Tatbestand:
Streitig ist die rentensteigernde Berücksichtigung des Monats Oktober 1939 als einer weiteren Ersatzzeit.
Die im ... 1924 in C. (Polen/Wojewodschaft Łódź) geborene Klägerin ist die Witwe des am ... 2002 verstorbenen S. (künftig
bezeichnet als der Versicherte). Dieser war am 10. Mai 1914 in B. (Polen/Wojewodschaft Łódź) als Sohn jüdischer Eltern geboren
worden und hatte seit seiner im Juli 1950 erfolgten Auswanderung aus Deutschland, wo er 1946 die Ehe mit der Klägerin eingegangen
war, bis zu seinem Ableben in den USA gelebt, deren Staatsangehörigkeit er im November 1954 erworben und wo er später eine
Rente aus der dortigen Sozialversicherung bezogen hatte.
Er wurde als rassisch Verfolgter im Sinne der jeweils einschlägigen Bestimmungen zur Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen
Verfolgung anerkannt und für verfolgungsbedingte Schäden an Gesundheit und an Freiheit entschädigt. Bereits im Juni 1950 bewilligte
ihm das Bayrische Landesentschädigungsamt (BLEA) eine Haftentschädigung gemäß § 15 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts (Entschädigungsgesetz) für eine Freiheitsberaubung von 59 vollen Monaten im Ghetto Łódź vom Mai 1940 bis Oktober
1944 sowie im KZ Oranienburg vom Oktober 1944 bis April 1945 (tatsächlich umfassten die Zeiträume insgesamt 60 Monate). Der
Versicherte hatte in seinem Antrag vom 21. Januar 1950 zu Zeiten des Freiheitsentzuges die folgenden Angaben gemacht:
- Zwangsarbeit Belchatow von Ende Sept. 1939 bis Februar 1940
- Ghetto Łódź Februar 1940 bis Sept. 1944
- Konzentrationslager Oranienburg Oktober 1944 bis Anfang Mai 1945
Er hatte in diesem Zusammenhang eine von ihm vor dem Oberrabbinat Hannover abgegebene eidesstattliche Versicherung vom 3.
Februar 1949 vorgelegt, der zufolge er vom Oktober 1939 bis Juni 1940 zur Arbeit in Belchatow zwangsverpflichtet gewesen sei.
In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 19. Dezember 1949 hatte er angegeben, er sei von Februar 1940 bis Oktober 1944
im Ghetto Łódź gewesen. Zur Stützung seines gleichzeitig gestellten - später abgelehnten - Antrags zur Erlangung einer Entschädigung
für einen Schaden an Eigentum und Vermögen hatte er die eidesstattliche Versicherung des seinerzeit wie er in N. ansässigen
Tischlermeisters H. vom 21. Januar 1950 vorgelegt, der zufolge dieser in dem Tischlereibetrieb des Versicherten in Belchatow
1936 als Lehrling eingetreten und dort bis zum Einrücken der Deutschen und zur Schließung des Betriebs Ende September 1939
beschäftigt gewesen sei. Er sei in der Folgezeit mit dem Versicherten zur Zwangsarbeit eingesetzt gewesen.
Im Oktober 1956 beantragte der Kläger eine weitere Entschädigung wegen des Tragens des Judensterns ab dem 15. November 1939
bis zu dem im o. g. Feststellungsbescheid angegebenen Beginn der Inhaftierung. In seiner am 10. Dezember 1956 vor dem notary
public in New York abgegebenen eidesstattlichen Versicherung gab er hierzu an, die jüdische Bevölkerung von Belchatov habe
schon einige Zeit nach Beginn der deutschen Besetzung ein Kennzeichen tragen müssen. Er beantrage hierfür eine Entschädigung
ab Dezember 1939. Im Sommer 1957 bewilligte das BLEA eine Entschädigung für eine Freiheitsbeschränkung durch Tragen des Judensterns
gemäß § 47 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz - BEG
- v. 18.09.1953 BGBl. I S. 1387) für weitere vier Monate ab Januar 1940.
Im September 1957 erkannte das BLEA einen verfolgungsbedingten Schaden an Körper und Gesundheit in Gestalt eines Zustandes
nach Verbrühungen am linken Unterschenkel mit atrophischer Hautnarbenbildung und beginnender Krampfaderbildung an und bewilligte
dem Versicherten hierfür eine Rente. Im seinem vorbereitenden Gutachten vom 3. Februar 1955 hatte Dr. C1, New York, berichtet,
der Versicherte habe bei der am 21. Januar 1955 durchgeführten Untersuchung angegeben, er habe sich ab 1940 bis 1943 im Ghetto
aufgehalten, danach bis zu seiner Befreiung 1945 in verschiedenen KZ. Dieselben Angaben machte er gegenüber diesem Sachverständigen
bei der Untersuchung am 26. Juni 1956.
Im April 2001 beantragte der Versicherte Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Er habe als Jude während
der deutschen Besetzung durch Arbeiten in einem Ghetto in den eingegliederten Gebieten Beitragszeiten zurückgelegt. Seine
Tätigkeit beschrieb er wie folgt: von 1940 bis 1944 "truck-lorries making and cribs making for the Germans". Er habe dafür
Nahrungsmittel und Ghetto-Geld erhalten. Nach dem Ableben des Versicherten am 13. März 2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin
mit Bescheid vom 28. November 2003 antragsgemäß mit Wirkung vom Todestag eine große Witwenrente aus seiner Versicherung. Dabei
berücksichtigte sie eine verfolgungsbedingte Ersatzzeit von Mitte November 1939 bis zum 30. April 1940. Die nachfolgenden
68 Monate bis zum 31. Dezember 1945 bewertete sie gemäß § 15 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) als fiktive Pflichtbeitragszeiten.
Mit ihrem Widerspruch begehrte die Klägerin die rentensteigernde Berücksichtigung weiterer Ersatzzeiten. So machte sie die
Berücksichtigung eines weiteren Monats Ersatzzeit für den Oktober 1939 geltend mit der Begründung, die Entschädigungsakte
des Versicherten enthalte Aussagen darüber, dass er bereits in diesem Monat zu Zwangsarbeiten herangezogen gewesen und somit
Freiheitsbeschränkungen ausgesetzt gewesen sei. In diesem Zusammenhang wies sie darauf hin, dass den ärztlichen Gutachten
des Vertrauensarztes des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in New York vom 3. Februar 1955 zufolge beim Versicherten
im Jahre 1945 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 v. H. bestanden habe. Im Übrigen sollte in Anbetracht der besonderen
Situation der Verfolgten und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten für den betagten Personenkreis grundsätzlich die Zeit
nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager bis zur Auswanderung als Ersatzzeit gemäß §
250 Abs.
1 Nr.
4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) im Sinne einer anschließenden Krankheit oder Arbeitslosigkeit eingerichtet werden.
Der Widerspruch blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2005 führte die Beklagte zur Begründung aus, Ersatzzeiten
im Sinne des §
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI für September und Oktober 1939 könnten nicht anerkannt werden, denn die Voraussetzungen einer Freiheitsbeschränkung im Sinne
des § 47 BEG hätten in den eingegliederten Ostgebieten frühestens ab Oktober 1939 vorgelegen. Anhaltspunkte für ein Leben
des Versicherten in der Illegalität und unter menschenunwürdigen Bedingungen vor dem Zeitpunkt der aufgrund der Verpflichtung
zum Tragen des Judensterns anerkannten Einsatzzeiten lägen nicht vor. Eine weitere Anschlussersatzzeit ab dem 1. Januar 1946
könne nicht anerkannt werden. Zwar habe gemäß der ärztlichen Untersuchung des Versicherten in L. am 30. September 1946 seinerzeit
eine vorübergehende Erwerbsminderung von 30% bestanden; jedoch sei gleichzeitig festgestellt worden, dass mittelschwere Arbeiten
zumutbar seien. Weitere Krankenunterlagen aus der Zeit bis zum 31. Dezember 1949 seien nicht vorhanden. Eine krankheitsbedingte
Arbeitsunfähigkeit über den 31. Dezember 1945 sei somit nicht glaubhaft gemacht.
Im anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht hat die Beklagte am 11. März 2008 in einem Teilvergleich zu Gunsten des
Versicherten eine weitere (Anschluss-) Ersatzzeit von Januar 1946 bis Dezember 1946 anerkannt. Die Berücksichtigung des Monats
Oktober 1939 als Ersatzzeit blieb strittig. Die Klägerin hat insofern auf ihrem Standpunkt beharrt und geltend gemacht, der
Versicherte sei als Pole jüdischen Glaubens seit dem Einmarsch der deutschen Truppen im September 1939 nationalsozialistischen
(Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen. Belegt seien diese für den Oktober 1939. Sie hat insoweit auf die Bescheinigung
des Rabbinats Hannover vom 3. Februar 1949 über die Zwangsarbeitsverpflichtung des Versicherten ab Oktober 1939 verwiesen.
Das Sozialgericht Hamburg hat die auf die rentensteigernde Berücksichtigung des Monats Oktober 1939 als einer weiteren Ersatzzeit
beschränkte Klage durch das Urteil vom 5. August 2008 abgewiesen. Es hat eine den Versicherten treffende Freiheitsbeschränkung
beziehungsweise -entziehung im Oktober 1939 als nicht glaubhaft gemacht angesehen. Für die Annahme von Zwangsarbeit unter
haftähnlichen Bedingungen im Sinne des § 43 Abs. 2 BEG hätten sich keine ausreichenden Anhaltspunkte ergeben. Aus den vorgelegten
Erklärungen ergäben sich weder der Inhalt der geleisteten Zwangsarbeit noch Bedingungen, unter denen sie ausgeführt worden
sei. Nicht unter haftähnlichen Bedingungen geleistete Zwangsarbeit sei auch nicht als Freiheitseinschränkung im Sinne des
§
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI in Verbindung mit §
47 BEG anzusehen. Die Aufzählung der Verfolgungs(ersatz)zeiten sei abschließend und einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.
Gegen dieses ihr am 15. August 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. September 2008 Berufung eingelegt. Sie hält
daran fest, dass in der Person des Versicherten auch im Monat Oktober 1939 eine Freiheitsbeschränkung oder -entziehung im
Sinne des §
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI vorgelegen habe. Das angefochtene Urteil gehe zu Unrecht davon aus, dass es hierfür allein darauf ankomme, ob die Tatbestände
der §§
43 und
47 BEG erfüllt seien. Sinn und Zweck des §
250 SGB VI ließen eine solche einschränkende Interpretation nicht zu. Wenn diese Norm auf die Bestimmungen des BEG verweise, so habe
dies lediglich beispielhaften Charakter. Tatsächlich sei auch jede andere Freiheitsbeschränkung oder -entziehung durch NS-Verfolgungsmaßnahmen
als Ersatzzeit nach §
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI anzuerkennen. Mithin habe der Versicherte zumindest einer Freiheitsbeschränkung durch Zwangsarbeit untergelegen, ohne dass
es auf die Erfüllung des Tatbestandes des § 47 BEG ankomme. Anderenfalls werde der entschädigungsrechtliche Hintergrund der
Ersatzzeitenregelung missachtet.
Freilich habe der Versicherte Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen geleistet, denn er habe die ihm zugewiesene Arbeit
unter einer Beschränkung seiner Freiheit verrichten müssen, die über das sich aus der Arbeit selbst ergebende Maß hinausgegangen
sei. Insoweit sei bereits entscheidend, dass die Juden im sog. Wartheland dem von Prof. G. für das Sozialgericht Hamburg im
Verfahren S 9 RJ 512/03 zur Region Reichsgau Wartheland erstatteten Gutachten vom 31. August 2006 zufolge zur Zwangsarbeit ständig hätten bereit
sein müssen und ihre Heranziehung zu diesen Arbeiten auch als Demütigung gedacht gewesen sei. Die vom Sozialgericht aufgeführten
Kriterien einer Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen in der Gestalt einer Arbeitsleistung unter Bewachung, unter Absonderung
von freien Arbeitern und unter Anwendung von Körperstrafen stellten keine abschließende Aufzählung sondern lediglich Regelbeispiele
dar. Zwangsarbeit könne als haftähnlich zu bewerten sein, wenn der Verfolgte zwar in der eigenen Wohnung geblieben, aber immer,
auch in der Freizeit, zu deformierenden Arbeiten habe bereit sein müssen oder ständig unter Deportationsandrohung gestanden
habe. Entscheidend sei, ob die Einschränkung der Bewegungsfreiheit einer Haft gleichgekommen sei, wozu auch gezählt habe,
dass der Verfolgte nicht mehr Herr seiner Freiheit gewesen sei und jederzeit, auch an Sonn- und Feiertagen, habe einsatzbereit
sein müssen. Auch sei er, wie aus seiner Wortwahl in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 3. Februar 1949 zu schließen
sei, regelmäßig und auf Dauer angelegt - nicht nur sporadisch - zur Zwangsarbeit herangezogen worden. Dies erfülle nach der
vom 8. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in der Terminsniederschrift vom 30. September 2009 zum dortigen
Verfahren L 8 R 345/06 vertretenen Auffassung die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung bzw. Freiheitsbeschränkung und damit die Voraussetzungen
des §
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI zur Berücksichtigung als Ersatzzeit. Die Beklagte jenes Verfahrens - die Deutsche Rentenversicherung Rheinland - habe dies
auch akzeptiert und zur Grundlage eines Vergleichs gemacht. Demgegenüber betreffe das Urteil des Bundessozialgerichts vom
5. Mai 2009 (Az. B 13 R 23/08 R - SozR 4-2600 § 250 Nr. 5) nicht solche regelmäßig zu leistenden Zwangsarbeiten; vielmehr habe ihm eine sporadische unregelmäßige
Heranziehung zur Zwangsarbeit zugrunde gelegen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. August 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung
ihres Bescheides vom 28. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2005 und des Teilvergleichs vom
11. März 2008 zu verurteilen, der Klägerin eine höhere Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes
S. unter Berücksichtigung des Monats Oktober 1939 als weiterer verfolgungsbedingter Ersatzzeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. August 2008 zurückzuweisen.
Sie sieht unverändert keinen Anlass zu einer für die Klägerin günstigeren Einschätzung des Sachverhalts. Das von der Klägerin
als Vergleichsfall herangezogene Verfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen und der dort am 30. September 2009
geschlossene Vergleich beträfen einen Sachverhalt, der mit dem des Versicherten nicht zu vergleichen sei. Seine Grundlage
sei zum einen gewesen, dass eine regelmäßige Heranziehung zu Zwangsarbeit glaubhaft gemacht worden sei, zum anderen, dass
im Ghetto Turek besondere Umstände der Zwangsarbeit geherrscht hätten, die die Voraussetzungen einer Haftähnlichkeit erfüllten.
Maßgebend für die Anerkennung der Zeit einer Zwangsarbeit in jenem Verfahren sei mithin nicht allein der Umstand gewesen,
dass der Kläger jenes Verfahrens seine regelmäßige Heranziehung zur Zwangsarbeit glaubhaft gemacht habe. Schon daran fehle
es aber im Falle des verstorbenen Versicherten. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei der vom Versicherten in seiner zitierten
eidesstattlichen Erklärung gewählten Formulierung nicht zwingend zu entnehmen, dass es sich um eine regelmäßige und auf Dauer
angelegte Heranziehung zur Zwangsarbeit gehandelt habe. Vielmehr lasse sie auch die Deutung zu, dass diese unregelmäßig erfolgt
sei. Erkenntnisse darüber, dass in Belchatov - ebenso wie in Turek - besondere Umstände der Zwangsarbeit geherrscht hätten,
die die Voraussetzungen einer Haftähnlichkeit erfüllten, lägen der Beklagten nicht vor. Soweit im Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz
zwar die Verpflichtung zu arbeiten angegeben worden, nicht aber ein Sachverhalt geschildert worden sei, der über die Freiheitsbeschränkung
hinausgehe, die jeder Zwangsarbeit immanent sei, liege ein dem BSG-Urteil vom 5. Mai 2009 vergleichbarer Fall vor, so dass
die Voraussetzungen einer Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen nicht erfüllt seien.
Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift
aufgeführten Akten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§
143 SGG), form- und fristgerecht eingelegt worden (§
151 Abs.
1 SGG) und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Hinterbliebenenrente der Klägerin aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes
unter Berücksichtigung einer weiteren Ersatzzeit für den Monat Oktober 1939 neu zu berechnen, denn insofern sind die tatbestandlichen
Voraussetzungen einer verfolgungsbedingten Ersatzzeit nicht glaubhaft gemacht.
Nach dem hier allein in Betracht kommenden §
250 Abs.
1 Nr.
4 Fälle 1 und 2
SGB VI sind Ersatzzeiten solche Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte
nach vollendetem 14. Lebensjahr in ihrer Freiheit eingeschränkt gewesen sind oder ihnen die Freiheit entzogen worden ist (§§
43 und 47 BEG), wenn sie zum Personenkreis des § 1 BEG gehören (Verfolgungszeit). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Klammerzusatz der Vorschrift "§§ 43 und 47 Bundesentschädigungsgesetz" im Sinne
einer Legaldefinition der freiheitsentziehenden und freiheitseinschränkenden Maßnahmen zu verstehen, die zur Anerkennung der
Zeit auch als Verfolgungsersatzzeit führen. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, wonach §
250 Abs.
1 SGB VI (= §
245 des Entwurfs) "dem (zuvor) geltenden Recht entspricht" (vgl. Fraktionsentwurf zum Rentenreformgesetz 1992, BT-Drucks 11/4124,
S. 200 zu §
245). Nach gesetzgeberischer Intention soll also der Klammerzusatz in §
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI nichts anderes ausdrücken als die in § 1251 der Reichsversicherungsordnung/§ 28 des Angestelltenversicherungsgesetzes verwandte Formulierung "Zeiten der Freiheitsentziehung
und der Freiheitsbeschränkung im Sinne der §§ 43 und 47 BEG". Damit ist - einfachrechtlich - die Reichweite des Begriffs "in
ihrer Freiheit eingeschränkt" in §
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI umschrieben; er umfasst nur die in §
47 BEG genannten Tatbestände. Eine Freiheitsentziehung im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 BEG im fraglichen Zeitraum hat unzweifelhaft
liegt nicht vorgelegen, denn der Versicherte befand sich während der fraglichen Zeit weder in Haft noch zwangsweise in einem
Ghetto. Er unterlag aber auch keinen Beschränkungen, die es rechtfertigten, den Monat Oktober 1939 als Leben unter haftähnlichen
Bedingungen bzw. Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen im Sinne des § 43 Abs. 3 BEG der Freiheitsentziehung gleichzustellen.
Dass er in Belchatov unter haftähnlichen Bedingungen gelebt habe, hat der Versicherte im Entschädigungsverfahren wie im Rentenverfahren
nicht vorgetragen und ist auch von der Klägerin nicht behauptet worden. Auch die Annahme, der Versicherte habe seinerzeit
Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen geleistet, lässt sich nicht rechtfertigen. Angesichts der vom Versicherten bereits
zu Beginn des Entschädigungsverfahrens gemachten Angaben soll zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass er schon im Oktober
1939 in Belchatov ebenso wie viele andere Juden in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten zur unfreiwilligen Arbeitsleistung
herangezogen worden ist und damit Zwangsarbeit im Sinne des § 43 Abs. 3 BEG verrichtet hat (zum Begriff vgl. Blessin/Ehrig/Wilden,
BEG, 3. Aufl. 1960, RdNr. 25 zu § 43; BSG Urteil vom 14.7.1999 - B 13 RJ 61/98 R - SozR 3-5070 § 14 Nr. 2 mwN). Diese ist einer Freiheitsentziehung nach eben dieser Bestimmung aber nur dann gleichzustellen,
wenn sie unter haftähnlichen Bedingungen ausgeübt worden ist. Die haftähnlichen Bedingungen müssen nur während der Arbeitszeit
vorgelegen haben (vgl. Bundesgerichtshof (BGH) vom 25.6.1970, MDR 1970, 1006 = RzW 1970, 546; BSG Urteil vom 26.7.2007 - B 13 R 67/06 R - Juris - RdNr. 23). Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen liegt danach nur vor, wenn die erzwungene Arbeit entweder
unter strenger Bewachung in abgeschlossenen Räumen oder außerhalb solcher Räume unter Beseitigung jeder Bewegungsfreiheit
und unter ständiger Befehlseinwirkung durch Aufsichtspersonen zu leisten war. Zu fordern ist, dass der Verfolgte wie ein Häftling
in einem geschlossenen und bewachten Arbeitskommando arbeiten musste (Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 30. Mai 1973, RzW
1973, 435, 437). Zu Unrecht will die Klägerin die vom Versicherten verrichtete Zwangsarbeit schon deswegen als Zwangsarbeit
unter haftähnlichen Bedingungen gewertet wissen, weil er bereits im Oktober 1939 regelmäßig und auf Dauer angelegt - nicht
nur sporadisch - zu ihr herangezogen worden sei. Eine solche Gestaltung des Sachverhalts im Falle des Versicherten ist weder
glaubhaft - d. h. überwiegend wahrscheinlich - noch würde sie für sich genommen die Zwangsarbeit zu einer solchen unter haftähnlichen
Bedingungen qualifizieren. Weder ist die vom Versicherten in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 3. Februar 1949 gewählte
Formulierung, er sei ab Oktober 1939 in Belchatow zur Arbeit zwangsverpflichtet worden, in dem Sinne eindeutig, den er ihr
bemisst, noch finden sich zusätzliche Anhaltspunkte für eine solche Gestaltung des Sachverhalts. Sie lässt sich auch nicht
aus dem von der Klägerin zitierten Gutachten schließen, das Prof. Dr. G. am 31. August 2006 zu den Verhältnissen im sog. Reichsgau
Wartheland für das Sozialgericht Hamburg im Verfahren S 9 RJ 512/03 erstattet hat: (Zitat Seite 6 letzter Absatz und Seite 7 Absätze 1 und 2)" haben sofort nach dem deutschen Einmarsch in Polen
in allen Gebieten (also auch im späteren Wartheland) Wehrmacht, Polizei und deutsche Behörden, aber auch selbständig agierende
Volks- und Reichsdeutsche Juden ohne Rücksicht auf hohes oder niedriges Alter (d. h. auch Kinder) zu Zwangsarbeiten mittels
Razzien oder anderer ad-hoc-Maßnahmen ergriffen und zu verschiedenen Hilfsarbeiten - etwa im Reinigungs- und Räumbereich,
aber auch zu rein privaten Zwecken, manchmal auch nur zum Zweck der Verhöhnung - verpflichtet. Für Łódź sind ausdrücklich
erwähnt Reinigungsarbeiten an Militärgerät, Ordnungsarbeiten in Kasernen und zu Kasernen umfunktionierten Schulen, Ladearbeiten,
Enttrümmerung und Dienstleistungen für Privatpersonen. Zwar wurden auch nichtjüdische Polen zur kriegsrechtlich zulässigen
Zwangsarbeit herangezogen, Juden wurden jedoch die "demütigendsten Arbeiten" zugeteilt, die dem Kriegsrecht nicht entsprachen.
Ab Oktober 1939 wurden die Arbeitsanforderungen systematisiert und über die Jüdischen Gemeinden bzw. die Judenräte kanalisiert.
Der Chef der Zivilverwaltung (CdZ) des Armeeoberkommandos 8 V. schrieb an die Militär-, Polizei- und Verwaltungsstellen am
15. Oktober 1939, es solle keine selbständigen Razzien auf Juden mehr geben. Dennoch hörte das "Abfangen" von der Straße nicht
völlig auf und auch seitens der Betroffenen und der Judenräte konnte nichts Entscheidendes dagegen getan werden. Die Heranziehung
der Juden zu solchen Arbeiten fand im gesamten Wartheland statt, wobei die bisher nur sporadisch ausgewerteten Berichte für
unseren Bereich etwa Kasernendienste (Zgierz), Lebensmittelladearbeiten (W³oc³awek), Brückenreparaturen (Ko³o), Straßenbauarbeiten
(Be³chatów, Ko³o), Straßenkehren (Be³chatów, Ko³o), die Bestattung von Kriegsopfern (Be³chatów), Feldarbeiten (Kutno) und
von Hand oder mit rituellen Kleidungsstücken auszuführende Latrinenreinigungsarbeiten (Ko³o, W³oc³awek, Zgierz) nennen." Demnach
ist eher wahrscheinlich, dass es auch im Oktober 1939 durchaus unterschiedliche Formen und Frequenzen der Heranziehung der
jüdischen Bewohner von Belchatow zur Zwangsarbeit gab.
Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass der Versicherte regelmäßig zur Zwangsarbeit herangezogen wurde, wäre
damit nicht dargetan, dass er sie unter haftähnlichen Bedingungen ausführen musste. Zwar trifft es zu, dass § 43 Abs. 3 BEG
als der Freiheitsentziehung gleich zu behandelnde Tatbestände nur solche Maßnahmen beschreibt, bei denen der Verfolgte einer
Dauerbeeinträchtigung ausgesetzt war; das gelegentliche Heranziehen zu Arbeiten erfüllt diese Voraussetzung nicht (Bundessozialgericht
Urteil vom 5. Mai 2009, Az. B 13 R 23/08 R - SozR 4-2600 § 250 Nr. 5). Jedoch wurde auch eine solche dauerhafte Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen nur ausgeübt,
wenn vor Ort besondere Umstände der Zwangsarbeit geherrscht haben, die die Voraussetzungen einer Haftähnlichkeit erfüllten.
So lag der Sachverhalt in dem vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen unter dem Aktenzeichen L 8 R 345/06 vormals anhängigen Verfahren, weshalb jenes Gericht der von der Klägerin bzw. ihrer Bevollmächtigten übersandten Sitzungsniederschrift
vom 30. September 2009 zufolge unter Berufung auf das bereits zitierte Urteil des 13. Senats des Bundessozialgerichts vom
5. Mai 2009 die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Verfolgungsersatzzeit als gegeben ansah. Im Falle des Versicherten
sind entsprechende Feststellungen tatsächlicher Art nicht möglich. Einzelheiten einer militärischen oder polizeilichen Bewachung
während der Zwangsarbeit, einer Absonderung von freien Arbeitern oder Anwendung von Körperstrafen hat der Versicherte nicht
geschildert. Sie lassen sich auch nicht aus dem oben zitierten Gutachten des Prof. Dr. G. vom 31. August 2006 schließen.
Angesichts der nicht weiter zu reduzierenden Unschärfe des entscheidungsrelevanten Sachverhalts mag auf sich beruhen, ob eine
weitergehende Auslegung des §
250 Abs.
1 Nr.
4 SGB VI aus Gleichheitserwägungen (Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) in Betracht kommt. Dies gälte jedenfalls nicht für eine Fallgestaltung, in der lediglich sporadische freiheitsbeschränkende
Maßnahmen von relativ kurzer Dauer mit längeren Zeitabschnitten ohne derartige Einschränkungen wechseln, wie es hier durchaus
denkbar ist. Denn die in § 47 BEG ausdrücklich geregelten Tatbestände (Tragen des Judensterns, Leben in der Illegalität unter
menschenunwürdigen Bedingungen, Leben unter falschem Namen) umschreiben jeweils einen ununterbrochenen Dauerzustand. Die Entscheidung
über die Kosten beruht auf §
193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG nicht vorliegen.