Subsidiarität der Feststellungsklage im SGG
Vorrangigkeit einer Gestaltungsklage oder Leistungsklage
Vermeidung überflüssiger Klagen als Zweck des Subsidiaritätsgrundsatzes
Gründe
I.
Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass seine Ansprüche für Arbeitsentgelt, Urlaubsabgeltung und Abfindung
gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber für den Monat Dezember 2019 und wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Dezember
2019 nicht gemäß § 115 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf den Beklagten übergegangen sind und Zahlungen, die sein ehemaliger Arbeitgeber für Arbeitsentgelt für den Monat Dezember
2019 an den Beklagten geleistet hat, an ihn zu zahlen sind. Zur Begründung der Klage wurde ausgeführt, dass die Feststellung,
dass ein Anspruchsübergang für Dezember 2019 nicht erfolgte, erforderlich sei, da er seine noch bestehenden Ansprüche in dem
rechtshängigen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin zum Geschäftszeichen 38 Ca 3665 / 20 sonst nicht weiter betreiben könne.
Rechtsgründe, sein Arbeitsentgelt für Dezember 2019 zu vereinnahmen, bestünden für den Beklagten mangels Leistungserbringung
für Dezember 2019 nicht.
Mit Beschluss vom 27. Oktober 2021 hat das Sozialgericht Berlin den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers abgelehnt. Zur Begründung
hat es ausgeführt, dass für die erhobene Anfechtungsklage bereits kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Auch für den Fall, dass
die begehrte Feststellung getroffen werde, erlange der Kläger hierdurch keinen rechtlichen Vorteil. Sämtliche aus dem Arbeitsverhältnis
für Dezember 2019 resultierende Ansprüche seien im Januar 2020 fällig und damit auf die Leistungen des Beklagten anzurechnen.
Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Denn die Voraussetzung für einen Forderungsübergang seien erfüllt. Gemäß § 115 Abs. 1 SGB X gehe der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen
über, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfülle und deshalb ein Leistungsträger
Sozialleistungen erbracht habe. Vorliegend habe der ehemalige Arbeitgeber des Klägers dessen im Jahr 2020 fälligen Arbeitslohn
für Dezember 2019 nicht gezahlt, weshalb er hilfebedürftig wurde und weswegen der Beklagte Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erbracht habe.
Am 1. November 2021 hat der Kläger gegen die vorgenannte Entscheidung Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt,
dass für die im Arbeitsgerichtsverfahren im Streit stehenden Zahlungen des ehemaligen Arbeitgebers derzeit keine Fälligkeit
bestehe. Diese sei vielmehr vom Ausgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens abhängig. Der ehemalige Arbeitgeber habe mit Rücksicht
darauf, dass der Beklagte unstreitig fehlerhaft angezeigt habe, dass Ansprüche wegen Leistungen für Dezember 2019 bereits
übergeleitet seien, wohl zu Recht eingewandt, dass der Kläger zur Geltendmachung dieser Ansprüche keine Aktivlegitimation
habe. Auf bereits im Dezember 2019 gestellte Sozialhilfeanträge habe der Beklagte keine Leistungen erbracht. Leistungsbeginn
sei im Januar 2020 gewesen, so dass für den Monat Dezember 2019 keine Ansprüche auf den Beklagten übergeleitet worden seien
und der Kläger demnach aktivlegitimiert die arbeitsrechtlichen Ansprüche im Arbeitsgericht im Verfahren geltend machen könnte,
wenn nicht die fehlerhafte Überleitungsanzeige des Beklagten vorliegen würde. Daher bestehe auch ein Feststellungsinteresse
daran, dass die arbeitsrechtlichen Ansprüche aus dem Monat Dezember 2019 nicht übergeleitet worden seien. Ob der Kläger nach
Beendigung des arbeitsrechtlichen Verfahrens tatsächlich Zahlungen auf dann titulierte Ansprüche von seinem ehemaligen Arbeitgeber
halte, sei derzeit nicht bekannt. Hypothetische Zahlungen seien nach dem Zuflussprinzip jedoch nicht zu berücksichtigen. Ferner
vertrete das Sozialgericht rechtsfehlerhaft die Auffassung, dass der Beklagte Leistungen erbracht habe, weil der ehemalige
Arbeitgeber dessen Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt habe. Dies sei unzutreffend, da der Beklagte im Dezember 2019
keine Leistungen erbracht und das Arbeitsverhältnis des Klägers bereits im Dezember 2019 geendet habe. Mithin sei allein die
unstreitig fehlerhafte Anspruchsübergangsanzeige dafür verantwortlich, dass der Kläger seine Aktivlegitimation zur Geltendmachung
seiner arbeitsrechtlichen Ansprüche aus dem Monat Dezember 2019 verloren habe.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie nicht gemäß §§
172 Abs.
3 Nr.
2 b,
144 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ausgeschlossen. Zum einen betrifft die Klage nur mittelbar eine Geldleistung, weil der Kläger die streitgegenständlichen
Feststellungen für die Durchsetzung von Geldforderungen in einem anhängigen arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen seinen ehemaligen
Arbeitgeber begehrt. Zum anderen übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes unter Berücksichtigung des im Klageverfahren
vor dem Arbeitsgericht gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber geltend gemachten Gesamtbetrages von 1295,92 Euro den erforderlichen
Beschwerdewert von 750,00 Euro.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Ein Beteiligter
erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung
nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
73 a SGG i. V. m. §
114 Zivilprozessordnung –
ZPO). Für die Gewährung von Prozesskostenhilfe kann eine reale Chance zum Obsiegen ausreichend sein, eine „entfernte Erfolgschance“
reicht nicht aus (vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 81, 347, 357).
Eine derartige hinreichende Erfolgsaussicht besteht für das Begehren des Klägers nicht. Das Sozialgericht Berlin hat mit der
angegriffenen Entscheidung im Ergebnis zutreffend ausgeführt, dass es für die vom Kläger begehrte Feststellung kein Rechtsschutzbedürfnis
gibt. Dieses zutreffende Ergebnis resultiert allerdings zuvörderst daraus, dass die vom Kläger vor dem Sozialgericht angestrengte
Feststellungsklage gegenüber der Durchsetzung seiner Ansprüche aus dem arbeitsrechtlichen Verhältnis gegenüber seinem Arbeitgeber
durch die ihm mögliche Fortführung der bereits anhängigen Leistungsklage beim Arbeitsgericht Berlin subsidiär ist.
Die Subsidiarität der Feststellungsklage ist im
Sozialgerichtsgesetz im Gegensatz zur
Verwaltungsgerichtsordnung (§
43 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung) und zur Finanzgerichtsordnung (§ 41 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung) nicht ausdrücklich normiert. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt sie aber auch für das
sozialgerichtliche Verfahren (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 8. Mai 2007, Aktenzeichen B 2 U 3/06 R, Rn 21 m. w. N., zitiert nach JURIS). Der Subsidiaritätsgrundsatz besagt, dass der Kläger eine gerichtliche Feststellung
nicht verlangen kann, soweit er die Möglichkeit hat, seine Rechte mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verfolgen.
Ein Feststellungsinteresse ist regelmäßig zu verneinen, wenn bereits im Rahmen der genannten anderen Klagearten über die Sach-
und Rechtsfragen zu entscheiden ist, die der begehrten Feststellung zugrunde liegen (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O.). Sinn
und Zweck des Subsidiaritätsgrundsatzes ist die Vermeidung überflüssiger Klagen. Der Tenor eines Feststellungsurteils ist
nämlich bis auf die Kostenentscheidung nicht vollstreckbar. Eine Gestaltungs- oder Leistungsklage bietet deshalb meist effektiveren
Rechtsschutz (vgl. Senger in jurisPK-
SGG, 1. Auflage 2017, Stand 27. Juli 2021, zu §
55 SGG, Rn 24). Dieser Gedanke gilt wegen der prinzipiellen Gleichwertigkeit der Rechtswege rechtswegübergreifend. Er gilt also
auch dann, wenn die vorrangige Leistungs- oder Gestaltungsklage nicht auf dem Sozialrechtsweg zu erheben wäre (vgl. Bundesverwaltungsgericht,
Beschluss vom 19. März 2014, Aktenzeichen 6 C 8/13, Rn 13, zitiert nach JURIS; Happ in Eyermann, Kommentar zur
Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, zu §
43 VwGO, Rn 41). Eine Feststellungsklage ist dabei auch dann gegenüber einer Gestaltungs- oder Leistungsklage subsidiär, wenn diese
gegen einen anderen Beklagten erhoben werden kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25. März 2003, Aktenzeichen B 1 KR 29/02 R, Rn 14f., zu recherchieren unter www.juris.de).
So liegt der Fall hier. Ein Feststellungsinteresse des Klägers besteht nicht, da die Fragen, ob der Kläger für die Durchsetzung
seiner Ansprüche gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber bezüglich des Lohnes für den Monat Dezember 2019 und die durch gerichtlichen
Vergleich vereinbarte Abfindung für die Auflösung des Arbeitsverhältnis aktivlegitimiert ist und ob der Arbeitgeber ihm gegenüber
schuldbefreiend Zahlungen an den Beklagten leisten konnte, sind inzident im Rahmen der vor dem Arbeitsgericht Berlin geführten
und nach den obigen Grundsätzen auch vorrangig zu führenden Leistungsklage zu klären sind. Daran ist der Kläger durch die
Überleitungsanzeige des Beklagten vom 17. Januar 2020 nicht per se kraft Gesetzes oder eines ihm gegenüber verbindlichen Verwaltungsakts
der Beklagten im Sinne des § 31 SGB X gehindert. Insbesondere ist die sozialgerichtliche Feststellung, dass kein Anspruchsübergang stattgefunden hat, keine Voraussetzung
dafür, dass der Kläger im arbeitsgerichtlichen Verfahren aktivlegitimiert sein kann. Denn die gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber
des Klägers erfolgte Überleitungsanzeige des Beklagten bewirkt im Gegensatz zu der vom Kläger vertretenen Auffassung keineswegs,
dass Ansprüche, die dem Beklagten tatsächlich möglicherweise nicht zustehen, auf diesen übergehen. Der Anspruchsübergang nach
§ 115 SGB X findet vielmehr ohne weiteres Zutun des Sozialleistungsträgers kraft Gesetzes immer und auch nur dann statt, wenn die gesetzlichen
Voraussetzungen der vorgenannten Norm, zu denen das Stellen einer Überleitungsanzeige nicht gehört, erfüllt sind (vgl. Bundessozialgericht,
Urteil vom 14. Juli 1994, Aktenzeichen 7 RAr 104/93, Rn 20 a.E.; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Oktober 2019, Aktenzeichen 8 AZR 766/08, Rn 15; Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 21. August 2006, Aktenzeichen 19/11 Sa 2008/05, Rn 31, zitiert jeweils nach JURIS; Schlaeger in Hauck / Noftz SGB X, Stand 3. Ergänzungslieferung 2021, K § 115, Rn 42; Kater in Kasseler Kommentar, Werkstand 116. Ergänzungslieferung, zu § 115 SGB X, Rn 32). Der Forderungsübergang nach § 115 SGB X tritt, entgegen der missverständlichen Erläuterung in der Überleitungsanzeige des Beklagten vom 17. Januar 2020, nicht mit
dem Zugang der Überleitungsanzeige, sondern mit der tatsächlichen Leistungserbringung des Sozialleistungsträgers ein (Schlaeger,
a.a.O., Rn 42, m.w.N.). Die rechtliche Wirkung der Übergangsanzeige erschöpft sich darin, gegenüber dem Arbeitgeber zu signalisieren,
dass ein Anspruchsübergang kraft Gesetzes eingetreten sein kann, so dass dieser im Verhältnis zum Beklagten gegebenenfalls
nicht mehr gutgläubig im Sinne der §§
404,
407 und
412 Bürgerliches Gesetzbuch schuldbefreiend an den Kläger leisten kann, falls ein Anspruchsübergang kraft Gesetzes auf den Beklagten nach § 115 SGB X stattgefunden hat (vgl. Schlaeger, a.a.O., Rn 45 m.w.N.).
Dass für die vom Kläger erhobene Feststellungsklage in dem hier zu entscheidenden Fall kein Feststellungsinteresse und damit
auch kein Rechtsschutzbedürfnis besteht, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass eine Entscheidung des Sozialgerichts für
das vom Kläger vor dem Arbeitsgericht geführte Verfahren keine vorgreifliche Wirkung hätte. Der dortige Beklagte ist nicht
Beteiligter des am Sozialgericht geführten Verfahrens und wäre an dessen Entscheidung nicht gebunden. Im Übrigen stünde es
dem Arbeitsgericht im Rahmen der dort durchzuführenden Prüfung der Aktivlegitimation des Klägers frei, von einer Entscheidung
des Sozialgerichts abzuweichen, da die mit der Klage begehrte sozialgerichtliche Feststellungsentscheidung das Arbeitsgericht
nicht binden würde. Die Durchführung des Feststellungsverfahrens vor dem Sozialgericht würde daher zu einem überflüssigen
Klageverfahren führen, was entsprechend dem vorgenannten Subsidiaritätsgrundsatz zu vermeiden ist und das Feststellungsinteresse
und das Rechtsschutzbedürfnis ausschließt.
Vor diesem Hintergrund kann der Senat es dahinstehen lassen, ob im Fall des Klägers tatsächlich ein Forderungsübergang nach
§ 115 SGB X stattgefunden hat.
Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten (§
73 a SGG i. V. m. §
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).