Anspruch auf Arbeitslosengeld
Ruhen wegen des Eintritts einer Sperrzeit bei Kündigung eines Beschäftigungsverhältnisses in Großbritannien
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Arbeitslosengeld streitig.
Der im Jahr 1986 geborene Kläger schloss mit der K. GmbH am 07.04.2014 einen Aufhebungsvertrag zum 30.04.2014, woraufhin sich
der Kläger arbeitslos meldete und Arbeitslosengeld beantragte. Mit den Bescheiden vom 07.05.2014 verfügte die Beklagte unter
anderem ein Ruhen des Arbeitslosengeldes aufgrund einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen Lösung des Beschäftigungsverhältnisses
für die Zeit vom 01.05.2014 bis zum 23.07.2014 unter Hinweis darauf, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld vollständig erlöschen
könne, wenn der Kläger Anlass zum Eintritt von Sperrzeiten mit einer Dauer von zusammengerechnet 21 Wochen gegeben habe. Sodann
war der Kläger vom 12.05.2014 bis zum 31.05.2015 bei S., vom 01.06.2015 bis zum 28.02.2016 bei F. und ab 01.03.2016 bei B.
in Großbritannien beschäftigt. Wegen einer von ihm beabsichtigten neunmonatigen Weltreise und anschließenden Rückkehr nach
Deutschland kündigte der Kläger dieses Beschäftigungsverhältnis am 01.06.2017 zum 30.06.2017. Der Kläger unternahm vom 01.07.2017
bis zum 10./11.04.2018 eine Weltreise, hielt sich ab 10./11.04.2018 in Großbritannien auf und kehrte am 25.04.2018 nach Deutschland
zurück.
Am 02.05.2018 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. In dem Formular "U1 - Coordination of Social
Security System" vom 18.05.2018 wurden für die Zeit bis zum 30.06.2017 "Income from employment" und bis zum 07.04.2018 "Insured
employment" bestätigt. Mit Bescheid vom 06.06.2018 lehnte die Beklagte die Gewährung von Arbeitslosengeld ab. Sie führte zur
Begründung aus, der Kläger könne seinen früheren Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht mehr geltend machen, da seit seiner Entstehung
am 01.05.2014 mehr als vier Jahre vergangen seien. Hiergegen erhob der Kläger am 14.06.2018 mit der Begründung Widerspruch,
er habe, da die für ihn zuständige Agentur für Arbeit am 01.05.2018 nicht geöffnet gewesen sei, den Antrag auf Arbeitslosengeld
erst am 02.05.2018 stellen können. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger
habe keinen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben, da er in der die Zeit vom 02.05.2016 bis zum 01.05.2018 umfassenden
Rahmenfrist nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Die für die Geltendmachung seines früheren Anspruchs auf
Arbeitslosengeld einzuhaltende Vier-Jahres-Frist sei fruchtlos verstrichen, da eine wirksame persönliche Arbeitslosmeldung
rückwirkend zum 01.05.2018 ausgeschlossen sei, weil sein früheres Beschäftigungsverhältnis in Großbritannien bereits am 07.04.2018
geendet habe und somit der 01.05.2018 nicht der erste Tag der Beschäftigungslosigkeit gewesen sei.
Hiergegen hat der Kläger, der am 01.07.2018 wieder ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen hatte, am 11.07.2018 Klage zum
Sozialgericht (SG) Stuttgart mit der Begründung erhoben, dass sein früheres Beschäftigungsverhältnis in England bereits am 30.06.2017 geendet
habe und er erst am Abend des 25.04.2018 nach Deutschland zurückgekehrt sei.
Auf gerichtlichen Hinweis hat die Beklagte zwar eingeräumt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht erloschen sei, da
die Vier-Jahres-Frist aufgrund des gesetzlichen Feiertags am 01.05.2018 tatsächlich erst am 02.05.2018 geendet habe. Sie hat
jedoch unter Hinweis auf die bereits mit Bescheid vom 07.05.2014 bindend festgestellte zwölfwöchige Sperrzeit mit Bescheid
28.11.2018 den Antrag auf Arbeitslosengeld vom 02.05.2018 abgelehnt, da der Anspruch auf Arbeitslosengeld erloschen sei, weil
der Kläger erneut Anlass für den Eintritt einer Sperrzeit gegeben habe. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis bei
B. in Großbritannien durch seine Kündigung gelöst. Er habe voraussehen müssen, dass er dadurch arbeitslos würde. Anhaltspunkte
für das Vorliegen eines wichtigen Grundes seien nicht zu erkennen. Die Sperrzeit dauere zwölf Wochen. Damit habe der Kläger
Anlass zum Eintritt von Sperrzeiten mit einer Gesamtdauer von mindestens 21 Wochen gegeben. Zusammengerechnet würden alle
Sperrzeiten, die innerhalb von zwölf Monaten vor Entstehung, im Zusammenhang mit der Entstehung und nach Entstehung des Anspruchs
auf Leistung eingetreten seien. Über die Rechtsfolgen sei der Kläger mit Bescheid vom 07.05.2014 ausführlich belehrt worden.
Mit Urteil vom 04.06.2019 hat das SG Stuttgart den Bescheid der Beklagten vom 06.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19.06.2018 sowie des Bescheides vom 28.11.2018 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für
die Zeit vom 02.05.2018 bis zum 30.06.2018 zu gewähren. Der am 01.05.2014 erworbene Anspruch sei nicht deswegen erloschen,
weil der Kläger Anlass für den Eintritt von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben habe, da
die mit Bescheid vom 28.11.2018 verfügte zwölfwöchige Sperrzeit rechtswidrig sei. Die Aufgabe eines Beschäftigungsverhältnisses
in Großbritannien könne keine Sperrzeit nach dem
SGB III auslösen. Denn §
30 Abs.
1 SGB I beschränke den Geltungsbereich des SGB auf Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dessen Geltungsbereich
hätten, was beim Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses bei B. aufgrund seines Wohnsitzes in
Großbritannien nicht der Fall gewesen sei. Ferner gälten nach §
1 Abs.
1 Satz 2
SGB IV die Vorschriften des
SGB IV mit Ausnahme des Ersten und Zweiten Titels des Vierten und Fünften Abschnitts des
SGB IV auch im Arbeitsförderungsrecht. Dazu zähle insbesondere auch §
3 SGB IV, nach welchem auch in der Arbeitsförderung das sogenannte Territorialitätsprinzip gelte. Danach erfassten die Vorschriften
des
SGB III nur Sachverhalte, die im Inland einträten, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Auch unter Berücksichtigung europarechtlicher
Vorschriften ergebe sich kein anderes Ergebnis. Länderübergreifende Sperrzeitvorschriften seien darin nicht geregelt. Würde
man den Eintritt einer Sperrzeit bei Aufgabe einer Tätigkeit im Ausland annehmen, die nur unter bestimmten Voraussetzungen
bei einem neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem
SGB III überhaupt zu berücksichtigen wäre, führte dies zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber einer Person, die
während ihres Auslandsaufenthalts keiner Beschäftigung nachgegangen sei. Dies wäre mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach
Art. 45 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht zu vereinbaren.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 13.06.2019 zugestellte Urteil des SG Stuttgart am 09.07.2019 Berufung zum Landessozialgericht
(LSG) Baden-Württemberg erhoben. Die außerhalb des Geltungsbereichs des
SGB III erfolgte Kündigung des Klägers könne eine Sperrzeit begründen. §
30 SGB I stelle keine Vorschrift zur Behandlung von Auslandssachverhalten dar, sondern regele lediglich den persönlichen Geltungsbereich
des SGB, also die Frage, ob das SGB auf eine bestimmte natürliche oder juristische Person Anwendung finde. Daraus ergebe sich,
dass das
SGB III grundsätzlich auf den Kläger ab dem Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Deutschland und seiner Arbeitslosmeldung Anwendung finde.
Die Beantwortung der Frage, ob der Kläger schuldhaft seine Arbeitslosigkeit durch eine Kündigung herbeigeführt habe, stelle
hingegen keine Anwendung des
SGB III an sich dar. Es handele sich vielmehr um die Prüfung eines einzelnen Tatbestandsmerkmales auf dem Weg zur Entscheidung über
den Eintritt einer Sperrzeit nach §
159 SGB III. Bei der Sperrzeitregelung handele es sich um die Sanktionierung eines Verhaltens, ohne dass es darauf ankomme, wo dieses
Verhalten stattgefunden habe. §
3 SGB IV ändere hieran nichts, da diese Vorschrift in erster Linie die Anwendbarkeit der Vorschriften des
SGB IV auf die Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung im Hinblick auf eine gegenwärtige versicherungsrechtliche Beurteilung
eines Sachverhaltes regele. Ihre Entscheidung führe auch zu keiner ungerechtfertigten Schlechterstellung des Klägers gegenüber
demjenigen, der sich ohne eine Arbeitsaufnahme ins Ausland begebe. Das SG Stuttgart vergleiche hier Sachverhalte, die sich
wesentlich unterschieden und deshalb nicht vergleichbar seien. Vergleichbar wäre vielmehr der Arbeitnehmer, der sich wie der
Kläger verhalte, dies aber im Inland tue. Bei diesem würde bei ansonsten gleicher Sachlage eine Sperrzeit festgestellt. Gründe,
den Kläger besser zu stellen, seien nicht erkennbar. Europarechtliche Regelungen würden die vom SG Stuttgart getroffene Entscheidung
ebenfalls nicht begründen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.06.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
An dem Sachverhalt habe sich mit der Berufung nichts geändert.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§
143 und
144 SGG statthafte, nach §
151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das von der Beklagten angefochtene Urteil des SG Stuttgart vom 04.06.2019, der Bescheid
der Beklagten vom 06.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2018 sowie des nach §
96 Abs.
1 SGG einzubeziehenden Bescheides vom 28.11.2018. Der Kläger begehrt mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach
§
54 Abs.
1 Satz 1 Alt. 1, Abs.
4 SGG die Aufhebung dieser Bescheide und die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 02.05.2018 bis zum 30.06.2018.
Das SG Stuttgart hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat für die Zeit vom 02.05.2018 bis zum 30.06.2018 keinen
Anspruch auf die Gewährung von Arbeitslosengeld.
1. Zum einen sind die Voraussetzungen des § 137 Abs. 1 in Verbindung mit §
142 Abs.
1 Satz 1, §
143 Abs.
1 SGB III in Verbindung mit §
24 Abs.
1 und §
25 Abs.
1 SGB III sowie §
7 Abs.
1 SGB IV nicht gegeben.
Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat, wer 1. arbeitslos ist, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos
gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat (§
137 Abs.
1 SGB III). Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis
gestanden hat (§
142 Abs.
1 Satz 1
SGB III). Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch
auf Arbeitslosengeld (§
143 Abs.
1 SGB III). In einem Versicherungspflichtverhältnis stehen Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig
sind (§
24 Abs.
1 SGB III). Versicherungspflichtig sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (§
25 Abs.
1 Satz 1
SGB III). Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§
7 Abs.
1 Satz 1
SGB IV). Die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung gelten, soweit sie eine Beschäftigung
oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich des SGB beschäftigt oder selbständig
tätig sind (§
3 Abs.
1 SGB IV). Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt (§
6 SGB IV). Insoweit ist die EGV 883/2004 zu berücksichtigen.
Der Kläger hat in der zweijährigen Rahmenfrist vom 02.05.2016 bis zum 01.05.2018 die zwölfmonatige Anwartschaftszeit nicht
erfüllt, da es sich bei der innerhalb dieses Zeitraums bis zum 30.06.2017 bei B. in Großbritannien durchgeführten Beschäftigung
nicht um eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des §
25 Abs.
1 Satz 1
SGB III gehandelt hat. Denn diese Beschäftigung ist nicht im Geltungsbereich des SGB ausgeübt worden. Zwar berücksichtigt der zuständige
Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs von Beschäftigungszeiten abhängig
ist, soweit erforderlich, die Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt
wurden, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären (Art. 61 Abs. 1 EGV 883/2004) und werden, wenn nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften der Leistungsanspruch von der Zurücklegung von Versicherungszeiten
abhängig ist, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Beschäftigungszeiten berücksichtigt,
wenn sie als Versicherungszeiten gegolten hätten, wenn sie nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären
(Art. 61 Abs. 1 Satz 2 EGV 883/2004). Allerdings gilt dies nur unter der Voraussetzung, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor nach den Rechtsvorschriften,
nach denen die Leistungen beantragt werden, Beschäftigungszeiten, sofern diese Rechtsvorschriften Beschäftigungszeiten verlangen,
zurückgelegt hat (Art. 61 Abs. 2 EGV 883/2004). Es müsste also vorliegend unmittelbar vor Geltendmachung des Arbeitslosengeldes eine Versicherungszeit nach den
deutschen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sein. "Unmittelbar vor Geltendmachung" bedeutet, dass unabhängig von der
zwischen der Beendigung der letzten Versicherungszeit und dem Antrag auf Leistungen verstrichenen Zeit in der Zwischenzeit
keine weitere Versicherungszeit in einem anderen Mitgliedsstaat zurückgelegt worden sein darf (EuGH, Urteil vom 11.11.2004
- C-372/02, SozR 4-6050 Art. 71 Nr. 4, juris Nr. 52; BSG, Urteil vom 17.03.2015 - B 11 AL 12/14 R, SozR 4-4300 § 131 Nr. 6, juris Rn. 19). Dies ist aber vorliegend der Fall, da der Kläger nach seiner bis zum 30.04.2014
in Deutschland ausgeübten Beschäftigung bis zu seiner am 02.05.2018 erfolgten Arbeitslosmeldung Beschäftigungen in Großbritannien
und danach keine weitere Beschäftigung in Deutschland ausgeübt hat.
2. Zum anderen ist der am 01.05.2014 entstandene Anspruch auf Arbeitslosengeld nach §
161 Abs.
1 Nr.
2 SGB III erloschen.
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld erlischt, wenn die oder der Arbeitslose Anlass für den Eintritt von Sperrzeiten mit einer
Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben hat, über den Eintritt der Sperrzeiten schriftliche Bescheide erhalten hat
und auf die Rechtsfolgen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen hingewiesen worden
ist; dabei werden auch Sperrzeiten berücksichtigt, die in einem Zeitraum von zwölf Monaten vor der Entstehung des Anspruchs
eingetreten sind und nicht bereits zum Erlöschen eines Anspruchs geführt haben (§
161 Abs.
1 Nr.
2 SGB III).
Vorliegend hat der Kläger Anlass für den Eintritt von Sperrzeiten im Sinne des §
159 SGB III mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben.
Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben,
ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit (§
159 Abs.
1 Satz 1
SGB III). Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch
vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (§
159 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 Alt. 1
SGB III).
Der Kläger hat mit dem Aufhebungsvertrag vom 07.04.2014 sein Beschäftigungsverhältnis bei der K. GmbH zum 30.04.2014 gelöst
und damit ausweislich der bestandskräftigen Bescheide vom 07.05.2014 Anlass für den Eintritt einer Sperrzeit mit einer Dauer
von zwölf Wochen gegeben. Der Kläger hat mit seiner am 01.06.2017 erfolgten Kündigung sein Beschäftigungsverhältnis bei B.
in Großbritannien zum 30.06.2017 gelöst. Da dieser Kündigung die von ihm beabsichtigte und sodann vom 01.07.2017 bis zum 10./11.04.2018
unternommene Weltreise zu Grunde gelegen hat, hat ihm für die Lösung dieses Beschäftigungsverhältnisses kein wichtiger Grund
zur Seite gestanden. Er hat hierdurch mithin Anlass für den Eintritt einer weiteren Sperrzeit mit einer Dauer von zwölf Wochen
und damit für Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben.
Entgegen der Ansicht des SG Stuttgart steht der Verwirklichung dieses Sperrzeittatbestandes nicht entgegen, dass die Kündigung
vom 01.06.2017 in Großbritannien erfolgt ist.
Zwar gelten nach der vom SG Stuttgart in Bezug genommenen Regelung des §
30 Abs.
1 SGB I die Vorschriften des SGB für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben
und hat der Kläger im Zeitpunkt seiner Kündigung seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Bundesgebiet gehabt.
Damit ist jedoch nicht von vorneherein ausgeschlossen, die Regelung des §
159 SGB III auf eine von einer in Großbritannien wohnenden Person dort ausgesprochene Kündigung anzuwenden. Denn das in §
30 Abs.
1 SGB I zum Ausdruck kommende Territorialitätsprinzip bestätigt lediglich die Tatsache, dass die hoheitliche Wirkungsmöglichkeit
eines Staates an seinen Grenzen endet und kann deshalb im Bereich der Sozialversicherung über die Frage der Versicherungs-
und Beitragspflicht hinaus nur bedeutsam werden, soweit eine hoheitliche Betätigung, insbesondere eine hoheitliche Kontrolle
außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des SGB erforderlich ist (BSG, Beschluss vom 21.12.1971 - GS 6/71, SozR Nr. 13 zu § 1302
RVO, juris Rn. 16). Das Völkerrecht verbietet den Staaten, außerhalb ihrer eigenen Gebietshoheit hoheitliche Maßnahmen im Rahmen
der Gebietshoheit eines anderen Staates vorzunehmen und dort staatlichen Zwang auszuüben. Es verbietet einem Staat aber nicht,
an Sachverhalte mit Auslandsberührung Rechtsfolgen zu knüpfen, sofern der Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen
Rechts sachgerecht ist (Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, 3. Auflage 2018, §
30 Rn. 18). §
30 SGB I regelt nur die Anwendung des jeweiligen SGB, hier des
SGB III, die dann gegeben ist, wenn der Wohnsitz oder ständige Aufenthaltsort einer Person im räumlichen Geltungsbereich des SGB
liegt, bestimmt aber nichts dazu, wie im Ausland gelegene Sachverhalte in der deutschen Rechtsordnung zu behandeln sind, nachdem
das deutsche Recht Anwendung findet (Schneider, ZESAR 2014, 409, 410). Dies bedeutet, dass zwar grundsätzlich vom Territorialitätsprinzip
auszugehen ist, aber Durchbrechungen bei Fragen der Versicherungs- und Beitragspflicht und auf der Leistungsseite zulässig
sind. Mithin kommt dem Territorialitätsprinzip in seiner rechtlichen Bedeutung jedenfalls nicht mehr als der Ausdruck eines
Ordnungsbegriffs bei, dem je nach der Gestaltung der konkreten Sach- und Rechtslage in Bezug auf die Ausdehnung oder Einschränkung
des innerstaatlichen Rechts unterschiedliche Wirkungen zu entnehmen sind. In jedem Einzelfall ist die Prüfung erforderlich,
wovon der Gesetzgeber bei Erlass der spezifischen Vorschrift, die zur Anwendung gelangen soll, ausgegangen ist (BSG, Urteil vom 20.04.1977 - 7 RAr 55/75, SozR 4100 § 80 Nr. 1, juris Rn. 36). Eine solche Einzelprüfung ergibt vorliegend, dass zwar die den Anspruch auf Arbeitslosengeld und das
Erlöschen dieses Anspruchs regelnden Vorschriften der §§
137 und
161 SGB III sowie die das Ruhen des Arbeitslosengeldes regelnde Vorschrift des §
159 Abs.
1 Satz 1, Satz 2 Nr.
1 SGB III auf den Kläger erst ab dem Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Deutschland und seiner Arbeitslosmeldung Anwendung finden, aber
die jeweiligen Tatbestandsmerkmale dieser Vorschriften auch durch Handlungen des Klägers in Großbritannien erfüllt werden
konnten. Dies gilt insbesondere für die vorliegend zu beurteilende, in Großbritannien erfolgte Lösung des Beschäftigungsverhältnisses.
Anders gewendet stellt - wie die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung zutreffend dargelegt hat - die Beantwortung der Frage,
ob der Kläger schuldhaft seine Arbeitslosigkeit durch eine Kündigung herbeigeführt hat, keine Anwendung des
SGB III an sich dar, sondern handelt es sich dabei vielmehr um die Prüfung eines einzelnen Tatbestandsmerkmales auf dem Weg zur Entscheidung
über den Eintritt einer Sperrzeit nach §
159 SGB III und eines Erlöschens nach §
161 SGB III. In der Vergangenheit liegende Sachverhaltselemente, die eine leistungsrechtliche Bedeutung haben können - wie beispielsweise
die vorliegend zu beurteilende Kündigung - sind in die Entscheidung über einen im Bundesgebiet geltend gemachten Anspruch
einzubeziehen.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus der vom SG Stuttgart herangezogenen Regelung des §
3 SGB IV. Denn diese Regelung bestimmt lediglich den Geltungsbereich der Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung.
Mithin lässt sich nach der zutreffenden Argumentation der Beklagten hieraus gerade nicht ableiten, dass damit sämtliche Auslandssachverhalte
rechtlich irrelevant wären.
Auch europarechtliche Regelungen gebieten kein anderes Ergebnis. Zwar unterliegt nach Art. 11 Nr. 3 a EGV 883/2004 eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.
Hieraus folgt aber nicht, dass bei der Prüfung eines im Bundesgebiet geltend gemachten Anspruchs an die Kündigung eines in
einem Mitgliedstaat ausgeübten Beschäftigungsverhältnisses keine Rechtsfolgen nach deutschem Recht geknüpft werden können,
zumal nach Art. 11 Nr. 3 c EGV 883/2004 eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhält, den
Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung auf Personen, die Arbeitslosengeld
nach dem
SGB III beantragen beziehungsweise Ansprüche aus einem nach dem
SGB III erworbenen Anspruch geltend machen, liegt nahe. Dies hat zur Folge, dass in solchen Konstellationen eben gerade die Rechtsvorschriften
des
SGB III und damit auch die Sperrzeitregelung des §
159 SGB III Anwendung finden.
Die Anwendung des §
159 SGB III auf die in Großbritannien erfolgte Kündigung eines dort ausgeübten Beschäftigungsverhältnisses verstößt auch nicht gegen
Art. 45 AEUV, wonach innerhalb der Union die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet ist. Die Verhängung einer Sperrzeit und das
vorliegend hieraus folgende Erlöschen eines inländischen Arbeitslosengeldanspruchs hindert den Kläger nicht daran, erneut
in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Beschäftigung auszuüben.
Die Feststellung eines Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen einer Sperrzeit aufgrund einer im Ausland erfolgten
Kündigung verstößt nicht gegen Art.
3 Abs.
1 GG, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Der Gleichheitssatz enthält das Gebot, weder wesentlich Gleiches willkürlich
ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln (Burghart in: Leibholz/Rinck,
GG, 79. Lieferung 10/2019, Art.
3 Rn. 27). Entgegen der Ansicht des SG Stuttgart wird der Kläger gegenüber demjenigen, der sich ohne eine Arbeitsaufnahme ins
Ausland begibt, nicht ungerechtfertigt schlechter gestellt. Das SG Stuttgart vergleicht hier Sachverhalte, die sich wesentlich
unterscheiden und deshalb nicht gleich zu behandeln sind. Vergleichbar ist eine im Ausland beschäftigte Person, die ihr Beschäftigungsverhältnis
kündigt, mit einer im Inland beschäftigten Person, die ihr Beschäftigungsverhältnis kündigt. Beide Sachverhalte sind nach
der Überzeugung des Senats im Sinne der Verhängung einer Sperrzeit gleich zu behandeln. Der Senat hat keine Idee, warum eine
im Ausland kündigende Person gegenüber einer im Inland kündigenden Person bessergestellt werden sollte.
Der Kläger hat über den Eintritt der Sperrzeiten schriftliche Bescheide erhalten und ist auf die Rechtsfolgen des Eintritts
von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen hingewiesen worden. Denn die Beklagte hat in ihrem Bescheid
vom 07.05.2014 darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld vollständig erlöschen könne, wenn der Kläger Anlass
zum Eintritt von Sperrzeiten mit einer Dauer von zusammengerechnet 21 Wochen gegeben habe.
Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG Stuttgart vom 04.06.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG gegeben ist.