Kostenerstattung für eine Weiterbildungsmaßnahme
Nichteinhaltung eines Beschaffungsweges
Fehlende Arbeitnehmereigenschaft eines Antragstellers
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Kostenerstattung für eine durchgeführte Weiterbildungsmaßnahme als Kfz-Sachverständiger / Schadensprüfer.
Der 1979 in Hoyerswerda geborene, verheiratete Kläger erwarb im Anschluss an ein vom 1. Oktober 2013 bis zum 31. März 2018
dauerndes Studium der Betriebswirtschaftslehre einen Bachelor-Abschluss („Business Administration“). Am 11. Mai 2017 meldete
er eine Tätigkeit als „Restwertbieter / Restwertaufkäufer der deutschen Versicherungen, Automobilvertrieb (An- und Verkauf
von gebrauchten Fahrzeugen), Smart- und Spotrepair (im Lackierverfahren), Fahrzeugtransport / Fahrzeugüberführung, Fahrzeugaufbereitung
(incl. Sattlerarbeiten), An- und Verkauf von Fahrzeugersatzteilen“ an. Vom 1. April 2018bis Mai 2019 bezog der Kläger aufstockend
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Anlässlich einer Vorsprache bei der Agentur für Arbeit am 16. Juli 2018 gab der Kläger an, sich auf den Aufbau seiner Selbständigkeit
konzentrieren zu wollen, und informierte sich über Möglichkeiten der Weiterbildung. Seinen Antrag auf Ausstellung eines Bildungsgutscheins
für eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme als Kfz-Sachverständiger / Schadensprüfer lehnte der Beklagte mit der Begründung
ab, der Kläger verfüge bereits über eine Berufsausbildung, für die ein ausreichendes Angebot an offenen Stellen vorhanden
sei. Im Übrigen sei eine Förderung der beruflichen Weiterbildung, die auf eine Selbständigkeit abziele, gesetzlich ausgeschlossen
(Bescheid vom 16. Juli 2018).
Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er strebe eine Tätigkeit als Kfz-Sachverständiger an. Mit seinem Studium habe
er den Grundstein für die entsprechende Weiterbildung gelegt. Auf dem Arbeitsmarkt gebe es in diesem Bereich viele Angebote
für sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten. Eine entsprechende, ihm unter dem Vorbehalt einer erfolgten Zertifizierung
als Fahrzeuggutachter für Schadens- und Wertbegutachtung unterbreitete Stellenzusage der „t GmbH“ zum 1. November 2018 legte
er bei.
Mit – per Einwurfeinschreiben zugestelltem – Schreiben vom 6. Juli 2018 hatte die „Sachverständigen Betreuungs- und Weiterbildungs
GmbH“ (SBW) die Anmeldung des Klägers für das SBW-Basisseminar „Kfz-Schadensgutachter“ und „Kfz-Wertgutachter“ vom 12. bis
16. September 2018 in L bestätigt. Die entsprechende Empfangsbestätigung des Klägers datiert vom 10. September 2018. Der Kläger
nahm an dem Seminar teil und legte eine Prüfung zum Kfz-Sachverständigen ab (vgl. die Rechnungen über den Betrag von 2.295,-
€ vom 6. Juli 2018 und über die Prüfgebühr i.H.v. 355,81 € vom 10. September 2018; Überweisungsbelege vom 7. September 2018).
Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte zurück. Zur Begründung führte er aus: Die Voraussetzungen des §
81 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (
SGB III) für eine berufliche Weiterbildung seien nicht erfüllt. Es fehle am Merkmal der Notwendigkeit der Weiterbildung zur beruflichen
Eingliederung des Klägers. Die Integration des Klägers in den Arbeitsmarkt könne aufgrund seines abgeschlossenen Hochschulstudiums
zügig erfolgen. Zielführender als die begehrte berufliche Weiterbildung sei z.B. eine intensive Bewerbungsunterstützung (Widerspruchsbescheid
vom 20. September 2018).
Die auf Neubescheidung des Antrages zur Förderung der beruflichen Weiterbildung gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13. Februar 2020). Zur Begründung ist ausgeführt: Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen
des §
16 Abs.
1 Satz 2 Nr.
4 i.V.m. § 81a
SGB III zur Förderung von Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung erfüllt seien – woran angesichts der vom Kläger seit Mai 2017 ausgeübten
selbständigen Tätigkeit schon Zweifel bestünden – liege jedenfalls keine Ermessensreduzierung auf Null vor.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Bis 2018 sei er als Automobilkaufmann ohne formelle
Ausbildung tätig gewesen. Die von ihm beantragte berufliche Weiterbildungsmaßnahme als Kfz-Sachverständiger / Schadensprüfer
habe sich zwar auch auf die Automobilbranche, aber auf einen anderen Zweig als den Automobilhandel bezogen. Erst durch die
(selbst finanzierte) Ausbildung zum Kfz-Sachverständigen / Schadensprüfer könne er in diesem Bereich arbeiten und sei nicht
mehr hilfebedürftig. Die Erstellung von Kfz-Gutachten mache mittlerweile 95 % seiner Tätigkeit aus. Der Beklagte habe im Rahmen
seiner Ermessensausübung prüfen müssen, ob sich die Chancen des Klägers auf dem Arbeitsmarkt bei einer Spezialisierung in
einem Bereich, in dem er bereits über Vorkenntnisse verfügte, erhöhten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Februar 2020 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides
vom 16. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2018 zu verurteilen, ihm die Kosten der beruflichen
Weiterbildungsmaßnahme als Kfz-Sachverständiger / Schadensprüfer in Höhe von insgesamt 2.650,81 € zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, auf die wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
sowie des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen wird, sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2018 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das SG hat die Klage deshalb zu Recht abgewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Entscheidung des SG der Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2018, mit dem der
Beklagte den Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Bildungsgutscheins für eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme als Kfz-Sachverständiger
/ Schadensprüfer abgelehnt wurde. Nach Abschluss dieser Weiterbildungsmaßnahme (vgl. zur Abgrenzung von Aus- und Weiterbildung
Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 17. November 2005 – B 11a AL 23/05 R –, bei juris Rn. 16; Urteil vom 29. Januar 2008
– B 7/7a AL 68/06 R = SozR 4-4300 § 60 Nr. 1 m.w.N.; Urteil vom 30. August 2010 – B 4 AS 97/09 R – juris) im September 2018 hat der Kläger im Klageverfahren noch die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung seines
Antrages begehrt, während er sich nunmehr im Berufungsverfahren auf entsprechenden richterlichen Hinweis im Wege einer nach
§
99 Abs.
3 Nr.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaften Klagänderung (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 38/05 R -, bei juris Rn. 12) darauf beschränkt, die Erstattung der verauslagten Weiterbildungskosten zu verlangen. Gemäß §
153 Abs.
1 SGG i. V. m. §
99 SGG ist eine Klageänderung grundsätzlich auch noch im Berufungsverfahren möglich.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und Abs.
4 SGG) statthafte Klage (vgl. BSG, Urteile vom 23. Mai 2013 – B 4 AS 79/12 R -, bei juris Rn. 11, und vom 6. August 2014 – B 4 AS 37/13 R -, bei juris Rn. 10) ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung
der für die Weiterbildung aufgewendeten Kosten i.H.v. insgesamt 2.650,81 €.
Zuständig für die aktive Arbeitsförderung des seit April 2018 im Leistungsbezug nach dem SGB II stehenden Klägers ist der Beklagte (und nicht die Agentur für Arbeit, vgl. zur Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit beider
Träger Landessozialgericht <LSG> Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. Juni 2019 – L 1 AL 2/18 -, bei juris Rn. 32). Er hatte eine eigenständige Ermessensentscheidung über eine mögliche Förderung des Klägers nach § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB II zu treffen.
Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für das Erstattungsbegehren des Klägers ist nicht ersichtlich. Ein Kostenerstattungsanspruch
nach §
13 Abs.
3 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (
SGB V) scheidet offensichtlich aus. Da der Kläger nicht behinderter Mensch i.S.v. §
19 Abs.
1 SGB III und auch nicht von Behinderung bedroht war und ist (vgl. §
19 Abs.
2 SGB III), kommen Leistungen nach den §§
112 ff.
SGB III nicht in Betracht. Eine Rechtsgrundlage im
SGB III, die einen allgemeinen Kostenerstattungsanspruch anstelle eines Sachleistungsanspruchs vorsieht, gibt es ebenfalls nicht.
So ist auch der Regelung des §
81 Abs.
1 Satz 1
SGB III, die eine Förderung durch Übernahme der Weiterbildungskosten vorsieht, ein Kostenerstattungsanspruch nicht zu entnehmen.
Vielmehr handelt es sich um eine Regelung der Sachleistungsverschaffung (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.
Mai 2016 - L 8 AL 1234/15 – bei juris Rn. 43 f. m.w.N.; vgl. auch Reichel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB III, 2. Aufl., Stand: 25. Juni 2020, §
81 SGB III Rn. 120).
Aus einer Gesamtschau der genannten Vorschriften ergibt sich jedoch nicht zwingend ein regelungssystematischer Ausschluss
weiterer Kostenerstattungsansprüche im
SGB III; vielmehr vermag der in §
13 Abs.
3 SGB V zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke die Regelungslücke zu schließen. So kommt ein Kostenerstattungsanspruch als Verlängerung
des Sachleistungs- bzw. Sachleistungsverschaffungsanspruchs nach verbreiteter und vom Senat zuletzt im Urteil vom 11. November
2020 (L 18 AL 39/18, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen) vertretener Auffassung (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Mai 2016
- L 8 AL 1234/15 – bei juris Rn. 43f.; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24. Mai 2016 – L 2 AL 54/10 -, bei juris Rn. 32, Reichelt, ebenda; Hengelhaupt, in Hauck/Noftz,
SGB III, Stand: September 2020, § 81 Rn. 173a; vgl. ferner BSG, Urteil vom 6. August 2014 – B 4 AS 37/13 R -, bei juris Rn. 14 m.w.N.) im Falle einer rechtswidrigen Leistungsablehnung in Betracht.
Für den danach auch im Bereich des
SGB III anzuerkennenden Grundsatz, dass im Falle der rechtswidrigen Leistungsablehnung die Kosten für die Selbstbeschaffung einer
Leistung verlangt werden können, ist Voraussetzung, dass die Leistung rechtswidrig abgelehnt worden sein muss, also ein Primäranspruch
auf die (konkret) begehrte Leistung bestanden haben muss (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern a.a.O.). Zudem muss der Beschaffungsweg
eingehalten sein. Ein Kostenerstattungsanspruch scheidet daher aus, wenn sich der Antragsteller die begehrte Leistung selbst
beschafft, ohne die Entscheidung des Leistungsträgers abzuwarten (st. Rspr. des BSG zu §
13 Abs.
3 SGB V, vgl. nur Urteile vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 9/03 R –, SozR 4-2500 § 13 Nr. 1 und vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 30/15 R, bei juris Leitsatz 3). Für den Bereich des §
81 SGB III ist die Notwendigkeit der Einhaltung des Beschaffungsweges auch aus dem Beratungserfordernis nach §
81 Abs.
1 Satz 1 Nummer
2 SGB III abzuleiten. Mit der Beratung und der in diesem Rahmen erfolgenden Vorprüfung der Maßnahme vor deren Beginn soll u.a. verhindert
werden, dass der Leistungsträger ohne vorherige Kontrollmöglichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Dies ist z.B.
der Fall, wenn der Antragsteller vor der Beratung bereits einen Vertrag mit dem Maßnahmeträger geschlossen hatte (vgl. Reichel,
in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB III, 2. Aufl., Stand: 25. Juni 2020, §
81 SGB III Rn. 81).
Nach diesen Maßstäben bestehen erhebliche Zweifel daran, ob der Beschaffungsweg eingehalten ist. Denn nachdem die SBW als
Maßnahmeträger mit – per Einwurfeinschreiben zugestelltem und „vorab per Fax“ übermitteltem – Schreiben vom 6. Juli 2018 die
– nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ihm bereits am 5. Juli 2018 per E-Mail übermittelte – Anmeldung für
das Basisseminar „Kfz-Schadensgutachter“ und „Kfz-Wertgutachter“ in L bestätigt hatte, spricht viel dafür, dass der Kläger
bereits zu diesem Zeitpunkt und damit zehn Tage vor seiner Vorsprache bei dem Beklagten am 16. Juli 2018 einen ihn bindenden
Vertrag mit der SBW geschlossen hatte.
Ob sich der Kläger die begehrte Leistung selbst beschafft hatte, ohne die Entscheidung des Leistungsträgers abzuwarten, kann
indes offenbleiben. Denn er hatte keinen Anspruch auf Bewilligung der Weiterbildungsmaßnahme zum Kfz-Sachverständigen / Schadensprüfer
nach §
81 Abs.
1 SGB III. Unabhängig davon, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des §
81 Abs.
1 SGB III erfüllt sind – woran ebenfalls erhebliche Zweifel bestehen –, hat der Beklagte jedenfalls das ihm nach §
93 Abs.
1 SGB III zustehende Ermessen hinsichtlich der Förderung der Weiterbildung rechtmäßig ausgeübt.
Nach §
81 Abs.
1 SGB III können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn 1. die
Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden
oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, 2. die Agentur für
Arbeit sie vor Beginn der Teilnahme beraten hat und 3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen
sind.
Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel daran, ob der Kläger als „Arbeitnehmer“ im Sinne der Norm anzusehen war. Auch wenn
der Arbeitnehmerbegriff im
SGB III grundsätzlich nicht mit dem arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers übereinstimmt (Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts
ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter
Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist), sondern durch eine in die Zukunft gerichtete Betrachtung definiert
wird (Arbeitnehmer im Sinne der §§
81 ff.
SGB III ist danach, wer im Zeitpunkt der Antragstellung dem Kreis von Personen zuzurechnen ist, die andernfalls in dieser Zeit eine
abhängige Beschäftigung von mehr als geringfügigem Umfang ausüben würden, vgl. Reichel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB III, 2. Aufl., §
81 SGB III - Stand: 25.6.2020 -, bei juris Rn. 37), bestehen gewichtige Anhaltspunkte, dass der Kläger nicht als Arbeitnehmer zu betrachten
war. Denn zum Zeitpunkt seines Antrages auf Weiterbildung (16. Juli 2018) hatte er bereits seit über einem Jahr seine selbständige
Tätigkeit in der Automobilbranche angemeldet und angegeben, sich auf den „Aufbau seiner Selbständigkeit“ konzentrieren zu
wollen. Erst im Widerspruchsverfahren gab er zu erkennen, sich auch für sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten zu interessieren,
ohne aber eine solche in der Folgezeit aufzunehmen.
Zweifelhaft ist zudem, ob der Kläger „arbeitslos“ im Sinne des §
81 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Alt. 1
SGB III war. Mit dem Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit verweist die Norm auf die §§
16 Abs.
1 und
137 Abs.
1 Nr.
1 SGB III i.V.m. den §§
138 ff.
SGB III. Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer nach der Legaldefinition des §
138 Abs.
1 SGB III dann, wenn er nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit
zu beenden (Eigenbemühungen), und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Ob
der Kläger überhaupt bereit war, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung
unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes anzunehmen, erscheint angesichts seines (jedenfalls
zunächst) erklärten Ziels, sich auf den „Aufbau seiner Selbständigkeit“ konzentrieren zu wollen, zweifelhaft. Seine diesbezüglichen
Einlassungen in der mündlichen Verhandlung, wonach er auf Online-Portalen nach für ihn in Frage kommenden Stellenanzeigen
gesucht habe, erschienen recht vage. Vom Vorliegen ernsthafter Bemühungen des Klägers um eine sozialversicherungspflichtige
Tätigkeit vermochte sich der Senat nicht zu überzeugen. Vielmehr entstand der Eindruck, dass der Kläger von vornherein das
Ziel einer selbständigen Tätigkeit als Kfz-Sachverständiger verfolgt hatte und davon auch später nicht abrückte.
Dies kann im Ergebnis jedoch ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die vom Kläger begehrte Weiterbildung zu seiner beruflichen
Eingliederung i.S.d. §
81 Abs.
1 SGB III notwendig war. Danach ist eine Maßnahme dann notwendig, wenn sie geeignet ist, eines der in §
81 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB III definierten Ziele zu erreichen. Es muss die Erwartung bestehen, dass die Eingliederungschancen nach der Maßnahme besser sind
als vorher. Die Maßnahme muss zudem auch erforderlich sein. Das ist nur dann der Fall, wenn es kein anders, in gleicher Weise
geeignetes, aber weniger aufwändiges Mittel gibt, um den Arbeitslosen zu vermitteln. Denn es ist §
4 Abs.
2 SGB III zu berücksichtigen, wonach die Vermittlung in Arbeit Vorrang vor den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung hat
(vgl. zum Vermittlungsvorrang LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. November 2013 – L 9 AL 81/13 – bei juris Rn. 42 m.w.N.; Urteile des erkennenden Senats vom 28. Mai 2014 – L 18 AL 236/13 – bei juris Rn. 22 und vom 20. Januar 2021 – L 18 AL 48/20 –). Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit einer Weiterbildungsmaßnahme handelt es sich um eine Prognoseentscheidung
der Beklagten. Die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme ist insoweit notwendig, wenn ein der beruflichen Stellung entsprechender
Arbeitsplatz ohne die Bildungsmaßnahme nicht in nach den Umständen des Einzelfalles absehbarer und angemessener Zeit vermittelt
werden kann (vgl. Reichel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB III, 2. Aufl., §
81 SGB III - Stand: 25.06.2020 -, Rn. 48 f.). Nach diesen Maßstäben streiten gewichtige Gesichtspunkte dafür, dass die vom Kläger begehrte
Weiterbildung zum Kfz-Wertgutachter und Kfz-Schadensgutachter zu seiner beruflichen Eingliederung nicht notwendig war. Die
Erwägung des Beklagten, dass die berufliche Integration des Klägers in den Arbeitsmarkt ohne die Weiterbildung „zügiger erfolgen“
könne, da der Arbeitsmarkt in den Branchen, die für Absolventen eines Studiums der Betriebswirtschaftslehre in Frage kämen,
„noch nicht gesättigt“ sei, erscheint nachvollziehbar, zumal individuelle Vermittlungshemmnisse des Klägers nicht ersichtlich
sind. Allerdings stellte der Beklagte lediglich abstrakt auf die allgemeine Arbeitsmarktlage für Absolventen eines Studiums
der Betriebswirtschaftslehre ab, ohne dies mit konkreten Zahlen über freie Stellen zu unterfüttern. Nicht erkennbar ist vor
diesem Hintergrund, ob der Beklagte seine Entscheidung unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten in einer dem Sachverhalt
angemessenen und methodisch einwandfreien Weise erarbeitet hat (zu diesem Prüfungsmaßstab vgl. Reichel in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-
SGB III, 2. Aufl., §
81 SGB III - Stand: 25.06.2020 -, Rn. 51). Die Einlassungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung waren nicht geeignet, die Prognoseentscheidung
zu „unterfüttern“, so dass die hieran bestehenden Bedenken nicht ausgeräumt werden konnten.
Soweit der Kläger im Übrigen die Auffassung vertritt, dass in seinem Fall eine Förderung nach §
81 Abs.
1a SGB III in Betracht komme, ist dies mangels Anwendbarkeit der Regelung nicht zutreffend. Nach §
81 Abs.
1a SGB III n.F. wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei arbeitslosen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch anerkannt, wenn durch
den Erwerb erweiterter beruflicher Kompetenzen die individuelle Beschäftigungsmöglichkeit verbessert wird und sie nach Lage
und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig ist. Die durch Art. 1 Nr. 10 lit. a und b des Gesetzes zur Stärkung der Chancen
für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Qualifizierungschancengesetz) vom 18. Dezember 2018
mit Wirkung vom 1. Januar 2019 eingefügte Vorschrift findet vorliegend keine Anwendung. Maßgeblich für die Sach- und Rechtslage
im Falle der gerichtlichen Überprüfung von Prognoseentscheidungen ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also
des Erlasses des Widerspruchsbescheides (vgl. Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, § 54 Rn. 34a; BSG, Urteil vom 31. März 1992 – 9b RAr 18/91 –, juris; BSG, Urteil vom 3. Juli 2003 – B 7 AL 66/02 R –, bei juris Rn. 25). Dies ist durch den vorausschauenden Charakter der Prognoseentscheidung begründet. Bei der hier nach
§
81 SGB III zu treffenden Prognoseentscheidung des Beklagten über die Notwendigkeit der Weiterbildung lag der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung
(Widerspruchsbescheid vom 20. September 2018) vor Inkrafttreten der Norm des §
81 Abs.
1a SGB III (1. Januar 2019). Dass mithin das neue Recht nicht anwendbar war, folgt auch aus §
422 Abs.
1 Nr.
3 SGB III. Die Vorschrift regelt den Übergang von einem bestehenden auf einen neuen Rechtszustand im Bereich der aktiven Arbeitsförderung.
Nach §
422 Abs.
1 Nr.
3 SGB III ist das alte Recht maßgeblich, wenn die Maßnahme zum Stichtag begonnen hatte und die Leistung bis zum Beginn der Maßnahme
beantragt wurde. So liegt es hier: Der Kläger hatte die am 16. Juli 2018 beantragte Weiterbildungsmaßnahme noch im September
2018 begonnen, weshalb die erst mit Wirkung vom 1. Januar 2019 eingefügte Regelung des §
81 Abs.
1a SGB III nicht zur Anwendung kommt. Abweichendes hiervon ist auch nicht in der – speziell das Qualifizierungschancengesetz vom 18.
Dezember 2018 betreffenden – Übergangsregelung des §
447 SGB III bestimmt. Die in §
447 Abs.
2 SGB III normierte Ausnahme von §
422 SGB III betrifft nicht die Regelung des §
81 Abs.
1a SGB III.
Selbst wenn nach alledem davon auszugehen wäre, dass die Tatbestandsmerkmale des vorliegend allein einschlägigen §
81 Abs.
1 SGB III erfüllt sind und damit die Voraussetzungen für eine von der Beklagten zu treffende Ermessensentscheidung über die Weiterbildung
zum Kfz-Wertgutachter und Kfz-Schadensgutachter vorlagen, hat der Kläger jedenfalls keinen Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung,
weil der Beklagte das ihm nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. §
81 Abs.1
SGB III zustehende Ermessen rechtmäßig ausgeübt hat. Nach §
81 Abs.
1 Satz 1
SGB III steht die Förderung der Weiterbildung im Ermessen der Beklagten. Für selbstbeschaffte Ermessensleistungen ist im Rahmen des
Anspruches auf Kostenerstattung zu verlangen, dass eine Ermessensreduzierung auf „Null“ gegeben ist (vgl. LSG Hamburg, Urteil
vom 21. Januar 2015 - L 2 AL 37/12 -, juris). Dies ist zwingend, da anderenfalls der Leistungsberechtigte durch die Selbstbeschaffung das der Behörde gesetzlich
eingeräumte Ermessen beschränken und die Behörde vor vollendete Tatsachen stellen könnte.
Die demnach zu fordernde Ermessensreduzierung auf „Null“ liegt nicht vor, weshalb dem Kläger kein Primäranspruch zur Seite
steht. Eine solche Ermessensreduzierung wäre dann gegeben, wenn es nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist,
dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige Ausübung des Ermessens rechtsfehlerfrei zuließen (BSG, Urteil vom 4. Februar 1988 - 11 RAr 26/87 - SozR 1300 § 45 Nr. 34 = BSGE 63, 37ff.). Dementsprechend müsste die angestrebte Weiterbildung zum Kfz-Wertgutachter und Kfz-Schadensgutachter
die einzige Maßnahme gewesen sein, mit der eine dauerhafte berufliche Eingliederung des Klägers zu erreichen war.
Das ist zur Überzeugung des Senats nicht der Fall. Da der Behörde ein Auswahlermessen unter verschiedenen geeigneten Weiterbildungsmaßnahmen
zur Verfügung steht, ist jedenfalls nicht erkennbar, dass der Beklagte sein Ermessen nur hätte dahingehend ausüben können,
dem Kläger die begehrte Maßnahme zu finanzieren und jede andere Entscheidung rechtsfehlerhaft gewesen wäre. Darüber hinaus
enthält die – in Anbetracht des seinerzeit gerade erworbenen Hochschulabschlusses sachgerechte - Erwägung des Beklagten, dass
andere Förderleistungen wie beispielsweise eine intensive Bewerbungsunterstützung des Klägers zielführender für eine zeitnahe
Integration in den Arbeitsmarkt gewesen seien, keinen Ermessensfehler.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.