Tatbestand
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Vergütung für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung in Höhe von (weiteren) 1.178,20
€ geltend.
Die Klägerin ist Trägerin der R.-Klinik in B., eines zur Versorgung von Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) zugelassenen Krankenhauses. In dieser Klinik wurde die am 07.07.1964 geborene H. P. (im Folgenden: Versicherte) vom
09.05.2016 bis 12.05.2016 vollstationär behandelt. Die Aufnahme der Versicherten in das Krankenhaus der Klägerin erfolgte
als Notfall. Die Versicherte war von ihrer Tochter in die Ambulanz der Klinik gebracht worden. Bei der Aufnahme wurde folgender
Befund erhoben: SpO2 96%, RR 102/68 mmHg, Temperatur 39,4° C, Puls 96/min. Das anschließend durchgeführte EKG zeigte eine Herzfrequenz von 94/min. Eine am Aufnahmetag
durchgeführte Röntgenuntersuchung ergab fleckenförmige Verdichtungen pulmonal am oberen rechten Hilus. Bei den ebenfalls noch
am 09.05.2016 entnommenen zwei Blutproben (periphere Blutkulturen) wurde in beiden der Erreger Streptococcus pneumoniae nachgewiesen.
Der Laborbefund (Blutbild) vom 09.05.2016 ergab ferner eine Leukozytose mit einer Leukozytenanzahl von 22.400/mm3. Ein Schnelltest auf Influenza A und B Viren verlief negativ. Noch am Tag der Aufnahme in das Klinikum wurde mit einer intravenösen
Antibiose mit Unacid begonnen. Das am 12.05.2016 gefertigte Blutbild ergab dann noch eine Leukozytenanzahl von 9.500/ mm3.
Für die Behandlung stellte die Klägerin der Beklagten 3.770,80 € in Rechnung (Rechnung vom 19.05.2016, Nr 401 605 1104). Sie
machte als Hauptdiagnose A40.3 (Sepsis durch Streptococcus pneumoniae) und als Sekundärdiagnose B95.3 (Streptococcus pneumoniae
als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind) sowie als Nebendiagnose J13 (Pneumonie durch Streptococcus
pneumoniae) geltend und rechnete die DRG T60E (Sepsis ohne komplizierende Konstellation, außer bei Zustand nach Organtransplantation,
ohne komplexe Diagnose, ohne äußerst schwere CC, Alter < 9 Jahre, mehr als ein Belegungstag) ab.
Diesen Betrag bezahlte die Beklagte zunächst, leitete aber mit einer am 27.05.2016 bei der Klinik eingegangenen Prüfmitteilung
eine Auffälligkeitsprüfung nach §
275 Abs
1c SGB V ein. Es wurde die Durchführung einer Teilprüfung der Abrechnung (bestimmte Diagnosen, bestimmte Prozeduren etc) und eine
Fehlbelegungsprüfung angekündigt und darauf hingewiesen, dass mit dem Datum der Prüfanzeige auch der Medizinische Dienst der
Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der direkten Prüfung beauftragt worden sei. Die Prüfanzeige des MDK war bereits
am 25.05.2016 bei der Klinik eingegangen. Darin werden folgende Fragen der Beklagten mitgeteilt: Ist die Hauptdiagnose (HD)
korrekt? Ist die DRG korrekt? War die Überschreitung der unteren Grenzverweildauer bzw das Erreichen der UGVD medizinisch
begründet? In seinem Gutachten vom 23.12.2016 gelangte der MDK (Dr. L.) zu der Auffassung, dass zwar die stationäre Krankenhausbehandlung
in vollem Umfang medizinisch notwendig gewesen sei, aber weder die Hauptdiagnose noch die DRG zutreffend seien. Korrekte Hauptdiagnose
sei die J13 (Pneumonie durch Streptococcus pneumoniae). Daraus ergebe sich nach dem Grouping die DRG E77l (Infektionen und
Entzündungen der Atmungsorgane ohne komplexe Diagnose, ohne äußerst schwere CC oder ein Belegungstag, Alter < 0 Jahre, außer
bei Para-/Tetraplegie, ohne Komplexbehandlung bei multiresistenten Erregern).
Daraufhin machte die Beklagte gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 27.12.2016 einen Erstattungsanspruch wegen zu viel
gezahlter Vergütung in Höhe von 1.178,20 € geltend. Sie führte in dem Schreiben ferner aus: "Die von uns bereits gezahlte
Rechnung wird mit dem heutigen Datum von uns aus um unseren Erstattungsanspruch korrigiert und mit einem unstrittigen Leistungsanspruch
aufgerechnet." Im Zahlungsavis vom 27.12.2016 wird der Zahlbetrag genannt, der damit zur Zahlung an die Klägerin angewiesen
wurde. Anschließend wird erläutert, wie sich die Gesamtsumme zusammensetzt. Bei der Rechnung für die Behandlung der Versicherten
(Rechnungsnummer 401 605 1104, Rechnung vom 19.05.2016) wird als Zahlbetrag -1.178,20 € aufgeführt. In dieser Höhe erfolgte
eine Verrechnung mit einer anderen Forderung der Klägerin, die unter der Rubrik "Erläuterung der Verrechnung" mit Rechnungsdatum,
Rechnungsnummer und Rechnungsbetrag aufgeführt ist.
Am 26.09.2017 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die Patientin sei aufgrund von Schmerzen in beiden Kniekehlen sowie
im Lendenwirbelsäulenbereich und unterhalb der rechten Brust im Klinikum aufgenommen worden. Zudem habe sie über Schmerzen
beim Husten und bei Bewegung geklagt. Bei der Aufnahme habe die Patientin Fieber (39,4 °C) gehabt. Zwei abgenommene Blutkulturen
hätten den Nachweis einer Infektion mit dem Erreger Streptococcus pneumoniae im Blut der Patientin ergeben. Der Allgemeinzustand
der Patientin sei reduziert gewesen, zudem habe eine Tachykardie (Überschreiten der altersüblichen physiologischen Herzfrequenz)
mit 96 Schlägen/min und eine Leukozytose (erhebliche Vermehrung von weißen Blutkörperschen) mit 22.400/mm3 bestanden. Aufgrund dieser Befunde habe die Klägerin zu Recht die Hauptdiagnose A40.3 (Sepsis durch Streptococcus pneumoniae)
kodiert. Die von der Beklagten hiergegen vorgebrachten Einwendungen änderten daran nichts. Eine Sepsis, umgangssprachlich
auch "Blutvergiftung" genannt, sei eine komplexe systemische (den ganzen Körper betreffende) Entzündungsreaktion des Körpers
auf eine Infektion durch Bakterien, deren Toxine oder Pilze (systemisches inflammatorisches Response-Syndrom - SIRS). Die
Voraussetzungen zur Kodierung der Sepsis nach der S 2 Leitlinie "Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis"
der Deutschen Sepsis-Gesellschaft und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin hätten
vorgelegen. Die von der Beklagten für die Kodierung einer Sepsis geforderte Intensivüberwachung sei keine Voraussetzung für
die Diagnose Sepsis, sondern beschreibe lediglich, wie sich der MDK die Behandlung einer Sepsis vorstelle. Es habe sich auch
nicht um eine "sich anbahnende" oder "drohende" Sepsis gehandelt, die nicht hätte kodiert werden dürfen. Im vorliegenden Fall
sei die Infektion durch Blutkulturen nachgewiesen worden. Auch seien die SIRS-Kriterien erfüllt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie habe wirksam mit einem Erstattungsanspruch gegen die mit der Klage geltend
gemachte Vergütungsforderung der Klägerin aufgerechnet. Die Abrechnung der Klägerin sei unzutreffend gewesen. Anstelle des
ICD 10-Kodes A40.3 (Sepsis durch Streptococcus pneumoniae) sei hier als Hauptdiagnose der Kode J13 (Pneumonie durch Streptococcus
pneumoniae) als Hauptdiagnose anzusetzen. Eine Sepsis dürfe nicht schon dann kodiert werden, wenn die von der Deutschen Sepsis-Gesellschaft
eV und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin aufgestellten Kriterien für die Diagnose
eines SIRS infektiöser Genese (= Sepsis) erfüllt sind. Vielmehr müsse eine Gesamtbetrachtung des Krankheitsbildes vorgenommen
werden. Gerade bei der Sepsis handele es sich um eine komplexe Erkrankung, deren Diagnose durch die Aufstellung von Kriterien
zwar erleichtert werden solle, aber stets eine Betrachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalles voraussetze.
Mit Gerichtsbescheid vom 04.03.2018 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 1.178,20 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.02.2017 zu zahlen. Die Klägerin habe gegen die Beklagte aus der Behandlung der
Versicherten einen Vergütungsanspruch in Höhe des bereits gezahlten Betrages von 3.770,80 €. Da dieser Betrag zu Recht gezahlt
worden sei, bestehe kein Erstattungsanspruch, mit dem die Beklagte gegen eine andere Vergütungsforderung aufrechnen könne.
Ob eine Sepsis vorliege, bemesse sich anhand der Kriterien, welche die Deutsche Sepsis-Gesellschaft eV und die Deutsche Interdisziplinäre
Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin in ihrer Leitlinie "Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis"
festgelegt habe. Diese Kriterien seien bei der Patientin unstreitig erfüllt gewesen. Der Einschätzung des MDK, nur wenn der
Zustand des Patienten intensivmedizinischer Behandlung bedurft habe, dürfe eine Sepsis als Hauptdiagnose kodiert werden, vermöge
das Gericht nicht zu folgen. Ein solches Erfordernis ergebe sich weder aus der Leitlinie noch aus der ICD-10-Klassifikation
noch aus den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR). Der Gerichtsbescheid ist der Beklagten am 19.03.2018 zugestellt worden.
Noch am selben Tag hat die Beklagte (vorab per Fax) Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer Auffassung fest. Die in den Leitlinien
aufgeführten "Positivkriterien" dürften keine starre Anwendung finden. Bei der Diagnose sei stets auf die Umstände des Einzelfalles
abzustellen. Dies ergebe sich bereits aus der Einleitung zum Kriterienkatalog. Darin stehe, dass der Nachweis der nachfolgenden
Kriterien (einschließlich derjenigen der Organkomplikationen) im Einzelfall unter Würdigung ggf anderer, gleichzeitig bestehender
Krankheitszustände bewertet werden müsse. Im vorliegenden Fall mögen zwar die "Positivkriterien" nach dem SIRS-Katalog der
Fachgesellschaften erfüllt sein, die besonderen Umstände des Einzelfalles sprächen jedoch gegen eine Sepsis. Die Diagnose
einer Sepsis setze ein lebensbedrohliches Krankheitsbild voraus. Bestehe auch nur der Verdacht einer Sepsis, müsse der behandelnde
Art ein dem lebensbedrohlichen Krankheitsbild entsprechendes Behandlungsmanagement einleiten. Dieses umfasse neben der medizinisch
notwendigen Diagnostik und Therapie insbesondere eine intensive Überwachung der Vitalparameter und der Organfunktionen über
einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden, um die Entwicklung des weiteren Krankheitsverlaufs beobachten zu können. Dieses
Behandlungsmanagement sei zumindest solange aufrecht zu erhalten, bis die Diagnose Sepsis eindeutig ausgeschlossen werden
könne. Im vorliegenden Fall sei kein besonderes Behandlungsmanagement im Hinblick auf eine lebensbedrohliche Erkrankung eingeleitet
worden.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.03.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie trägt ergänzend vor, weder der ICD-10-GM noch die DKR enthielten Vorgaben zur Kodierung einer Sepsis.
Deshalb sei auf die allgemeine Kodierregel abzustellen, wonach eine Diagnose immer dann kodiert werden dürfe, wenn diese auch
medizinisch vorliegt. Aus medizinischer Sicht habe entgegen der Behauptung der Beklagten eine Sepsis vorgelegen.
Der Vorsitzende hat am 08.08.2018 einen Erörterungstermin durchgeführt. Die Beteiligten haben ihre unterschiedlichen Standpunkte
bekräftigt; auf das Protokoll vom 08.08.2018 wird Bezug genommen (Bl 35/37 der LSG-Akte).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster
und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§
151 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig (§§
143,
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG), sie ist aber in der Sache unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 1.178,20 €. Dieser Anspruch ist
durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht gemäß §
69 Abs
1 Satz 3
SGB V iVm §
389 BGB erloschen. Der von der Beklagten geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch besteht nicht. Die Zahlung der
Vergütung iHv 3.770,80 € erfolgte nicht ohne Rechtsgrund. Unter Ansatz der DRG T60E (Sepsis ohne komplizierende Konstellation,
außer bei Zustand nach Organtransplantation, ohne komplexe Diagnose, ohne äußerst schwere CC, Alter < 9 Jahre, mehr als ein
Belegungstag) und zuzüglich der von der Klägerin zu Recht geltend gemachten Zuschläge ergibt sich der Betrag von 3.770,80
€.
Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach §
54 Abs
5 SGG die richtige Klageart gewählt (dazu nur BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13, juris; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3). Es handelt sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt
nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr 5).
Der Klägerin steht ein Vergütungsanspruch für die Behandlung eines namentlich bekannten Versicherten (Hauptforderung) zu,
dessen stationärer Aufenthalt von der Klägerin mit Rechnung vom 28.11.2016 (Nr 401 613 9917) abgerechnet wurde. Da die Beklagte
sich gegenüber der Klage ausschließlich im Wege der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, steht die Klageforderung
(Hauptforderung) selbst außer Streit (BSG 21.03.2013, B 3 KR 2/12 R; BSG 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R; BSG 26.10.2016, B 1 KR 9/16 R). Die Beklagte konnte gegen die Hauptforderung der Klägerin in Höhe von 1.178,20 € jedoch nicht aufrechnen. Denn in diesem
Umfang hat sie für die stationäre Behandlung des Versicherten in der Zeit vom 09. bis 12.05.2016 Krankenhausentgelt mit Rechtsgrund
gezahlt, weil der Klägerin insoweit ein Vergütungsanspruch zustand. Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen eines Anspruchs
auf Krankenhausvergütung, indem sie die Versicherte im genannten Zeitraum stationär behandelte.
Rechtsgrundlage des von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist §
109 Abs
4 SGB V. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten
kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und iSv §
39 Abs
1 Satz 2
SGB V erforderlich ist (st Rspr BSG 16.12.2008, B 1 KN 1/07 R, BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13; BSG 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2). Die konkrete Höhe des dem Krankenhaus zustehenden Vergütungsanspruches bemisst sich gemäß §
109 Abs
4 Satz 3
SGB V nach Maßgabe des KHG und des KHEntgG. Nach § 7 Satz 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen,
in den Nrn 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen (DRG)
nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 Satz 1 Nr 1 iVm § 9 KHEntgG). Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen
und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 Satz 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft
als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich
der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit hiervon zusätzlich zu zahlenden Entgelte
oder vorzunehmenden Abschläge (Nr 1), einen Katalog ergänzender Zusatzentgelte (Nr 2) sowie die Abrechnungsbestimmungen für
die Fallpauschalen und die sonstigen Entgelte (Nr 3). Maßgeblich sind hier der für das Jahr 2016 vereinbarte Fallpauschalen-Katalog
(G-DRG-Version 2016) und die Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2016.
Der Fallpauschalen-Katalog ist nach Fallgruppen (DRG) geordnet. Die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer
DRG erfolgt dadurch, dass die Diagnosen nach der ICD-10-Klassifikation und die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand
und ihren prägenden Merkmalen mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information
(DIMDI) im Auftrag des BMG herausgegebenen "Operationen- und Prozedurenschlüssel " (OPS) verschlüsselt werden (§
301 Abs
2 Satz 2
SGB V). Zur sachgerechten Durchführung dieser Verschlüsselung ("Kodierung") haben die Vertragspartner auf Bundesebene "Allgemeine
und Spezielle Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren" beschlossen (Deutsche Kodierrichtlinien
- DKR). Maßgebend für den vorliegenden Abrechnungsfall sind gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 FPV 2016 die für den Tag der stationären
Aufnahme geltenden Abrechnungsregeln, dh vorliegend die DKR 2016. Die verschlüsselten Daten werden in ein automatisches Datenverarbeitungssystem,
das auf einem zertifizierten Programm basiert, eingegeben und von diesem einer bestimmten DRG zugeordnet ("Groupierung"),
anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalen-Katalogs die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird (vgl
BSG 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2; BSG 25.11.2010, B 3 KR 4/10 R, BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr 21).
Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert in aller Regel mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung.
Demgemäß müssen beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus grundsätzlich die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegen,
wobei unter Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ein Krankheitszustand zu verstehen ist, dessen Behandlung den Einsatz der
besonderen Mittel eines Krankenhauses erfordert. Eine Krankenkasse ist nach §
109 Abs
4 Satz 3
SGB V verpflichtet, die vereinbarten Entgelte zu zahlen, wenn eine Versorgung im Krankenhaus durchgeführt und iSv §
39 SGB V erforderlich (gewesen) ist. Konkret umfasst die Krankenhausbehandlung alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere
der Krankheit für die medizinische Versorgung eines Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung,
Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung (§
39 Abs
1 Satz 3
SGB V).
Die Versicherte war vorliegend berechtigt, die vollstationäre Krankenhausbehandlung in Anspruch zu nehmen. Dies wird vom MDK
bestätigt und überdies auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Die Beteiligten stimmen ferner darin überein, dass
bei der Aufnahme der Versicherten zur stationären Behandlung eine Infektion und mindestens zwei Kriterien, die ein systemisches
inflammatorisches Response-Syndroms (SIRS) belegen, vorlagen. Auch die Beklagte hat eingeräumt, dass die "Positivkriterien"
nach dem SIRS-Katalog der Fachgesellschaften erfüllt sein mögen. Streitig ist, ob dies ausreicht, um als Hauptdiagnose eine
"Sepsis durch Streptococcus pneumoniae (A40.3) diagnostizieren zu können. Denn davon hängt es ab, ob die Behandlung der von
der Klägerin abgerechneten DRG zuzuordnen ist.
Die Kodierregel in DKR 2016 0103f enthält Vorgaben für Kodierung einer Bakteriämie (bakterielle Infektion), einer Sepsis,
einer Neutropenie und einem SIRS. Von einer Bakteriämie spricht man bei kulturellem Nachweis von Bakterien im Blut. Es handelt
sich um einen mikrobiologischen Befund, dem eine Diagnose zugeordnet werden muss (Hagel/Pletz/Brunkhorst/Seifert/Kern, Bakteriämie und Sepsis, Der Internist 2013, 399). Demensprechend verlangt die genannte Kodierregel, dass eine Bakteriämie
mit einem Kode aus A49.- Bakterielle Infektion, nicht näher bezeichneter Lokalisation oder einem anderen Kode, der spezifisch den Erreger benennt, zugeordnet werden muss. Bei Sepsis, schwerer Sepsis und septischem Schock handelt es sich hingegen um klinische Diagnosen,
die eines positiven mikrobiologischen Befunds nicht zwingend bedürfen (Hagel/Pletz/Brunkhorst/Seifert/Kern, aaO). Dies galt jedenfalls bis zum 01.02.2015. Nach der S 2 Leitlinie: Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der
Sepsis der Deutschen Sepsis-Gesellschaft und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin,
die bis zum 01.02.2015 gültig war und zurzeit überprüft wird, ist Sepsis eine komplexe systemische inflammatorische Wirtsreaktion
auf eine Infektion. Es gab nach dem letzten Stand der Leitlinie am 01.02.2015 keinen Parameter, der allein zur Diagnose der
Sepsis führen kann. Sepsis, schwere Sepsis und septischer Schock definieren nach dieser Leitlinie ein Krankheitskontinuum,
das über eine Kombination aus Vitalparametern, Laborwerten, hämodynamischen Daten und Organfunktionen definiert wird. Für
die Diagnose einer Sepsis enthielt die Leitlinie entsprechend den Konsensusempfehlungen der ACCP/SCCM (American College of
Chest Physicians/Society of Critical Care) bestimmte Diagnosekriterien, die erfüllt sein müssen. Danach kann eine Sepsis diagnostiziert
werden, wenn die Diagnose einer Infektion über den mikrobiologischen Nachweis oder durch klinische Kriterien (also auch bei
nur vermuteter Infektion, vgl Hagel/Pletz/Brunkhorst/Seifert/Kern, aaO), gestellt werden kann, und zusätzlich mindestens zwei der sog SIRS-Kriterien erfüllt sind. Diese SIRS-Kriterien sind
nach der Leitlinie:
- Fieber (?38°C) oder Hypothermie (?36°C) bestätigt durch eine rektale oder intravasale oder -vesikale Messung
- Tachykardie: Herzfrequenz90 /min
- Tachypnoe (Frequenz20/min) o. Hyperventilation (PaCO4.3 kPa/33 mmHg)
- Leukozytose (?12000/mm3) oder Leukopenie (?4000/mm3) oder10% unreife Neutrophile im Differentialblutbild.
Mindestens zwei dieser SIRS-Kriterien lagen bei der Aufnahme der Patientin am 09.05.2016 vor. Auch hatten zwei abgenommene
Blutkulturen den Nachweis einer Infektion mit dem Erreger Streptococcus pneumoniae im Blut der Patientin ergeben. Dies steht
für den Senat aufgrund des Vortrags der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren fest. Dieser Sachverhalt wird auch weder
von der Beklagten noch dem MDK in Zweifel gezogen. Damit sind die von der S 2-Leitlinie geforderten Voraussetzungen für den
Nachweis und die Diagnose einer Sepsis erfüllt.
Allerdings werden die Kriterien, die zum Nachweis bzw der Diagnose einer Sepsis führen, seit 2014 überarbeitet. Nach der neuen
sog Sepsis-3-Definition (die erste Sepsis-Definition wurde 1992, die zweite 2001 veröffentlicht) steht nunmehr - wie vom MDK
vertreten - das lebensbedrohliche Organversagen im Mittelpunkt. Sepsis ist jetzt als lebensbedrohliche Organdysfunktion infolge
einer dysregulierten Immunantwort auf eine mutmaßliche Infektion definiert (Deutsches Ärzteblatt 2017; 114 <29-30>: A-1424
/ B-1196 / C-1170). Eine solche lebensbedrohliche Situation lag bei der Patientin (noch) nicht vor. Unter Zugrungelegung der
neuen Sepsis-Definition (Sepsis-3) hätte eine Sepsis wohl nicht diagnostiziert werden dürfen.
Allerdings hat der "Paradigmenwechsel" im Verständnis der Sepsis bislang in Deutschland noch keinen Eingang in Leitlinien
gefunden. Auch die ICD-10-Klassifikation und die DKR 2016 haben den "Paradigmenwechsel" noch nicht nachvollzogen. In den FAQ
des DIMDI werden unter Nr 1007 und der Überschrift "Was versteht man unter SIRS (Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom)?"
folgende Hinweise erteilt:
"Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und die Deutsche Sepsis-Gesellschaft (DSG)
beschreiben SIRS bzw dessen Organkomplikationen folgendermaßen:
Die nachfolgenden SIRS-Kriterien sind nur auf Patienten ab dem vollendeten 16. Lebensjahr (?16 Jahre) anwendbar!
Der Nachweis der nachfolgenden Kriterien (einschließlich derjenigen der Organkomplikationen) muss im Einzelfall unter Würdigung
ggf anderer, gleichzeitig bestehender Krankheitszustände bewertet werden.
Die jeweiligen Kriterien eines SIRS infektiöser Genese ohne Organkomplikation(en) (Sepsis) sowie derjenigen eines SIRS infektiöser
Genese mit Organkomplikation(en) (schwere Sepsis) müssen maßgeblich durch die Infektion begründet sein. Dies gilt auch für
die Kriterien der Organkomplikation(en) eines SIRS infektiöser Genese.
Voraussetzung für ein SIRS infektiöser Genese ist immer die Diagnose einer Infektion über den mikrobiologischen Nachweis oder
durch klinische Kriterien.
Für das Vorliegen eines SIRS infektiöser Genese ohne Organkomplikation(en) müssen folgende Faktoren erfüllt sein:
- Abnahme von mindestens 2 Blutkulturen (jeweils aerobes und anaerobes Pärchen)
Die beiden folgenden Konstellationen werden unterschieden:
1. Negative Blutkultur, jedoch Erfüllung aller vier der folgenden Kriterien
...
2. Positive Blutkultur, und Erfüllung von mindestens zwei der folgenden Kriterien:
- Fieber (größer oder gleich 38,0° C) oder Hypothermie (kleiner oder gleich 36,0°C) bestätigt durch eine rektale, intravasale
oder intravesikale Messung
- Tachykardie mit Herzfrequenz größer oder gleich 90/min
- Tachypnoe (Frequenz größer oder gleich 20/min) oder Hyperventilation (bestätigt durch Abnahme einer arteriellen Blutgasanalyse
mit PaCO2 weniger oder gleich 4,3 kPa bzw 33 mmHg)
- Leukozytose (größer oder gleich 12.000/mm3) oder Leukopenie (kleiner oder gleich 4.000/mm3) oder 10% oder mehr unreife Neutrophile im Differentialblutbild
..."
Diese Hinweise beruhen ersichtlich auf den in der S 2-Leitlinie festgehaltenen (früheren) Konsensus-Empfehlungen. Soweit sie
den Nachweis einer positiven Blutkultur nach Abnahme von mindestens zwei Blutkulturen verlangen, wurde dieser Nachweis von
der Klägerin erbracht. Dies wird auch von der Beklagten nicht mehr bestritten. Darüber hinaus sind die Kriterien einer Tachykardie
mit Herzfrequenz größer oder gleich 90/min und einer Leukozytose größer oder gleich 12.000/mm3 ebenfalls erfüllt.
Die Kodierung einer Sepsis kann nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Erkrankung noch nicht lebensbedrohlich war oder weil
die Klinik kein bestimmtes vom MDK für erforderlich gehaltenes Behandlungsmanagement durchgeführt hat. Beides ist weder in
der ICD-10-Klassifikation noch in den DKR 2016 noch in den Hinweisen der FAQ Nr 1007 als Voraussetzung für die Kodierung einer
Sepsis enthalten. Auch der Verweis der Beklagten auf die erforderliche Gesamtbetrachtung steht der Kodierung als Sepsis nicht
entgegen. Die Bewertung der Befunde muss im Hinblick auf ggf andere, gleichzeitig bestehende Krankheitszustände erfolgen und
es muss feststehen, dass die Sepsis-Kriterien maßgeblich durch die Infektion begründet sind. Die Beklagte und der MDK vermochten
dem Senat nicht plausibel zu machen, welche andere Krankheitszustände der Patientin außer der nachgewiesenen Infektion das
Fieber, die erhöhte Herzfrequenz und die Leukozytose verursacht haben könnten. Soweit deshalb eine Sepsis schon dann kodiert
werden darf, wenn beim Nachweis einer Bakteriämie (positive Blutkultur) zusätzlich zwei der sog SIRS-Kriterien erfüllt sind,
ohne dass bereits eine lebensbedrohliche Organkomplikation eingetreten ist, muss dies hingenommen werden, solange die DKR
oder die ICD-10-Klassifikation hierzu keine eindeutigen Regelungen enthalten. Wie zu entscheiden ist, wenn neue Leitlinien
vorliegen, die dann möglicherweise mit den in der FAQ Nr 1007 enthaltenen Hinweisen nicht (mehr) übereinstimmen, lässt der
Senat offen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO, da weder Klägerin noch Beklagte zu den in §
183 SGG genannten Personen gehören.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Hs 1
SGG iVm §§ 1 Abs 2 Nr
3, 63 Abs 2, 52 Abs 1 und Abs 3, 47 GKG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Maßgebend sind die im Behandlungsjahr 2016 geltenden Abrechnungsbestimmungen.