Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende
Zugehörigkeit eines im Ausland lebenden Ehegatten zur Bedarfsgemeinschaft
Anforderungen an die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts bei zutreffenden Angaben
Keine Nachholung einer fehlenden Anhörung im gerichtlichen Verfahren bei einem materiell ermessensfehlerhaften Bescheid
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage (Az. S 10 AS 2675/17) gegen die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 in der
Fassung des Änderungsbescheides vom 07.09.2017 verfügte Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Wirkung ab dem 11.09.2017.
Die am 08.07.2012 geborene Antragstellerin Ziff. 2 ist die Tochter der am 02.01.1989 in A. () geborenen Antragstellerin Ziff.
1. Die Antragstellerinnen reisten ausweislich des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19.01.2016
am 29.06.2015 über Italien auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 29.12.2015 Asylanträge. In
dem genannten Bescheid wurde ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Die Antragstellerinnen sind im Besitz einer bis zum
01.03.2019 gültigen Aufenthaltserlaubnis (Bl. 4 Verwaltungsakte des Antragsgegners - VA); die Wohnsitznahme ist auf Baden-Württemberg
beschränkt (Schreiben des Bürgermeisteramts der Stadt Leutkirch vom 13.12.2016, Bl. 10 VA).
Gemäß der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin Ziff. 1 vom 28.09.2017 erfolgte die Einreise nach Europa von Saudi-Arabien
aus. Mit Schriftsatz vom 01.09.2017 hat sie vortragen lassen, dass ihr Ehemann und Vater der Antragstellerin Ziff. 2 beide
Antragstellerinnen auf ihrem Flug nach Europa begleitet habe und dann wieder nach Saudi-Arabien zurückgeflogen sei.
Für die von den Antragstellerinnen bewohnte 2-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von rund 43 m2 entrichtet die Antragstellerin Ziff. 1 monatlich insgesamt 300 Euro (Kaltmiete 250 Euro, Abschlag für Heizkosten und sonstige
Nebenkosten 50 Euro).
Am 12.05.2017 sprach die Antragstellerin beim Antragsgegner vor und beantragte die Gewährung von SGB II-Leistungen. In dem am 18.05.2017 von der Antragstellerin unterschriebenen Hauptantrag gab sie an, verheiratet zu sein. Bei
der Angabe "dauernd getrennt lebend" hat sie kein Kreuz gesetzt. Der Hauptantrag enthält einen in grüner Schrift angebrachten
Sachbearbeitervermerk: "bisher beim JC R. Leistungen bezogen, Umzug z. 01.06.2017, kein EK, Mann in Syrien". In der Anlage
zur Feststellung der Einkommensverhältnisse gab die Antragstellerin Ziff. 1 an, für die Antragstellerin Ziff. 2 monatlich
190 Euro Kindergeld zu erhalten. In der Anlage zur Feststellung der Vermögensverhältnisse gab die Antragstellerin Ziff. 1
an, ein Konto mit einem Kontostand von 558,28 Euro zu besitzen.
Nach dem am 17.06.2017 vollzogenen Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners bewilligte dieser den Antragstellerinnen
mit Bescheid vom 02.06.2017 SGB II-Leistungen ab dem 17.06.2017 bis zum 31.05.2018 in Höhe von (ab dem 01.07.2017 bis zum 31.12.2017) insgesamt 901,24 Euro
bzw. (ab dem 01.01.2018) von 899,24 Euro.
Am 30.06.2017 wurde dem Antragsgegner vom Kreisjugendamt des Landkreises G. mitgeteilt, die Antragstellerin Ziff. 1 habe angegeben,
ihr Ehemann halte sich noch in Saudi-Arabien auf und wolle zu den Antragstellerinnen nach Deutschland kommen. Die Antragstellerin
Ziff. 1 habe angegeben, sich nicht von ihrem Ehemann trennen zu wollen, weshalb Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen
für die Antragstellerin Ziff. 2 nicht bestehe (Bl. 43/44 VA).
Der Antragsgegner zog hierauf vom Landkreis R. geführten Schriftwechsel mit der Deutschen Botschaft Riad bei, welcher anlässlich
des Antrages der Antragstellerin Ziff. 1 auf Familiennachzug für ihren Ehemann geführt worden war. Hiernach habe dieser im
August 2016 Kontoauszüge für den Zeitraum August 2015 bis August 2016 und eine Arbeitsbescheinigung eingereicht. Er sei gemäß
einer Bescheinigung des Gesundheitsministeriums von Saudi-Arabien (Bl. 58 VA) dort als Arzt angestellt und erhalte ein monatliches
Nettogehalt von umgerechnet etwa 2.500 Euro. Die Antragstellerin Ziff. 1 teilte dem Antragsgegner am 27.07.2017 im Rahmen
einer Vorsprache mit, ihr Mann, der aus Syrien stamme, dürfe nicht nach Syrien einreisen, weil er sonst Wehrdienst leisten
müsse. Ihr Antrag auf Familiennachzug sei von der Ausländerbehörde in R. im Juni 2017 abgelehnt worden.
Mit Bescheid vom 02.08.2017 hob hierauf der Antragsgegner die Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 02.06.2017 ab dem 01.09.2017
wegen Wegfalls der Hilfebedürftigkeit gestützt auf § 40 Abs. 1 und 2 SGB II i.V.m. §
330 Abs.
3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 SGB II auf. Zugleich hörte er die Antragstellerinnen zur beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit
an (Schreiben vom 02.08.2017, Bl. 65 VA).
Am 22.08.2017 legten die Antragstellerinnen hiergegen Widerspruch ein und trugen vor, obwohl ihr Ehemann (Antragstellerin
Ziff. 1) bzw. Vater (Antragstellerin Ziff. 2) in Saudi-Arabien als Chirurg arbeite, schicke er kein Geld. Er sei nicht in
der Lage, den Unterhalt für die Antragstellerinnen zu bezahlen, denn die Lebenshaltungskosten für Ausländer seien dort sehr
hoch und er müsse den Kredit, den er im Zusammenhang mit der Ausreise der Antragstellerinnen nach Deutschland aufgenommen
habe, abbezahlen. Ziel sei ohnehin, dass er im Wege des erleichterten Familiennachzugs nach Deutschland komme. Dieses Ziel
beschäftige die Familie bereits seit mehr als einem Jahr. Der Ehemann/Vater der Antragstellerinnen habe bereits ein Sprachzertifikat
erworben und mache gerade einen Sprachkurs. Der Aufhebungsbescheid sei rechtsfehlerhaft, da ein Wegfall der Hilfebedürftigkeit
nicht vorliege. Es gebe kein veränderndes Ereignis.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2017 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück und veranlasste mit Schreiben vom 31.08.2017
eine nochmalige, diesmal anstatt auf § 48 SGB X auf § 45 SGB X gestützte, Anhörung der Antragstellerinnen zur beabsichtigten Leistungsaufhebung für die Vergangenheit.
Die Antragstellerinnen haben am 01.09.2017 Klage zum SG erhoben (Az. ursprünglich S 7 AS 2675/17, inzwischen geändert auf S 10 AS 2675/17) und zugleich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nebst Prozesskostenhilfe beantragt. Sie haben zur Begründung ihres
Antrages vorgetragen, der Antragsgegner habe die erforderliche Anhörung nach § 24 SGB X nicht durchgeführt. Dies lasse sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht nachholen, so dass es sich um einen irreparablen
Fehler handele. Es sei zwar bekannt, dass z.B. das Bayerische Landessozialgericht selbst im einstweiligen Rechtsschutz eine
Anhörung für nachholbar halte. Dies lasse sich aber nicht mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Bedeutung der Anhörung vereinbaren. Eine Bedarfsgemeinschaft mit dem Ehemann/Vater, der in Saudi-Arabien sitze und keine
Unterhaltsleistungen erbringe, könne nicht angenommen werden. Der Erstreckung der Bedarfsgemeinschaft nach Saudi-Arabien stehe
bereits das Territorialitätsprinzip des §
30 SGB I (Sozialgesetzbuch Erstes Buch) entgegen. Allein die Absicht, in Deutschland zusammenleben zu wollen, führe noch nicht zu
einer tatsächlich bestehenden Bedarfsgemeinschaft. Der im Ausland lebende Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 bzw. Vater der
Antragstellerin Ziff. 2 habe keine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland; das Visumsverfahren schleppe sich bereits seit
rund einem Jahr. Er habe die Antragstellerinnen über seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Unklaren gelassen, genauer
ausgedrückt, belogen. Seit die Antragstellerinnen in Deutschland seien, hätten sie keine finanzielle Unterstützung von ihm
erfahren. Zu seinen finanziellen Verhältnissen haben die Antragstellerinnen mit Schriftsatz vom 07.09.2017 vorgetragen, sie
hätten von ihm die Mitteilung erhalten, dass er keine 30.000 Euro "auf der hohen Kante" habe, sondern lediglich Geld, das
er für einen Flug und die Beantragung des Visums nach Deutschland benötige. Von dieser Rücklage habe die Antragstellerin Ziff.
1 bislang nichts gewusst. Der Verdienst liege auch nicht bei 2.500 Euro, sondern lediglich bei umgerechnet 2.180 Euro. Auf
die wirtschaftlichen Verhältnisse könne es aber nicht ankommen, solange der in Saudi-Arabien lebende Ehemann nicht bezahle.
Mit Schriftsätzen vom 27.09.2017 und 29.09.2017 haben die Antragstellerinnen dann vorgetragen, bei dem Guthaben von rund 30.000
Euro auf dem Girokonto handele es sich um einen ausbezahlten Kredit, den der Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 eigens aufgenommen
habe und abbezahlen müsse. Da dieser zunächst von einer kurzfristigen Verwendung des Kredits ausgegangen sei, sei die Valutierung
auf dem Girokonto stehengeblieben. Ein Anspruch der Antragstellerinnen gegen den Ehemann bzw. Kindsvater auf Unterhalt sei
binnen der nächsten sechs Monate nicht realisierbar. Vielmehr seien sie auf dessen Zahlungsbereitschaft angewiesen. Es stehe
nicht zu erwarten, dass er in Zukunft zahlen werde. Eine Rückkehr nach Saudi-Arabien sei den Antragstellerinnen wegen der
Ausreise nicht mehr möglich. Das Visum wurde nicht mehr verlängert, über den 05.03.2017 hinaus hätten die Antragstellerinnen
keine Aufenthaltsberechtigung mehr für Saudi-Arabien. Die Antragstellerinnen könnten die Miete nicht mehr bezahlen, die Antragstellerin
Ziff. 2 werde schon nicht mehr in die Kindereinrichtung geschickt.
Der Antragsgegner hat darauf verwiesen, dass der Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 zur Bedarfsgemeinschaft gehöre und über
Vermögen in Höhe von mindestens knapp 30.000 Euro verfüge, welches die Vermögensfreibeträge von 16.300 Euro aller drei Mitglieder
der Bedarfsgemeinschaft deutlich übersteige. Damit liege keine Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II vor. Daneben erziele er ein monatliches Nettoeinkommen von umgerechnet 2.500 Euro, welches ebenfalls für den Lebensunterhalt
der Antragstellerinnen eingesetzt werden könne. Die Antragstellerin Ziff. 1 habe angegeben, ein dauerndes Getrenntleben zwischen
ihr und ihrem Ehemann liege nicht vor. Vielmehr sei ein Familiennachzug des Ehemannes beabsichtigt. Die Antragstellerin Ziff.
1 habe nach eigenen Angaben im Anschluss an den zwölfjährigen Schulbesuch zwei Jahre lang studiert und ihr Ehemann arbeite
seit März 2009 in ungekündigter Stellung als Arzt im saudischen Gesundheitsministerium und beziehe dort ein laufendes Gehalt.
Angesichts dessen sei es schwer nachvollziehbar, dass er die Antragstellerin Ziff. 1 über seine finanzielle Leistungsfähigkeit
im Unklaren gelassen haben solle.
Mit Bescheid vom 07.09.2017 hat der Antragsgegner seinen Bescheid vom 02.08.2017 abgeändert und die Entscheidung über die
Bewilligung gestützt auf die Regelung in § 45 SGB X ab dem 11.09.2017 zurückgenommen. Die Antragstellerin Ziff. 1 habe bei Antragstellung keine Angaben dazu gemacht, dass ihr
Ehemann im Ausland über Einkommen und Vermögen verfüge. Vielmehr habe der Antragsgegner aufgrund der eingereichten Unterlagen
von einer Trennung ausgehen müssen, weshalb Antragstellerin Ziff. 1 auch dazu aufgefordert worden sei, Unterhaltsvorschuss
für ihr Kind zu beantragen. Erst im Rahmen dieser Antragstellung habe sich herausgestellt, dass sie zwar von ihrem Ehemann
getrennt lebe, aber kein Trennungswille bestehe. Ebenso habe sie angegeben, dass ihr Ehemann zeitnah nach Deutschland einreisen
werde. Erst durch einen Schriftwechsel der deutschen Botschaft mit dem zuvor zuständigen Jobcenter in R. sei bekannt geworden,
dass der Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 im Ausland lebe und arbeite. Da kein Trennungswille bestehe, sei er zu Unterhaltszahlungen
verpflichtet. Aufgrund des monatlichen Einkommens und des Vermögens, das er besitze, könne davon ausgegangen werden, dass
er für den Unterhalt der Antragsteller aufkomme. Von dem zustehenden Ermessen sei Gebrauch gemacht worden.
In einer eidesstattlichen Versicherung vom 28.09.2017 hat die Antragstellerin Ziff. 1 angegeben, mit ihrer Tochter, der Antragstellerin
Ziff. 2, zuletzt im Juni 2015 in Saudi-Arabien gewesen zu sein. Sie seien damals nach Deutschland ausgereist. Die Antragstellerin
Ziff. 2 sei am 08.07.2012 in Saudi-Arabien geboren. Seit sie in Deutschland seien, habe ihr Ehemann ihnen nie Geld gegeben.
Die Miete habe sie für September auch nicht bezahlt, weil sie kein Geld habe. Die wisse nicht, was die Vermieter machten,
wenn sie auch nicht für Oktober zahlen könne.
Mit Beschluss vom 02.10.2017 hat das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie den auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gerichteten Antrag der
Antragstellerinnen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Erfolg der Klage im Hauptsacheverfahren sei nicht wahrscheinlicher
als deren Misserfolg. Die verfügte Aufhebung der Leistungsbewilligung zum 01.09.2017 mit Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 sei nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nach § 45 SGB X gerechtfertigt. Die Antragstellerinnen hätten aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen erkennen können, dass
vor der Gewährung von Sozialhilfeleistungen zunächst der Ehegatte und Vater in Anspruch zu nehmen sei. Deshalb lägen die Voraussetzungen
für die Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 45 Abs. 1, Abs. 2, S. 3 Ziff. 3 SGB X vor. Eine Trennung oder Scheidung der Antragstellerin Ziff. 1 sei nicht beabsichtigt, vielmehr solle ein erleichterter Ehegattennachzug
erreicht werden. Entsprechende Schritte seien bereits eingeleitet. Es bestehe somit Anspruch auf Ehegattenunterhalt und auf
Kindesunterhalt. Dieser Ansprüche seien dem Vermögen der Antragstellerinnen zuzurechnen. Gemäß §§ 9 Abs. 1 SGB II sei aber nicht hilfebedürftig, wer sein Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne.
Bereits hiernach sei die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerinnen zu verneinen. Es sei für das SG nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Antragstellerin Ziff. 1 ihre Unterhaltsansprüche gegen ihren Ehegatten nicht
geltend mache bzw. durchsetze. Nachdem der Ehegatte über ein monatliches Nettoeinkommen von umgerechnet ca. 2.180 Euro bzw.
2.500 Euro verfüge, errechneten sich Unterhaltsansprüche von mindestens 1.100 Euro für die Antragstellerinnen. Hierdurch wäre
der monatliche Gesamtbedarf vollumfänglich gedeckt. Insofern sei irrelevant, ob vorliegend eine Bedarfsgemeinschaft bestehe
und ob dementsprechend zusätzlich das Barvermögen der Ehegatten, welches die Vermögensfreibeträge aller drei Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft übersteigen würde, einzusetzen wäre. Prozesskostenhilfe sei mangels Erfolgsaussichten ebenfalls nicht
zu gewähren.
Gegen diesen Beschluss haben die Antragstellerinnen am 02.11.2017 Beschwerde eingelegt. Zwar stünden den Antragstellerinnen
familienrechtliche Ansprüche "auf dem Papier", diese seien aber auf Monate hinaus nicht durchsetzbar. Der Ehemann/Vater der
Antragstellerinnen habe bislang nicht einen Cent für den Aufenthalt in Deutschland bezahlt. Hieran habe sich nichts geändert.
Die Antragstellerinnen seien einkommenslos, seit nunmehr zwei Wochen bestehe auch kein Kontakt mehr mit dem in Saudi-Arabien
lebenden Ehemann. Die Antragstellerin Ziff. 1 habe mitgeteilt, dass sie sich endgültig scheiden lassen wolle, da sie sich
von ihrem Mann im Stich gelassen fühle. Dieser scheine auch keine Absicht zu haben, nach Deutschland zu kommen, denn in dem
Verfahren im Hinblick auf die Visumerteilung zum Zwecke der Familienzusammenführung warte der Bevollmächtigte der Antragstellerinnen
seit Wochen auf irgendeine Rückmeldung des in Syrien weilenden Ehemannes der Antragstellerin Ziff. 1. Das SG und der Antragsgegner seien auf eine darlehnsweise Bewilligung von Leistungen nicht eingegangen. Diese Prüfung dränge sich
aber geradezu auf, wenn das SG auf familienrechtliche Unterhaltsansprüche abstelle. Nach der Rechtsprechung des BSG (Az. B 14 AS 16/16 R) träfen den Antragsgegner insoweit Beratungs- und Hinweispflichten. So müsse es etwa auf das Verwertungserfordernis hinweisen,
konkrete Verwertungsmöglichkeiten beispielhaft aufzeigen, für eine nicht mögliche sofortige Verwertung Zeit einräumen und
während dieser darlehensweise Leistungen erbringen sowie darauf hinweisen, dass ohne den Nachweis von Verwertungsbemühungen
und deren Scheitern weitere darlehensweise Leistungen nicht in Betracht kämen. Nichts davon sei hier erfolgt. Dazu, wie familienrechtliche
Unterhaltsansprüche praktisch realisiert werden könnten, hätten weder der Antragsgegner noch das SG Ausführungen gemacht. Es sei jedoch von Interesse, nach welchem Recht solche Unterhaltsansprüche zu beurteilen seien. Zwar
sei die Ehe kurzzeitig in Syrien geschlossen worden, gelebt sei sie aber dann tatsächlich in Saudi-Arabien worden, wo sich
der Ehemann/Vater der Antragstellerinnen aufhalte. Mit Saudi-Arabien bestehe kein familienrechtliches Übereinkommen und auch
kein Vollstreckungsübereinkommen. Ein in Deutschland erwirkter Titel sei ein Stück Papier, der eine Zahlungsverpflichtung
feststelle, die nicht vollstreckt werden könne.
Der Antragsgegner hat ausgeführt, die Antragstellerin Ziff. 1 habe im Rahmen einer Neuantragstellung am 27.10.2017 angegeben,
seit vier Monaten Streitigkeiten mit ihrem Ehemann zu haben. Seit dem 01.10.2017 wolle sie eine Trennung vornehmen, da er
sie nicht unterstütze und habe ihm per WhatsApp am 20.10.2017 eine entsprechende Nachricht hinterlassen. Die Antragstellerin
Ziff. 1 sei mit Schreiben vom 09.11.2017 zur Vorlage von Kontoauszügen, Nachweisen über Mietzahlungen und Angaben zum geplanten
Ehegattennachzug aufgefordert worden. Diese lägen bislang nicht vor. Eine Bedarfsgemeinschaft von Eheleuten im Sinne des SGB II könne auch ohne gemeinsamen räumlichen Lebensmittelpunkt vorliegen. Werde einvernehmlich ein Lebensmodell gewählt, das eine
häusliche Gemeinschaft nicht vorsehe, liege kein Getrenntleben nach familienrechtlichen Grundsätzen vor. Vielmehr müsse zur
räumlichen Trennung ein nach außen erkennbarer Trennungswille eines Ehegatten zur Lösung des einvernehmlich gewählten Ehemodells
hinzutreten. Ein solcher nach außen erkennbarer Trennungswille sei nicht ersichtlich. Das Familiennachzugsverfahren werde
noch betrieben. Hinsichtlich der vorgetragenen Trennung liege einzig die Angabe der Antragstellerin Ziff. 1 vor, dass sie
sich von ihrem Ehemann trennen wolle. Es handele sich um eine innere Tatsache, die nicht nach außen dokumentiert sei oder
gar nachgewiesen werden könne. Der Vortrag sei nicht glaubhaft. Der Grundgedanke der Bedarfsgemeinschaft beruhe auf der Annahme,
dass in dieser Gemeinschaft alle Mitglieder füreinander Verantwortung auch im finanziellen Sinne übernähmen. Grundsicherungsleistungen
seien erst nachrangig zu gewähren, wenn die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ihren Bedarf nicht gemeinsam decken könnten.
Mit dem vorhandenen Einkommen und Vermögen liege eine Bedarfsdeckung vor. Inwieweit Unterhaltsansprüche seitens der Antragstellerin
Ziff. 1 in der Vergangenheit und auch derzeit gegen ihren Ehemann geltend gemacht worden seien und würden, sei nicht dargelegt.
Ihr Vortrag, ihr Ehemann sei gemeinsam mit ihr selbst und der Tochter nach Europa geflogen, habe neben den Flugtickets auch
noch extra für die Auswanderung einen Kredit von 30.000 Euro aufgenommen, diesen jedoch nicht belastet, habe auch das Asylverfahren
in Bezug auf einen erleichterten Familiennachzug betrieben und würde dennoch den Antragstellerinnen seit der Einreise keine
finanzielle Unterstützung zuteilwerden lassen, sei nicht glaubhaft. Hilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen. Im Übrigen
hat der Antragsgegner auf die Entscheidung erster Instanz verwiesen, die er für zutreffend hält.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten
des Antragsgegners und die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die nach §
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft. Der Beschwerdeausschluss des §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG greift nicht ein.
Sie ist auch begründet. Die Antragstellerinnen haben einen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der anhängigen
Klage (ursprüngliches Az. S 7 AS 2675/17, inzwischen geändert auf S 10 AS 2675/17) gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Wirkung ab dem 11.09.2017 durch Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 in
der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.09.2017. Der entgegenstehende Beschluss des SG war aufzuheben. Der Bescheid vom 07.09.2017, mit welchem der Antragsgegner den Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 letztlich, allerdings ohne sie ausdrücklich aufzuheben, ersetzt hat, und der deshalb
nach § 96 Gegenstand des gegen die genannten Bescheide gerichteten Klageverfahrens (Az. S 10 AS 2675/17) geworden ist, ist nach summarischer Prüfung nicht nur unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen und
deshalb formell rechtswidrig, sondern auch ermessensfehlerhaft und daher materiell rechtswidrig.
Das SG hat den Eilantrag zutreffend als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Sinne von §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG angesehen. Ein solcher ist hier zulässig und statthaft, denn Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den im Streit stehenden
Rücknahmebescheid haben gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG i.V.m. 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.
Der Antrag ist auch begründet. Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche
Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage sieht das Gesetz nicht vor (vgl. Udsching in Krasney/Udsching,
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage 2011, Kapitel V, Rn. 31). Die Entscheidung nach §
86b Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des
Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der
Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs
in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Bereits in einem Beschluss vom 30.11.1956 (Az. 6 RKa 21/56 -, BSGE 4, 151 ff., [...], Rn. 15) hat das BSG hierzu ausgeführt, dass niemals im öffentlichen Interesse liegen könne, dass ein Verwaltungsakt vollzogen wird, dessen Rechtswidrigkeit
offenkundig ist. Umgekehrt verbiete das öffentliche Interesse eine Aussetzung bei einem offensichtlich aussichtslosen Rechtsmittel.
Innerhalb dieses vom BSG für die Interessenabwägung gezogenen Rahmens ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen
dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt.
Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 11. Auflage 2014, §
86b Rn. 12c, Bayerisches LSG, Beschluss vom 16.07.2009 - L 7 AS 368/09 B ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.02.2015 - L 7 AS 23/15 B ER -, beide [...]; a.A. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Auflage 2017, Rn. 201 ff [214, 217]). Bei der Interessensabwägung
ist neben den Erfolgsaussichten in der Hauptsache von besonderer Bedeutung, ob eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren
geltend gemachte Begehren vorliegt (Bayerisches LSG, Beschluss vom 26.04.2010, L 7 AS 301/10 ER).
Das SG hat nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG im Ergebnis zu Unrecht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 07.09.2017, mit welchem
der Antragsgegner den Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 komplett ersetzt hat,
abgelehnt. Denn nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage wird der Rücknahmebescheid vom 07.09.2017 in der vorliegenden
Form voraussichtlich keinen Bestand haben, weshalb die für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu fordernden Erfolgsaussichten
der anhängigen Klage bestehen.
Allerdings ist der Antragsgegner im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerinnen mit dem Ehemann der Antragstellerin
Ziff. 1, welcher zugleich der Vater der Antragstellerin Ziff. 2 ist, bei Erlass der hier zu prüfenden Verwaltungsentscheidung
(Bescheid vom 07.09.2017) eine Bedarfsgemeinschaft mit diesem gebildet haben, so dass dessen Einkommen und Vermögen bei der
Bedarfsberechnung grundsätzlich anrechenbar war. Darauf, ob sich die Antragstellerin Ziff. 1 inzwischen von ihrem Ehemann
getrennt hat, wie sie zuletzt angegeben hat, kommt es deshalb nicht an, weil bei der Prüfung, ob die Aufhebung zu Recht erfolgte,
bei der hier vorliegenden prozessualen Situation einer reinen Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren die Sach- und Rechtslage
zu dem Zeitpunkt maßgebend ist, in dem der angefochtene Verwaltungsakt erlassen worden ist (BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 4 AS 49/09 R -, BSGE 105, 291-297, SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 10; BSG, Urteil vom 20.04.1993 - 2 RU 52/92 - SozR 3-1500 § 54 Nr. 18 S. 46 m.w.N.).
Besteht Hilfebedürftigkeit i.S.d. § 9 Abs. 1 SGB II, erhalten erwerbslose Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die wie die Antragstellerin Ziff. 2 mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in
einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf
für Leistungen der Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Da die Antragstellerinnen im Besitz einer bis zum 01.03.2019 befristet gültigen Aufenthaltserlaubnis sind, welche ihnen
auch eine Beschäftigung gestattet, greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht ein.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben
(erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 liegen in der Person der Antragstellerin Ziff. 1 vor. Ob und ggf.
in welcher Höhe die Antragstellerinnen jedoch bei Rücknahme der Bewilligungsentscheidung hilfebedürftig waren, lässt sich
nach summarischer Prüfung nicht abschließend beurteilen.
Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II in der aktuell gültigen Fassung vom 13.05.2011 ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend
aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II gilt (im Grundsatz) jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig,
wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist (BSG, Urteil vom 16. April 2013 - B 14 AS 71/12 R -, SozR 4-4200 § 9 Nr 12, Rn. 16). Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und das Vermögen des Partners zu berücksichtigen.
Zur Bedarfsgemeinschaft gehört als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen u.a. der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte
(§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst a SGB II).
Jedenfalls bei Erlass des Bescheides vom 07.09.2017 war der Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst.
a als nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte noch deren Partner und damit auch Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Die Auslegung
des Begriffs "Getrenntleben" richtet sich auch im Rahmen des SGB II nach familienrechtlichen Grundsätzen. Gemäß §
1567 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) leben Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht
herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Maßgebend ist also ein objektiv hervortretender Trennungswille
(BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 71/12 R -, SozR 4-4200 § 9 Nr. 12, Rn. 17, m.w.N.). Zwar ist die häusliche Gemeinschaft ein Grundelement der ehelichen Lebensgemeinschaft,
jedoch kann bei Vereinbarung einer abweichenden Lebensgestaltung auch eine Ehe ohne räumlichen Lebensmittelpunkt (Ehewohnung)
eine solche i.S. des §
1353 BGB sein (BGH, Urteil vom 7.11.2001 - XII ZR 247/00 - NJW 2002, 671). Haben die Ehegatten - wie hier - bei oder nach der Eheschließung einvernehmlich ein Lebensmodell gewählt, das eine häusliche
Gemeinschaft nicht vorsieht, kann allein der Wille, diese auf absehbare Zeit nicht herzustellen, ein Getrenntleben nach familienrechtlichen
Grundsätzen nicht begründen. Vielmehr muss regelmäßig der nach außen erkennbare Wille eines Ehegatten hinzutreten, die häusliche
Gemeinschaft nicht herstellen zu wollen, weil er die eheliche Gemeinschaft ablehnt (§
1567 Abs.
1 BGB). Es kommt nach familienrechtlichen Maßstäben für eine Trennung entsprechend darauf an, ob einer der Partner die bisherige
Form der Lebensgemeinschaft ohne gemeinsamen Lebensmittelpunkt nicht mehr aufrechterhalten will, das Eheband also lösen will
(BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 4 AS 49/09 R -, BSGE 105, 291-297, SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 13). Hier ist aufgrund des Vortrages der Antragstellerin Ziff. 1 davon auszugehen, dass
sie jedenfalls bis zum 01.10.2017 an der Ehe festhalten wollte und das gewählte Lebensmodell (seit Juni 2015) ohne häusliche
Gemeinschaft einvernehmlich gewählt war. Für die Frage, ob ein Ehegatte nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a als Partner eines/einer
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob er innerhalb oder außerhalb des Geltungsbereichs
des Sozialgesetzbuchs seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch <SGB I>
hat (vgl. zum Fall einer Lebenspartnerschaft und einem mehrmonatigen Aufenthalt eines Partners in China BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 50/10 R -, SozR 4-4200 § 22 Nr 42, Rn. 17). Ausreichend ist, dass sich der/die erwerbsfähige Hilfebedürftige - hier die Antragstellerin
Ziff. 1 - im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs aufhält. Nur in Bezug auf diese handelt es sich um unmittelbare Rechtsanwendung;
der Ehemann ist nur mittelbar betroffen. Die gegenteilige Auffassung würde außerdem dazu führen, dass sich Ehegatten der Anrechnung
ihres Einkommens bzw. Vermögens auf den Bedarf eines/einer im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs lebenden Partners/Partnerin
durch bloßen Wegzug ins Ausland entziehen könnten.
Ob das vom Ehemann der Antragstellerin Ziff. 1 zum Zeitpunkt der Rücknahme der Bewilligungsentscheidung erzielte monatliche
Einkommen und evtl. vorhandenes Vermögen tatsächlich die Hilfebedürftigkeit der aus den Antragstellerinnen und dem Ehemann/Vater
bestehenden Bedarfsgemeinschaft ganz entfallen lassen haben, vermag der Senat aktuell nicht zu beurteilen. Ergibt eine Gegenüberstellung
des Gesamtbedarfs mit dem Einkommen der Bedarfsgemeinschaft eine Differenz zugunsten des Gesamtbedarfs, besteht in diesem
Umfang ein weiterhin der (vollständigen) Aufhebung der Bewilligung entgegenstehender Leistungsanspruch der Antragstellerinnen
(BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 4 AS 49/09 R -, BSGE 105, 291-297, SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 17). Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der
nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (§ 11 Abs. 3 SGB II). Zur Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen ist nach gefestigter Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.08.2013 - B 14 AS 78/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 6, [...], Rn. 27 m.w.N.) von Folgendem auszugehen: Einkommen i.S. des § 11 Abs. 1 SGB II ist grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung
bereits hatte (modifizierte Zuflusstheorie, grundlegend BSG Urteile vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 Rn. 23 und vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 15, Rn. 18; vgl. ferner BSG Urteile vom 17.6.2010 - B 14 AS 46/09 R - BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 30, Rn. 15 und vom 23.8.2011 - B 14 AS 185/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 42 Rn. 10). Das Einkommen des Ehemannes/Vaters lag im August 2016, also ein Jahr vor der Rücknahmeentscheidung
des Antragsgegners bei netto ca. 2.500 Euro monatlich. Die Antragstellerin Ziff. 1 hat angegeben, dass sein Nettoeinkommen
aktuell nur bei ca. 2.180 Euro monatlich liegt, was aufgrund von Währungskursschwankungen durchaus möglich sein kann. Wie
hoch das Einkommen im September 2017 tatsächlich war, vermag der Senat im Eilverfahren nicht festzustellen. Vorliegend fehlen
überdies jegliche Feststellungen zu den monatlichen Aufwendungen (insbesondere den Kosten der Unterkunft), die der Ehemann/Vater
der Antragstellerinnen (bezogen auf den Monat September 2017) in Saudi-Arabien hatte. Für einen Übergangszeitraum können nicht
nur die angemessenen, sondern sogar die tatsächlichen Unterkunftskosten für die Wohnung des Ehemannes/Vaters als (fiktiver)
Bedarf bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen sein (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 4 AS 49/09 R -, a.a.O.). Ordnet man den in Saudi-Arabien lebenden Ehemann/Vater der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerinnen zu, besteht
eine sog. "gemischte Bedarfsgemeinschaft", da der Ehemann/Vater wegen seines Wohnsitzes im Ausland von SGB II-Leistungen ausgeschlossen ist (Saitzek in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 20 Rn. 21).
Ebenfalls vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen, wie hoch das Vermögen des Ehemannes/Vaters im September 2017
tatsächlich war. Als Vermögen sind grundsätzlich alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Hierzu gehört auch ein bei Antragstellung bereits vorhandenes Guthaben auf einem Girokonto als jederzeit durchsetzbare
Forderung gegen die betreffende Bank. Zwar haben die Antragstellerinnen zuletzt eingeräumt, dass sich auf dem Girokonto des
Ehemannes/Vaters "rund 30.000 Euro" befinden, allerdings datieren die vom Antragsgegner getroffenen Feststellungen zum Kontostand
auf den 10.08.2016 (Kontostand gemäß E-Mail der Deutschen Botschaft Riad vom 26.01.2017, Bl. 56 VA). Welcher Geldbetrag genau
sich im September 2017 auf dem Konto des Ehemannes/Vaters befunden hat, wann er zugeflossen ist und ob dieser als Einkommen
oder Vermögen anrechenbar ist, kann im Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden. So stellt etwa nach der Rechtsprechung
des BSG ein Darlehen, das an den Darlehensgeber zurückzuzahlen ist, als nur vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung kein Einkommen
dar, auch wenn es als "bereites Mittel" zunächst zur Deckung des Lebensunterhalts verwandt werden könnte (BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 46/09 R -, BSGE 106, 185-190, SozR 4-4200 § 11 Nr 30, Rn. 16). Das gilt aber nicht in gleicher Weise bei einer Anrechnung als Vermögen (vgl. Landessozialgericht
<LSG> Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.05.2017 - L 34 AS 1350/11 - [...], Rn. 28). Letztlich muss dies einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Nach summarischer Prüfung scheidet eine bedarfsmindernde Anrechnung von Unterhaltsansprüchen der Antragsteller gegen den Ehemann/Vater,
anders als offenbar das SG gemeint hat, aus. Das folgt bereits daraus, dass dessen Einkommen zu dem hier zu beurteilenden Zeitpunkt des Erlasses des
Rücknahmebescheides vom 07.09.2017 als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft anzusehen und entsprechend auf den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft
anzurechnen ist, so dass es eines "Umwegs" über etwaige Unterhaltsansprüche grundsätzlich nicht bedarf.
Ob Ansprüche auf Ehegattenunterhalt bzw. Kindesunterhalt unter den gegebenen Umständen überhaupt bestehen, nachdem die Antragstellerinnen
nicht in häuslicher Gemeinschaft mit dem Ehemann/Vater wohnen, und wie hoch sie sind, richtet sich nach syrischem (die Ehe
wurde in Syrien geschlossen) Recht i.V.m. den Normen des internationalen Familienrechts (EU-VO 1259/2010 vom 20.10.2010 <ROM
III-VO>). Durchzusetzen wären solche Ansprüche, da der Ehemann/Vater in Saudi-Arabien lebt, nach saudiarabischem Recht. Angesichts
der Komplexität erscheint eine Klärung im Eilverfahren nicht möglich. Allerdings scheidet eine Anrechnung solcher Forderungen
als Vermögen von vornherein aus, wenn sie nicht in absehbarer Zeit realisiert werden können (sog "Versilbern" von Vermögen;
st. Rspr., BSG Urteil vom 06.12.2007 - B 14/7b AS 46/06 R - BSGE 99, 248 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 6 Rn. 11, BSG Urteil vom 12.07.2012 - B 14 AS 158/11 R - SozR 4-4200 § 12 Nr. 20 Rn 15, und Urteil vom 18.09.2014 - B 14 AS 58/13 R - SozR 4-4200 § 12 Nr. 24 -, [...], Rn. 15 jeweils m.w.N.). Ein Aspekt der tatsächlichen Verwertbarkeit ist die für sie
benötigte Zeit, hinsichtlich der ggf. eine Prognose erforderlich ist. Für diese Prognose ist auf den jeweiligen Bewilligungszeitraum
(hier also den bis Mai 2018 laufenden Bewilligungszeitraum) abzustellen; eine Festlegung für darüber hinausgehende Zeiträume
ist demgegenüber nicht erforderlich und wegen der Unsicherheiten, die mit einer langfristigen Prognose verbunden sind, auch
nicht geboten (st. Rspr. seit BSG Urteil vom 06.12.2007, a.a.O., Rn. 15; BSG Urteil vom 27.01.2009 - B 14 AS 42/07 R - SozR 4-4200 § 12 Nr. 12 Rn. 23; BSG Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 2/09 R - SozR 4-4200 § 12 Nr. 15 Rn. 19). Von den Antragstellerinnen ist glaubhaft vorgetragen, dass der Ehemann ihnen seit der
Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland keine Zahlungen erbracht hat; die Antragstellerin Ziff. 1 hat dies eidesstattlich
versichert. Glaubhaft vorgetragen ist ferner, dass der Ehemann/Vater auch nach Einstellung der Zahlungen durch den Antragsgegner
bisher jegliche finanzielle Hilfe verweigert hat. Ob die Antragstellerinnen ihre Ansprüche auf Ehegatten- bzw. Kindesunterhalt
gegen diesen überhaupt realisieren können und eine gerichtliche Durchsetzung in Saudi-Arabien unter wirtschaftlichen Aspekten
zumutbar wäre, nachdem dafür wohl eine saudiarabische Anwaltskanzlei beauftragt werden müsste, sieht der Senat als zweifelhaft
an. Dass bis Mai 2018 mit rechtlichen Mitteln von dem in Saudi-Arabien lebenden Ehemann/Vater eine tatsächliche Auszahlung
zu erwirken ist, sieht der Senat nach summarischer Prüfung als überaus unwahrscheinlich an. Ob diese Besonderheiten des vorliegenden
Einzelfalls sogar dazu führen müssen, dass eine Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Ehemannes/Vaters auf die Bedarfe
der Antragstellerinnen ausnahmsweise unterbleibt, obwohl zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung grundsätzlich eine Bedarfsgemeinschaft
mit diesem bestanden hat, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.
Da eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die der Bewilligungsentscheidung vom 02.06.2017
zugrunde lag, nach summarischer Prüfung nicht eingetreten ist, kann eine Rücknahme der Bewilligungsentscheidung nur nach Maßgabe
des § 45 SGB X und nicht, wie dies der Antragsgegner noch bei Erlass des Bescheides vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29.08.2017 angenommen hatte, nach Maßgabe des § 48 SGB X erfolgen.
Der die vorgenannten Bescheide ersetzende Rücknahmebescheid vom 07.09.2017 ist, obwohl der Antragsgegner sich bei dessen Erlass
zutreffend auf § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X gestützt und im Ansatz auch Ermessen ausgeübt hat, formell und materiell rechtswidrig. Es fehlt an einer vor Ermessensbetätigung
durchgeführten Anhörung. Infolge dessen leidet der Bescheid vom 07.09.2017 an einem Ermessens- bzw. Abwägungsdefizit.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender
Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der
Abs. 2 - 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Abs. 2 der
Regelung darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den
Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme
schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine
Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen
kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig
oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit
liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Grundsätzlich kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Abs. 2 der Regelung nur bis zum
Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 S. 3 Nr. 2 oder
3 vor, kann der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe
zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 SGB X). Eine Rücknahme für die Vergangenheit gemäß den vorbenannten Vorschriften ist von der Behörde innerhalb eines Jahres seit
Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen,
zu bewirken (§ 45 Abs. 4 SGB X).
Zwar überlagert § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. §
330 Abs.
2 SGB III in seinem Anwendungsbereich grundsätzlich die §§ 45 ff. SGB X. Die Regelung enthält für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte das SGB X verdrängende Regelungen. Hiernach ergeht abweichend vom allgemeinen Sozialverwaltungsrecht des SGB X die Rücknahme von rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakten auch für die Zukunft (vgl. BSG, Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 13/14 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 86 Rn. 12; Eicher/Greiser in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2013, § 40 Rn. 51 f.) nicht als Ermessens-, sondern als gebundene Entscheidung, wenn die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen. Diese Sonderregelung
findet aber hier deshalb keine Anwendung, weil die Voraussetzungen des §
330 Abs.
2 SGB III nicht erfüllt sind. Weder haben die Antragstellerinnen den Antragsgegner bei Antragstellung arglistig über das Nichtvorhandensein
von Einkommen/Vermögen eines Mitglieds ihrer Bedarfsgemeinschaft getäuscht, noch haben sie zumindest grob fahrlässig oder
sogar vorsätzlich unwahre oder unvollständige Angaben gemacht. So ergibt sich aus dem am 19.05.2017 eingegangenen Hauptantrag
eindeutig (Bl. 1 VA), dass die Antragstellerin Ziff. 1 verheiratet ist, sie zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht dauernd
getrennt von ihrem Ehemann gelebt hat ("dauernd getrennt lebend" ist nicht angekreuzt) und sich ihr Ehemann im Ausland aufgehalten
hat (der Sachbearbeiter hat mit Grüneintrag "Mann in Syrien" [richtig: Saudi-Arabien] vermerkt). Dass sie selbst ohne Einkommen
und Vermögen war, wie aus dem Grüneintrag des Sachbearbeiters hervorgeht ("kein EK") sieht der Senat als glaubhaft gemacht
an. Angaben zum Einkommen des Ehemannes wurden vom Antragsgegner vor der Leistungsbewilligung nicht gefordert. Die Antragstellerinnen
mussten auch nicht von sich aus darauf kommen, dass solche Angaben für die Leistungsbemessung evtl. relevant sein könnten.
Bei den Antragstellerinnen bestand gerade keine grob fahrlässige Unkenntnis darüber, dass ihnen wegen evtl. Einkünfte/evtl.
Vermögens ihres Ehemannes/Vaters in Saudi-Arabien möglicherweise geringere oder überhaupt keine Leistungen nach dem SGB II zustehen könnten. Die Antragstellerinnen haben nicht gewusst und mussten auch nicht wissen, dass, solange bei der Antragstellerin
Ziff. 1 kein Trennungswille bestand, sie mit deren Saudi-Arabien lebenden Ehemann dennoch eine Bedarfsgemeinschaft bildeten,
so dass von diesem ggf. erzieltes Einkommen oder bei diesem ggf. vorhandenes Vermögen sich bei den Antragstellerinnen auch
dann anspruchsmindernd auswirken kann, obwohl er diesen tatsächlich - wie von der Antragstellerin Ziff. 1 eidesstattlich versichert
- seit Juni 2015 keinerlei Zahlungen erbracht hat und auch weiterhin weigert, Zahlungen zu leisten. Die Hinweise der Bundesagentur
für Arbeit "Grundsicherung für Arbeitsuchende" enthalten unter 1.2 ("Was versteht man unter einer Bedarfsgemeinschaft") lediglich
Angaben für die typische Grundkonstellation der Bedarfsgemeinschaft, ausgehend von der Haushaltsgemeinschaft und einem gemeinsamen
Wirtschaften "aus einem Topf". Sie enthalten demgegenüber keinerlei Hinweise darauf, dass eine Bedarfsgemeinschaft ausnahmsweise
auch dann bestehen kann, wenn die betreffenden Personen zwar verheiratet sind, aber nicht in einem Haushalt zusammenleben
und nicht gemeinsam wirtschaften, und es für die Beurteilung in solchen Fällen maßgeblich auf den Trennungswillen ankommt.
Es handelt sich um eine atypische Fallkonstellation, die erst von der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 4 AS 49/09 R -, a.a.O.; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 71/12 R -, a.a.O.) herausgearbeitet worden ist.
Der Änderungsbescheid vom 07.09.2017 ist formell rechtswidrig, weil der Antragsgegner vor dessen Erlass - wie schon vor dem
Erlass des Bescheides vom 02.08.2018 - versäumt hat, die Antragstellerinnen nach § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören. Vorliegend ist, anders als das SG gemeint hat, die fehlende Anhörung nicht durch das durchgeführte Widerspruchsverfahren nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 165/11 R = SozR 4-1300 § 50 Nr. 3 RdNr. 13), denn die Möglichkeit einer Heilung einer unterlassenen Anhörung bei Durchführung eines
Widerspruchsverfahrens erfordert, dass dem Beteiligten schon in dem angefochtenen Verwaltungsakt oder auf andere Weise im
Laufe des Widerspruchsverfahrens alle entscheidungserheblichen Tatsachen zur Kenntnis gebracht wurden, sodass er sich zu ihnen
sachgerecht äußern konnte (BSG, Urteil vom 26.9.1999 - 4 RK 4/91 = BSGE 69, 247, 251 ff.; vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R = BSGE 89, 90, 93). In den Ausgangsbescheiden (Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017) war der
Antragsgegner jedoch fälschlich davon ausgegangen, dass eine Aufhebung als gebundene Entscheidung gem. § 48 Abs. 1 SGB X zu bewirken wäre und hat als alleinigen Aufhebungsgrund einen Wegfall der Hilfebedürftigkeit benannt, was unzutreffend war,
da sich die finanzielle Situation der Bedarfsgemeinschaft zwischen Bewilligung und Rücknahme nach summarischer Prüfung nicht
wesentlich geändert hat. Dass vom Antragsgegner beabsichtigt war, eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz SGB X zu treffen, konnten die Antragstellerinnen im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 02.08.2017 nicht erkennen und
dazu deshalb auch nicht gezielt vortragen.
Die fehlende Anhörung ist bislang auch nicht nach § 41 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden. Der Passus im Bescheid vom 07.09.2017 "Sie bekommen hiermit auch nochmals Gelegenheit sich zu diesem Sachverhalt zu äußern. Sollten Sie dazu Stellung nehmen möchten,
so tun Sie dies bitte bis zum 22.09.2017." entspricht nicht den von der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Anforderungen an eine außerhalb des Verwaltungsverfahrens nachgeholte Anhörung. Vielmehr hätte der Antragsgegner
den Antragstellerinnen in einem gesonderten Anhörungsschreiben alle Haupttatsachen mitteilen müssen, auf die er die belastende
Entscheidung stützen will und den Antragstellerinnen eine angemessene Frist zur Äußerung setzen müssen. Ferner ist erforderlich,
dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert
(BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 4 AS 37/09 R -, SozR 4-1300 § 41 Nr. 2, Rn. 14, bestätigt von BSG, Urteil vom 26.07.2016 - B 4 AS 47/15 R - SozR 4-1500 § 114 Nr. 2, Rn. 19). Daran fehlt es hier.
Durch eine Nachholung der Anhörung kann im vorliegenden Fall die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 07.09.2017 nicht beseitigt
werden. Da die Antragstellerinnen keine Gelegenheit bekommen haben, alle für die Ermessensbetätigung relevanten Umstände vor
Erlass des Bescheides vom 07.09.2017 vorzutragen und der Antragsgegner deshalb wesentliche Umstände bei seiner Ermessensbetätigung
außer Betracht gelassen hat, ist der Bescheid materiell ermessensfehlerhaft. Anders als bei einer nur fehlenden Begründung
bei einer gebundenen Entscheidung kann der Mangel der Ermessensbetätigung nach § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch im
Klageverfahren in einem solchen Fall nicht mehr nachgeholt werden (Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 41 Rn. 17, BSG Urteil vom 01.03.2011 - B 7 AL 2/10 R, [...], Rn. 14), es sei denn, es läge ein Fall einer Ermessensschrumpfung oder einer Ermessensreduzierung auf Null vor. Das
aber ist hier angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls und der schwerwiegenden Folgen der Aufhebung der
Leistungsbewilligung für die mittellosen Antragstellerinnen nicht der Fall.
Hier hat der Antragsgegner bei Erlass des Bescheides vom 07.09.2017, anders als noch bei Erlass des zuvor ergangenen Bescheides
vom 02.08.2017 i.d.G. des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017, zwar erkannt, dass ihm ein Rücknahmeermessen zugestanden
hat und dieses auch ausdrücklich betätigt. Diese Ermessensbetätigung ist allerdings gerichtlich auf Ermessensfehler hin zu
kontrollieren. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige
Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in
diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und
privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde - in den gesetzlichen Grenzen
ihres Ermessens - grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung
im Ergebnis stützen möchte (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 12 R 14/11 R -, SozR 4-1300 § 45 Nr. 15, Rn. 30 m.w.N.).
Der Bescheid vom 07.09.2017 leidet nach summarischer Prüfung an einem Ermessens- bzw. Abwägungsdefizit. Die Antragstellerinnen
wurden vor der Ermessensbetätigung weder zu den nach Auffassung des Antragsgegners entscheidungserheblichen Umständen angehört
noch wurden vom Antragsgegner vorab sämtliche für die Ermessensausübung relevanten Umstände ermittelt und in die Ermessensbetätigung
eingestellt. Bei der Ermessensbetätigung ist der Antragsgegner ausweislich der Gründe des Bescheides vom 07.09.2017 davon
ausgegangen, dass der Ehemann/Vater der Antragstellerinnen Einkommen erzielt. Wie hoch die notwendigen Aufwendungen des Ehemannes
der Antragstellerin, insbesondere dessen Unterkunftskosten, sind, hat der Antragsgegner allerdings nicht ermittelt, weshalb
bei Bescheiderlass nicht feststand, welcher Teil des Einkommens des Ehemannes/Vaters für eine Bedarfsdeckung bei den Antragstellerinnen
zur Verfügung stand. Der Antragsgegner ist ferner bei seiner Rücknahmeentscheidung davon ausgegangen, dass der Ehemann/Vater
den Antragstellerinnen tatsächlich Leistungen erbringt. Demgegenüber geht der Senat jedenfalls nach summarischer Prüfung gestützt
auf die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin Ziff. 1 davon aus, dass dies seit der Übersiedelung der Antragstellerinnen
in die Bundesrepublik Deutschland durchgehend nicht der Fall war und die Antragstellerinnen faktisch mittellos sind, zumal
etwaige Unterhaltsansprüche sich nicht sogleich realisieren lassen (s.o.). Ebenfalls ist den Antragstellerinnen faktisch der
Zugriff auf etwaiges Vermögen des Ehemannes/Vaters verwehrt.
Nach alledem ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass der Rücknahmebescheid vom 07.09.2017 in der vorliegenden
Form voraussichtlich keinen Bestand haben wird, weshalb sich der Senat nach Abwägung der widerstreitenden Interessen im vorliegenden
Einzelfall veranlasst gesehen hat, den Beschluss des SG vom 02.10.2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 02.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29.08.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.09.2017 anzuordnen.
Hier liegt auch eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren vor (dazu Bayerisches LSG, Beschluss
vom 26.04.2010, L 7 AS 301/10 ER; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13.02.2015 - L 7 AS 23/15 B ER -, [...], Rn. 22). Denn nachdem die Antragstellerinnen glaubhaft vorgetragen haben, weitgehend mittellos zu sein und
vom Ehemann/Vater keinerlei finanzielle Unterstützung zu erfahren, steht vorliegend die Dringlichkeit außer Frage.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von §
193 SGG.
Den Antragstellerinnen war für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt K. beizuordnen
(§
73a Abs.
1 SGG i.V.m. §
114 Satz 1
Zivilprozessordnung <ZPO>). Die Antragstellerinnen sind nach ihren glaubhaften Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
weitgehend mittellos und somit nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung - auch nicht ratenweise - aufzubringen. Sie
sind mithin bedürftig nach den §§
114,
115 ZPO. Da auch die Rechtsverfolgung nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht, war dem Antrag auf Gewährung
von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren stattzugeben.
Diese Entscheidung ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§
177 SGG).