Umkehr der Beweislast bei Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung aufgrund besonderer Beweisnähe zu dem
Hilfebedürftigen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013 und die damit einhergehende Erstattungsforderung in Höhe von 6.245,44
Euro.
Die 1962 geborene Klägerin stand im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Sie wurde am 29. Oktober 2014 von Mitarbeitern des Hauptzollamtes in einer sog. Modellwohnung angetroffen, wo sie unter
den Namen „C.“ bzw. „E.“ der Prostitution nachging. Ausweislich eines Vermerks gab sie an, seit Februar 2014 an zwei Tagen
pro Woche zu arbeiten, höchstens 300,00 Euro pro Monat zu erzielen und 20,00 Euro täglich für das Zimmer zu bezahlen. Auf
dem einschlägigen Internet-Portal „m.“ ließen sich ihre Annoncen bis zum 6. September 2011 zurückverfolgen. Bei ihrer Vernehmung
am 15. Juni 2015 gab die Klägerin an, von September 2011 bis Mai 2014 nur ca. 100,00 Euro monatlich netto verdient zu haben.
Derzeit erziele sie Einkünfte in Höhe von ca. 1.000,00 Euro; für die Wohnung habe sie 300,00 Euro zu bezahlen. Ab Anfang Juli
2013 sei sie wegen Krankheit ca. sechs Wochen lang nicht in der Lage gewesen zu arbeiten.
Mit Bescheid vom 16. April 2015 hob der Beklagte nach Anhörung der Klägerin im März 2015 den Bewilligungsbescheid vom 26.
Oktober 2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24. November 2012, mit dem für Dezember 2012 Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts der Klägerin in Höhe von 857,98, für Januar 2013 in Höhe von 977,37 und für Zeit von Februar bis Mai
2013 in Höhe von 865,98 Euro monatlich sowie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bewilligt worden waren, unter Berufung
auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. §
330 Abs.
2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) und i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit der Begründung vollständig auf, dass die Klägerin während der genannten Zeit Einkommen aus der Beschäftigung als Prostituierte
erzielt habe. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei sie nicht hilfebedürftig im Sinne von § 9 i.V.m. § 11 SGB II. Das Einkommen sei anzurechnen, was zum Wegfall ihres Anspruches führe. Die überzahlten Leistungen seien gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zuzüglich der entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i.V.m. §
335 Abs.
1 und 5
SGB III zu erstatten.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch vom 5. Mai 2015. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2015 wies der
Beklagte den Widerspruch zurück. Gemäß § 45 SGB X sei ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit nach Antragstellung
oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden sei, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs
geführt haben würde. Es sei von deutlich höheren Einnahmen als nachträglich behauptet auszugehen, weil die Hilfebedürftigkeit
nicht belegt sei. Die Nichtaufklärbarkeit der Aufhebungsvoraussetzungen gehe im vorliegenden Fall aufgrund der Beweislastumkehr
zu Lasten der Klägerin. Zusätzlich lägen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor. Die bewilligten Leistungen seien somit ganz aufzuheben und gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Daraufhin hat die Klägerin am 20. November 2015 Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, es sei richtig, dass sie ihre
Tätigkeit und die daraus resultierenden Einnahmen und Ausgaben pflichtwidrig nicht angezeigt habe, weil sie irrig davon ausgegangen
sei, Einkünfte unterhalb des Freibetrags von 100,00 Euro müssten nicht angegeben werden. Sie sei lange Zeit nur in sehr geringem
Umfang als Prostituierte tätig gewesen und habe kein Kassenbuch geführt, so dass sie ihre Einnahmen nicht belegen könne. Es
stimme nicht, dass sie 150,00 Euro pro Stunde/Kunde nehme, die Einnahmen lägen regelmäßig weit darunter. Nur weil ein Kunde
dies im Forum geschrieben habe, führe dies nicht dazu, dass sie diesen Stundensatz von jedem Kunden erhalte. Aus einem anderen
Kommentar ergebe sich ein Betrag von 80,00 Euro. Zudem habe sie zu Werbezwecken einen Großteil der Gästebucheinträge selbst
geschrieben. Soweit der Beklagte von höheren Einnahmen ausgehe, hätte er das geschätzte Einkommen unter Darlegung der Schätzgrundlage
konkret berechnen und begründen müssen, was vorliegend nicht erfolgt sei. Die pauschale Annahme eines bedarfsdeckenden Einkommens
sei unzulässig. Die Fehlerhaftigkeit zeige sich schon darin, dass sie weiterhin im Leistungsbezug stehe und auf aufstockende
Leistungen angewiesen sei, obwohl sie ihr Gewerbe nach dem streitgegenständlichen Zeitraum ausgeweitet habe.
Dem ist der Beklagte entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen der Beweislastumkehr gegeben seien.
Die Klägerin habe weder substantiiert darlegen noch beweisen können, welchen tatsächlichen Gewinn sie als Prostituierte im
streitgegenständlichen Zeitraum erzielt habe. Vor diesem Hintergrund befinde sich der Beklagte in Beweisnot, da die konkreten
Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Klägerin ohne ihre Hilfe nicht zu ermitteln seien. Beruhe die unvollkommene Beweiserhebung
in einem derartigen Fall auf einem vorwerfbaren Tun oder Unterlassen der Person, der die Unerweislichkeit der Tatsache zum
prozessualen Vorteil gereiche und in dessen Sphäre diese liege, sei dementsprechend eine Beweislastumkehr geboten. In der
Rechtsfolge könne sich der Beklagte über Zweifel an der Hilfebedürftigkeit hinwegsetzen und fehlende Hilfebedürftigkeit als
bewiesen ansehen. Die Einkommenssituation sei allein der Verantwortungssphäre der Klägerin zuzuordnen. Eine besondere, ihr
anzulastende Beweisnähe, die die Beweislastumkehr rechtfertige, begründe sich daraus, dass die Klägerin es unterlassen habe,
Aufzeichnungen über ihre Einnahmen als Prostituierte zu machen. Unstrittig sei sie zumindest seit September 2011 als Prostituierte
tätig und habe nach Angaben des Zolls seit September 2011 umfangreiche kostenpflichtige Werbung für ihre gewerblichen Dienste
als Prostituierte geschaltet und laut zahlreicher Kundeneinträge in dem Gästebuch nicht unerhebliche Einnahmen erzielt. Nachweise
für diese Einnahmen seien nicht vorgelegt worden und könnten nicht mehr vorgelegt werden. Selbst wenn man von einem Kunden
pro Tag ausgehe, was angesichts der Vielzahl der Kundeneinträge in dem Gästebuch als eher niedrig gegriffen anzusehen sei,
errechneten sich monatliche Einnahmen von 3.000,00 Euro. Auch der Bundesfinanzhof gehe in seiner Einkommensschätzung von einem
Mindesteinkommen von 2.500,00 Euro pro Monat (200 Arbeitstage mit durchschnittlich drei Kunden pro Tag sowie einem durchschnittlichen
Entgelt pro Dienstleistung von 50,00 Euro) aus. Der Beklagte habe letztendlich sämtliche Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft.
Weitere Ermittlungsmöglichkeiten gebe es nicht; zumal die Klägerin für ihre Tätigkeit bar bezahlt worden sei und sie nach
ihrer Aussage kein Kassenbuch geführt habe. Einzig und allein die Klägerin hätte die Unklarheiten über ihre Einnahmen klären
können und müssen. Sie habe die Beweisnot des Beklagten herbeigeführt, so dass der Beklagte sich über etwaige Zweifel hinsichtlich
der Einkommenssituation der Klägerin habe hinwegsetzen können und es als bewiesen ansehen könne, dass ausreichend Einkommen
erzielt worden sei und damit keine Hilfebedürftigkeit vorgelegen habe.
Auf gerichtliche Nachfrage hat die Klägerin erklärt, dass Steuerbescheide für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht vorgelegt
werden könnten, da mangels steuerpflichtigen Einkommens keine Steuererklärungen abgegeben worden seien. Auf weitere gerichtliche
Anfrage hat die Vermieterin der Modellwohnung erklärt, sie könne nicht mehr nachvollziehen, wann bzw. wie oft die Klägerin
die Wohnung gemietet habe. Eine gerichtliche Anfrage vom 22. Oktober 2019 an die Klägerin, Zeugen hinsichtlich ihres Arbeits-
und Einkommensumfangs zu benennen, blieb unbeantwortet.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. November 2020 abgewiesen. Die Bescheide seien rechtmäßig nach
§ 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §
330 Abs.
2 SGB III. Hiernach gelte, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, mit Wirkung
für die Vergangenheit zurückzunehmen sei, soweit sich der Begünstigte nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, d.h. der Verwaltungskat
auf Angaben beruhe, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig
gemacht habe (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt
habe (Nr. 3). Hier sei die Leistungsbewilligung ab September 2011 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit aufgrund des Einkommens
der Klägerin aus ihrer selbständigen Tätigkeit rechtswidrig gewesen. Die Kammer stütze ihre Überzeugung auf die schlüssigen
und nachvollziehbaren Berechnungen des Beklagten, dem wiederum die Ermittlungen des Hauptzollamts zugrunde lägen. Aus den
81 Ausdrucken der Internetseite „m.“ ergebe sich, dass die Klägerin zumindest seit September 2011 von Montag bis Freitag in
der Zeit von 10.00 Uhr bis 17.00 bzw. 20.00 Uhr als Prostituierte gearbeitet und laut Gästebucheintragungen von den Kunden
für ihre Dienstleistungen 80,00 bis 150,00 Euro verlangt habe. Vor diesem Hintergrund sei die Annahme des Beklagten, dass
die Klägerin mindestens Einnahmen von 3.000,00 Euro monatlich erzielt habe, plausibel. Zwar habe die Klägerin gegenüber dem
Hauptzollamt angegeben, dass sie nur an zwei Tagen in der Woche arbeite und höchstens 300,00 Euro pro Monat verdiene bzw.
gegenüber dem Beklagten, dass sie nur 100,00 Euro monatlich erzielt habe. Diese Behauptung sei aber völlig unbelegt, finde
in den vom Hauptzollamt ermittelten Belegen keine Stütze und sei der Klägerin deshalb nicht zu glauben. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten
hinsichtlich der Einkommenshöhe bestünde angesichts des Umstands, dass alle Dienstleistungen in bar entgolten wurden, die
Klägerin über ihre Einnahmen nicht Buch geführt und keine Steuererklärungen abgegeben habe sowie Ermittlungen zur Häufigkeit
der Anmietung des Zimmers ohne Erfolg geblieben seien, nicht. Soweit die Klägerin vorbringe, sie habe nach 2014 trotz Ausweitung
ihrer Tätigkeit aufstockende Leistungen bezogen, sei dies nicht geeignet, die Annahmen des Beklagten für vorherige Zeiträume
zu widerlegen. Überdies beruhe auch dieser Leistungsbezug wiederum allein auf den Angaben der Klägerin. Es sei auch nicht
davon auszugehen, dass die Klägerin 2011 diese Einnahmen aufgrund eines etwaigen Neueinstiegs nicht hätte erreichen können,
denn aus den Gästebucheintragungen ergebe sich auch, dass die Klägerin früher schon in anderen H. Stadtteilen bzw. in R. als
Prostituierte gearbeitet habe und ihr Geschäft deshalb bereits eingeführt gewesen sei. Da der eher moderat geschätzte Betrag
von 3.000,00 Euro den monatlichen Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von 847,98 Euro selbst bei Abzug der Betriebsausgaben
von mehreren hundert Euro (Zimmermiete und Kosten für Internetauftritte) um mehr als das Doppelte übersteige, sei die Klägerin
so zu behandeln, als ob ihre Hilfebedürftigkeit ab September 2011 nicht vorgelegen hätte. Auf die Entscheidung der zwischen
den Beteiligten streitigen Frage, ob die Klägerin im Sinne einer Beweislastumkehr die objektive Beweislast für das Vorliegen
von Hilfebedürftigkeit im Aufhebungszeitraum trage, komme es danach nicht mehr an.
Es greife auch der Ausschluss des Vertrauensschutzes nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X, weil die Klägerin bereits bei Antragstellung ihre Einkünfte verschwiegen und damit zumindest grob fahrlässig unrichtige
Angaben gemacht habe; zudem sei ihr die Rechtswidrigkeit der Bewilligung bekannt bzw. grob fahrlässig unbekannt gewesen.
Gegen diesen ihr am 27. November 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am Montag, den 28. Dezember 2020 Berufung
erhoben. Sie wendet sich erneut gegen eine Schätzung ihrer Einkünfte; dies hätte bereits im Bescheid und unter Darlegung einer
tragfähigen Schätzgrundlage erfolgen müssen. Daran fehle es.
Mit Beschluss vom 28. Juni 2021 hat der Senat die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern
übertragen (§
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz –
SGG).
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hamburg vom 26. November 2020 den Bescheid des Beklagten vom 16.
April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen in dem erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.
Am 17. März 2022 hat der Senat den Rechtsstreit mündlich verhandelt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten
und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte, der staatsanwaltschaftlichen Akte sowie der Verwaltungsakten des
Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
I.
Der Senat entscheidet gem. §
153 Abs.
5 SGG durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter.
II.
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen
Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
1.
Zutreffend hat das Sozialgericht angenommen, dass als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen hier
allein § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. §
330 Abs.
2 SGB III und § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X in Betracht kommt. Denn die Bewilligungsbescheide hinsichtlich des hier gegenständlichen Zeitraumes waren bei ihrem Erlass
offenbar rechtswidrig, weil die Klägerin bereits im September 2011 ihre selbständige Tätigkeit aufgenommen hatte.
2.
Der Beklagte hat die Klägerin vor Erlass des Bescheides auch angehört und der Vorschrift des § 24 SGB X entsprochen.
3.
Die angefochtenen Bescheide sind hinreichend bestimmt. Sie benennen die aufgehobenen Bescheide mit Datum und führen für jeden
Monat gesondert und beziffert die Höhe der Aufhebung auf.
4.
Es werden auch alle relevanten Bewilligungsbescheide von der Aufhebung umfasst und ausdrücklich genannt.
5.
Die Leistungsbewilligung war rechtswidrig mangels Hilfebedürftigkeit der Klägerin (§§ 7, 9 SGB II). Das ergibt sich aus Folgendem:
Zwar trägt grundsätzlich die Behörde bei der Leistungsaufhebung die materielle Beweislast für die Rechtswidrigkeit der aufzuhebenden
Bewilligungsbescheide. Der Beklagte hat aber richtigerweise im vorliegenden Fall eine Umkehr der Beweislast angenommen. Eine
solche ist gerechtfertigt, wenn eine besondere Beweisnähe zu einem Beteiligten besteht (BSG, Urteil vom 15.6.2016 – B 4 AS 41/15 R; Urteil vom 24.5.2006 -B 11a AL 7/05 R ; Urteil des Senats vom 26.3.2018 – L 4 AS 393/14). Das ist anzunehmen, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungssphäre wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar
sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung
erschwert oder verhindert wird . So liegt es hier, weil die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit durch die Klägerin feststeht und die Höhe der Einkünfte
mangels Kassenbuchs oder Steuerunterlagen allein durch ihre Angaben erschlossen werden könnte. Insoweit fehlt es aber an belastbaren
Angaben, weil die Klägerin sich nur unsubstantiiert und mit wechselnden Angaben eingelassen hat.
Der Senat sieht keine Möglichkeit einer realistischen Schätzung der Einkünfte der Klägerin; jedenfalls nicht mit dem Ergebnis
fehlenden bedarfsdeckenden Einkommens. Denn ihre Angaben wechselten, Aufklärungsbemühungen des Sozialgerichts bleiben erfolglos
und überschlägige Berechnungen eines möglichen Umsatzes führen zur Annahme einer Bedarfsdeckung – so bereits das Sozialgericht.
Weitere Aufklärungsmöglichkeiten erkennt der Senat nicht. Eine Heranziehung der von der Klägerin für spätere Bewilligungszeiträume
gemachten Angaben über ihre Umsätze und Gewinne scheidet aus, weil überhaupt nicht deutlich ist, dass die Verhältnisse in
den verschiedenen Zeitabschnitten (im Wesentlichen) gleich liegen. Es wäre daher – abgesehen davon, dass auch diese Zahlen
allein auf den Angaben der Klägerin beruhen – bloße Spekulation, wollte das Gericht davon ausgehen, dass zeitlicher Einsatz
der Klägerin, Kundenfrequenz, Preise und Kosten über die Zeit stabil geblieben sind.
Infolge der Unaufklärbarkeit der Einkommenssituation der Klägerin ist von deren fehlender Hilfebedürftigkeit auszugehen. Zwar
enthalten weder das SGB II noch die Alg II-V eine dahingehende Vermutung, dies schließt gleichwohl nicht aus, dass die Nichtaufklärbarkeit der Einkommenssituation ausnahmsweise
nach den allgemeinen Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Leistungsberechtigten geht. Ist dem Leistungsempfänger
die Beweislast für eine Tatsache aufzuerlegen, ist er bei Unaufklärbarkeit so zu behandeln, als ob das entsprechende Tatbestandsmerkmal
durchgehend nicht vorgelegen hat, ohne dass für eine Überprüfung noch Raum bleibt (BSG, a.a.O.).
6.
§ 45 Abs. 2 SGB X steht einer Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen nicht entgegen. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt
nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter
Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Dabei ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig,
wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X), wovon hier auszugehen ist. Allerdings kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauensschutz berufen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X), wenn
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig
oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit
liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Hier ist die Regelung nach Nr. 3 einschlägig, da die Klägerin die aufgrund ihrer Einkünfte offenkundig bestehende Rechtswidrigkeit
der Leistungsbewilligung kannte bzw. offensichtlich kennen musste.
7.
Die Aufhebung erfolgte innerhalb der Frist von einem Jahr nach Bekanntwerden der Aufhebung der Bewilligung rechtfertigenden
Tatsachen, § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.
8.
Das Erstattungsverlangen findet seine Grundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Ist ein Verwaltungsakt aufgehoben worden, so sind danach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Berechnung der Rückforderungssumme
ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden und weist keine Fehler auf.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, da hierfür keine Gründe im Sinne des §
160 Abs.
2 SGG vorliegen.