einbürgerung nicht
staatenlos, weil seine österreichische Staatsbürgerschaft wieder auflebe. In dem neuen Berufungsverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof
zwar festgestellt, dass die österreichische Staatsangehörigkeit nach Auskunft der zuständigen Staatsangehörigkeitsbehörde
nicht wieder auflebe, der Kläger also staatenlos werde, wenn die Rücknahme der Einbürgerung als Deutscher bestandskräftig
wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber die im Berufungsverfahren nachgeschobenen umfangreichen Ermessenserwägungen des
Beklagten hierzu und zu dem damit verbundenen Verlust der Unionsbürgerschaft als ausreichend für die Aufrechterhaltung der
angefochtenen Ermessensentscheidung des Beklagten angesehen. Aus der Sicht des nationalen Rechts ist hiergegen - jedenfalls
bei Berücksichtigung nur des Eintritts von Staatenlosigkeit - revisionsrechtlich im Ergebnis nichts zu erinnern.
Der Senat hält jedoch nicht für hinreichend klar, ob sich das Berufungsurteil und die angefochtene behördliche Ermessensentscheidung
im Hinblick auf den mit dem Verlust der deutschen und österreichischen Staatsangehörigkeit regelmäßig zugleich eintretenden
Verlust der Unionsbürgerschaft auch mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit Art. 17 Abs. 1 EG, vereinbaren lassen. Wäre
dies zu verneinen und stünde der beklagte Freistaat Bayern danach in der Pflicht, von der Rücknahme der Einbürgerung wegen
des drohenden Verlusts der Unionsbürgerschaft abzusehen, müsste dem klägerischen Begehren stattgegeben werden; der angefochtene
Bescheid über die Rücknahme der Einbürgerung sowie die sie bestätigenden Urteile des Verwaltungsgerichtshofs sowie des Verwaltungsgerichts
wären aufzuheben.
Der Senat sieht deshalb die im Tenor formulierten Fragen für die von ihm im vorliegenden Verfahren zu treffende Revisionsentscheidung
als erheblich an.
2. Zur ersten Frage:
Der beschließende Senat sieht Zweifel, ob die Interpretation des in Art. 17 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EG enthaltenen Akzessorietätsgedankens
und die daraus folgende gemeinschaftsrechtliche Bewertung des Falles, wie sie der Verwaltungsgerichtshof vorgenommen hat,
mit Gemeinschaftsrecht zu vereinbaren ist. Er bittet den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften deshalb, die erste Vorlagefrage
zu beantworten.
a) Ausgehend von Art. 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EG und der dort geregelten Akzessorietät der Unionsbürgerschaft im Verhältnis
zur nationalen Staatsbürgerschaft vertritt der Verwaltungsgerichtshof in seinem mit der Revision angefochtenen Urteil die
Auffassung, der Erwerb und der Verlust der Unionsbürgerschaft würden ausschließlich durch die mitgliedstaatliche Staatsangehörigkeit
vermittelt und die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit unterliegen der Zuständigkeit
der Mitgliedstaaten. Soweit der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 7. Juli 1992 (C-369/90 - Slg. 1992, S. I-4239 - Micheletti) darauf hinweise, dass von dieser Zuständigkeit unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts
Gebrauch zu machen sei, werde dem bei der Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung im Falle des Eintritts von Staatenlosigkeit
mit der Folge des Verlusts der Unionsbürgerschaft dadurch Genüge getan, dass die Bedeutung der durch die Unionsbürgerschaft
vermittelten Rechte als abwägungsrelevanter Belang von Gewicht in die Ermessenserwägungen einzustellen sei. Die darüber hinausgehende
Annahme einer europarechtlichen Verpflichtung, von der Rücknahme einer durch bewusste Täuschung erwirkten Einbürgerung absehen
zu müssen, würde die von Art. 17 Abs. 1 EG respektierte Autonomie der Mitgliedstaaten bei der souveränen Ausgestaltung ihres
Staatsangehörigkeitsrechts im Kern treffen.
Für den vorliegenden Fall hätte diese Betrachtungsweise die - vom Verwaltungsgerichtshof gesehene - Konsequenz, dass der Kläger
nicht nur seit dem 5. Februar 1999 als Staatenloser zu gelten, sondern zugleich auch die Unionsbürgerschaft verloren hätte.
Er würde nämlich zum einen infolge der Rücknahme der Einbürgerung als Deutscher die hieran anknüpfende Unionsbürgerschaft
verlieren und zum anderen die vor der Einbürgerung bestehende, über die rechtmäßig (durch Geburt) erworbene österreichische
Staatsbürgerschaft vermittelte Unionsbürgerschaft nicht wieder erlangen und möglicherweise auch künftig nicht wieder erwerben
können. Der Verwaltungsgerichtshof hat hierzu - für den beschließenden Senat nach §
137 Abs.
2 VwGO bindend - festgestellt, dass der Kläger nach §
27 des Österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes seine österreichische Staatsbürgerschaft mit der am 5. Februar 1999 vollzogenen
Einbürgerung als Deutscher kraft Gesetzes endgültig verloren hat, woran die rückwirkende Rücknahme der Einbürgerung nichts
ändert, und dass er die Voraussetzungen für eine sofortige Wiedereinbürgerung in den österreichischen Staatsverband (u.a.
einen zumindest einjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitz in der Republik Österreich) nicht erfüllt.
b) Dem einschlägigen Gemeinschaftsrecht lässt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht zweifelsfrei
entnehmen, dass der mit einer Einbürgerungsrücknahme verbundene Verlust einer zuvor schon rechtmäßig bestandenen Unionsbürgerschaft
(und der mit dieser verbundenen Rechte und Grundfreiheiten) hinzunehmen ist. Das ergibt sich für den Senat aus folgenden Erwägungen:
aa) Es trifft zwar zu, dass der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 7. Juli 1992 (C-369/90 - Slg. 1992, S. I-04239 - Micheletti) und vom 20. Februar 2001 (C-192/99 - Slg. 2001, S. I-01237 - Kaur) entschieden hat, die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit
unterfalle der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten. Der Gerichtshof hat dies allerdings mit dem - auch vom Berufungsgericht
erkannten - Hinweis verbunden, dass von dieser Zuständigkeit unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts Gebrauch zu machen sei
(vgl. EuGH, Urteile vom 7. Juli 1992 aaO. Rn. 10 und vom 20. Februar 2001 aaO. Rn. 19; vgl. ferner Urteil vom 11. November
1999 - C-179/98 - Slg. 1999, S. I-07955 - Fatna Mesbah). Bedeutung und Tragweite dieses Vorbehalts sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs
der Europäischen Gemeinschaften noch nicht hinreichend geklärt.
bb) Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat aus dem zitierten Vorbehalt des Gemeinschaftsrechts bei der Festlegung
des Erwerbs und des Verlusts der Staatsangehörigkeit durch die Mitgliedstaaten in seinen bisherigen Entscheidungen lediglich
die Maxime abgeleitet, dass ein Mitgliedstaat die Wirkungen der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates
nicht dadurch beschränken dürfe, dass er zusätzliche Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Staatsangehörigkeit im Hinblick
auf die Ausübung der Grundfreiheiten aufstelle (s. Urteil vom 7. Juli 1992 aaO. Rn. 14 f.). Seinen Entscheidungen lässt sich
hingegen nicht entnehmen, wo die Grenze für eine Beschränkung des nationalen Staatsangehörigkeitsrechts durch das Gemeinschaftsrecht
im Hinblick auf den Verlust der Unionsbürgerschaft allgemein oder jedenfalls in besonderen Fallkonstellationen wie der vorliegenden
verläuft.
cc) Es ist daher fraglich und lässt sich aus Art. 17 Abs. 1 EG auch nicht ohne Weiteres ableiten, ob von diesem Vorbehalt
des Gemeinschaftsrechts auch Fälle erfasst sind, in denen ein Mitgliedstaat eine von der Intention her ausschließlich die
eigene Staatsangehörigkeit und nicht die eines anderen Mitgliedstaates bzw. deren Gemeinschaftsbezug betreffende Regelung
getroffen hat oder anwendet, die im Ergebnis aber zugleich (automatisch) zum Verlust einer über die frühere Staatsangehörigkeit
eines anderen Mitgliedstaates vermittelten gemeinschaftsrechtlichen Rechtsposition - hier: die Unionsbürgerschaft mit den
daraus fließenden Unionsbürgerrechten nach Art. 18 ff. EG - führt. Eine diese Rechtsfolge verbietende Auslegung des Gemeinschaftsrechts
könnte in Betracht kommen, wenn die von einem nach den nationalen Rechtsvorschriften zulässigen Verlust der Staatsangehörigkeit(en)
Betroffenen gleichsam "überschießend" ihren vormals rechtmäßig erworbenen und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs "grundlegenden
Status" als Angehörige eines Mitgliedstaates verlören und über die damit verbundenen Rechte und Grundfreiheiten nicht mehr
verfügen könnten (EuGH, Urteile vom 20. September 2001 - C-184/99 - Slg. 2001, S. I-06193, Rn. 31 - Grzelczyk; vom 11. Juli 2002 - C-224/98 - Slg. 2002, S. I-06191 - D'Hoop, und vom 17. September 2002 - C-413/99 - Slg. 2002, S. I-07091 - Baumbast).
dd) Dass eine Beschränkung des nationalen Staatsangehörigkeitsrechts durch das Gemeinschaftsrecht nicht außerhalb des vernünftigerweise
Denkbaren liegt, zeigt auch ein Blick in die einschlägige europarechtliche Literatur. Dort wird in Übereinstimmung mit der
Aussage des Gerichtshofs zum gemeinschaftsrechtlichen Vorbehalt bei der Ausübung der Zuständigkeit über die Festlegung des
Erwerbs und des Verlusts der Staatsangehörigkeit durch die Mitgliedstaaten die Auffassung vertreten, dass auch Maßnahmen der
Staaten im Rahmen ihrer ausschließlichen Kompetenzen wegen ihrer Auswirkungen auf gemeinschaftsrechtliche Rechtspositionen
in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen und daher durch dieses beschränkt werden können (vgl. Hatje, in: Schwarze,
EU-Kommentar, 2000, Art. 17, Rn. 4; siehe ferner Sauerwald, Die Unionsbürgerschaft und das Staatsangehörigkeitsrecht in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 1996, S. 119 ff.; Schönberger, Unionsbürger, 2005, S. 282 ff.; Kluth, in: Callies/Ruffert,
Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EUV/EGV,
3. Aufl. 2007, Art. 17 EG Rn. 9; Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. 2, Stand:
Oktober 2006, vor Art. 39 - 55 EG Rn. 13; Kreuzer, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Bd. II, Stand: Dezember
2006, Art. 17 EG Rn. 32; Haag, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Kommentar, 6. Aufl. 2003, Art. 17 EG Rn. 8; Streinz, EUV/EGV, Kommentar,
2003, Art. 17 EG Rn. 28; Zimmermann, EuR 1995, S. 54, 59 ff.). Umstritten ist, wie weit die möglichen gemeinschaftsrechtlichen Bindungen reichen. Einerseits wird angenommen, dass
eine Regelung über den Erwerb oder den Verlust der Staatsangehörigkeit nur dann gemeinschaftsrechtlich zu betrachten sei,
wenn an die Ausübung der europarechtlich determinierten Freizügigkeitsrechte nachteilige Folgen für die Staatsangehörigkeit
geknüpft würden (vgl. etwa Randelzhofer/Forsthoff aaO. vor Art. 39 - 55 EG Rn. 13). Andererseits wird argumentiert, es sei
davon auszugehen, dass eine nationale Staatsangehörigkeitsregelung trotz der Akzessorietät nicht auf den Unionsbürgerstatus
durchschlagen dürfe, wenn sie unmittelbar Rechtspositionen verletze, die dem Einzelnen aus dem Integrationsprozess zuflössen;
den Mitgliedstaaten bleibe in solchen Fällen das Recht verwehrt, sich auf ihre Souveränität und nationale Identität zu berufen
(so Kotalakidis, Von der nationalen Staatsangehörigkeit zur Unionsbürgerschaft, 2000, S. 316; für weitergehende Einschränkungen
des nationalen Staatsangehörigkeitsrechts durch das Gemeinschaftsrecht auch Hall, Loss of Union Citizenship in Breach of Fundamental
Rights, European Law Review 1996, S. 129 ff.; de Groot in: La Torre, European Citizenship, 1998, S. 136 ff.).
3. Zur zweiten Frage:
Sollte die erste Vorlagefrage zu bejahen sein, bittet der Senat um Beantwortung der weiteren Frage, welcher der beteiligten
Mitgliedstaaten dafür einzustehen hat oder die rechtlichen Vorkehrungen treffen muss, damit der Verlust der Unionsbürgerschaft
(und/oder der mit dieser verbundenen Rechte und Grundfreiheiten) nicht eintritt. Das heißt für den vorliegenden Fall des Klägers,
ob Deutschland dessen Einbürgerung unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts nicht zurücknehmen darf oder ob Österreich als
das Land der früheren Staatsangehörigkeit sein nationales Recht gemeinschaftsrechtskonform so auslegen oder anwenden oder
ändern muss, dass der Kläger im Falle einer rechtmäßigen Rücknahme der deutschen Einbürgerung die durch die ursprüngliche,
rechtmäßig (durch Geburt) erworbene Staatsangehörigkeit vermittelte Unionsbürgerschaft (und/oder die mit dieser verbundenen
Rechte und Grundfreiheiten) nicht verliert. Letzteres wäre insbesondere dadurch zu erreichen, dass das nationale Recht den
Verlust der Staatsangehörigkeit wieder entfallen lässt, wenn die den Verlust bewirkende Verleihung der Staatsangehörigkeit
eines anderen Mitgliedstaats - wie im Falle des Klägers - rückwirkend zurückgenommen wird.
Auch diese Frage lässt sich nicht ohne weiteres mit Hilfe des Unionsrechts oder aus der bisher ergangenen Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften beantworten. Sie bedarf jedoch der Klärung, weil es der Senat zumindest für möglich
hält, dass die Republik Österreich als Mitgliedstaat und Staat der früheren Staatsangehörigkeit des Klägers unter Beachtung
des Gebots der Gemeinschaftstreue sowie unter Berücksichtigung der in Art. 8 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens zur Verminderung
von Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 sowie in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b des Europäischen Übereinkommens über Staatsangehörigkeit
vom 6. November 1997 zum Ausdruck kommenden Wertungen dazu verpflichtet ist, sein nationales Recht entsprechend auszulegen
und anzuwenden oder auch für den Fall anzupassen, dass - wie hier im Falle des Klägers - keine Beibehaltungsbewilligung für
den Fall des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit erteilt worden ist.