Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die ihm vom Beklagten für die Monate Februar bis November 2017 gewährt worden waren.
Der 1980 geborene, im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige und alleinstehende Kläger beantragte im Dezember 2016
beim Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Er wohnte in einer Eigentumswohnung für die er ein monatliches Hausgeld (inklusive Heizkosten) in Höhe von 160,- Euro zahlte.
Für den zum Erwerb der Wohnung aufgenommenen Kredit zahlte er Zinsen in Höhe von monatlich 358,78 Euro. In seinem Antrag gab
er an, er sei seit Anfang 2012 sozialversicherungspflichtig beschäftigt als Koch. Seit „13.06 – jetzt“ habe er Krankengeld
erhalten. Da dieses nicht ausreiche, beantrage er aufstockende Leistungen. In der Anlage EK gab er an, er erhalte zurzeit
Krankengeld in Höhe von ca. 940,- Euro. Er fügte dem Antrag ein Schreiben der T... K... vom 9. Dezember 2016 bei, wonach er
kalendertäglich Krankengeld in Höhe von 43,57 Euro brutto und 38,20 Euro netto erhielt. Angaben zum Zeitraum des Krankengeldbezugs
finden sich in dem Schreiben nicht. Der Kläger legte außerdem eine Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung N. (DRV
N.) vom 6. Dezember 2016 vor, wonach ihm für eine Dauer von voraussichtlich drei Wochen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
bewilligt worden waren; später übersandte er eine Verlängerungsanzeige der DRV N., aus der hervorging, dass er sich vom 3.
Januar 2017 bis zum 31. Januar 2017 im Klinikum B. befand. Die DRV N. bewilligte ihm mit Bescheid vom 17. Januar 2017 Übergangsgeld
in Höhe von 493,80 Euro für den Zeitraum vom 3. Januar 2017 bis zum 17. Januar 2017. Diesen Bescheid reichte der Kläger am
13. Februar 2017 beim Beklagten ein.
Ferner legte der Kläger beim Beklagten Kontoauszüge vom. Aus diesen ergab sich, dass am 20. Dezember 2016 auf seinem Konto
eine Krankengeldzahlung für den Zeitraum vom 30. November 2016 bis zum 2. Januar 2017 in Höhe von 1.260,60 Euro eingegangen
war. Die DRV N. überwies ihm am 18. Januar 2017 Übergangsgeld für den Zeitraum vom 3. Januar 2017 bis zum 17. Januar 2017
in Höhe von 491,70 Euro und am 6. Februar 2017 für den Zeitraum vom 18. Januar 2017 bis zum 31. Januar 2017 in Höhe von 426,14
Euro.
Mit Schreiben vom 20. Februar 2017 forderte der Beklagte den Kläger zur Mitwirkung auf und bat unter anderem um Mitteilung,
ob der Kläger über den 2. Januar 2017 hinaus Krankengeld erhalte. Wenn nicht, so möge er bitte das Beendigungsschreiben der
Krankenkasse vorlegen. Der Kläger antwortete hierauf mit Email vom 2. März 2017 und teilte mit, er habe bis zum 2. Januar
2017 Krankengeld erhalten. Er sei bis zum 31. Januar 2017 zur stationären Reha gewesen. Innerhalb von vier Wochen danach habe
er eine Wiedereingliederung in Arbeit versucht und in dieser Zeit Übergangsgeld von der DRV N. erhalten. Leider sei er jedoch
seit dem 23. Februar 2017 wieder so stark erkrankt, dass er nunmehr sieben Tage in der Wiedereingliederung fehle und selbige
somit als gescheitert anzusehen sei. Die DRV N. und die T... K... seien informiert.
Mit Bewilligungsbescheid vom 7. März 2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Dezember 2016 bis zum
31. Mai 2017 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 0,- Euro für Dezember 2016, 27,47 Euro für Januar 2017 und 578,41 Euro monatlich für die Zeit ab Februar 2017.
Der Kläger erhob per Email vom 15. März 2017 Widerspruch, am 6. April 2017 auch schriftlich. Er trug vor, als Einkommen von
Krankenkasse und DRV N. müssten die berechneten Tagessätze angesetzt werden und nicht die unregelmäßigen tatsächlichen Zahlungen.
Außerdem seien als Unterkunftskosten die von ihm monatlich zu zahlenden Zinsen in Höhe von 358,78 Euro zu berücksichtigen.
Am 22. März 2017 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid betreffend den Zeitraum vom 1. Dezember 2016 bis zum 31. Mai
2017, mit dem für Dezember 2016 unverändert 0,- Euro bewilligt wurden, für Januar 2017 hingegen 386,25 Euro und für die Zeit
ab Februar 2017 monatlich 937,19 Euro. Dabei berücksichtigte der Beklagte ab Januar 2017 als Bedarf insgesamt 937,19 Euro:
den Regelbedarf von 409,- Euro, einen Mehrbedarf für dezentrale Warmwassererzeugung in Höhe von 9,41 Euro sowie Unterkunftskosten
in Höhe von 518,78 Euro (358,78 Euro plus 160,- Euro). Für den Monat Dezember 2016 rechnete er Einkommen in Form von Krankengeld
in Höhe von 1.307,10 Euro an, für Januar 2017 Krankengeld in Höhe von 87,14 Euro sowie Übergangsgeld in Höhe von 493,80 Euro.
Für die Monate Februar bis Mai 2017 wurde kein Einkommen berücksichtigt. Am 12. und am 18 Mai 2017 erging jeweils ein weiterer
Änderungsbescheid, der nur die Monate Dezember 2016 und Januar 2017 erfasste und mit dem für Dezember 2016 weiterhin 0,- Euro
bewilligt wurden, für Januar 2017 hingegen als Einkommen nur noch das Übergangsgeld berücksichtigt und 473,39 Euro bewilligt
wurden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2017 wies der Beklagte den Widerspruch vom 15. März 2017 zurück. Zur Begründung führte
er aus, nach Erlass der Änderungsbescheide vom 22. März 2017, 12. Mai 2017 und 18. Mai 2017 habe der Kläger keinen Anspruch
auf weitere Leistungen. Das dem Kläger zugeflossene Krankengeld sei als Einkommen zu berücksichtigen und zwar nicht entsprechend
der Tagessätze, sondern nach dem tatsächlichen Zufluss. Hiergegen wurde keine Klage erhoben.
Am 4. Mai 2017 stellte der Kläger einen Weiterbewilligungsantrag. In dem Formular kreuzte er unter „Folgendes Einkommen wird
erzielt:“ das Feld „sonstige Entgeltersatzleistungen (z.B. Übergangsgeld, Krankengeld)“ an, wobei er das Wort „Krankengeld“
unterstrich und handschriftlich ergänzte „liegt ihnen vor“.
Der Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 5. Mai 2017 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis zum 31. Mai
2018 in Höhe von monatlich 937,19 Euro, wobei er keinerlei Einkommen berücksichtigte. Im Oktober 2017 legte der Kläger beim
Beklagten den neuen Wirtschaftsplan für seine Eigentumswohnung vor, wonach er ab Januar 2018 ein monatliches Hausgeld in Höhe
von 183,- Euro zu zahlen hatte. Daraufhin bewilligte ihm der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 2. November 2017 für den Zeitraum
vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Mai 2018 Leistungen in Höhe von monatlich 960,19 Euro (409,- Euro Regelsatz, 9,41 Euro Mehrbedarf
Warmwassererzeugung, 358,78 plus 183,- Euro Unterkunftskosten).
Bereits am 18. Oktober 2017 war beim Beklagten eine von der T... K... ausgestellte Bescheinigung gem. §
312 Abs.
3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) eingegangen, in der ein Krankengeldbezug für die Zeiträume vom 25. Juli 2016 bis zum 2. Januar 2017 sowie vom 4. März 2017
bis zum 29. November 2017 und ein Bezug von Übergangsgeld für den Zeitraum vom 3. Januar 2017 bis zum 3. März 2017 angegeben
war.
Mit Schreiben vom 1. November 2017 forderte der Beklagte den Kläger auf, Nachweise über den Zufluss von Krankengeld für die
Zeiträume vom 25. Juli 2016 bis zum 2. Januar 2017 sowie vom 4. März 2017 bis zum 29. November 2017 und Übergangsgeld für
den Zeitraum vom 3. Januar 2017 bis zum 3. März 2017 einzureichen. Der Kläger legte daraufhin ein Schreiben der T... K...
vom 12. Oktober 2016 über die Bewilligung von Krankengeld ab dem 25. Juli 2016 in Höhe von täglich 38,20 Euro sowie einen
Bescheid der DRV N. vom 4. April 2017 vor, wonach Übergangsgeld für den Zeitraum vom 1. Februar 2017 bis zum 21. Februar 2017
in Höhe von insgesamt 691,32 Euro bewilligt wurde. Er führte aus, das Schreiben der T... K... gelte nach wie vor, eine neue
Berechnung des Krankengeldes habe er nicht bekommen.
Der Kläger reichte ferner am 20. November 2017 beim Beklagten einzelne Buchungsbelege für sein Konto bei der Hamburger Sparkasse
ein. Hiernach erhielt er folgende Gutschriften von der DRV N. bzw. der T... K... :
6. Februar 2017 DRV N.
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426,14 Euro
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5. April 2017 DRV N.
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688,38 Euro
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13. April 2017 T... K...
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1.068,20 Euro
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19. Mai 2017 T... K...
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1.373,40 Euro
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15. Juni 2017 T... K...
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1.006,72 Euro
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12. Juli 2017 T... K...
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1.060,83 Euro
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9. August 2017 T... K...
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1.100,12 Euro
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14. September 2017 T... K...
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1.335,86 Euro
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15. November 2017 T... K...
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1.100,12 Euro
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Am 23. November 2017 erließ der Beklagte einen Bescheid zur Aufhebung, Erstattung und Zahlungsaufforderung, mit dem er die
Bewilligungsentscheidungen für den Monat Februar 2017 teilweise in Höhe von 396,14 Euro und für die Monate April bis September
sowie November 2017 vollständig in Höhe von jeweils 937,19 Euro aufhob und einen Erstattungsbetrag in Höhe von insgesamt 6.956,47
Euro geltend machte. Zur Begründung führte der Beklagte an, der Kläger habe während der genannten Zeiten einen Anspruch auf
Krankengeld bzw. Übergangsgeld gehabt und sei daher in geringerer Höhe bzw. nicht hilfebedürftig gewesen. Die Aufhebung stütze
sich auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3 und 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Ferner erging am 23. November 2017 ein Änderungsbescheid betreffend die Leistungen für Januar 2017. Am 25. November 2017 erließ
der Beklagte einen Änderungsbescheid betreffend die Leistungen für den Zeitraum Januar bis Mai 2018. Ein weiterer Änderungsbescheid,
betreffend die Leistungen für die Monate Dezember 2017 bis Mai 2018 erging am 20. Dezember 2017. Am 25. November 2017 erging
ein Änderungsbescheid betreffend die Leistungen für die Monate Januar bis Mai 2018, mit dem die Regelsatzerhöhung zum 1. Januar
2018 umgesetzt und entsprechend höhere Leistungen bewilligt wurden.
Am 7. Dezember 2017 erhob der Kläger Widerspruch gegen die beiden Bescheide vom 23. November 2017. Er trug vor, er habe nach
Erhalt des ersten Bewilligungsbescheids extra Einspruch erhoben, der Antrag sei von der Rechtsabteilung des Beklagten dadurch
extra nochmals geprüft und bestätigt worden. Der Kläger übersandte mit dem Widerspruch wiederum Kontoauszüge. Aus diesen ergaben
sich folgende zusätzliche Geldeingänge:
16.3.2017 T... K...
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381,40 Euro
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19.10.2017 T... K...
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1.335,86 Euro
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30.11.2017 T... K...
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589,35 Euro
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Der Beklagte erließ daraufhin am 19. Dezember 2017 einen weiteren Bescheid zur Aufhebung, Erstattung und Zahlungsaufforderung,
mit dem er die dem Kläger für den Monat März 2017 gewährten Leistungen teilweise in Höhe von 351,40 Euro und die für den Monat
Oktober 2017 gewährten Leistungen vollständig in Höhe von 937,19 Euro aufhob und insgesamt eine Erstattung in Höhe von 1.288,59
Euro forderte. Die Begründung entsprach derjenigen des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 23. November 2017.
Gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2017 erhob der Kläger mit Schreiben vom 8. Januar 2018 Widerspruch. Er führte er aus,
er habe aufgrund einer schweren Krankheit Leistungen beantragt. Von Anfang sei klar gewesen, dass er Krankengeld bezogen habe.
Er habe stets alle angeforderten Unterlagen vorgelegt. Weil ihm der erste Bewilligungsbescheid unklar gewesen sei, habe er
Einspruch eingelegt. Die Rechtsabteilung habe den Bescheid geprüft. Es sei bekannt gewesen, dass er Einkommen erzielte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2018 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Bescheide vom 23. November
2017 zurück. Er führte aus, die Änderungsbescheide vom 12. Mai 2017, 18. Mai 2017 und 2. November 2017 würden nicht aufgehoben.
Im Übrigen sei der Bescheid vom 23. November 2017 rechtmäßig. Die Aufhebungsentscheidung stütze sich auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m §
330 Abs.
3 SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3 und 4 SGB X. Der Kläger sei seiner Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen seiner Verhältnisse nicht nachgekommen. Er habe zudem
nach Erlass der Bescheide vom 7. März 2017, 22. März 2017 und 5. Mai 2017 Einkommen in Form von Kranken- bzw. Übergangsgeld
erzielt, welches zum Wegfall des Anspruchs geführt habe. Ferner habe der Kläger auch gewusst bzw. infolge grober Fahrlässigkeit
nicht gewusst, dass der Leistungsanspruch entfallen sei.
Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2017 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2018 zurück.
Er führte aus, die Änderungsbescheide vom 2. November 2017, 23. November 2017 und 25. November 2017 würden nicht aufgehoben.
Im Übrigen sei der Bescheid vom 19. Dezember 2017 rechtmäßig. Die weitere Begründung entspricht derjenigen im Widerspruchsbescheid
vom 18. Mai 2018.
Der Kläger hat gegen beide Widerspruchsbescheide am 6. Juni 2018 bzw. am 9. Juli 2018 jeweils Klage zum Sozialgericht Hamburg
erhoben (S 39 AS 1918/18 und S 39 AS 2357/18). Zur Begründung hat er Bezug genommen auf seine Ausführungen in den Widerspruchsverfahren. Er hat ferner vorgetragen, die
Aufhebung der Bewilligungen könne sich nicht auf § 48 SGB X stützen, vielmehr sei hier § 45 SGB X einschlägig, da zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidungen dem Beklagten bekannt gewesen sei, dass er Übergangsgeld bezogen
bzw. Krankengeld beantragt habe. Er habe dem Beklagten alle notwendigen Unterlagen und Nachweise zugesandt. Hinsichtlich des
Krankengeldes sei der Beklagte verpflichtet gewesen, zunächst einen Erstattungsanspruch gegenüber der Krankenkasse geltend
zu machen. Dies habe der Beklagte offensichtlich versäumt. Für diesen Fehler der Behörde müsse er nicht einstehen. Er habe
keine Mitwirkungspflichten verletzt. Er habe auf die Leistungsberechnung des Beklagten vertrauen dürfen, zumal er nicht behördenerfahren
sei und damals starke gesundheitliche Probleme gehabt habe. Zudem habe er alle erhaltenen Leistungen verbraucht und könne
daher keine Rückzahlung leisten.
Am 16. Dezember 2020 hat das Sozialgericht in beiden Klageverfahren einen Erörterungstermin durchgeführt. In diesem Termin
hat der Kläger erklärt, er sei sich selber nicht so sicher gewesen, wieviel Leistungen ihm zugestanden hätten, weshalb er
ergänzend zum Krankengeld Leistungen nach dem SGB II beantragt habe. Er habe sämtliche Kontoauszüge beim Beklagten eingereicht. Der Beklagte habe ihm allerdings auch nicht sagen
können, wie hoch das Krankengeld sein werde. Daher habe er dann den Bescheid der T... K... über die Höhe des Tagessatzes beim
Beklagten vorgelegt. Im Januar 2017 habe er sich in einer Kur befunden und deshalb etwaige Unstimmigkeiten hinsichtlich der
Bescheide des Beklagten nicht klären können. Er habe sich über die Höhe der bewilligten Leistungen schon gewundert, dies alles
aber auch nicht mehr richtig im Blick gehabt. Seine Mutter habe ihm geraten, Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid einzulegen,
was er dann auch mit Hilfe eines Beraters bei der Öffentlichen Rechtsauskunft getan habe. Er leide unter einem Morbus Bechterew
und Arthritis in der linken Hüfte. Er habe deshalb in dieser Zeit viel liegen müssen und sei sehr angestrengt gewesen. Die
Erkrankung sei sehr plötzlich gekommen, innerhalb eines Monats sei er sehr stark erkrankt. Seiner Ansicht nach könne er nicht
für die Fehler des Beklagten verantwortlich gemacht werden.
Mit zwei Gerichtsbescheiden vom 26. März 2021 hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es inhaltsgleich
ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen sei § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. §
330 Abs.
2 SGB III und § 45 SGB X. Wenn die Behörde auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts einen Bescheid ohne Vorläufigkeitsvorbehalt
erlasse und sich herausstelle, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig gewesen sei, so sei
ein Fall des § 45 SGB X gegeben. So liege hier der Fall: Dem Beklagten sei durch die Antragsunterlagen bei Erlass des Bescheids vom 7. März 2017
bekannt gewesen, dass der Kläger seit längerem erkrankt war und seit Juni 2016 Krankengeld bezogen habe. Auch im Weiterbewilligungsantrag
von Mai 2017 habe der Kläger angegeben, Entgeltersatzleistungen in Form von Krankengeld zu erhalten. Es sei für den Beklagten
ohne weiteres ersichtlich gewesen, dass mit einer Realisierung des Krankengeldanspruchs auch für die Zeit nach Januar 2017
gerechnet werden konnte. Bei dieser Sachlage hätte der Beklagte Leistungen allenfalls vorläufig bewilligen dürfen, von dieser
Möglichkeit habe er aber keinen Gebrauch gemacht. Der Rechtmäßigkeit stehe nicht entgegen, dass der Kläger zu den Voraussetzungen
des § 45 SGB X nicht gem. § 24 SGB X angehört worden sei, denn jedenfalls sei die Anhörung im Laufe des Klageverfahrens nachgeholt worden. Die angegriffenen Bescheide
seien materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB X seien erfüllt. Die Bewilligungsbescheide seien rechtswidrig gewesen. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen,
weil er infolge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidungen verkannt habe. Nach Überzeugung
des Gerichts sei dem Kläger bewusst gewesen, dass ihm Leistungen für die streitgegenständlichen Monate ohne Berücksichtigung
eines Krankengeldanspruchs bewilligt worden seien. Er habe im Erörterungstermin eingeräumt, sich über die Höhe der Leistungen
gewundert zu haben. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass Krankengeldzahlungen sich mindernd auf den Leistungsanspruch nach dem
SGB II auswirkten, weil der Beklagten bei der Bewilligung für die Monate Dezember 2016 und Januar 2017 entsprechend vorgegangen
sei. Dem Kläger sei deshalb klar gewesen bzw. hätte klar sein müssen, dass die fehlende Berücksichtigung von Kranken- bzw.
Übergangsgeld ab dem Monat Februar 2017 nicht richtig gewesen sei bzw. nicht auf Dauer hätte Bestand haben können. Die Erstattungsforderungen
stützten sich auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, die Berechnungen des Beklagten seien nicht zu beanstanden.
Gegen beide Gerichtsbescheide hat der Kläger am 26. April 2021 jeweils Berufung zum Landessozialgericht Hamburg erhoben,
die zunächst unter den Aktenzeichen L 4 AS 128/21 und L 4 AS 129/21 geführt wurden. Zur Begründung trägt er vor, er habe frühzeitig Einspruch gegen die Leistungsbewilligung erhoben. Nachdem
ihm der Beklagte dennoch das Geld zugesprochen habe, habe er keinen Zweifel mehr an der Rechtmäßigkeit der Bescheide gehabt
und das bewilligte Geld gutgläubig ausgegeben. Er sei nicht einverstanden gewesen mit einer schriftlichen Entscheidung durch
Gerichtsbescheid.
Mit Beschlüssen vom 19. Juli 2021 hat der Senat beide Berufungen der Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen
Richtern übertragen (§
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz –
SGG). Die Berichterstatterin hat sodann mit Beschluss vom 28. Juli 2021 beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung
verbunden, sie werden seitdem unter dem Aktenzeichen L 4 AS 128/21 geführt.
Der Kläger beantragt,
die Gerichtsbescheide vom 26. März 2021 sowie den Bescheid vom 23. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
18. Mai 2018 und den Bescheid vom 19. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2018 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen in den erstinstanzlichen Gerichtsbescheiden.
Der Senat hat vollständige Kontoauszüge des klägerischen Girokontos bei der Haspa für den Zeitraum vom 1. Februar 2017 bis
zum 30. November 2017 angefordert. Aus diesen ergibt sich eine Gutschrift am 13. September 2017 in Höhe von 3.249,18 Euro
von der Deutschen Lufthansa mit dem Betreff „Beihilfe gem. unseres Schreibens“. Danach gefragt hat der Kläger mitgeteilt,
er sei bei einer Lufthansa-Tochter angestellt gewesen und habe vom Lufthansaunterstützungswerk eine außerordentliche Kur genehmigt
bekommen. Die 3.249,18 Euro seien die Kosten für Hotel, Reise und Kur. Auf den Kontoauszügen sind mit Datum 11. September
2017 zwei Abbuchungen von „Reisemaerkte“ in Höhe von 812,- Euro und 2.437,18 Euro jeweils mit Hinweis auf Rechnungen vom 6.
September 2017 erfasst.
Der Senat hat ferner von der T... K... sämtliche Vorgänge um die (Weiter-)bewilligung von Krankengeld für die Zeit von März
2017 bis November 2017 erbeten. Die T... K... hat mit Schreiben vom 20. Oktober 2021 mitgeteilt, sie habe an den Kläger vom
25. Juli 2016 bis zum 25. November 2017 Krankengeld gezahlt. Es habe eine Leistungsmitteilung an den Kläger mit Datum 12.
Oktober 2016 gegeben. Vom 3. Januar 2017 bis zum 3. März 2017 habe das Krankengeld wegen Bezug von Übergangsgeld geruht. Eine
neue Leistungsmitteilung sei danach nicht versandt worden. Zum 1. Juli 2017 sei das Krankengeld erhöht worden, eine neue Mitteilung
sei wiederum nicht versandt worden. Ein Schriftwechsel bezüglich der Zahlung und Höhe von Krankengeld habe in dem angeforderten
Zeitraum nicht stattgefunden. Beigefügt gewesen ist ein Schreiben an den Kläger vom 12. Oktober 2016, in dem es heißt: „Gern
informieren wir Sie über die Höhe Ihres Krankengelds. Der Anspruch besteht jeweils für die nachgewiesene Dauer der ärztlich
attestierten Arbeitsunfähigkeit und beträgt ab dem 25. Juli 2016 kalendertäglich brutto 43,57 Euro […]“.
Ferner hat der Senat die DRV N. um Übersendung sämtlicher Vorgänge um die Bewilligung von Übergangsgeld im Jahr 2017 gebeten.
Diese hat mit Schreiben vom 4. November 2021 „alle Bescheide aus dem Jahr 2017“ betreffend den Kläger übersandt und mitgeteilt,
es gebe keine Telefonvermerke oder Hinweise darauf, dass der Kläger dort persönlich vorgesprochen habe. Ferner seien im Jahr
2017 keine Erstattungsansprüche von anderen Leistungsträgern angezeigt oder geltend gemacht worden. Beigefügt waren die Bescheide
über die Gewährung von Übergangsgeld vom 17. Januar 2017 und 4. April 2017 sowie zwei Bescheinigungen gem. §
312 SGB III über die Versicherungspflicht wegen des Bezuges von Entgeltersatzleistungen für den Zeitraum vom 3. Januar 2017 bis zum 31.
Januar 2017 und den Zeitraum vom 3. Januar 2017 bis zum 21. Februar 2017.
Am 28. Februar 2022 hat der Senat den Rechtsstreit mündlich verhandelt und den Kläger informatorisch befragt, insoweit wird
Bezug genommen auf das Verhandlungsprotokoll. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts
wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe
I.
Der Senat entscheidet gem. §
153 Abs.
5 SGG durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter.
II.
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Die
Bescheide vom 23. November 2017 und 19. Dezember 2017 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. Mai 2018 und vom 8.
Juni 2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
1.
Zutreffend hat das Sozialgericht angenommen, dass als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen betreffend
die Monate Februar bis November 2017 allein § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. §
330 Abs.
2 SGB III und § 45 SGB X in Betracht kommt und nicht § 48 SGB X. Denn die den streitgegenständlichen Zeitraum regelnden Bescheide vom 7. März 2017, 22. März 2017 und 5. Mai 2017 waren bereits
bei ihrem Erlass rechtswidrig und sind nicht erst durch eine nach ihrem Erlass eingetretene Änderung der tatsächlichen oder
rechtlichen Verhältnisse rechtswidrig geworden. Der Kläger bezog durchgehend Einkommen in Form von Übergangsgeld (Februar
und April 2017) bzw. Krankengeld (ab März 2017). Der erste Zufluss war bei Erlass der Bescheide bereits erfolgt, nämlich am
6. Februar 2017 das erste Übergangsgeld und am 16. März 2017 das erste Krankengeld, wobei letzteres im Anschluss laufend jeden
Monat gezahlt wurde. Jedenfalls nach Erlass des Änderungsbescheids vom 22. März 2017 – der insoweit maßgeblich ist – bzw.
des Bewilligungsbescheids vom 5. Mai 2017 ist insoweit keine Änderung mehr eingetreten.
Zu folgen ist dem Sozialgericht auch darin, dass es unschädlich ist, dass der Beklagte die Aufhebungsentscheidung auf § 48 SGB X gestützt hat, obwohl richtige Rechtsgrundlage § 45 SGB X war. Da sich der Aufhebungsbescheid in seinem Verfügungssatz nicht ändert, ist nur die Begründung, nicht die Entscheidung
selbst betroffen. Infolgedessen handelt es sich auch nicht um eine Umdeutung im Sinne von § 43 SGB X. Eine fehlerhafte Begründung führt als solche nicht zur Rechtswidrigkeit der Bescheide. Jedenfalls wenn die subjektiven Voraussetzungen
des § 45 SGB X erfüllt sind (dazu unten unter 6.), ist der „Austausch der Rechtsgrundlage“ unschädlich (vgl. BSG, Urteil vom 15.6.2016 – B 4 AS 41/15 R m.w.N.).
2.
Zwar hat der Beklagte den Kläger vor Erlass der Bescheide vom 23. November 2017 und vom 19. Dezember 2017 nicht angehört und
somit gegen die Vorschrift des § 24 SGB X verstoßen. Dieser Verstoß ist jedoch während des Widerspruchsverfahrens geheilt worden, § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X (zur Möglichkeit der Heilung eines Verstoßes gegen § 24 SGB X im Widerspruchsverfahren vgl. BSG, Urteil vom 9.11.2010 – B 4 AS 37/09 R). Die aus Sicht des Beklagten entscheidungserheblichen Tatsachen waren dem Kläger durch die Begründung der Bescheide vom
23. November 2017 und vom 19. Dezember 2017 bekannt gegeben worden. Durch die Einlegung des Widerspruchs hatte der Kläger
auch Gelegenheit, sich zu diesen Tatsachen zu äußern.
Dass der Beklagte in den Bescheiden § 48 SGB X als Rechtsgrundlage angegeben hat, obwohl sich hierauf die Aufhebung der Bewilligungen nicht rechtmäßig stützen lässt, ist
dabei unerheblich. Denn bezüglich der Frage, ob ein Anhörungsfehler vorliegt, ist von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht
der handelnden Verwaltungsbehörde auszugehen, mag sie auch falsch sein (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R). Angesichts dessen kommt es auch nicht darauf an, ob eine Anhörung zu den Voraussetzungen des § 45 SGB X im Laufe des Klageverfahrens wirksam nachgeholt wurde.
3.
Die angefochtenen Bescheide sind hinreichend bestimmt. Sie benennen die aufgehobenen Bescheide mit Datum und führen für jeden
Monat gesondert auf, ob die Leistungen ganz oder teilweise aufgehoben werden und beziffern sowohl die Höhe der Aufhebung als
auch die Höhe der verbleibenden Leistungen für jeden Monat.
4.
Es werden auch alle relevanten Bewilligungsbescheide von der Aufhebung umfasst und ausdrücklich genannt, nämlich der Bescheid
vom 7. März 2017, der Änderungsbescheid vom 22. März 2017 und der Bescheid vom 5. Mai 2017. Dass daneben zunächst auch Änderungsbescheide
aufgehoben worden, die die streitgegenständlichen Monate gar nicht erfassten, ist insoweit unschädlich und im Übrigen auch
mit den Widerspruchsbescheiden rückgängig gemacht worden.
5.
Die Entscheidungen über die Bewilligung von Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum waren bereits bei ihrem Erlass
rechtswidrig. Denn mit dem Bescheid vom 7. März 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. März 2017 und mit dem Bescheid
vom 7. Mai 2017 wurden dem Kläger Leistungen für die streitgegenständlichen Monate ohne Anrechnung von Einkommen bewilligt.
Tatsächlich aber war dem Kläger in den Monaten Februar bis November 2017 Einkommen in Form von Übergangs- bzw. Krankengeld
zugeflossen und standen ihm infolgedessen keine bzw. niedrigere Leistungen zu als bewilligt worden waren. Als Einkommen zu
berücksichtigen sind grundsätzlich alle Einnahmen in Geld, § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Unerheblich ist dabei, aus welchem Grund bzw. für welchen Zeitraum die Einnahme erfolgt; entscheidend ist allein der Zeitpunkt
des tatsächlichen Zuflusses (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 64/08 R, Rn. 15 ff. und Urteil vom 3.3.2009 – B 4 AS 47/08 R). Die Zahlungen waren daher im jeweiligen Zuflussmonat als Einkommen zu berücksichtigen, unabhängig davon, für welchen
Zeitraum sie bestimmt waren. Infolge des Einkommenszuflusses hatte der Kläger in den Monaten April bis November 2017 gar keinen
Anspruch auf Leistungen, in den Monaten Februar und März 2017 einen geringeren Anspruch. Zutreffend hat der Beklagte von dem
Einkommen lediglich einen Freibetrag in Höhe von 30,- Euro monatlich als Versicherungspauschale gem. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II-Verordnung in Abzug gebracht. Weitere Absetzungen waren nicht vorzunehmen, da die Voraussetzungen
hierfür (§ 11b SGB II) erkennbar nicht vorlagen. Nach Abzug dieses Betrags von den oben dargestellten Zuflüssen ergibt sich für den Monat Februar
2017 ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 396,14 Euro und für März 2017 in Höhe von 351,40 Euro, sodass ein Leistungsanspruch
jeweils in entsprechend geringerer Höhe bestand. Für die Monate April bis November 2017 ergibt sich hingegen ein anzurechnendes
Einkommen von jeweils mehr als die bewilligten und gezahlten 937,19 Euro, sodass der Kläger für diese Monate gar keine Leistungen
beanspruchen konnte. Dies hat der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zutreffend umgesetzt.
Offenbleiben kann, ob die im September 2017 gezahlte Beihilfe der Lufthansa in Höhe von 3.249,18 Euro als Einkommen anzurechnen
ist oder es sich um eine reine Auslagenerstattung handelte. Denn auch ohne Berücksichtigung dieser Zahlung hatte der Kläger
im September 2017 ein seinen Bedarf übersteigendes Einkommen aus Krankengeld und somit ohnehin keinen Anspruch auf Leistungen
nach dem SGB II.
6.
§ 45 Abs. 2 SGB X steht einer Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen nicht entgegen. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt
nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter
Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Dabei ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig,
wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X), wovon hier auszugehen ist. Allerdings kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauensschutz berufen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X), wenn
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig
oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit
liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Wie bereits das Sozialgericht, so ist auch der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der
Bewilligungen zumindest infolge grober Fahrlässigkeit verkannt hat. Für die Annahme grober Fahrlässigkeit reicht es nicht
aus, dass der Betroffene Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat, sondern die Zweifel müssen so ausgestaltet sein, dass es für jeden
erkennbar ist, dass hier wenigstens eine Nachfrage notwendig wäre.Es müssen einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht
angestellt werden. Das ist der Fall, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste, wobei auf die
persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der Betroffenen sowie die besonderen Umstände
des Falles abzustellen ist (vgl. Padé, jurisPK-SGB X, § 45 Rn. 91 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Da eine Obliegenheit des Begünstigten, Bewilligungsbescheide
zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch dann besteht, wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (vgl. BSG, Urteil vom 8.2.2001 – B 11 AL 21/00 R), handelt grob fahrlässig, wer blind auf einen Bewilligungsbescheid vertraut, ohne sich mit dem Inhalt der Bewilligung zu
befassen. Auf der anderen Seite ist der Begünstigte, der zutreffende Angaben gemacht hat, nicht gehalten, Bewilligungsbescheide
im Detail auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. BSG, Urteil vom 8.2.2001 – B 11 AL 21/00 R; Merten in: Hauck/Noftz, § 45 SGB X, Rn. 75).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist hier von grober Fahrlässigkeit auszugehen: Dem Kläger war durchaus bekannt, dass
Leistungen wie Übergangs- und Krankengeld auf seinen Leistungsanspruch anzurechnen waren. Er hat über ein Telefongespräch
mit einem Mitarbeiter des Beklagten berichtet, in dem dieser nach der genauen Höhe des Krankengeldes gefragt habe, weil dies
für die Leistungsberechnung wichtig sei. Zudem hatte der Kläger gegen den ersten Bewilligungsbescheid vom 7. März 2017, in
dem für die Monate Dezember 2016 bis Februar 2017 Einkommen aus Kranken- bzw. Übergangsgeld angerechnet worden war, Widerspruch
eingelegt und diesen u.a. explizit damit begründet, dieses Einkommen müsse anders – nach Tagessätzen und nicht wie geschehen
nach dem tatsächlichen Zufluss – angerechnet werden. Der Kläger hat den Bescheid vom 7. März 2017 also durchaus genau zur
Kenntnis genommen, er hat nicht nur den Berechnungsbogen (aus dem sich die Einkommensanrechnung ergibt) gelesen, sondern offensichtlich
auch die genaue Art der Einkommensanrechnung – nämlich anhand der tatsächlichen Zuflüsse – erkannt und sich über diese Gedanken
gemacht. Das zeigt für den Senat zum einen eindeutig, dass der Kläger in der Lage war, die Bescheide genau zu lesen und insbesondere
auch die Einkommensanrechnung zwar nicht unbedingt im Detail nachvollziehen zu können aber doch soweit zu verstehen, dass
er konkrete Zweifel hierzu äußern konnte. Dass er den Widerspruch seinen eigenen Angaben zufolge gemeinsam mit seiner Mutter
formuliert hat, steht dem nicht entgegen, denn auch wenn die Mutter den Anstoß gegeben haben mag, war der Kläger doch offensichtlich
auch selbst informiert gewesen. Zum anderen ergibt sich daraus auch ohne jeden Zweifel, dass dem Kläger sehr wohl bewusst
war, dass das Einkommen aus Übergangs- und Krankengeld auf seinen Leistungsanspruch – auf welche Art und Weise auch immer
– anzurechnen war und ihm nicht gleichzeitig Übergangs- bzw. Krankengeld und ungeminderte Leistungen nach dem SGB II zustanden. Auch dem Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2017 konnte der Kläger klar entnehmen, dass Krankengeld entsprechend
seinem Zufluss als Einkommen anzurechnen ist. Vor diesem Hintergrund hält der Senat die Aussage des Klägers, er habe nach
dem Widerspruch darauf vertraut, dass der Beklagte schon alles richtig mache und ab da dessen Entscheidungen nicht mehr hinterfragt,
für nicht glaubhaft. Diese Angabe steht zudem im Widerspruch zu der Einlassung des Klägers, seine Mutter habe ihn darauf hingewiesen,
dass Bescheide des Beklagten oftmals unrichtig seien. Jedenfalls aber hätte der Kläger bei einem Blick in den Berechnungsbogen
der Bescheide vom 22. März 2017 und vom 5. Mai 2017 leicht erkennen können, dass in diesen für die Monate ab Februar 2017
keinerlei Einkommen mehr berücksichtigt wurde und hätte ihn dies angesichts der vorherigen Erfahrungen zu Nachfragen veranlassen
müssen, zumindest aber dazu, den Beklagten explizit über die tatsächliche Wiederaufnahme der Krankengeldzahlungen ab März
2017 zu informieren. Ferner hätte dem Kläger auch auffallen müssen, dass ihm jedenfalls ab April mit dem vollen Wiedereinsetzen
der Krankengeldzahlungen deutlich mehr Geld zur Verfügung stand als zur Bedarfsdeckung erforderlich. Es geht hier nicht um
eine Überzahlung in lediglich geringer Höhe, vielmehr hatte der Kläger ab April 2017 mit der Summe aus Krankengeld und SGB II-Leistungen monatlich mehr als das Doppelte seines Bedarfs zur Verfügung. Dass ihm – der er sich auch darauf berufen hat,
dass das Geld knapp geworden sei – dies nicht aufgefallen sein will, vermag der Senat nicht zu glauben.
7.
Die Aufhebung erfolgte innerhalb der Frist von einem Jahr nach Bekanntwerden der Aufhebung der Bewilligung rechtfertigenden
Tatsachen, § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.
8.
Das Erstattungsverlangen findet seine Grundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Ist ein Verwaltungsakt aufgehoben worden, so sind danach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Berechnung der Rückforderungssumme
ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden und weist keine Fehler auf.
9.
Entgegen der Ansicht des Klägers war der Beklagte nicht gehalten, sich statt an den Kläger mit einem Erstattungsanspruch an
die Krankenkasse zu wenden. Ein solcher Erstattungsanspruch würde sich nach den § 102 ff. SGB X richten und voraussetzen, dass der Beklagte die Leistung an den Kläger rechtmäßig erbracht hat. Das war aber wie oben (unter
5.) dargelegt nicht der Fall.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, da hierfür keine Gründe im Sinne des §
160 Abs.
2 SGG vorliegen.