Aussetzung der Vollziehung einer einstweiligen Anordnung im sozialgerichtlichen Verfahren; Zulässigkeit der Aussetzungsantrags;
Interessen- und Folgenabwägung
1. Ein Aussetzungsantrag nach §
199 Abs.
2 SGG wird nicht unzulässig, wenn eine Behörde ihrer Verpflichtung aus einer sozialgerichtlichen Eilentscheidung nachkommt, sofern
sie in ihrer Entscheidung klargestellt, dass diese gegenstandslos wird, wenn das Landessozialgericht den Beschluss des Sozialgerichts
aufhebt oder die Aussetzung der Vollstreckung anordnet.
2. Im Rahmen der nach §
199 Abs.
2 SGG vorzunehmenden Interessen- und Folgenabwägung spielen die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels grundsätzlich keine Rolle.
Dem Aussetzungsinteresse ist ausnahmsweise dann der Vorrang vor dem Interesse an sofortiger Durchsetzung der einstweiligen
Anordnung einzuräumen, wenn der mit der Beschwerde angefochtene sozialgerichtliche Beschluss offensichtlich fehlerhaft ist;
denn ein Interesse an der auch nur vorläufigen Durchsetzung einer offensichtlich fehlerhaften Entscheidung ist nicht schutzwürdig.
Der Maßstab der Interessenabwägung nach §
199 Abs.
2 SGG entspricht insoweit dem des §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG.
1. Kommt eine Behörde ihrer Verpflichtung aus einer sozialgerichtlichen Eilentscheidung nach, und stellt sie in dieser Entscheidung
klar, dass die vorläufige Anerkennung gegenstandslos wird, wenn das Landessozialgericht den im Tenor genannten Beschluss des
Sozialgerichts aufhebt oder die Aussetzung der Vollstreckung anordnet, so steht die einem Aussetzungsantrag nicht entgegen.
2. Im Rahmen der zur Entscheidung nach §
199 Abs.
2 SGG zu treffenden Interessen- und Folgenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der nach §
175 SGG vorgesehene Regelfall der sofortigen Vollstreckbarkeit einer einstweiligen Anordnung eine Aussetzung der Zwangsvollstreckung
nur dann zulässt, wenn der nach der gerichtlichen Entscheidung Unterliegende durch die Vollstreckung des Beschlusses vor Eintritt
der Rechtskraft einen nicht zu ersetzenden Nachteil erleiden würde und ein überwiegendes Interesse des Obsiegenden nicht entgegensteht.
Im Rahmen dieser Interessen- und Folgenabwägung spielen die Erfolgsaussichten der Beschwerde grundsätzlich keine Rolle. [Amtlich
veröffentlichte Entscheidung]
Gründe:
Der Aussetzungsantrag der Antragstellerin des vorliegenden Verfahrens (im Folgenden nur noch Antragstellerin) ist nach §
199 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig. Denn die Beschwerde der Antragstellerin gegen den im Tenor genannten Beschluss des Sozialgerichts hat gemäß §
175 Satz 1 und
2 SGG keine aufschiebende Wirkung. Zuständig für die Entscheidung ist nach §
199 Abs.
2 SGG der Vorsitzende des Senats; eine Entscheidung durch das Sozialgericht nach §
175 Satz 3
SGG war nach der Abgabe der Sache an das Landessozialgericht ausgeschlossen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage, §
175 RdNr. 4 m.w.N.).
Dem Aussetzungsantrag steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin des vorliegenden Verfahrens (im Folgenden
nur noch Antragsgegnerin) mit Bescheid vom 29. September 2009 eine vorläufige Anerkennung für die Durchführung und Abrechnung
belegärztlicher Leistungen für die bei der Antragsgegnerin angestellte Ärztin Dr. Ch. M. erteilt hat. Sie hat in dieser Entscheidung
klargestellt, dass die vorläufige Anerkennung gegenstandslos wird, wenn das Landessozialgericht den im Tenor genannten Beschluss
des Sozialgerichts aufhebt oder die Aussetzung der Vollstreckung anordnet. Deshalb ist ihr Rechtsschutzbedürfnis auch für
den Antrag nach §
199 Abs.
2 SGG weiterhin gegeben. Dieses Rechtsschutzbedürfnis entfällt nämlich nicht, wenn die Behörde im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
der vom Sozialgericht auferlegten Verpflichtung nachgekommen ist, um eine Zwangsvollstreckung abzuwenden bzw. zu vermeiden.
Solange die Behörde aus diesem Grund - und nicht freiwillig - leistet, gibt es keine prozessuale Vorschrift oder Regel, die
eine Beschränkung des Rechtsschutzes der unterlegenen Behörde ausschließlich auf das Hauptsacheverfahren vorsieht. Es entspricht
der vorherrschenden Auffassung, dass das zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung Geleistete ein Verfahren nicht erledigt.
Es kann insoweit keinen Unterschied zur Situation einer tatsächlich durchgeführten Vollstreckung einer noch nicht endgültigen
gerichtlichen Entscheidung geben. Eine Behörde, die sich rechtstreu verhält, folgt der durch das Sozialgericht ausgesprochenen
Verpflichtung sofort. Es wäre weder im wohlverstandenen Interesse der erstinstanzlich obsiegenden Antragstellerin, wenn die
Behörde quasi zu rechtswidrigem Verhalten - nämlich einer vorübergehenden Missachtung der sozialgerichtlichen Entscheidung
- gezwungen wäre, wenn sie die einstweilige Anordnung für rechtswidrig hält. Noch genügte es ihrem Recht auf Gehör, wenn sie
trotz bestehendem Rechtsbehelf bei rechtstreuer Beachtung der sofortigen Vollziehbarkeit das Rechtsmittel der Sache nach verlöre.
Art.
103 Abs.
1 Grundgesetz gehört zu den Rechten, auf die sich auch staatliche Stellen berufen können (LSG Berlin- Brandenburg, 32. Senat, L 32 B 1565/07 AS, Beschluss vom 25. September 2007, sowie 9. Senat, L 9 B 572/07 KR ER, B. v. 7. November 2007, jeweils zitiert nach juris).
Der Antrag ist auch begründet; die Vollstreckung aus dem im Tenor genannten Beschluss des Sozialgerichts Berlin ist bis zur
Entscheidung des Senats über die Beschwerde der Antragstellerin auszusetzen. Im Rahmen der zur Entscheidung nach §
199 Abs.
2 SGG zu treffenden Interessen- und Folgenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der nach §
175 SGG vorgesehene Regelfall der sofortigen Vollstreckbarkeit einer einstweiligen Anordnung eine Aussetzung der Zwangsvollstreckung
nur dann zulässt, wenn der nach der gerichtlichen Entscheidung Unterliegende durch die Vollstreckung des Beschlusses vor Eintritt
der Rechtskraft einen nicht zu ersetzenden Nachteil erleiden würde und ein überwiegendes Interesse des Obsiegenden nicht entgegensteht.
Im Rahmen dieser Interessen- und Folgenabwägung spielen die Erfolgsaussichten der Beschwerde grundsätzlich keine Rolle. Dem
Aussetzungsinteresse der Antragstellerin wäre ausnahmsweise nur dann der Vorrang vor dem Interesse der Antragsgegnerin nach
sofortiger Durchsetzung der einstweiligen Anordnung einzuräumen, wenn der mit der Beschwerde angefochtene sozialgerichtliche
Beschluss offensichtlich fehlerhaft wäre; denn ein Interesse an der auch nur vorläufigen Durchsetzung einer offensichtlich
fehlerhaften Entscheidung ist nicht schutzwürdig. Der Maßstab der Interessenabwägung nach §
199 Abs.
2 SGG entspricht insoweit der des §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG.
Die Entscheidung des Sozialgerichts ist nach summarischer Prüfung offensichtlich - d. h. auf den ersten Blick - rechtswidrig,
ohne dass es für diese Bewertung auf die von der Antragstellerin aufgeworfenen Rechtsfragen ankäme. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Senats (vgl. zuletzt Beschluss vom 27. September 2006 - L 7 B 18/06 KA ER -, zitiert nach juris) besteht in aller Regel kein eiliges Regelungsbedürfnis und damit kein Anordnungsgrund für eine
einstweilige Anordnung, mit der einem Antragsteller ein vertragsärztlicher Status - z. B. eine Zulassung, Ermächtigung oder
die Gestattung der Durchführung und Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen - zugesprochen wird. Denn ein Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes zielt darauf ab, vorläufige Regelungen herbeizuführen, während Statusentscheidungen stets endgültigen Charakter
haben und damit die Hauptsache vorwegnehmen; zumindest die während der Dauer ihrer vorübergehenden Geltung erbrachten Leistungen
können nachträglich nicht vollständig rückabgewickelt werden. Um eine solche Statusentscheidung - die Genehmigung zur Durchführung
und Abrechnung belegärztlicher Leistungen - wird auch hier gestritten; der Senat hält es deshalb für angezeigt, die Vollstreckung
aus der im Tenor genannten Entscheidung des Sozialgerichts so lange auszusetzen, bis er über die dagegen erhobene Beschwerde
entschieden hat. In diesem Verfahren wird zu prüfen sein, ob von dem genannten Grundsatz hier eine Ausnahme zuzulassen sein
wird, weil der von der Antragsgegnerin geltend gemachte Anordnungsanspruch völlig unzweifelhaft besteht oder die Interessenlage
zu Gunsten der Antragsgegnerin so eindeutig ist, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache geboten erscheint.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).