Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist bei beim unzuständigen
Gericht eingelegter Berufung
Tatbestand
Der 1965 geborene Kläger beantragte am 14. Oktober 2020 bei der Beklagten Kindergeld, Kinderzuschlag und Leistungen zur Bildung
und Teilhabe. Zur Begründung führte er aus, er sei Vollwaise und es sei eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Bundeskindergeldgesetz (
BKGG) festgestellt worden.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kinderzuschlag mit Bescheid vom 22. Oktober 2020 ab und führte zur Begründung aus, der
Kläger erhalte kein Kindergeld und Kinderzuschlag könne nur für Kinder beantragt werden, die im eigenen Haushalt lebten. Hiergegen
erhob der Kläger am 7. November 2020 Widerspruch. Die Ablehnung sei rechtswidrig, da er als Vollwaise im eigenen Haushalt
einen Anspruch auf Kindergeld und Kinderzuschlag habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2020 wies der Beklagte den
Widerspruch zurück. Kinderzuschlag nach § 6a
BKGG könne nur für Kinder bewilligt werden, die im Haushalt der antragstellenden Person leben. Der Widerspruchsführer beantrage
jedoch den Kinderzuschlag für sich selbst. Des Weiteren setze die Bewilligung des Kinderzuschlags den Bezug von Kindergeld
voraus. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst, da er die geltende Höchstaltersgrenze, das 27. Lebensjahr,
bereits am 27. April 1992 vollendet habe. Da kein Anspruch auf Kindergeld bestehe, bestehe auch kein Anspruch auf Kinderzuschlag.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, es sei
bereits im Jahr 1987 eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 3
BKGG festgestellt worden. Er habe einen Anspruch auf Kindergeld auch über das 25. Lebensjahr hinaus. Das Sozialgericht hat die
Klage mit Gerichtsbescheid vom 22. Juni 2021 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kinderzuschlag. Er wohne nicht
mit einem Kind in einem Haushalt. Der Bezug von Kinderzuschlag für sich selbst sei in § 6a
BKGG nicht vorgesehen. Der Gerichtsbescheid war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, in der es wörtlich hieß:
„Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung
des Gerichtsbescheids beim Landessozialgericht Hamburg, Dammtorstraße 7, 20354 Hamburg, schriftlich, in elektronischer Form
oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder schriftlich bei der Gemeinsamen Annahmestelle für das Landgericht
Hamburg, das Amtsgericht Hamburg und weitere Behörden, Sievekingplatz 1, 20355 Hamburg einzulegen. Die Berufungsfrist ist
auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht Hamburg, Dammtorstraße 7, 20354 Hamburg, schriftlich,
in elektronischer Form oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.“
Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 24. Juni 2021 zugestellt. Am 23. Juli 2021 hat der Kläger Berufung zum Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht eingelegt. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 2. September 2021 an das Landessozialgericht
Hamburg verwiesen, wo die Akten am 22. September 2021 eingegangen sind.
Zur Begründung der Berufung hat der Kläger vorgetragen, er fordere die Zahlung von Kinderzuschlag. Diese sei getrennt zu prüfen
nach allen Alternativen des § 6a
BKGG.
Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen nach sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Juni 2021 sowie den Bescheid vom 22. Oktober 2020 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 25. November 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Kinderzuschlag zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 17. Januar 2022 hat der Senat die Berufung nach §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) der Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des
Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten
verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Nach §
153 Abs.
5 SGG entscheidet der Senat durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden. Der Senat konnte trotz Ausbleibens
des Klägers in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil der Kläger ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen
worden war (§
110 Abs.
1 SGG).
Die Berufung ist bereits unzulässig, da die einmonatige Berufungsfrist (§
151 Abs.
1 SGG) nicht eingehalten wurde. Gemäß §
151 Abs.
1 SGG ist die Berufung beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Gemäß §
151 Abs.
2 Satz 1
SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Innerhalb der am 25. Juni 2021 beginnenden und am 26. Juli 2021 (Montag) endenden Berufungsfrist ist weder beim Landessozialgericht
Hamburg noch beim Sozialgericht Hamburg ein Berufungsschriftsatz eingegangen. Der Eingang beim unzuständigen Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht ist für die Einhaltung der Frist nicht ausreichend (vgl. dazu, dass die Einlegung der Berufung bei einem
anderen Gericht die Berufungsfrist nicht wahrt, BSG, Beschluss vom 7.10.2015 – B 9 SB 47/15 B; LSG Hamburg, Urteil vom 24.11.2021 – L 3 AL 25/21). Der Kläger ist in dem angefochtenen Gerichtsbescheid auch zutreffend darüber belehrt worden, wo die Berufung einzulegen
ist.
Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§
67 SGG) sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Insbesondere kommt eine Wiedereinsetzung unter dem Aspekt, dass das Schleswig-Holsteinische
LSG den Berufungsschriftsatz nicht rechtzeitig an das zuständige LSG Hamburg weitergeleitet habe, nicht in Betracht. Zwar
ist anerkannt, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann gewährt werden kann, wenn eine (fristwahrende) Rechtsmittelschrift
an das unzuständige Gericht übersandt worden ist und infolge pflichtwidrigen Verhaltens dieses Gerichts erst nach Ablauf der
Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht eingeht (BSG Beschluss vom 14.12.2010 – B 10 EG 4/10 R, BSG Beschluss vom 7.10.2015 – B 9 SB 47/15 B). Eine Wiedereinsetzung kommt danach in Betracht, wenn der fristgebundene Schriftsatz so zeitig eingereicht worden ist, dass
die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann
(BFH Beschluss vom 18.8.2014 - III B 16/14). So liegt es hier aber nicht. Denn die an das falsche Gericht adressierte Berufungsschrift ging dort erst am Freitag, den
23. Juli 2021 und damit kurz vor Fristablauf ein. Für die Mitarbeiter des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht war
auch nicht erkennbar, dass besondere beschleunigende Maßnahmen geboten gewesen wären. Bei einer Weiterleitung der Berufungsschrift
im ordentlichen Geschäftsgang konnte nicht damit gerechnet werden, dass der Schriftsatz noch am Freitag selbst oder aber am
darauffolgenden Montag, dem Tag des Fristablaufs, das zuständige Landessozialgericht Hamburg erreichen werde.
Im Übrigen erlaubt sich der Senat den Hinweis, dass die Berufung auch nicht begründet war. Zu Recht und mit zutreffender Begründung
hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Kinderzuschlag kann nach § 61
BKGG unter keinen Umständen für sich selbst beantragt werden, sondern nur für Kinder, die im Haushalt der antragstellenden Person
leben. Dies verkennt der Kläger. Kindergeld kann man hingegen unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2
BKGG auch für sich selbst erhalten. Der Kläger hat insoweit jedoch die Höchstaltersgrenze längst überschritten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht vorliegen.