Anerkennung eines Halswirbelsäulentraumas als Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente.
Der 1965 geborene Kläger erlitt am 12. Januar 1999 einen Autounfall. Am Unfalltag diagnostizierte der Durchgangsarzt Dr. H.
eine Sprunggelenksdistorsion rechts, Handgelenksdistorsion rechts, Prellung am linken Knie und an der Brustwirbelsäule (BWS).
Die Halswirbelsäule (HWS) war frei beweglich. Am 5. März 1999 berichtete der Orthopäde Dr. S. über eine Blockierung im Halswirbelsäulenbereich
und Schmerzen am Hand- und Sprung-gelenk. Im Schreiben vom 30. April 1999 erklärte der Kläger, einen Tag nach dem Unfall sei
es zu starken Schmerzen im HWS/BWS-Bereich gekommen. Den Kopf habe er nicht durch eigene Muskelkraft halten können. Das Sprunggelenk
sei nicht belastbar gewesen, das Handgelenk habe er nicht mehr bewegen können. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des Handgelenks
vom 17. November 1999 zeigte eine Kapselläsion im Daumenendgelenk mit Verdacht auf Bandausriss, ein MRT des Sprunggelenks
vom 20. Oktober 2000 beginnende arthrotische Veränderungen, keinen eindeutigen Nachweis einer posttraumatischen Läsion. Ein
MRT der Hand vom gleichen Tag zeigte eine geringgradige Ulna-minus-Variante, keine Fraktur und keine eindeutige Weichteilpathologie.
Ein MRT vom 9. November 2000 bestätigte den Verdacht. auf eine scapholunäre Dissoziation und eine diskrete Rotationskomponente
des Os lunatum der Hand.
Der Augenarzt Dr. H. diagostizierte am 6. Dezember 2000 eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung nach HWS-Syndrom.
Im Gutachten vom 10. Dezember 2001 führten die Unfallchirurgen Prof. Dr. H. und Dr. S. aus, die Beschwerden am Sprunggelenk
und Veränderungen am Os tibiale seien wahrscheinlich nicht durch den Unfall beeinflusst. Ein kausaler Zusammenhang zwischen
den Myogelosen an der Halswirbelsäule mit dem Unfall sei nicht gegeben. Die Gesichtsfeldeinschränkung führe zu keiner Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE). Insgesamt sei die MdE wegen der Unfallfolgen mit 5 v.H. einzuschätzen.
Dr. H. erklärte im Gutachten vom 14. Mai 2002, die Gesichtsfeldaußengrenzen seien frei. Durch Verletzungen im Bereich der
Halswirbelsäule sei es zu Anspannungen der Nackenmuskulatur gekommen, die zu einer Gefäßzeichnung am Fundus mit Druckgefühl
hinter den Augen geführt hätten und eine MdE von unter 10 v.H. bedingten.
Der Orthopäde Dr. M. führte im Gutachten für die H. Versicherung vom 9. Januar 2002 aus, es bestehe ein Dauerschaden des Sprunggelenks
von 1/10 Beinwert und des Handgelenks und Daumens von 1/5 Armwert. Da der Kläger vor dem Unfall keinerlei Beschwerden gehabt
habe, seien die Schäden durch den Unfall verursacht worden.
Der Chirurg Dr. O. wies in einem Gutachten vom 2. März 2001 zur Vorlage bei der Versicherung und einem Attest vom 29. Dezember
2000 darauf hin, beim Kläger liege anlagemäßig an beiden Sprunggelenken ein zusätzlicher Knochen neben dem Kahnbein vor. Auf
der linken Seite sei dieser Zusatzknochen mit dem Kahnbein selbst verbunden, auf der rechten Seite sei eine Pseudarthrose
nachzuweisen. Die Beschwerden seien auf den Unfall zurückzuführen. Im Gutachten vom 17. Juli 2003 führte Dr. O. aus, es sei
zu einer Verletzung des Handgelenks mit belastungsschmerzhafter Instabilität gekommen. Die Halswirbelsäule sei gezerrt worden.
Die schmerzhaften Muskelverspannungen im Nacken- und Schulterbereich seien aber nicht mehr Unfallfolge. Die Gesichtsfeldeinschränkung
sei mittlerweile vergangen. Der Kläger gebe aber glaubhaft an, dass er sich beim Unfall am Sprunggelenk verletzt habe. Es
sei eine mehr als ausreichende Wahrscheinlichkeit gegeben, dass die Veränderungen am Fuß - unfallbedingte Trennung der vormals
festen Verbindung des Zusatzknochens - Unfallfolge seien. Die MdE sei mit 20 v.H. zu bewerten.
Hierzu erklärte der Unfallchirurg Prof. Dr. D. in der Stellungnahme vom 2. September 2003, selbst wenn eine Lockerung am Sprunggelenk
entstanden wäre, sei eine MdE von 20 v.H. deutlich überhöht.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21. Oktober 2003 die Gewährung einer Rente ab. Unfallfolgen seien: eine geringe Bewegungseinschränkung
mit belastungsabhängiger schmerzhafter Instabilität nach Handgelenkszerrung mit Verletzung des scapho-lunären Bandapparates
sowie Zerrung des Daumens mit knöcherner Absprengung der Basis des Endgliedes, folgenlos verheilte Zerrung der Halswirbelsäule
und des Innenknöchels.
Im Widerspruchsverfahren führte der Unfallchirurg Prof. Dr. W. im Gutachten vom 15. Mai 2005 aus, Einschränkungen der Beweglichkeit
der Halswirbelsäule ließen sich lediglich bei Seitneigung feststellen. Es bestehe eine leichte Verspannung der Rücken-/Nackenmuskulatur.
Die funktionell nicht bedeutenden Einschränkungen der Sprunggelenksbeweglichkeit könnten auf das Unfallereignis zurückgeführt
werden. Die Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit sowie die radiologisch feststellbaren Folgen an der Endgliedbasis des
Daumens seien ebenfalls Unfallfolgen. Nicht bewiesen sei das Vorliegen einer scapho-lunären Dissoziation. Die kernspintomographischen
Aufnahmen bestätigten dies nicht. Es sei ebenfalls nicht gesichert, dass eine naturgegebene Verbindung zwischen dem Os naviculare
und dem Os tibiale sich durch das Unfallereignis gelockert habe. Die MRT-Untersuchungen zeigten keinerlei Veränderungen, die
darauf hinwiesen. Die MdE sei mit 10 v.H. einzuschätzen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2005 zurück.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren zog das Sozialgericht Landshut Unterlagen des Orthopäden Dr. A. bei. Darin befindet
sich ein Schreiben des Klinikums D.: der Kläger berichte über Schluckbeschwerden seit Februar 1999. Ein MRT der Halswirbelsäule
vom 4. Juni 1999 habe eine geringe Arthrose, sonst keine degenerativen und keine posttraumatischen Veränderungen gezeigt.
Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Dr. M. führte im Gutachten vom 15. Juni 2007 aus, der
Kläger habe eine HWS-Distorsion Grad I erlitten, die nach zwei bis vier Wochen folgenlos ausheile. Die aktuellen Beschwerden
könnten mit dem Unfall nicht in Verbindung gebracht werden. Am Handgelenk sei es zu einer Weichteilverletzung gekommen. Die
Beweglichkeit sei - wie am Daumen - allenfalls endgradig eingeschränkt. Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung der Hand
sei nicht gegeben. Der Muskelumfang sei um einen Zentimeter kräftiger als auf der linken Seite, dies entspreche den normalen
Verhältnissen eines Rechtshänders. Am Sprunggelenk zeige sich eine endgradige Bewegungseinschränkung. Dies beweise eine gute
Ausheilung, denn die Beweglichkeit liege noch im Normbereich. Die Belastbarkeit sei allerdings glaubhaft eingeschränkt. Insgesamt
sei bei zwei leichtgradigen Behinderungen eine MdE um 10 v.H. anzunehmen. Es bestehe keine annähernde Gleichwertigkeit mit
einem völligen Verlust eines Daumens oder der Versteifung eines oberen Sprunggelenks, die eine MdE um 20 v.H. bedingen würden.
Der auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Priv.-Doz. Dr. A. erklärte im Gutachten vom 5. November 2007, die Beschwerden
seien absolut glaubhaft und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unfallbedingt. Die klinischen und radiologischen
Befunde sprächen für arthrotische Veränderungen im Hand- und Sprunggelenk. Die Ruptur des scapho-lunären Bandes sei durch
die MRT-Untersuchungen bewiesen. Da der Kläger vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen sei und die Beschwerden eindeutig nach
dem Unfall aufgetreten seien, sei der Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Beschwerdebild eindeutig. Wegen der Halswirbelsäulen-,
Handgelenks- und Sprunggelenksbeschwerden habe die MdE bis zum 30. Januar 1999 100 v.H. betragen, bis 28. Februar 1999 50
v.H., bis 12. Januar 2000 30 v.H., bis 12. September 2007 20 v.H. und wegen eindeutiger Progredienz ab 13. September 2007
30 v.H.
Mit Urteil vom 25. Januar 2008 wies das Sozialgericht Landshut die Klage ab und stützte sich dabei im Wesentlichen auf die
Ausführungen von Dr. M ...
Zur Begründung der Berufung machte der Kläger geltend, Dr. M. übersehe, dass Anhaltspunkte für eine schwerere Halswirbelsäulendistorsion
vorlägen. Das Sozialgericht habe es versäumt, die Widersprüche zwischen den Ausführungen von Dr. M. und Dr. A. zu überprüfen.
Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Unfallchirurg Dr. C. führte im Gutachten vom 13. Januar 2009 mit radiologischem
Zusatzgutachten von Prof. Dr. D. und Dr. E. sowie in der ergänzenden Stellungnahme vom 14. Juli 2009 aus, ein beschwerdefreies
Intervall nach HWS-Distorsion schließe bereits eine makro-strukturelle Verletzung mit Sicherheit aus. Distorsionen im mikroskopischen
Bereich heilten spätestens nach sechs Wochen aus. Dr. H. habe die am 6. Dezember 2000 diagnostizierte Gesichtsfeldeinschränkung
bei der Untersuchung vom 14. Mai 2002 nicht mehr festgestellt. Eine schwere Distorsionsverletzung des Sprunggelenks sei durch
die Befunde der Kernspintomographie vom 20. Oktober 2000 ausgeschlossen. Eine erhebliche Gangstörung sei zudem nicht zu bemerken.
Die Fußsohlenbeschwielung sei seitengleich. Der Muskelmantel des vom Unfall betroffenen Beins sei kräftiger entwickelt als
der des unverletzten Beins. Gegen eine erhebliche Verletzung der Hand spreche die auch von Dr. O. festgestellte seitengleiche
Beweglichkeit der Schulter-, Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke sowie der Daumengelenke bei fehlenden Zeichen einer muskulären
Seitenasymmetrie zu Ungunsten der verletzten Seite. Eine Gesundheitsschädigung sei weder an der Hand noch am Fuß bewiesen.
Auch die Kernspintomographien des Hand- und Sprunggelenks vom 26. September 2007 bestätigten diese Beurteilung und zeigten
anlagebedingte Veränderungen, dagegen keine Verletzungsfolgen.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 25. Januar 2008 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2003
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Unfallfolgen
Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Landshut die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird
abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§
153 Abs.
2 SGG).
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass auch das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zu keiner anderen Beurteilung
der Sach- und Rechtslage führen konnte. Der vom Senat beauftragte ärztliche Sachverständige Dr. C. hat unter Berücksichtigung
der umfangreichen ärztlichen Unterlagen und Gutachten überzeugend dargelegt, dass wesentliche Unfallfolgen, die eine MdE um
mindestens 20 v.H. begründen könnten, nicht vorliegen.
Ein Halswirbelsäulentrauma, dessen Schwere über den Grad I nach Erdmann hinausginge, ist nicht festzustellen. Eine schwere
Primärverletzung hat offensichtlich nicht vorgelegen, da der Kläger keine entsprechenden Schmerzempfindungen angab. Das Phänomen
des "beschwerdefreien Intervalls" schließt, wie Dr. C. betont, bereits anamnestisch eine makro-strukturelle Verletzung mit
Sicherheit aus. Ein beschwerdefreies Intervall vom Zeitpunkt des Unfalls, der sich gegen 18:30 Uhr ereignete, zumindest bis
in die Nacht hinein - der Kläger gab Beschwerden erst für den nächsten Tag an - spricht gegen einen erheblicheren Schaden
an der Halswirbelsäule. Der Kläger hat zudem gegenüber Dr. H. keine besonderen Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule
angegeben. Bei der klinischen Untersuchung fanden sich keine Auffälligkeiten, die Beweglichkeit der Halswirbelsäule war frei.
Die Kernspintomographie der Halswirbelsäule vom 4. Juni 1999 schloss ligamentäre oder knöcherne Verletzungen aus und zeigte
lediglich eine leichte Arthrose, die unfallunabhängig ist. Distorsionen und strukturelle Verletzungen im mikroskopischen Bereich,
die - wie hier - folgenlos ausheilen, können zwar eine Beschwerdesymptomatologie verursachen im Sinne einer vorübergehenden
Nackensteifigkeit, Muskelhartspannzuständen und einer endgradigen, reversiblen Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule.
Spätestens nach sechs Wochen ist aber von einer folgenlosen Ausheilung auszugehen, so Dr. C ...
Wesentliche Unfallfolgen sind auch am Sprunggelenk nicht festzustellen. Eine schwere Distorsionsverletzung des oberen Sprunggelenks
ist durch die Kernspintomographie vom 20. Oktober 2000 ausgeschlossen, da sich eine regelrechte Abgrenzbarkeit sowohl des
inneren als auch des äußeren Bandapparates fand und lediglich beginnende arthrosetypische Veränderungen. Bei seitengleicher
Beweglichkeit beider Sprunggelenke ohne Muskelminderung ist von einer erheblichen unfallbedingten Verletzung nicht auszugehen.
Der Muskelmantel des verletzten Beines ist im Seitenvergleich sogar kräftiger ausgebildet. Bei der Überprüfung des Gangbildes
ist, so Dr. C., erst bei genauem Hinsehen eine Störung des Abrollvorganges feststellbar. Es handelt sich also um eine funktionell
nicht bedeutende Einschränkung der Sprunggelenksbeweglichkeit. Zudem ist nicht gesichert, dass eine feste Verbindung zwischen
Kahnbein und Os tibiale überhaupt bestanden hat, die sich hätte lockern bzw. Schmerzen hätte verursachen können.
Im Hinblick darauf, dass die Beweglichkeit des rechten Handgelenks gegenüber links nur funktionell unbedeutend vermindert
ist und ein Bewegungsdefizit des Daumens ausgeschlossen ist, wie es auch Prof. Dr. W. beschrieben hat, liegen wesentliche
Verletzungsfolge an der rechten Hand bzw. dem Handgelenk nicht vor. Entscheidend ist, dass eine Dissoziation zwischen Kahn-
und Mondbein nicht zu beweisen ist. Die Kernspintomographie des Handgelenks vom 26. September 2007 zeigt, dass eine Bandläsion
nicht eingetreten ist. Zeichen einer Fraktur oder eines knöchernen Ausrisses lassen sich nicht erkennen. Zu sehen sind anlagebedingte
Veränderungen im Sinne einer Ellenverkürzung. Der Vollbeweis einer bleibenden Gesundheitsschädigung ist nicht gegeben. Dagegen
spricht auch die fehlende Muskelminderung, die Folge einer zu erwartenden Schonung wäre. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.