Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.
Die in der 37. Schwangerschaftswoche schwangere und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte P. (im Folgenden: Versicherte)
wurde am 8.6.2014 um 10:47 Uhr zum Versuch einer äußeren Wendung bei Beckenendlage des Fötus in das Krankenhaus der Klägerin
aufgenommen. Am Mittag erfolgte die Aufnahme in den Kreißsaal, wo sie ans CTG angeschlossen wurde und eine intravenöse Tokolyse
(Gabe wehenhemmender Medikation) erfolgte. Nach dem Start der Tokolyse wurde zunächst ein erfolgloser Wendungsversuch mit
Rolle rückwärts, dann ein Wendungsversuch mit Rolle vorwärts beim ungeborenen Kind der Versicherten vorgenommen, der erfolgreich
war. Nach Kontrolle der fetalen Herzfrequenz und erneutem CTG-Anschluss der Versicherten wurde diese sodann am frühen Nachmittag
in die Häuslichkeit entlassen.
Am 23.10.2014 stellte die Klägerin der Beklagten für eine vollstationäre Behandlung insgesamt 612,91 EUR in Rechnung. Die
Beklagte zahlte diese Rechnung zunächst, teilte der Klägerin aber mit, dass sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) mit der Prüfung des Falls beauftragt habe.
In seinem sozialmedizinischen Gutachten kam der MDK zu dem Ergebnis, dass zu keinem Zeitpunkt ein stationärer Behandlungsbedarf
bestanden habe und eine Einbindung auf die Station nicht erfolgt sei. Daraufhin verrechnete die Beklagte am 23.04.2015 den
vollen Betrag mit einer anderen unstreitigen Forderung der Beklagten verrechnet.
Die Klägerin hat am 9.9.2019 Klage zum Sozialgericht erhoben. Das Ungeborene habe sich in einer Beckenendlage befunden. Dies
stelle eine Gefährdung sowohl für die Mutter als auch das Kind dar. Es habe daher eine Indikation zu dem Versuch einer äußeren
Wendung vorgelegen. Der Eingriff bedürfe aufgrund seiner speziellen Risiken der Mittel eines Krankenhauses. Insbesondere könne
es zu einem Abfall der Herztöne von Kind und/oder Mutter, zur Atemnot der Mutter bis hin zum Kreislaufstillstand, zur Plazentalösung,
Plazentariss, Platzen der Fruchtblase oder Nabelschnurstrangulation des Kindes kommen. In diesen Fällen sei eine sofortige
Intervention mit intensivmedizinischen und/oder chirurgischen Maßnahmen notwendig, um das Leben von Mutter und Kind zu erhalten.
Daher müsse der Eingriff der äußeren Wendung zwingend nicht nur unter Vorhaltung, sondern auch Freihaltung der intensivmedizinischen
Ressourcen eines Krankenhauses unter stationären Bedingungen und durch speziell ausgebildete Ärzte durchgeführt werden und
bedürfe der engmaschigen Überwachung. Die Entlassung der Versicherten nach der erfolgreichen Wendung und die im Vorfeld erfolgte
Besprechung einer möglichen Entlassung nach der Wendung rechtfertige es nicht, das Vorliegen einer vollstationären Krankenhausbehandlung
zu verneinen und die Klägerin auf eine ambulante Abrechnung zu verweisen.
Die Beklagten hat gemeint, der Klägerin stehe das geforderte Entgelt für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung nicht zu.
Maßgeblich sei die bereits am Aufnahmetag wieder erfolgte Entlassung der Versicherten. Eine vollstationäre Behandlung und
eine entsprechende Eingliederung in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses liege nicht vor, wenn – wie im vorliegenden
Fall – nach der äußeren Wendung auf der Station lediglich eine Überwachung der Versicherten über vier Stunden erfolge. In
Krankenhäusern der Versorgungsstufe der Klägerin sei grundsätzlich über 24 Stunden ein Sectio-OP-Saal sowie grundsätzlich
bei ambulanten Eingriffen im Krankenhaus die Möglichkeit einer Intervention bei Komplikationen vorzuhalten, weshalb für die
Behandlung der Versicherten kein erhöhter Ressourcenverbrauch geltend gemacht werden könne.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 01.04.2021 stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 612,91 EUR nebst Zinsen
und 300,00 EUR Aufwandspauschale verurteilt. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs sei §
109 Abs.
4 S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V), § 17b Abs. 1 S. 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz und § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2014
sowie dem am 01.01.2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19.12.2002 zwischen der
Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und u.a. der Beklagten (Vertrag nach §
112 SGB V). Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entstehe unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme
einer Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt werde und im Sinne
von §
39 Abs.
1 S. 2
SGB V erforderlich sei. Vorliegend habe eine vollstationäre und erforderliche Krankenhausbehandlung in einem zugelassenen Krankenhaus
stattgefunden. Gemäß §
39 Abs.
1 S. 1
SGB V werde die Krankenhausbehandlung vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht. Wann eine Krankenhausbehandlung
vollstationär erfolge, werde im Gesetz nicht definiert. Die stationäre Krankenhausbehandlung zeichne sich aber gegenüber der
ambulanten Versorgung durch eine besondere Intensität der Betreuung aus, und zwar sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher
Hinsicht. In sachlicher Hinsicht erfordere die stationäre Krankenhausbehandlung die physische und organisatorische Eingliederung
des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses mit den Interventionsmöglichkeiten, die bei ambulanter
Behandlung nicht gegeben seien. In zeitlicher Hinsicht dürfe sich die stationäre Betreuung nicht nur auf einen unbedeutenden
Teil des Tages beschränken. Das BSG habe insoweit zur Abgrenzung ambulant und stationär erbrachter Operationen in einem Krankenhaus darauf abgestellt, dass eine
vollstationäre Versorgung augenfällig jedenfalls dann vorliege, wenn sich die physische und organisatorische Eingliederung
des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses zeitlich über mindestens einen Tag und eine Nacht erstrecke.
Dabei werde die Entscheidung zum Verbleib des Patienten über Nacht in der Regel zu Beginn der Behandlung vom Krankenhausarzt
getroffen, könne aber im Einzelfall, z.B. bei Komplikationen, auch noch später erfolgen. Entgegen der Auffassung der Beklagten
schließe die Aufenthaltsdauer der Versicherten in der Klinik der Klägerin von rund 4 Stunden eine vollstationäre Behandlung
nicht von vornherein aus. Eine 24-stündige Mindestaufenthaltsdauer des Patienten im Krankenhaus oder ein Aufenthalt über Nacht
sei für eine vollstationäre Behandlung nicht erforderlich. Auch aus der Rechtsprechung des BSG lasse sich eine derartige starre Mindestaufenthaltsdauer nicht entnehmen. Bei seiner Abgrenzung der stationären von der ambulanten
Behandlung habe das BSG vielmehr nur eine besonders „augenfällige“ Eingliederung in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses angenommen,
sofern der Aufenthalt über Nacht andauere, ebenso aber eingeräumt, dass es auch weniger augenfällige Sachverhalte einer vollstationären
Behandlung geben könne, zumal einige Fallpauschalen exakt für die Behandlung an einem Behandlungstag (ohne Nacht) kalkuliert
worden seien. Des Weiteren habe das BSG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Abstellen auf eine Aufenthaltsdauer von mindestens einem Tag und einer Nacht weniger
geeignet sei, wenn es nicht um die Abgrenzung eines stationären Eingriffs vom ambulanten Operieren gehe, sondern – wie hier
– um die Abgrenzung einer nicht-operativen stationären Behandlung von einer ambulanten Behandlung im Krankenhaus, etwa bei
einer Notfallversorgung. Zwar sei auch hier die vollständige Eingliederung in den Krankenhausbetrieb und damit das Vorliegen
einer stationären Behandlung augenfällig, wenn der Patient mindestens einen Tag und eine Nacht bleibe. Sei dies nicht der
Fall, folge daraus aber nicht im Gegenschluss, dass es sich nur um eine ambulante Behandlung handeln könne. Entscheidend komme
es hier vielmehr darauf an, ob der Patient die Infrastruktur des Krankenhauses – also insbesondere die typische intensive
ärztliche Betreuung sowie die Hilfe von jederzeit verfügbarem Pflegepersonal – in Anspruch genommen habe. Dies sei vorliegend
der Fall. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass die äußere Wendung bei Beckenendlage, bei welcher durch äußere Manipulation
am Bauch der Schwangeren manuell versucht werde, das Kind in die „richtige“ Geburtsposition, also die Schädellage, zu wenden,
ein potentiell mit hohen Risiken behafteter Vorgang sei, der in niedergelassenen Arztpraxen aus diesem Grund nicht durchgeführt
werde. Die von der Klägerin benannten und auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Risiken seien insbesondere Abfall
der Herztöne von Kind und/oder Mutter, Atemnot der Mutter bis hin zum Kreislaufstillstand, Plazentalösung, Plazentariss sowie
Platzen der Fruchtblase oder Nabelschnurstrangulation des Kindes. Es stehe weiterhin nicht im Streit, dass diese Risiken selten
aufträten bzw. selten in einem Umfang persistierten, der ein schnelles Handeln erfordere. Wenn dieser Umstand allerdings eintrete,
sei – und auch das sei unstreitig – die Durchführung eines Kaiserschnitts innerhalb kürzester Zeit erforderlich. Es gebe vorliegend
keinen Anlass, am Vortrag der Klägerin zu zweifeln, soweit sie ausführe, dass aufgrund der Sectiobereitschaft sowohl räumliche
(OP) als auch personelle Ressourcen (Gynäkologe, Anästhesist etc.) während des Eingriffs freigehalten würden und nicht anderweitig
verwendet werden könnten. Bei dieser im Wesentlichen unstreitigen Sachlage ergebe sich, dass der Eingriff auch bei einer Entlassung
der Versicherten noch am Aufnahmetag bzw. nach nur rund vierstündiger Behandlung nicht ambulant, sondern vielmehr unter vollstationären
Bedingungen ausgeführt worden sei. Die besonderen Vorkehrungen, die für eine Sectiobereitschaft zu treffen seien (Blockierung
des an den Kreißsaal angeschlossenen OP-Saales nebst Bereitstellung eines kompletten OP-Teams) seien bereits vor bzw. bei
Aufnahme der Versicherten in der Behandlungsplanung zu berücksichtigen, so dass die Versicherte in den Krankenhausbetrieb
unter Verbrauch der hierfür spezifischen vollstationären Ressourcen eingegliedert werde und die spezifischen Leistungen, die
nur im Krankenhaus erbracht werden könnten, für die Versicherte und nur für diese vorgehalten würden. Der nach außen hin aus
Sicht der Versicherten eher ambulante Charakter der Maßnahme werde durch die im Hintergrund ausschließlich für sie bereitgestellte
Infrastruktur eines hochentwickelten Klinikbetriebes überlagert und begründe auch im Falle der Aufenthaltsdauer der Versicherten
in der Klinik von 6,5 Stunden eine stationäre Aufnahme.
Das Urteil enthält den Hinweis, dass Berufung innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung des Urteils eingelegt werden könne.
Die Beklagte hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 31.05.2021 zugestellte Urteil am 24.08.2021 Berufung eingelegt.
Der Sachverhalt als solcher sei nicht streitig. Allerdings sei die vom Sozialgericht vorgenommene Subsumption dieses Sachverhaltes
unter den Begriff der vollstationären Behandlung, wie sie sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergebe, nicht
zutreffend.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichts-
und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Durch das Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung über die Sache entscheiden.
Das Sozialgericht folgt mit seinen Ausführungen der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urt. vom 19.12.2019 – L 1 KR 62/18 und L 1 KR 43/18 sowie Urt. v. 25.03.2021 – L 1 KR 112/20). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Der Sachverhalt im vorliegenden Fall unterscheidet sich von den entschiedenen
Fällen nicht in relevanter Form. Insbesondere ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass während der äußeren Wendung eine
Sectiobereitschaft dergestalt vorgehalten wird, dass sowohl in räumlicher Hinsicht (OP) als auch in personeller Hinsicht (Gynäkologe,
Anästhesist, OP-Personal) die entsprechenden Kapazitäten geblockt sind. Auf dieser Grundlage ist das Sozialgericht auch in
diesem Fall zutreffend von dem Vorliegen einer stationären Behandlung ausgegangen.